Augustinus, Aurelius - Nachtgedanken - Vierzehnte Nacht. Rechte der Menschheit. Liebe gegen den Lasterhaften.
Es ist mir nicht erlaubt, die Liebe abzulegen gegen den Menschen, der mich beleidigt, der mir schadet, der meinem Leben nachstellt; aber darf ich ihn nicht hassen, wenn er die höchste Majestät beleidigt? Soll der Feind Gottes nicht auch mein Feind sein? Fordert es nicht die Liebe des Allerhöchsten, dass ich jeden Menschen hasse, der sich wider ihn empört? Bezähme, o Mensch, diese ungestüme Heftigkeit, die eine Tochter der Unwissenheit ist. Auch der Lasterhafte kann einmal gebessert in den Schoß des Vaters zurückkehren, und während du deinen Feind zu hassen meinst, hasst du seinen Sohn. Solange der Mensch auf Erden lebt, ist sein Ende verborgen in der unergründlichen Tiefe der göttlichen Ratschlüsse. Du siehst oft nur einen Petrus, der es nicht wagt, sich für einen Jünger des Herrn zu erklären; aber wer in die Zukunft schaut, der sieht schon in ihm den Märtyrer, welcher seinen Fehltritt mit Tränen und endlich mit seinem Blute auslöscht. Der große Gesetzgeber fordert von dir mildere Gesinnungen. Halt' ein du, der du Feuer vom Himmel über die Beleidiger des Gottmenschen herabrufen willst. Du kennst noch nicht das Herz und die Gesinnung des großen Gottes, für dessen Ehre du eiferst. Er will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe in Ewigkeit. Er stieg vom Himmel herab, nicht um die Sünder zu verderben, sondern zu heben und sie zu seinen Freunden zu machen. Er kam, um sie mit seinem Blute zu erkaufen. Er ward zum Arzte, der ihre Krankheiten heilte, und sein eigenes Blut war das Heilmittel. Du hasst das Verbrechen? Hasse es; aber dein Hass richte sich nach dem göttlichen Willen und laufe nicht wahnsinnig, wohin die Begierde dich treibt. Alles Gute kommt in das Menschenherz aus der Quelle des Guten, aus der Quelle des Lichtes; sein Strahl erheitert und beruhigt den Geist, verhüllt und verfinstert ihn nicht. Wenn Unmut über die Fehltritte deiner Brüder dir den Geist trübt und dich blendet, so mäßige dich; denn derselbe Wind, der fruchtbaren Regen bringt, erregt auch auf sumpfigem Boden schwarze Nebel und drohendes Sturmgewölk. Nur zu oft trügt uns der Schein des Guten. Wer sich ihm anvertraut, überlässt sich sorglos unordentlichen Neigungen, und während er der Tugend zu folgen meint, folgt er tyrannischen Leidenschaften, die ihn fern vom Ziele führen. Außerhalb der heiligen Stadt sehe ich einen Menschen, der eifrig die Kleider derer bewacht, welche jenen Leviten, den Anhänger einer ihm verhassten Lehre, steinigen. Von da sehe ich ihn wegeilen mit drohender und Tod verkündender Miene, um die neuen Anbeter Gottes gefangen zu nehmen. Saulus, warum zürnest du so gegen diese! Der Levit, welcher vor deinen Augen stirbt, ist unschuldig. Diejenigen, die du übermütig verfolgst, sind keine Verbrecher. Wenn der Eifer für das Gesetz dich entflammt, warum bist du feindselig gegen denjenigen, der demselben Gesetze, dass du unrecht verstehst, treu bleibt? Das ist falscher Eifer. Von Leidenschaften geführt und irre geleitet, endet er mit Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Ach, wie dein unruhiger Geist die Gestalt der Dinge verwirrt! Die Tugend ist nimmer blind. Die Vernunft, die uns zur Aufklärung gegeben ward, ist ihre beständige Freundin. Sie ist die Fackel, die auf dem Lebenswege mit dem untrüglichen Lichte des göttlichen Wortes uns vorleuchten soll. Wer mit Ungeduld ihrem Lichte voreilen will, wandelt im Finstern und strauchelt jeden Augenblick. Unglücklich ist derjenige, der über die Fehltritte anderer zu voreilig sich ereifert. Oft vermischt er den Guten mit dem Bösen und aus blindem Verfolgungseifer gegen die Sünde misshandelt er die Unschuld. Saulus gab in der Folge aus wahrem Eifer sein Leben hin für den Herrn, den er früher aus falschem Eifer verfolgt hatte. Die Wahrheit tilgte in ihm die Schuld der Unwissenheit und die Tugend trat an die Stelle des blinden Fanatismus. Nicht immer senkt sich dem Blitze gleich der Lichtstrahl herab, um denjenigen aufzuhalten, der ihn nicht achtend dahineilt, und oft, wenn er ihm wohltätig leuchtet, ist es zu spät. Schon ist der gute Levit getötet. Er starb als Opfer der Übereilung eines anderen.
Du hasst die Schuld? Du sollst sie hassen, so will's der Himmel. Unversöhnlich, ewig sei dein Hass. Aber den Menschen liebe, das gebietet dir auf gleiche Weise der Himmel, und will, dass deine Liebe ewig sei und alle Proben bestehe. Weder ist es dir erlaubt, aus Liebe zum Menschen Frieden oder Waffenstillstand zu schließen mit der Sünde, noch darfst du aus Liebe zu dieser den Menschen hassen. Nur die Torheit kann so verschiedene Dinge miteinander verwechseln. Der Mensch ist ein Geschöpf desjenigen, dessen Werke stets vollkommen sind, er ist ihm so teuer, dass er ihn mit seinem Blute erkaufte. Die Sünde ist das Werk der menschlichen Bosheit. Gott verabscheut sie mit unendlichem Hasse, weil sie seiner Heiligkeit widerstrebt und feindselig ist gegen den Menschen, sein lebendiges Ebenbild. Du hasst die Schuld? Der Himmel gibt dir das Beispiel und lehrt dich, inwiefern du Hass tragen sollst. Kündige ihr ewigen Krieg an und halte sie fern von dir und deinen Brüdern. Verbanne sie aus ihrer Mitte. Der Allmächtige stieg vom Himmel herab, um sie von ihrem harten Joche zu befreien; er brachte hienieden seine Tage in beständiger Arbeit zu und gab endlich in schrecklicher Qual sein Leben dahin, um sie von seinen Geschöpfen zu verbannen. Aber nicht von allen fordert er, dass sie eines so grausamen Todes sterben. Aber hier bleibst du schwankend und unentschlossen stehen? Eine stille Trauer verbreitet sich über dein Antlitz? Du erstarrst? Vor diesem Beispiele des Hasses gegen die Sünde erlischt dein Hass gegen sie, statt dass er entbrennen sollte? Ach, du kannst hassen, wenn der Hass eine wilde Leidenschaft ist, und kannst es nicht mehr, wenn er reine Tugend ist! Du bist bereit, das Laster zu bekämpfen, wenn man von dir bloß eine Aufwallung des Zornes verlangt, ein schnell entzündetes Feuer in deinem Herzen, wenn der Angriff deinem Nebenmenschen gilt; aber du ziehst dich zurück, wenn du sie verschonen sollst, wenn man von dir nicht Äußerungen der Wut, sondern Anstrengungen fordert, um in ihnen das Reich der Sünde zu zernichten und sie für Gott zu bewahren! Weder verabscheust du die Sünde, noch liebst du deinesgleichen, und wenig oder gar nicht kümmert dich die Ehre des Herrn.
Ein grimmiger Bär fällt deinen Bruder an und hält ihn fest mit seinen grausamen Tatzen, um ihn zu zerreißen. Du stürzest dich bewaffnet auf ihn los; ich billige deinen Mut, deinen tapferen und schleunigen Beistand. Aber was, beginnst du, Unglückseliger? Welche Wut treibt dich an, mit dem wilden Tiere zugleich auch den Menschen zu morden? Trenne sie voneinander und werde kein Menschenmörder. Dein Hass erstrecke sich auf das wilde Tier allein, nicht aber auf den Unglücklichen, der dir teuer sein muss. Die Liebe zu diesem soll deine Wut mäßigen. Behutsam gehe zu Werke; erlege die Bestie; aber rette denjenigen, der in die Klauen geraten ist.
Wenn es wahr ist, o Mensch, dass du die Sünde hasst, so bestrebe dich, sie auszurotten; aber dazu treibe dich die Liebe des Schöpfers und seines Geschöpfes, dessen Rettung ihm so sehr angelegen ist. Es falle das grausame Untier; aber verschont sollen bleiben diejenigen, für welche der König des Himmels sich selber hingegeben hat.
Die Tugenden sind Zwillingsschwestern, nimmer herrscht unter ihnen Zwietracht. Der Eifer ohne Nächstenliebe ist falsch. Der wahre Eifer ist nichts anderes als eine heilige Liebe, Liebe unter verschiedenen Namen. Diese ist ein reines Feuer, das in unserem Busen brennt und zum höchsten Gute emporstrebt; sie ist eine brennende und leuchtende Flamme, die nach ihrem Mittelpunkte hin sich bewegt, ihre Wärme um sich her verbreitet und jedes Hindernis besiegt; sie wächst, aber sie ändert sich nicht. Gott muss man lieben, weil er liebenswürdig ist, weil er's gebietet. Auch den Menschen muss man lieben, weil Gott ihn liebt, weil er es gebietet. Die heilige Liebe erfüllt diese doppelte Pflicht. Der Eifer, stets getreu dieser hohen Dienerin des Himmels, unterstützt emsig diese doppelte Sorge und weiht ihr sein himmlisches Feuer. In wessen Herz der echte Eifer glüht, der liebt eben darum die Menschen bereit williger und beharrlicher, weil er seinen Gott, der ihm dieses gebietet, standhaft liebt.
Aber Pinehas, Moses rächten doch streng die Beleidigungen Gottes… Vergebens suchst du mit diesen Beispielen aus der Vorzeit deinen bitteren Eifer im Neuen Bunde zu rechtfertigen. Dort forderte das göttliche Gesetz Blut, hier aber Barmherzigkeit; jene Verfassung war für die Sklaven, wir aber sind die Kinder des Hauses; bei ihnen herrschte die Furcht, bei uns die Liebe. Und wenn du nach der Ankunft des Heilandes irgendwo einen Pinehas antriffst, vom Himmel erweckt, so hüte dich, dass dein Unmut dich nicht hintergehe, dass du nicht das Heilmittel in Gift verwandelst. Der höchste Gesetzgeber und Lenker aller Dinge ist immer Herr über seine Gesetze und kann sie jeden Augenblick wieder aufheben. Zuweilen leitet er die Natur auf unbekannten Wegen, damit die Welt es erkenne, dass alles ihm unterworfen sei und dass alles vor seiner allmächtigen Stimme sich beugen müsse. So verkünden die Fluten des Arabischen Meerbusens, die sich zerteilten und wie Mauern auftürmten, so verkündet die Sonne, welche über die gewöhnliche Tageszeit über dem Horizont stehen blieb, und das Feuer, welches im glühenden Ofen die Gerechten nicht verletzt, und die Löwen, die wie zahme Lämmer den guten Propheten umringen, sie verkünden es der Erde, dass sich Gottes Herrschaft über die ganze Natur erstreckt. Wie in der sichtbaren Welt, so herrscht er auch mit unumschränkter Gewalt im Reiche der Gnade. Da siehst du die geizigen Lügner vor den Füßen des Petrus niederstürzen. Schon entbrennst du von zerstörendem Eifer gegen die Übeltäter. Halt, lerne besser die Ratschlüsse Gottes erkennen. Er zeigt dir da ein Ungeheuer, nicht aber ein Muster der Nachahmung. Dieses ist dir aufgestellt in seinem Gesetze und dieses Gesetz ist ein Gesetz der Liebe, welches dir gebietet, alle Menschen zu lieben. Es ist unabänderlich, ewig, und nur der kann es aufheben, der es gegeben hat. Wenn du nun nicht imstande bist, die Sonne in ihrem Laufe aufzuhalten und das Meer zu zerteilen, es sei denn, der Ewige gebiete dir dieses und gebe dir die Macht dazu, warum willst du unter dem Scheine des Eifers deine Brüder hassen, solange nicht Gott selbst durch außerordentliche Zeichen sein Gesetz der Liebe aufhebt und das für erlaubt erklärt, was vorher verboten war? Wie glühend auch dein vorgeblicher Eifer sei, er ist nur ein schwacher Funke in Vergleich mit dem Eifer desjenigen, der aus reiner Liebe vom Himmel herabgekommen ist.
Du Lamm Gottes steig' herab, um die Beschimpfung der ewigen Majestät zu tilgen und ihr die Ehre wieder zu geben, nicht durch den Untergang der Sünder, nicht durch Schlachtopfer, die die ganze Erde bedecken. Du kamst hernieder und botest den Übertretern Verzeihung an und ludest die schuldbeladene Menschheit zum Heile ein und verfolgtest ohne Unterlass die Spur derjenigen, die fern von Gott wandelten; gabst dich ihren Misshandlungen preis, damit sie nicht zu Grunde gingen. Das einzige Schlachtopfer in dem unsterblichen Werke der Erlösung war nicht ein Schuldiger, sondern ein freiwilliges und unschuldiges Opfer war derjenige, der von unendlichem Eifer für Gottes Ehre brannte, du, o liebenswürdiger Herr, du warst es selber. Du unternahmst das schwere und mühevolle Werk, uns in den Himmel einzuführen. Du trugst für uns Mühe und Arbeit, du trugst die Strafe unserer Bosheit. Du starbst vom Schmerz aufgerieben; aber du stiftetest Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen. So war das Werk des größten Eifers auch das Werk der größten Liebe gegen den Menschen.
Aber wir tragen in unserem Busen einen unseligen Keim, der alles verdirbt mit seinem geheimen Gifte, einen blinden, verborgenen Hochmut.
Der Mensch zürnt dem Sünder, weil er sich selbst für besser hält und auf den Gipfel der Tugend gekommen zu sein wähnt, wenn er sich über den Schuldigen entrüstet. Ehe man Steine aufrafft, um ihn zu steinigen, möge jeder insgeheim sein Herz fragen, ob es dem göttlichen Gesetze stets treu geblieben, und wer sich dann unschuldig findet vor den Augen des Allerhöchsten, der werfe den ersten Stein. Hier legt sich das Geschrei derer, welche für den Sünder Rache schreien. Ich sehe, wie sich die falschen Eiferer, einer nach dem anderen, schweigend und beschämt zurückziehen. Ihr Gewissen spricht ihnen ernstlich genug zu. Und wenn einer es wagte, zu behaupten, er sei nicht wie die anderen Menschen, er habe keine Sünde auf sich, so höre ich eine furchtbare Stimme vom Himmel donnern, die ihn der Lüge zeiht. O du, wer du immer bist, den das Bewusstsein anklagt, beuge demütig dein Haupt vor dem Allerhöchsten. Du verlangst, dass er Nachsicht habe mit deinen Fehltritten. So beweise denn dem Nebenmenschen dieselbe Barmherzigkeit, die du vom Himmel verlangst. Erfüllt dich die Sünde eines anderen mit uns willen und verhärtet sie dein Herz gegen deinen Bruder, so zürnt der Himmel auch über deine Fehltritte und verwirft dein Gebet. Mit welchem Maß du ausmisst, wird dir von anderen eingemessen.
Und du, der du dich für rein hältst vor demjenigen, vor dessen Angesicht selbst die Himmel nicht rein sind, der du dich in unsinnigem Stolze über deinesgleichen erhebst, halte dich nicht für besser als deinen schwächeren Mitbruder. Wenn er an seiner Krankheit selbst schuld ist, so ist dein Heil nicht dein eigenes Werk, es ist ein Geschenk von oben, vom Geber alles Guten. Gib ihm seine Wohltaten zurück, und du wirst finden, dass du wie andere ein Bettler bist.
Das schwache Auge des Menschen glaubt oft Tugend zu sehen, wo nur Scheintugend ist. Mit Unrecht rühmt sich der Krieger, welcher, in einer Festung eingesperrt, nie den Feind gesehen hat, der Wunden, die er in hundert Schlachten empfangen. Du rühmst mir deine Tapferkeit, weil du dich wohl befindest. Wechsle dein Schicksal mit dem, welchen du verachtest; vor dem Himmel erscheinst du vielleicht weit schlimmer als jener. Um niederträchtiger zu erscheinen als jener, fehlt dir vielleicht nur der Friede, worin jener lebte. Hättest du jenen schlüpfrigen Weg gehen müssen, vielleicht wärst du häufiger noch ausgeglitten als er.
Unter deiner Hülle war er vielleicht ein Engel, und du bist unter der seinigen vielleicht ein Teufel.
Unerforschliche Ratschlüsse der ewigen Weisheit! Wer kann von dieser Erde seinen Geist zu dir erheben, ohne den Keim des Übermutes, zitternd beim Bewusstsein der eigenen Nichtigkeit, zu ersticken? Der Ewige allein sieht die Schwere der menschlichen Vergehen, er allein unterscheidet die Grenzen menschlicher Tugend. Wer da aufrecht steht, verachte nicht den, der danieder liegt. Es ist jetzt noch früh; im Verlaufe des Tages kannst du vielleicht selbst danieder liegen und den anderen aufrecht sehen. Jeder hat Ursache, zu fürchten. Holde Bescheidenheit und Liebe macht den Menschen mitleidig gegen die Wunden eines anderen, die jeden Augenblick auch ihn treffen und in die Lage versetzen können, dass er des Mitleides bedarf, das er jetzt stolz verweigert.
O ihr, die der König des Himmels an seiner Statt auf die Erde gesetzt hat, um die Seelenkrankheiten zu heilen, entfernt euch nicht von dem Wege desjenigen, der euch zu seinen Dienern gemacht hat. Um den Menschen von den tödlichen Bestbeulen zu befreien, bedarf es wohl zuweilen eines heilsamen Einschnittes, nicht aber des Grimmes und der grausamen Schläge, sondern der helfenden Kunst und der erfinderischen, geduldigen Hand des Arztes. Der Starke ertrage die Schwäche des anderen, der Gesunde zürne nicht, sondern reiche dem Kranken Arznei. Der Himmel trägt langmütig die Bosheit des Menschen; auch der Mensch soll sie ertragen. Der Himmel wartet auf den, welcher taub ist gegen die Stimme, die ihn vom Laster wegruft; er erwartet die Zeit, dass er sich endlich beuge und Erbarmung verdiene. Der Mensch soll sich nicht grämen, wenn sein Mitbruder sich nicht sogleich seinem Wunsche und der Sorge für sein Heil ergibt. Er soll nicht sogleich sich beleidigt fühlen und das edle Unternehmen zu seiner Kettung aufgeben; der Hartnäckigkeit soll er Standhaftigkeit entgegensetzen und durch seine Güte die Bosheit des anderen besiegen.
Oft bietet der Mensch kühn den Gefahren Trotz, weicht aber den Anfällen der Ungeduld. Größere Tapferkeit ist es, seine eigenen Neigungen zu beherrschen, als feindliche Festungen zu bestürmen und Städte zu erobern. Wer der Sklave einer unbändigen Leidenschaft ist, nennt sich vergebens einen Völkerbesieger. Der ist wahrhaft Herr, der sein Herz in der Gewalt hat. Der edelste Sieg ist der, den wir über unser eigenes Herz gewinnen; der glänzendste Triumph ist derjenige, zu dem wir durch Selbstbekämpfung gelangen. Möge doch der Mensch von Fleisch und Blut nimmer in liebloser Flamme erglühen! Steig' herab, Geist Gottes. Geist der Liebe, steig' herab zu uns und erfülle unser Herz mit der wohltätigen Glut des heiligen Eifers, der die Sünde bekämpft, aber den Sünder verschont, der die Krankheit verbannt und die Kranken neu belebt.
Ihr Diener des Herrn, ihr Boten der ewigen Erbarmung hienieden, auserwählt, um die Stadt Gottes dort oben mit kostbaren, heiligen, lebendigen und unvergänglichen Steinen zu erbauen, euch ist es aufgetragen, sie zu bearbeiten, und zum erhabenen Baue zu ordnen. O, lasst sie nicht darum, dass sie zuweilen schmutzig und befleckt sind, aus Trägheit und Unwillen verächtlich und zerstreut an jeder Straßenecke liegen. Der König des Himmels reinigte sie durch sein Blut; mögt ihr wenigstens mit euerem Schweiße sie reinigen. Mit frommer Anstrengung setzt ihr sein großes Werk hienieden fort. Er begleitet dasselbe vom Himmel herab mit dem Geiste der Liebe, der die Welt erneuert. Seid so gesinnt, wie der Herr, dessen Gesandte ihr seid. Will das ungelehrige Schaf die Hürde verlassen und nicht mehr merken auf den liebevollen Ruf des Hirten? Nein, es will die Strafe seines bösen Sinnes nicht tragen. Der gute Hirt gab für dasselbe sein Leben. Er läuft ihm nach und holt es ein, weil es ihm so teuer ist. Nicht mit Gewalt schleppt er's zur Hürde. Der gute Hirt trägt es liebevoll auf seinen Schultern heim. Er scheut keine Mühe und bei seinem Heimgange vertraut er euch das Heil desselben an. So sind denn seine liebevollen Sorgen die eurigen und sein Beispiel ist euer Gesetz.