Augustinus, Aurelius - Nachtgedanken - Elfte Nacht. Die Weisheit des Menschen.
Also tot seid ihr, Cäsar, Alexander, Hannibal und ihr Scipionen! Wir wissen, dass ihr einst wart; aber wir sehen euch nicht mehr. Hasdrubal, Metellus, Leonidas, Sesostris, auch euch hat der Tod dahin gestreckt. Keine Tapferkeit, keine Stärke konnte euch vor ihm schützen. Themistokles, Miltiades, Epaminondas, auch ihr seid von hier verschwunden. Einst war auf Erden viel Gerede von euch, aber ihr seid nicht mehr. Ach, wie doch alles sein Ende hat, wie doch alles unter dem Himmel so unbeständig und wandelbar ist! So fällt im Herbst der Schmuck des Waldes, und der Schäfer findet sich unter freiem Himmel, wo er in den schwülen Tagen des Sommers im kühlen Schatten sein fröhliches Lied sang. Wir sind nicht in unserer Heimat. Die Erde ist eine Herberge, wo täglich neue Gäste ankommen, die nur kurze Zeit verweilen, und dann wieder abreisen und nie mehr zurückkehren. Aber hat euer glänzender Name, euere Macht, euer Ruhm euch dorthin begleitet, wo ihr jetzt seid? Ach, wie ganz verschieden ist die Gesinnung in jenem großen Lande von dem Urteile der Erdbewohner, wie ganz anders die Waagschale, worauf man den Wert der Dinge abwägt! Auf dem wilden Eilande, das wir jetzt bewohnen, ist die gangbare Münze Ton; wo wir hinkommen sollen, gilt nur das Gold. Dennoch sehe ich die ganze Welt beschäftigt, diese schlechte Münze, die uns nur auf wenige Augenblicke bereichern kann, zu sammeln. Sieh', wie die Sterblichen sich stoßen und drängen und zertreten und wetteifern, dieselbe anzuhäufen. Unter Hunderten finde ich kaum Einen, der sich einsam dem wühlenden Haufen entzieht und nicht zu achten scheint, wonach die übrigen trachten; kaum Einen, der nur das Notdürftigste für seinen kurzen Aufenthalt sucht, der, verschmähend den Ton, den die meisten so hoch schätzen, darauf bedacht ist, wie er aus dem Sande der öden Küste das wenig bekannte und verachtete Gold auslesen möge. Der große Haufe verlacht ihn, nennt ihn einen Toren. Aber es kommt unterdessen die Zeit der Abreise. Jeder läuft mit den gesammelten Schätzen dem Schiffe zu. Mit einem Windstoße befindet sich dasselbe am Ufer eines unermesslichen Landes, ohne Hoffnung der Rückkehr. Jeder bringt ans Land, was er mitgebracht. Seltsame Veränderung! Der früher Verlachte ist hier reich und die anderen wechseln ihren Stand und werden hier Bettler.
Törichte Weisheit der Erdensöhne, die du die Sorgen eines unsterblichen Wesens an ein flüchtiges Leben fesselst, sieh', dort wird dir die Larve abgezogen. Am fernen Gestade, wenn du nicht mehr entrinnen kannst, erwartet dich die Ewigkeit! Dort wird sie dir die blinden Augen öffnen, dort wirst du genötigt, dich selbst zu verdammen zu einem Wehklagen ohne Ende über dein rettungsloses Elend.
O du, der du dich Tag und Nacht quälst mit dem Gedanken, dir Schätze zu sammeln, komm' mit mir ans Ufer des Meeres, das dir in seiner unbeständigen Bewegung, in seinen Stürmen, Klippen und Schiffbrüchen ein Bild dieses elenden Lebens darbietet. Schau dieses Fahrzeug, das stolz und mit vollen Segeln dahineilt! Nach wenigen Augenblicken ist es schon in weiter Ferne und das Auge kann es nicht mehr unterscheiden. Zeige mir nun auf der Oberfläche des Wassers die Bahn, die es einhielt, und die Spuren, die es zurückließ. Die Woge, die sich vor ihm teilte, schließt sich in demselben Augenblicke hinter ihm und es bleibt keine Spur seiner Durchfahrt. So werden einst die Reichtümer, die du anbetest, vorübergehen. Sehen wirst du die Stunde, da alles für die Sterblichen ein Ende nimmt, und da du verlassen musst, was du jetzt besikest. Nackt wirst du ins Land der Ewigkeit versetzt; was nukt dir da das Geld, welches nun nicht mehr dein ist? Was hilft dir die Ehre, wonach du jetzt so gierig trachtest, wenn der kalte Tod deine Sinne für die Schmeicheleien des Menschenlobes gefühllos macht? Zügelloser Jüngling, der du mit sträflichem Hohn die weisen Ermahnungen des zürnenden Lehrers aufnimmst, laufe nur unsinnig die Bahn dieses Lasters, bald wirst du fallen, ein Opfer des Todes, ein Raub der Verwesung. Sowie die Nacht des Grabes herannaht, werden die schlüpfrigen Freuden, denen du deine Unschuld verkauftest, auf ewig von dir fliehen, gleich falschen Freunden, die im Unglücke denjenigen schnell verlassen, den sie in den Tagen des Glückes verderben halfen. Armut, Verlassenheit, Gewissensbisse werden statt ihrer deine Begleiter sein. Du wirst nichts mehr finden als grenzenloses Elend.
O ihr Menschen, welch ein unerkannter Irrtum blendet euch! Ihr lauft lockenden Truggestalten nach, die euch in einen schauerlichen Abgrund führen! Euere Freude ist Irrtum, euer Lachen ein Traum, der sich in Wehklagen endigt. Nichts von allem, was euch hienieden ergötzt, könnt ihr in die Ewigkeit mitnehmen, die euch so nahe ist. Eine undurchdringliche Zwischenwand wird jedes flüchtige Gut, wodurch jetzt euer Herz an die Erde geheftet ist, von euch trennen. so wendet denn anderswohin euere klugen Sorgen und bereitet euch dort einen würdigen Aufenthalt, wo ihr ewig wohnen sollt.
Hinfällig sind wir alle und hinfällig ist alles, was uns auf Erden umgibt. Die großartigsten Unternehmungen der menschlichen Macht sind Gebäude, die wie Eis an der Sonne zerfallen. Die Zeit zertrümmert sie und verwischt ihren Namen. Den Königreichen sind ebensowohl ihre Jahre gezählt als den Menschenkindern, und im Buche des Ewigen ist der Untergang der Reiche und der Könige aufgezeichnet. Thebä, die berühmte Zierde von Ägypten, liegt im Schutt begraben mit ihren hundert Toren. Gesunken ist die stolze Ninive, um sich nimmermehr zu erheben, seit jenem Tage des Unterganges, den die Seher Gottes vorhergesagt. Jetzt ist sie nur mehr eine Einöde, ein schauerlicher Aufenthalt von wilden Tieren und Nachtvögel. Und du, übermütige Babylon, die du bei deinen hohen Mauern und deinem gewaltigen Strome dir ewige Dauer versprachst, auch du bist gefallen und schläfst in tiefer Vergessenheit. Vorüber ist die Herrlichkeit der großen Könige Ägyptens, das Reich der Assyrer ist wie Rauch verschwunden, zerbrochen ist der Zepter der Meder und Perser und in Staub zerfallen der Thron der Makedonier, der Eroberer von Asien. Zu schwach ist der Sterblichen Mühe, den Jahren Einhalt zu tun. Sie führen im Kreislauf jene unerwarteten Begebenheiten herbei, welche die Gestalt der Erde verändern. Alles unter der Sonne beugt sich unter ihrer Gewalt. Vergebens bemühen wir uns, unserer Herrschaft Festigkeit und ewige Dauer zu verschaffen und dem Strome der irdischen Unbeständigkeit unüberwindliche Dämme entgegenzusetzen. Wenn unser Werk den Gipfel der Größe erreicht hat und jeder mit Bewunderung ausruft, es sei vollendet, dann löst sich das Ganze auf und erschüttert durch plötzlichen Einsturz die ganze Erde.
O ihr Berge Siziliens, die der nächtliche Schimmer mir von ferne zeigt, welch eine Menge von Erinnerungen führt ihr meinem Geiste vor! Wie viele Begebenheiten bringt ihr mir ins Andenken, die unter der Asche früherer Generationen begraben sind! Mein Geist fühlt sich in vergangene Jahrhunderte versetzt. Schon segle ich vorüber an den Küsten Siziliens, den sizilianischen Gefilden, so oft der Schauplatz blutiger Auftritte. Hier sehe ich die Afrikaner im Kampfe mit den sizilischen Scharen, dort mit denen von Epirus und hier mit den Adlern von Rom. Jede Gegend, jedes Gestade ertönt, nach Verschiedenheit der Zeiten, von einheimischen oder fremden Waffen. Ich sehe den Hamilkar bei Himera fallen, besiegt durch die Waffen der Syrakuser, und das ganze Schlachtfeld mit Leichen bedeckt. Ich sehe, wie das Feuer sich mit Blitzesschnelle über seine Flotte ausdehnt, sich der tausend Schiffe bemächtigt, die das Meer mit einer schwarzen Wolke von Rauch und Asche bedecken. Ich sehe Selinut und Himera von einem anderen Heerführer erobert und mit Bürgerblut überschwemmt. Ich sehe ihre Mauern zertrümmert, der Erde gleich gemacht. Ich sehe Gela und Agrigent erobert und zerstört durch die Waffen der Ausländer, und auf den Türmen von Motia sehe ich bald die syrakusischen, bald die punischen Fahnen wehen. Trapana, Syrakus, die Ufer des Crimesa, Eunomum und Lilibeum mit vielen anderen Städten und Gestaden, und selbst das Meer, welches sie umgibt, wimmeln von Kriegern. Hier eilen die Landtruppen in den Kampf, dort treffen die Flotten aufeinander. Hier bedeckt ein dichter Staub das Feld und die Erde zittert unter der Bewegung und den Stößen derjenigen, die da angreifen, oder die sich verteidigend zurückziehen. Der blutige Schaum bedeckt zwischen den kämpfenden Schiffen das brausende Meer. Ich sehe die Kampflust der Feldherren, sehe den Mut der Kämpfenden, höre das Feldgeschrei, das sie zum Streite entflammt. Überall Mut, Verwegenheit und wilde Kampflust. Selbst der Tod verliert seine schauerliche Gestalt. Hoch über den Scharen schwingt sich der Ruhm, der sie anlockt und dem Blute und den Wunden und selbst dem Tode Schönheit verleiht. Erhabenes Schauspiel! Aber ein Schauspiel, das da war und das die Zeit gleich dem Nebel von dem Winde verwehte und das in der grenzenlosen Zukunft nimmermehr wiederkehrt. Land der Ewigkeit, uferloses Land, du allein umfassest, was dauerhaft und groß ist; wer seine Größe nicht auf dich baut, der arbeitet vergebens und bereitet sich seinen Untergang; wer nicht in dir seine Glückseligkeit sucht, der fällt dem endlosen Elende anheim.
Alles hienieden erschallt von dem Namen der Weisheit; aber wo ist der wahre Weise, der sie vollkommen begreift? In kühnem Fluge sich erheben, um die Bewegung der himmlischen Sphären zu berechnen, die auf der Erde zerstreuten Völker, ihre Sprache, ihre Gebräuche, ihren mannigfaltigen Charakter, die Beschaffenheit der verschiedenen Klimate kennen, vertraut sein mit den geheimen Kräften der Elemente, eindringen in die Geheimnisse der Natur und die verborgenen Ursachen ihrer wunderbaren Wirkungen ergründen, das nennt man hienieden Weisheit! Betrogene Sterbliche! Alles dieses ist Wissen, befreit uns aber noch nicht von der Torheit. Hoch, wie der Himmel über der Erde ist, erhebt sich die wahre Weisheit über jedes andere Wissen. Sie herrscht als Königin über dieses und führt und lenkt dasselbe zu jenem erhabenen Ziele, zu dem sie allein die Menschen hinführen kann. Sie schreibt uns alles vor, was uns zum einzigen Ziele unseres Daseins zur Gottähnlichkeit verhilft. Sie bewahrt uns vor allem, was dazu nicht dient, oder gar hinderlich ist; ohne sie ist Kunst und Wissenschaft eitel und die Gelehrsamkeit unfruchtbar, nur von hinfälligem Laube strotzend.
Du allein, milde Weisheit, leitest uns bei der großen Wahl, von der unser ewiges Verderben oder unsere ewige Glückseligkeit abhängt. Weisheit, du heiteres Licht von Gott, hehrer Abglanz der ewigen Klarheit, reiner Strahl des heiligen Urlichtes, du verbannst von dem Menschen die Täuschung der Sinne, du führst ihn in das Heiligtum der ewigen Wahrheit und durch die unfehlbare Lehrerin und weise Ratgeberin Ewigkeit lehrst du uns, das Himmlische und Irdische richtig schätzen und den Wert der Dinge beurteilen.
Der Mensch ward aus dem Nichts hervorgerufen, damit er nach einem kurzen Aufenthalte in der Verbannung sich mit Gott vereinige. Wo er sich immer hinwenden mag, wenn er nicht nach seinem hohen Ziele strebt, so ist die Torheit seine Führerin und stürzt ihn ins Verderben. Was er immer zu einem anderen Zwecke unternimmt, führt ihn auf Irrwege und Abgründe.
Auf der Reise dieses Lebens ist die Weisheit das Gestirn, welches uns die Gegend entdeckt, wohin wir streben sollen, und uns den Weg zeigt, der dorthin führt und den uns Gottes Gesetz bezeichnet hat. Die Weisheit schmückt den Menschen mit himmlischen Tugenden und sammelt ihm köstliche Schätze dort, wo weder Motte noch Rost sie zernagen. Der Weise eilt seinem hohen Ziele entgegen, während der Faden seiner Tage abläuft.
Alles, was er tut, bringt ihn diesem Ziele näher, während der Tor blindlings seinen Begierden nachjagt, immer sich abmüht und doch nicht voranrückt; je weiter er geht, desto tiefer verliert er sich in das dunkle Labyrinth, bis er kraftlos hinsinkt, um sich nicht mehr zu erheben.
Gott und der Mensch, das sind die zwei großen Gegenstände der wahren Weisheit. Den Menschen zu Gott führen, das ist ihr großes Werk. Die Weisheit lehrt uns, Gott und uns selbst zu erkennen. Bei ihrem Lichte sieht der Mensch seine wahre Gestalt, seine Pflichten, seine Bestimmung und bemüht sich, die Züge des göttlichen Ebenbildes an sich vollkommener darzustellen.
Ebenderselbe, welcher unter den Pflanzen eine so große Mannigfaltigkeit hervorbrachte, hat auch die Menschen in verschiedene Stände abgesondert. Jeder bedarf in seiner Lage seine besonderen Kenntnisse, jeder hat auf der Erde seine eigenen Beschäftigungen nach der Stufe, die er in der menschlichen Familie einnimmt. Aber das große Geschäft, dem alle anderen untergeordnet sind, besteht darin, dass wir uns der Gottheit würdig machen. Dieses ist unter den verschiedenen Pflichten die gemeinschaftliche, allgemeine, dieses ist das Ziel und die Frucht all unserer Anstrengung. Dieses gewonnen, so werden wir vollkommen glückselig, dieses verloren, so ist alles ohne Rettung verloren. Als Pilger zum himmlischen Vaterlande eilen wir durch das Leben, dem Wanderer gleich, der nur einen Tag in der Herberge weilt, und jeder hat seine Pflichten gegen den Mitpilger. Aber die erste Pflicht ist, dass wir pilgern und uns da nicht aufhalten, wo wir nur durchwandern sollen, dass wir immer forteilen auf dem rechten Wege zu dem vorgesteckten Ziele. Untertan, Bürger, Krieger, Bruder, Freund, Vater, Gatte, sind bloß Namen, die in diesem fremden Lande gelten. Mensch ist unser ewiger Name, unserem Wesen anklebend und unzertrennlich von ihm. Der Name Mensch bezeichnet ein Wesen, das aus der Hand Gottes hervorging, um wiederzukehren zu Gott, gebildet nach dem erhabenen Bilde der Gottheit, weil er ihr allein angehört und geweiht, weil er ihr Erbteil, ihr Untertan und ihr Kind ist. Von Adam haben wir das Kleid der Niedrigkeit, das wir hienieden tragen, unser ganzes Wesen aber von dem Allmächtigen, Wir bilden auf Erden nur eine Wanderfamilie, der wir angehören; aber diese Familie ist nur ein Teil der unermesslichen Familie des ewigen Herrschers. Der hohe Ruf, der an alle ergeht, ist, dass wir im Himmel zusammenkommen sollen. Was immer den Menschen auf dem Wege aufhalten mag, wenn er nicht dort ankommt, so ist er ein Überläufer, widerspenstig gegen seinen Herrn und wird auf seiner Flucht selbst die Strafe seiner Treulosigkeit finden.
O, wie erhaben ist der Mensch, der sich von der wahren Weisheit leiten und beherrschen lässt! Er schimmert von göttlichem Glanze und die ganze Erde ist seiner nicht wert, er gehört dem Himmel an. Seine Herrlichkeit beginnt da, wo die des irdischen Menschen endet. Es verstummt das Lob der Götzen dieser Welt, des eitlen Weisen, des Kriegers und des gefürchteten Eroberers. Aber das Lob des wahren Weisen lebt ewig. In wenigen Augenblicken zerfällt die ganze Glückseligkeit, die der Mensch sich hienieden erworben. Aber jene Glückseligkeit, die der wahrhaft Weise in diesem Leben sich jenseits bereitet, unterliegt keinem Wechsel. Torheit ist es also, sich vergängliche Schätze zu sammeln; Torheit ist es, dem Schatten von Weltehre nachjagen, die wie der Rauch verschwindet; Torheit ist es, sich dort erheben, wo alles dem Tode unterworfen ist, und seinen Geist mit einer Wissenschaft anfüllen, die da aufbläht und uns nicht erhebt zu den ewigen Wohnungen. Torheit ist es, nach Wollust streben, die bald in ewige Bitterkeit verwandelt wird. Alles ist Torheit, außer mit Geist und Herz dem höchsten Gute anhangen und Tag und Nacht mit ihm beschäftigt sein.