Athenagoras - Bittschrift für die Christen (Auszüge)
1.
Unsere Verfolger haben es im Grunde nicht auf Güter abgesehen, wenn sie unsere Bestrafung betreiben, nicht auf unsere bürgerliche Ehre, wenn sie öffentlichen Schimpf auf uns häufen, nicht auf sonst eines der geringeren Güter, wenn sie uns in Schaden stürzen. Alle diese Güter können wir nicht hoch anschlagen, mögen sie auch der Menge noch so erstrebenswert vorkommen. Wir haben die Lehre empfangen, Leute, die uns peinigen, nicht zu schlagen, und Leute, die uns vertreiben und ausrauben, nicht vor Gericht zu fordern. Wir haben vielmehr, wenn sie uns schmachvoll auf die eine Schläfe schlagen, für neue Schläge die andere Seite des Kopfes hinzuhalten. Wir haben ihnen, wenn sie uns den Rock nehmen, auch noch den Mantel zu geben. Nein, unser Leib und unser Leben ist es, worauf die Nachstellungen der Verfolger zielen, wenn es keine Güter mehr bei uns zu holen gibt. So allein erklären sich die vielen Beschuldigungen, die sie über uns ausstreuen. Kann uns jemand ein kleineres oder größeres Unrecht nachweisen, dann sind wir die letzten, die um Abwendung der Strafe bitten, ja, wir verlangen in diesem Falle die empfindlichste und schonungsloseste Ahndung.
2.
Während die Richter über andere Angeklagte nicht eher eine Strafe verhängen, als bis ihnen ein Unrecht nachgewiesen ist, stellen sie bei uns keine Untersuchung an, ob der Angeklagte ein Unrecht begangen hat; sondern sie sind auf den Namen erbost, wie wenn eben dieser das Unrecht wäre.
7.
Wenn wir behaupten, daß der Ordner dieses Alls der eine Gott ist, so steht uns unbegreiflicherweise ein Gesetz entgegen.
9.
Begnügten wir uns nun mit Erwägungen, so müßte man meinen, unsere Rechtfertigung sei Menschenwort. Aber die Ausführungen der Propheten beglaubigen unsere Beweisführungen. Bei eurer Wißbegierde und eurem Bildungsgrad werdet ihr von den Aussprüchen eines Moses, Jesaja, Jeremias und der übrigen Propheten vernommen haben. Sie waren ihrem eigenen Denken entrückt und verkündeten unter Einwirkung des Heiligen Geistes, was ihnen eingegeben wurde. Der Geist bediente sich ihrer hierbei, wie wenn ein Flötenspieler die Flöte bläst. So laßt uns denn hören, was sie sagen.
10.
Daß wir also keine Atheisten sind, ist von mir hinlänglich gezeigt worden. Denn jener eine ist unser Gott, der da ungeboren und ewig ist, der unsichtbar, unwandelbar, unbegreiflich, unfaßbar, nur mit Verstand und Vernunft erkennbar ist, der von Licht und Schönheit, von Geist und Kraft in unaussprechlich hohem Grade umgeben ist. er, von dem durch sein Wort das All geschaffen ist, geordnet ist und regiert wird. Indes kennen wir auch einen Sohn Gottes. Halte es doch ja niemand für lächerlich, daß Gott einen Sohn habe! Denn unsere Gedanken über Gott, Vater und Sohn weichen gar sehr von den Mythen der Dichter ab, die die Götter nicht im mindesten besser sein lassen als die Menschen; der Sohn Gottes ist der Logos des Vaters. Er ist es als vorbildender Gedanke und schöpferische Kraft; denn nach seinem Wesen und durch ihn ist alles gemacht worden; Vater und Sohn sind eins. Da durch die Einheit und Kraft des Geistes der Sohn im Vater und der Vater im Sohn ist, so ist der Sohn Gottes der Sinn und der Logos des Vaters. Sollte euch aber bei eurer überlegenen Einsicht die Frage aufkommen, was der Ausdruck „Sohn“ bedeutet, so will ich euch in Kürze folgendes antworten: Er ist dem Vater das Erst-Erzeugte, nicht als ob er geworden wäre; denn von jeher hatte Gott als ewiger Gedanke selbst das Wort in sich, da er nie ohne das Wort ist. Der Sohn ist vielmehr hervorgegangen, um für alles Körperliche vorbildender Gedanke und schöpferische Kraft zu sein. Hiermit stimmt auch der prophetische Geist überein. „Der Herr“, sagt er, „hat mich im Anfang seiner Wege für seine Werke erzeugt.“ Indes ist nach unserer Lehre auch der Heilige Geist, welcher sich in den Propheten wirksam erweist, ein Ausfluß Gottes, ausfließend und zurückkehrend wie ein Sonnenstrahl. Wer sollte sich da noch auskennen, wenn er Leute als Atheisten verschreien hört, die einen Gott Vater und einen Gott Sohn und einen Heiligen Geist bekennen, und die nachweisen, daß diese mächtig sind in der Einigung und zugleich verschieden in der Ordnung?
11.
Bei uns könnt ihr ungebildete Leute, Handwerker und alte Mütterchen finden, die nicht imstande wären, die Nützlichkeit ihrer Lehre in Worten darzutun. Aber durch ihre Taten weisen sie die Nützlichkeit ihrer Grundsätze nach. Keine auswendig gelernten Worte sagen sie her. Aber gute Taten zeigen sie: geschlagen nicht wiederzuschlagen, ausgeraubt nicht zu prozessieren, den Bittenden zu geben, die Nebenmenschen wie sich selbst zu lieben.
13.
So halten sie uns zweierlei vor, daß wir nicht opfern und daß wir nicht an dieselben Götter glauben wie der Staat. Kann man uns, die wir Gott von der Materie wohl unterscheiden und den Beweis liefern, daß die Materie etwas anderes ist als Gott und daß der Abstand ein gewaltiger ist, kann man uns, frage ich, mit Recht Atheisten nennen? Wir zeigen, daß das göttliche Wesen ungeworden und ewig ist. Es ist nur dem denkenden Geist erfaßbar. Die Materie dagegen ist geworden und vergänglich. (…) Ihm ist es das liebste Opfer, wenn wir zu erkennen suchen, wer die Himmel ausspannte und wölbte und die Erde als Mittelpunkt hinsetzte, wer das Wasser in Meeren sammelte und das Licht von der Finsternis schied, wer den Äther mit Sternen schmückte und der Erde jede Art von Samen entsprießen ließ, wer die Tiere ins Dasein rief und die Menschen bildete. Wenn wir uns an Gott anschließen, als an den Bildner, der alles mit jener Weisheit und Kunst zusammenhält und überschaut, mit der er alles leitet - und wenn wir heilige Hände zu ihm erheben - wie sollte er da noch einer kultischen Opfergabe bedürfen?
16.
Gewiß ist die Welt schön; gewiß ist sie großartig in ihrer Ausdehnung, in ihrer Stellung der Himmelskörper, im Tierkreis und um den Bären, in ihrer Kugelgestalt; aber wegen alles des verdient sie keine Anbetung; wohl aber verdient diese ihr erhabener Künstler. … Gott ist alles selber: Unnahbares Licht! Vollendete Schönheit! Geist! Kraft! Wort! … Wenn die Welt ein wohlgestimmtes, rhythmisch bewegtes Instrument ist, so bete ich nicht das Instrument an, sondern den, der es gebildet und gestimmt hat, der ihm seine Töne entlockt und der das Lied singt, das der Melodie entspricht. Gott ist vollkommen gut und tut ewig nur Gutes. … Die Absicht des Schöpfers bei der Erschaffung des Menschen war die, ein vernünftiges Wesen zu schaffen, das die Werke Gottes betrachten und seinem Schöpfer dienen soll.
17.
Da diese Bestimmung des Menschen nie aufhört, kann auch das Menschenwesen nicht aufhören; Leib und Seele zusammen konstituieren das Menschenwesen; denn Seele ohne den Leib ist nicht der Mensch.
31.
Man dichtet uns gottlose Mahlzeiten und unterschiedslosen geschlechtlichen Umgang einerseits deshalb an, um sich einzureden, daß man uns mit Grund haßt; andererseits tut man deshalb es in der Erwartung, uns durch Einschüchterung von unserer Lebenshaltung abzubringen; oder schließlich tut man es, um durch die Schwere der Anklagen die Behörden gegen uns einzunehmen und zu schonungslosem Vorgehen anzureizen.
32.
Wir sind von einem unterschiedslosen Geschlechtsverkehr so weit entfernt, daß uns nicht einmal ein begehrlicher Blick erlaubt ist. Was könnte berechtigen, an der Reinheit in der Lebensführung derer zu zweifeln, die von ihren Augen keinen anderen Gebrauch machen dürfen als den einen, wozu Gott sie gebildet hat, nämlich ins Licht zu sehen, bei denen also schon der sinnliche Blick als Ehebruch bezeichnet wird. Für sie bezieht sich das kommende Gericht auf bloßes Denken! Erfolgt doch unsere Verantwortung nicht nach Menschensatzungen! Ihnen könnte sich ein schlechter Mensch entziehen. Von dem göttlichen Ursprung unserer Lehre suche ich euch von Anfang an zu überzeugen. Wir haben ein ganz anderes Gesetz. Wir haben einen Auftrag, der dahin gewirkt hat, daß wir in der wahren Selbstliebe und Nächstenliebe das Vollmaß der Gerechtigkeit sehen. Aus dieser Gesinnung betrachten wir je nach dem Alter die einen als Söhne und Töchter, die anderen behandeln wir wie Brüder und Schwestern, die Älteren ehren wir wie Väter und Mütter. Es liegt uns alles daran, daß ihre Leiber unentweiht und unbefleckt bleiben. Sehen wir doch die, denen sie gehören, für Brüder an, für Schwestern und was es sonst noch für Verwandtschaftsnamen gibt! Der Logos spricht abermals zu uns: „Wenn jemand zum zweiten Male küßt, -aus dem Grunde, weil es ihm gefallen hat! -“ Er fügt hinzu: „So muß man also mit Vorsicht den Kuß geben, unseren Gruß also tauschen, da er uns des ewigen Lebens berauben würde, wenn er irgendwie aus der Gesinnung heraus getrübt würde.“ Also weil wir ein ewiges Leben erwarten, erstreckt sich unsere Weltverachtung auch auf Genüsse, die nur in der Welt der Vorstellungen empfunden werden. So hat jeder von uns nur ein Weib, das er nach den von uns aufgestellten Gesetzen geehelicht hat, und zwar zum Zwecke der Kinderzeugung. Der Landmann wartet, wenn er die Saat dem Schoße der Erde anvertraut hat, den Erntetag ab, ohne neue Saat auszustreuen. So hat auch bei uns die Begierde ihr Ziel in der Kinderzeugung. Indes kann man unter unseren Glaubensgenossen viele finden, Männer und Frauen, die alt werden, ohne zu heiraten, in der Erwartung eines um so innigeren Verkehrs mit Gott.
33.
Wenn das Verharren im jungfräulichen Stande beide Geschlechter Gott näher bringt, wenn schon ein Gedanke oder eine Begierde von ihm wegführt, so verabscheuen wir noch viel mehr die Vollbringung dessen, was wir uns nicht einmal zu denken erlauben. Nicht im Aussinnen schöner Sprüche besteht unser Leben, sondern in der Ausführung schöner Taten und in der Hinführung zu ihnen. Ein jeder soll bleiben, wie er geboren ist, oder er soll sich nur einmal verehelichen. Denn die zweite Ehe ist nur ein verbrämter Ehebruch.
34.
Wer sich seiner ersten Frau entledigt, ist ein versteckter Ehebrecher, selbst dann noch, wenn sie gestorben ist. Er übertritt die Anordnung Gottes, der als den Anfang nur einen Mann und nur ein Weib gebildet hat. Doch wozu sollte ich Geheimnisse weitergeben? Trotz so erhabener Grundsätze bekommen wir die schwersten Vorwürfe zu hören. Es bewahrheitet sich das Sprichwort: „Die Dirne ist gegen die Anständige.“ Leute, die förmlichen Mädchenhandel treiben, Leute, die mit Umgehung der Gesetze der Jugend Gelegenheit zu schändlichen Ausschweifungen jeder Art bieten, Leute, die sich nicht einmal männlicher Personen enthalten, sondern als Männer an Männern Schlimmes verüben, Leute, die gerade die stattlichsten und schönsten Leiber auf alle Art schänden, Leute, die das herrliche Schöpfungswerk Gottes in den Staub ziehen, während doch die Schönheit nicht von selbst auf der Erde ist, sondern von Gottes Hand und Huld gesandt worden ist, - solche Leute wagen es, uns Schändlichkeiten aufzubürden, deren sie sich selbst bewußt sind, die sie sogar ihrem Götterideal nachsagen, weil sie offenbar etwas Rühmliches und der Götter Würdiges darin sehen. Uns, die wir entweder ein ganz jungfräuliches oder ein streng monogames Leben führen, wollen Ehebrecher und Knabenschänder herabwürdigen, sie, die wie Raubfische leben. Sie verschlingen jeden, der ihnen in den Weg kommt, und der Stärkere macht Jagd auf den Schwächeren. O, das ist Versündigung an Menschenfleisch, wenn man der Gesetze, die von euch und von euren Vorfahren in gerechter Erwägung gegeben wurden, nicht achtet, wenn man Menschen so sehr bedrängt, daß selbst die von euch aufgestellten Statthalter nicht mit den Prozessen mehr fertig werden, und wenn man dies noch dazu solchen Menschen antut, die sich bei Schlägen nicht einmal zurückziehen dürfen, die bei Schmähungen nicht einmal gute Worte unterlassen dürfen. Bloß gerecht sein ist zu wenig; gerecht sein heißt ja nur Gleiches mit Gleichem vergelten; wir aber haben die Vorschrift, weit darüber hinaus gut und geduldig zu sein. Welcher Verständige sollte nun uns als Menschen solcher Grundsätze noch des Menschenmordes bezichtigen können! Müßte man doch einen Menschen töten, um Menschenfleisch essen zu können. Wie sie im ersten Stück lügen, so auch im zweiten. Fragt man sie, ob sie es denn schon gesehen haben, was sie behaupten, so hat keiner die Frechheit, „ja“ zu sagen. Und wir haben doch auch Sklaven, die einen mehr, die anderen weniger. Vor ihnen kann man nicht verborgen bleiben. Aber auch von ihnen hat noch nie einer etwas Derartiges uns angedichtet. Wie könnte auch einer von Leuten, die es nicht einmal über sich bringen, bei einer gerechten Tötung zuzusehen, Menschenmord und Menschenfraß aussagen?
35.
Wie sollten also wir jemanden töten können, die wir nicht einmal zusehen können, damit uns keine Blutschuld und kein Frevel beflecken! Wie sollten wir Menschen umbringen können, die wir jene Frauen, die zur Herbeiführung einer Fehlgeburt Arzneien anwenden, Menschenmörderinnen nennen, die wir sagen, daß sie sich einst bei Gott verantworten müssen! Wir, die wir überzeugt sind, daß bei Gott nichts ungeprüft bleibt, und daß auch der Leib, wenn er den unvernünftigen Trieben und Begierden der Seele gedient hat, an der Strafe teilnehmen muß, wir haben allen Grund, auch die kleinste Sünde zu verabscheuen.