Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 8. Capitel.
Von dem Zug des Vaters zum Sohn.
Niemand kann zu mir kommen, es sey denn, daß ihn ziehe der Vater. Joh. 6,44.
Daß Jesus Christus auf Erden gekommen sey, uns wieder zusammen in den Himmel zu bringen, hat er gar oft selbst betheuert; so daß Derjenige stockblind seyn müßte, der es nicht erkennte. Er sagt unter andern Matth. 23. mit einem lieblichen Gleichniß: Er wolle die Menschen gern versammeln, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel.
2. Das größte Unglück der Menschen nach dem Fall ist die Zerrüttung und Zerstreuung. Sie sind nach dem Vorbild der Juden geschieden von Gott und seiner Freundschaft, zertrennet unter sich selbst, und zerstreuet in ihren eigenen Herzen. Da gehen sie also auf dem Erdboden, wie Schafe, die keinen Hirten haben, und werden allen bösen Geistern zum Raube, welche sie zerstreuen, wo sie nicht Hülfe kriegen.
3. Hier ist nun Sammlung nöthig von Innen und Außen, und dazu erbietet sich der gekommene Helfer, und vergleicht sich einer treuen Gluckhenne. Diese sammelt ihre Hühnlein sowohl vor Gefahr der Raubvögel, als auch zur Erwärmung, Nahrung und Beruhigung. Diese dreierlei Absichten hat der Heiland auch.
4. Er sammelt so gern auch die schwachen Lämmer oder Seelen in seinen Busen, Jes. 40,11. und bewahret sie vor Gefahr, Versuchung und Schaden. Er ziehet sie aber in und zu sich, wo sie folgen, um sie sowohl mit Gott, als unter einander und dann auch in sich selbst zu vereinigen. Beiderlei wird dort Joh. 11, 52. angedeutet, daß er die zerstreute Kinder Gottes in das Eine zusammen bringen solle.
5. Das Eine oder die Einigkeit ist nicht nur der einige ewige Gott, das höchste Gut selbst, ohne dem wir ewig unglücklich bleiben würden: sondern auch der einige, gerade und vollkommene Sinn und Willen nach dem Einigen zu trachten. Da will der Herr gerne das zerstreute Herz aus der Vielheit seiner eigenen eitlen Gedanken, Begierden und Phantasien heraus reißen durch den Geist der Zucht, und auf Eins und Alles, nemlich auf sich selbst, weisen und treiben.
6. Er thut aber dieses vornehmlich durch die Schenkung seines züchtigenden Geistes, der da sammelt die Gedanken, und offenbaret, was gut oder böse ist. Daher verspricht er: Joh. 12,32. Wenn er erhöhet werde von der Erden, (und also verherrlichet,) so wolle er sie alle zu sich ziehen.
7. Hieran haben wir abermals einen theuren Schatz des Evangeliums, und eine fröhliche Versicherung, daß wir aus aller unserer Zerstreuung und Zerrüttung sollen zu Gott gesammelt werden. Der Vater selbst arbeitet mit Macht dahin an den Seelen, und hat genug zu thun, daß er uns recht zu seinem Sohn bringe.
8. Der Sohn sagt selbst: Joh. 6,44. Niemand könne zu ihm kommen, es sey denn, daß ihn der Vater ziehe, der ihn (eben dazu) gesandt habe. Damit deutet er die Unmöglichkeit an, daß eine Seele ohne des Vaters Kraft und Zug nicht an Christum glauben könne, wegen der natürlichen Blindheit und Ohnmacht zum Guten.
9. Der ewige Gott selbst muß und will auch eine arme Seele ziehen, und zwar 1) durch lebendige Offenbarung seines lieben Sohnes. Denn Niemand hat Gott je gesehen, Joh. 1,18. kennet auch Christum nicht nach der Natur, sondern der Unglaube des natürlichen Menschen hält es für eine Fabel, oder wo er sich ja anstellet zu glauben, so bleibt er bei der äußern Historie und dem Buchstaben stehen.
10. Nun ist freilich die äußere Unterweisung von Christo höchst nöthig und gut; denn wie sollen sie glauben, von dem sie nicht gehöret haben? Röm. 10,14. Und: O, daß nur alle in der Christenheit genügsame Nachricht und Gewißheit von Christo hätten, oder auch nur begehrten, dadurch sie könnten zu der Wahrheit selbst gehandleitet werden!
11. Indessen lehrt es die leidige Erfahrung, daß auch nicht alle, die äußerlich das Wort von Christo hören und wissen, Christum lebendig kennen. Kragest du: Was ihnen denn noch mangele? so ist es klar, daß es an der Offenbarung des Vaters fehle. Nicht, als ob es der Vater nicht gerne offenbaren wollte, oder als sey das Wort nicht kräftig genug; sondern weil es der Mensch nicht dazu kommen läßt, daß es ihm klar werde, und versiegelt in seinem Herz bleibe.
12. Das zeiget der Heiland selbst ganz deutlich, da er nach dem obgemeldeten Zeugniß vom Zug des Vaters besonders anweiset, wie und wodurch er ziehe. Er bezieht sich auf des Propheten Weissagung: Sie werden alle von Gort gelehret seyn, und schließt daraus eben dieses: Wer es nun hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir. V. 45. Und Matth. 11,27. spricht er: Niemand kennet den Sohn, als wem es der Vater offenbaret. Er offenbaret ihn aber nur den Unmündigen.
13. Erfordert er also zu seiner Erkenntniß, daß wir die Lehre vom Vater selbst hören, und auch üben und lernen in unsern Herzen, nemlich durch sein heiliges Wort, welches uns zu Christo weiset im Glauben.
Ueberaus nachdrücklich redet hierüber Flacius, nachdem er bewiesen hat, daß der Mensch vor sich selbst nicht kommen, noch sich bekehren könne: Christus zeiget klärlich, daß das gute Wollen oder die Gabe des Glaubens dem Menschen müsse vom Himmel durch den himmlischen Vater eingegeben werden, wenn er soll zum Vater kommen. Und dieß ist das inwendige Hören und Lernen vom Vater, davon Christus hier die Propheten anführet, wenn er nemlich das steinerne Herz wegnimmt, und ein geistliches gibt, und mit seinem göttlichen Finger sein Gesetz in's Herz schreibt.
14. Wundere sich also Niemand, daß zu der äußern Lehre, auch die innere Lehre Gottes und seines Geistes erfordert werde, nicht aus Schuld des Worts, sondern der Herzen. Es muß uns das, was das Wort zeuget, durch denselben Geist, der es ausgesprochen hat, auch in unseren Seelen lebendig, deutlich und brauchbar gemacht werden, damit wir genießen können, was Gott sagt und vorlegt. Innerlich muß der uns es aufschließen und eindrücken, der seinen Lehrstuhl im Himmel hat, wie Augustinus und andere alte Lehrer reden.
Dr. H. Müller sagt gar bedenklich von den Worten Christi, Matth. 11,27. daß der Vater offenbaren müsse: Diese Offenbarung geschieht nicht bloß durch eine auswendige Predigt; denn an solcher haben auch Theil, die Christum nicht lieben. So muß dann eine sonderbare verborgene Kraft-Offenbarung seyn, die Christum holdselig in's Herz bildet, und diese geschieht durch den Geist der Offenbarung. Ach wie Vielen ist Christus nur auswendig offenbar! Daher kommt es. daß die Welt keine Liebe zu Gott und dem Himmel trägt. - Wem Jesu im Geist geoffenbart ist, dem stinkt die Welt an.
Ja Luther selbst sagt: Ein Gottloser kommt nicht, auch wenn er das Wort gehöret hat, wo der Vater nicht inwendig ziehet und lehrt, welches er thut durch Schenkung des Geistes. Das ist gar ein anderer Zug, als der, welcher von Außen geschieht. Da wird Christus geoffenbart durch Erleuchtung des heiligen Geistes, in welcher der Mensch zu Christo hingerissen wird mit einer allersüßesten Entzückung, und leidet der Lehrer vielmehr, der da redet, den Gott, der sie ziehet, als daß er selber suchen und laufen sollte. Welche Worte auch Dr. Seb. Schmid annimmt und behauptet, daß Luther den in- und auswendigen Zug zugleich meine.
Christum zu kennen, sind alle Bücher zu wenig, alle Lehrer zu gering, alle Vernunft zu stumpf. Allein der Vater selbst muß ihn offenbaren und uns geben, als er sagt Joh. 6, 44.
15. Will uns nun der Vater selbst lehren, so müssen wir auch seine Stimme hören, seinen Geist in Acht nehmen, seine Lehre nicht verwerfen; sondern sein Wort mit unserm Glauben vermengen lassen, wie Ebr. 4,2. erfordert wird. Das Herz muß von seiner Härtigkeit befreit werden, und der Wille muß seinem Geist offen stehen, und nicht von ihm in eigenem Sinn abgewandt seyn, wie die Meisten thun, die doch sich dünken lassen, sie wissen schon alles, und können es Andern sagen.
16. Sobald aber einem armen Menschen Gottes Wille im Gemüth klar wird, so geht ihm ein Licht auf, darin er beginnt nach einem Heiland zu fragen. Denn sein natürliches Uebel erscheint ihm so groß und tief, daß er kein Ende sieht, er gebe sich denn dem über, den ihm der heilige Geist in seinem Wort darstellt.
17. Es braucht zwar der treue Gott mancherlei Wege, je nachdem er es einer jeden Seele heilsam findet; aber sie müssen doch endlich nach Gottes Absicht alle zu Christo treiben. Gemeiniglich rührt er erst das schlafende Gewissen auf, läßt es den strengen und gerechten Willen Gottes aus dem Gesetz gewahr werden, macht ihm sonderlich die Gebote und Worte empfindlich, die etwa der Mensch am meisten übertreten hat, und zeiget die unendlichen Strafen an.
18. Oft müssen auch harte Zuchtmeister über den Menschen kommen, die ihn mit Gewalt oder vielem Drohen, und geistlichen Vorschriften fromm machen wollen. Die müssen also ihn recht müde machen, daß er sich nach einer wahren Besserung zwar sehnt, aber sie nicht erreichen kann, ja wohl immer tiefer darein fällt.
19. Bisweilen überfällt einen Menschen, der vom Vater also gerührt, und wie Jacob gelähmt wird, eine innerliche Angst, und er weiß doch nicht, wo sie herkomme. Seine Sünden, darin er sonst Freude hatte, werden ihm wohl ein Ekel und Ueberdruß, es wird ihm alles vereitelt, womit er sich aufgehalten und verweilt hatte; und doch weiß er nicht, wie ihm geschieht, er findet nirgends keinen Trost noch Zuflucht.
20. Es steiget auch wohl im Menschen ein heimlich Gebet und Seufzen auf, er sehnet sich nach etwas Besserem, als er in der Welt findet; er gewinnt Zuversicht sich zu Gott zu nahen, und seine Erlösung zu suchen; er lernet in das Vaterherz begierig eindringen, und das ist auch eine ziehende Gnade.
21. Auch locket Gott manchmal mit Wohlthaten wieder, läßt seine Gnade blicken, und sucht also den Menschen zum Vertrauen zu erwecken. Ja es gehet wohl Gott keinen Schritt mit uns, er hat die Absicht darunter, daß er uns gerne zu seinem Sohne bringen wolle. Wie ihn denn auch die Härtigkeit der Herzen oft treibt, dem trägen Sinn näher zu treten, und sie mit Trübsalen zu witzigen, von der Welt ab und zu sich zu reizen. Also gar versuchet der Vater Wohl und Weh, Gutes und Böses an uns.
22. Da sagt Gott noch zu Manchem aus Jerem. 31,4. Ich habe dich je und je geliebet, darum habe ich dich zu mir gezogen, aus lauter Güte. Er muß Manchen in Mangel, in Schaden, in Verfolgung, in andern Kummer gerochen lassen, ob er wollte in sich schlagen, sich aufmachen, und zum Vater gehen. Ja wo wir es recht beherzigen, kein Haar fällt von unserm Haupte, oder wird uns gekrümmt, Gott hat seine heilsame Wege, uns an sich zu ziehen. Lassen wir es an uns fruchten, so offenbart er uns gerne seinen Sohn, und mit ihm alles, was wir bedürfen.
23. Doch hat er nicht genug daran, daß wir Jesum lebendig erkennen, sondern er will es uns auch lassen erfahren, und ihn also selbst ganz und gar schenken, wie er ist. Und also zieht er uns auch zu Christo 2) durch wirkliche Erfahrung. Denn dieses beides muß im Christenthum stets zusammen kommen, und neben einander fortgehen und wachsen, Erkenntniß und Erfahrung. Phil. 1,9. Keines darf ohne das andere seyn.
24. Wir sehen es an den ersten Personen, die auch Jesum im Fleisch erkennen lernten, die rührten nicht, bis sie ihn selbst gefunden, und wenn sie ihn denn fanden, so freueten sie sich erst darüber. Die Hirten blieben nicht bei des Engels Predigt bestehen, oder meinten, daran wäre es genug: sondern sie wollten hingehen, und die Geschichte selbst sehen, die ihnen der Herr kund gethan hätte, da fanden sie auch das Kindlein. Luc. 2,33. Der Jünger Andreas, da er Christum fand, lief gleich vor Freuden zu seinem Bruder, und sprach: Wir haben den Messiam gefunden. Philippus ingleichen sprach zu Nathanael: Wir haben gefunden den, von welchem Moses geschrieben hat. Joh. 1,42. u. f.
25. Siehe, also will uns auch der Vater nur zu einem verklärten Heiland ziehen durch kräftige Empfindung seiner Gnade. Lüstert dich, o Seele! deinen Heiland gern im Fleisch zu sehen, daß du denkst, alsdann wolltest du glauben, wenn du ihn so äußerlich sähest: so wisse, daß solche Gedanken fleischlich sind.
26. Der Apostel, der Christum auch noch nach dem Fleisch gekannt hatte, begehrte ihn doch nun nicht mehr also zu kennen, 2. Cor. 5,16. darum weil Christus nun nach seiner Auferstehung kräftiglich einen Sohn Gottes nach dem Geist sich beweiset, und zu einem lebendigmachenden Geist gemacht ist. Röm. 1,4. 1. Cor. 15,45.
27. Das geistliche Sehen eines göttlichen Glaubens ist das Gewisseste und Seligste; wenn Geist mit Geist handeln, und sich verbinden kann. Suchest du also in wahrem Kampf und Sinn Christum zu gewinnen, mit Vergessung dessen, was hinter dich gehört: so wirst du wohl finden, daß dich der Vater also zum Sohn ziehet. Denn es bleibt eine unbetrügliche Regel: Wer da suchet, der findet; wer aber findet, der genießt auch das Gefundene. Matth. 7,8. Hast du aber nicht recht gesucht, geforscht, gerungen nach Christo, so wundere dich nicht, daß dir solche Erfahrung unbekannt, ja wohl verdächtig vorkomme.
28. Es kann aber nicht anders seyn, wer durch Gnade in ein Befinden und Gefühl der Wahrheit kommt, der wird kräftiglich zu Christo gezogen. Und dieser Zug ist es, den Gott am liebsten bei den Seelen versucht und braucht, daß er ihnen zu schmecken gibt, wie freundlich er sey in seiner Liebe. Denn er schaffet gern den bekehrten und neuen Menschen neue Sinnen, übet sie auch zum Unterschied des Guten und Bösen, damit er in die Sache selbst komme, davon er in der Schrift gehört hat.
29. Solche ziehende Erfahrung, die uns zu Christo reizen soll, ist die Ausgießung seiner Liebe in die Herzen, die dazu in gründlicher Buße bereitet worden. Der Vater malet und bildet uns gerne seinen Sohn der Liebe so süß und lieblich in's Herz, daß wir nach ihm lernen uns sehnen, und alles andere für nichts dagegen achten. Da wird man inne, was man an ihm habe, und kann es doch Niemand wieder gründlich entdecken, oder wesentlich darlegen, was man hat, Niemand versteht es auch ohne Erfahrung.
Augustinus hat es sehr wohl ausgedrückt: Denket nicht, daß man wider Willen gezogen werde man wird auch mit Lust gezogen - zeige mir einen Liebenden, der wird fühlen, was ich sage. Gib mir einen hungrigen, verlangenden Pilgrim der nach dem Brunnen des ewigen Vaterlandes dürstet, so wird er schon wissen, was ich sage. Rede ich aber zu einem Kaltsinnigen, so weiß er nicht, was ich sage.
30. So gar muß es ein Jeder an und in sich lernen gewahr werden, was Gott in seinem Sohn bereitet hat denen, die ihn lieben. Sonst und außer der göttlichen Offenbarung bekommt es kein Auge zu sehen, und kein Ohr zu hören. 1 Cor. 2,9. Und weil es gar vielen und langen Streit kostet, und alles um solcher Perle willen verkauft werden muß, siehe, so ist es auch so unbekannt und unbeliebt.
31. Die Braut muß lange darnach fragen, umhergehen oder buhlen um ihren Bräutigam, er probiert ihre Liebe oft, ob es ihr Ernst sey, und macht sie desto brünstiger. Er läßt sie auch bey manchem Ding vergebens suchen und anklopfen, das sie etwa für gut hält, und meinet da Christum zu finden. Aber sie muß alles vorüber gehen, ob es auch noch so gleissete; da findet sie denn erst, der ihre Seele liebet. Hohel. 3,4. Sie muß ihn aber draußen, außer der weltlichen vermischten Gesellschaft und außer der Zerstreuung des Herzens finden; und dann kann sie ihn in der Abgeschiedenheit vor den Creaturen im tiefsten Herzensgrund erst küssen, daß sie Niemand höhne. Cap. 8,1.
32. Siehe, so kräftig, so innig, so gewiß zeucht uns der Vater zu unserm Heiland, lieber durch Liebe als durch Schärfe. Und das müssen wir an unsern Seelen gewahr worden seyn, oder doch noch gewahr werden, wo wir jemals seiner genießen sollen. Denn Niemand ist jemals zu Christo gekommen, er sey denn gezogen worden
33. Aber ach, wie tausendmal hat Gott diesen Zug an Manchem versucht, der ihm noch diese Stunde nicht gefolget hat! Die Meister lassen sich lieber vom Geist dieser Welt locken und zerren, wie Ochsen zur Schlachtbank. Böse Buben können viel mehr an sich locken, als der lebendige Gott. Vernunft, Fleisch, Eigenwille, eigene Ehre, Lust, Vortheile und alles Arge finden mehr und eher Gehör, als das ewige Liebeswesen. Darum kommen ihrer auch so Wenige zu Christo, unter unzähligen sogenannten Christen.
34. Darum ist das Folgen am allernöthigsten bei solchem Zug, ohne welchen sonst alle angebotene Gnade vergeblich ist. Wir sehen es an Denjenigen ganz klar, welche der Vater bei des Sohnes äußerlicher Erscheinung zu ihm zog, wie begierig, wie treulich folgten dieselben zu dem ziehenden Abba? Die einfältigen Hirten, wie willig ließen sie sich nicht von der Gnade regieren? Sie kamen eilend, heißt es, und gingen der Spur nach, die ihnen gezeigt ward.
35. Dieß gehört auch erstlich zu solcher Folge, nemlich das Kommen oder Hinzunahen des Gemüths zu dem Erlöser, wenn wir gelockt werden. Es besteht aber eigentlich im Abkehren des Sinnes von allen andern zu dem Einigen Nothwendigen. Die Sünde muß uns erst ekel und verdammlich vorkommen, die Welt muß uns erst ganz anstinken, der Leib des Todes muß uns eine Last werden; dann sehen wir uns nach einem bessern Gut um.
36. Salomo erzählet dort von sich, daß sie zwar anfänglich auch gemeinet, in dieser Welt wohl zu leben, und gute Tage zu haben: aber da er erkannt hätte, wie es auch eitel sey, so habe er zum Lachen gesprochen: Du bist toll, und zur Freude: Was machest du? Darauf habe er seinen Leib vom Wein gezogen, und also von der Wollust, und sein Herz zur Weisheit gezogen; da habe er gelernt, was dem Menschen gut wäre. Pred. B. 2. u. f.
37. Ebenso muß es auch mit allen gehen, die zur himmlischen Weisheit, Christo Jesu, wollen gezogen seyn. Das Herz muß erst von der Welt ab und dann zu Christo zu. Sonst macht sich der Mensch selbst viel Schmerzen, wenn er zugleich an der Welt und auch an Christo hangen will. Denn eins von beiden wird er nothwendig verlassen müssen. Besser ist es ja, dem betrüglichen Feinde gute Nacht geben, als dem unbetrüglichen ewigen Gut.
38. Hinderst du nun die ziehende Gnade nicht selbst durch deinen eigenen Willen, so treibt sie dich gewißlich zum Kommen. Gott ziehet zwar nicht wider deinen Willen: aber wo du auch folgst, und dich ziehen lässest, so gibt er dir Wollen und Vollbringen unfehlbar zugleich. Denn so beschreibt der Heiland selbst die Ordnung: Joh. 6,37. Alles, was mir mein Vater gibt, daß kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den will ich auch nicht hinausstoßen.
39. Da geht es selig zu, wenn Christi Rede so an einer Seele erfüllet wird. Der Vater gibt uns gern dem Sohn, dieß Geben schenkt uns Kraft und Lust zu kommen; das Kommen wird von ihm angenommen, da werden wir Christi ewig eigen. Aber es will wahrer Ernst seyn, daß es uns um Christum allein zu thun sey, und sonst um nichts. Dazu gehört, daß wir den guten Vorsatz, den wir etwa in uns merken, nicht verschieben und hinaussetzen. Denn sonst mag der Feind uns leichtlich wieder zurück ziehen, und das Letzte ärger machen, denn das Erste.
40. O wenn eine Seele die große Seligkeit lernet inne werden und schmecken, die in Christo zu finden ist, so eilet sie mit Macht zu diesem höchsten Schatz. Ziehet uns der Bräutigam nach sich, so laufen wir. Hohel. 1,4. Die Begierde selbst macht uns Flügel, und die Liebe läßt nicht ruhen. Es ist ein heimlich Feuer der Gnaden in uns, das uns anspornt, dem Kleinod nachzujagen, und auch unterm Leiden mit Geduld in dem verordneten Kampf zu laufen.
41. Ein träger Sinn gewinnt hier nichts, und wer verdrossen ist zu so einem großen Heil, der kennt es noch nicht recht, sonst wäre es nicht möglich, daß er es aufschieben könnte. Oder wenn ja Jemand die Gnade einst erkannt hat, und wird wieder unlustig und verdrossen in seinem Lauf, so hat er sich ganz gewiß die Welt mit ihren irdischen Dingen wieder verhören lassen. Ist man doch in der Welt hurtig genug zu vergänglichen Dingen; warum sollte man nicht eben so große und noch tausendmal mehr Treue im Ewigen brauchen?
42. Wenn einer das gütige Wort des Vaters schmeckt, und sieht, daß er dergleichen sichern Wohlstand nimmermehr bei der Welt finden kann; O so wird es ihm lauter Freude, dem Herrn Jesu nachzueilen? Der Zug Gottes ist auch so magnetisch und kindlich in der Seele, daß er ihr keinen Frieden läßt, sie muß auf aus dem Faulbette der Sicherheit, bösen Gewohnheiten und allen vorigen Entschuldigungen, und muß eilen, oder die Zeit auskaufen, weil sie noch da ist.
43. Wer wollte da seine Buße noch aufschieben dürfen auf andere Zeit, oder gar aufs Sterben? Weiß man doch nicht, ob man den Morgen erleben werde. Merket man hingegen doch, daß es etwas Herrliches um die Gnade und Wahrheit sey, die durch Christum geworden ist. Ja auch ein Fünklein wahren Trostes ist kräftig, uns in dem Beruf treu zu machen, wenn wir es nicht aus Stolz verachten. Wenn, du mich tröstest sagt David, so laufe ich (und gehe nicht erst mit sachten Schritten) den Weg deiner Gebote. Ps. 119,32. Denn das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind den Liebenden nicht schwer. 1 Joh. 5,3.
44. Die eingepflanzte Treue, die man in solchem väterlichen Zug in's Herz bekommt, die machet auch Beständigkeit im Guten. Das läßt sich bald an dem Menschen merken. Wer den Zug des Vaters nicht recht braucht, der ist flatterhaft, und verliert leichtlich wieder unter menschlichem Umgang und Geschäften, was er etwa erarbeitet hatte. Er bekommt wohl zuweilen eine fliegende Andacht, und gleichsam einen Zug zu etwas Gutem; denn Gott läßt keine Seele ungerührt.
45. Aber es muß zum Durchbruch mit dir kommen, mein Mensch, und wenn du zu Christo gezogen bist, so mußt du bei und in ihm bleiben, sonst ist es dir nichts nütze. Es muß alles diesem Schatz weichen, wenn es dir wahrer Ernst ist. Deine Geschäfte dürfen dich auch nicht daran hindern, so ferne du immer dabei das einige Nothwendige mit dem edelsten Theil besorgst. Nur halte mit Seufzen ernstlich an, auch mitten unter den äußerlichen Dingen, durch den Geist des Gebets, und entziehe dich öfters eine Zeitlang allen Dingen, daß du zum Vater im Verborgenen betest, und dein Herz zu ihm sammelst, siehe, so wird dir solche erbotene Gnade ein unaufhörlicher Zug zu Christo werden, daß sie dich, wie eine Amme ihr Kind, tragen und hegen wird.
46. Du darfst nur dich stille und leidend halten, als ein armes Kind, das nichts weiß, als der Mutter Brust, so wirst du aus Christi Fülle Gnade um Gnade nehmen können. Denn diese ist dir durch solchen Zug eröffnet, so du es nur fassest, und ganz darein wickelst, auch keines Andern im Glauben leben willst. Der Vater wird nicht ablassen, bis er dich ganz in sich gezogen, und in sein Bild verwandelt hat.
47. O eine unaussprechliche Seligkeit, die Gott also den Seinen zugedacht hat! Wie mächtig kann er doch also den Unglauben der Menschen überwinden. Das größte Elend der Menschen ist, daß sie so gar kein Vertrauen und Zugang zu Gott haben. Sie stehen von ferne, und wissen nicht, wessen sie sich zu Gott versehen dürfen. Ihr Gewissen klagt sie an, sie wissen auch, daß er ein verzehrend Feuer ist, zu dem nichts Unreines ohne Gefahr nahen darf.
48. Siehe, da hat nun der ewige Erbarmer einen vollkommenen Weg wiederum eröffnet, wie die Sünder wiederum zu ihm kommen können und sollen. Der besteht kurz darin: Gott ziehet uns durch seinen Geist zum Sohn, der Sohn aber ist dazu Mensch geworden, daß wir durch seine Menschheit wieder zum Vater kommen sollen, ohne Gefahr oder Schaden, ja zu lauter Seligkeit. Diese Menschheit Christi ist uns eine solche Himmelsleiter in die Gottheit, dadurch uns der Heiland zu Gott wieder führet, wie die Alten schon angemerkt haben, und Luther über Matth. 19,17. kurz anzeigt: Durch seine Menschheit führt uns Christus zu Gott.
49. Das lerne dich wohl zu Nutzen machen, o Seele! daß durch Gnade dich allezeit in Christum senkest, und in seine heilige Menschenliebe, Leutseligkeit und Gnade dich verbergest vor dem Zorn des Vaters. Denn dieser lässet dich sonst zu Gott nicht kommen, wo du nicht in dem Menschenfreund erfunden wirst. Der Sohn aber muß und will dich immer dem Vater aussöhnen und verbitten, daß du deine Zuversicht nicht darfst fallen lassen.
50. Siehe, das ist der selige Vortheil von dem Zug zum Sohn, so du ihm folgest. Der Vater aber will dich dem Sohn übergeben, ja einergeben und einpfropfen, als eine Rebe in den Weinsteck. Wie er denn selbst über fünfmal in seinem Gebet spricht: Joh. 17. Daß ihm der Vater die Seelen gegeben habe, die da sein waren, und bittet, daß er sie wolle erhalten, bewahren, und ihnen seine Herrlichkeit geben, v. 6. 9. 10. 12. 24.
51. Nun siehe, lassest du dich dem Sohn recht geben, oder zeigen machen, so bist du in Christo, und er ist in dir. Nun gehet aber sein Sinn stets in den Vater. Denn er und der Vater sind Eins; wie sein Lauf damals kam vom Vater her, und ging wieder zum Vater. Bist du nun ganz in Christo, so bringt er dich unaufhörlich zum Vater. So kommst du dann nicht in und vor dich, sondern in Jesu zu ihm, wie kannst du denn hinaus gestoßen werden?
52. Da mag dich denn anfechten, kränken und schüchtern machen was da will, es soll dich nicht schrecken. Dein Lauf muß stets mit Christo zu Gott gerichtet seyn, so trifft es richtig ein, was er sagt: Joh. 14,6. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich. Kommst du aber durch Christum zu Gott, so macht er dich selig; denn er lebet immerdar, und bittet für dich.
53. Und das ist der Nutzen des väterlichen Zuges, daß die heilige Gottheit ein seliges Freudenspiel mit dir hat, der Vater dich zum Sohn ziehet, und der Sohn dich dem Vater wieder darbringet, bis daß Vater, Sohn und Geist in uns alles werden, gelobet in Ewigkeit. Amen. So geschehe es.
Gebet
Lieber Vater, wir erinnern uns billig hiebei, wie viel Tausendmal du an unsern Herzen dich gemeldet, und uns von Innen und Außen hast zu deinem lieben Sohn ziehen wollen: aber wir haben dir wenig, oder Manche wohl gar niemals redlich gefolget. Wir haben uns wohl mehr den Satan durch Betrug der Sünden, durch bösen Umgang, durch Lüste des Fleisches ziehen lassen. Das stelle du einem Jeden vor sein Angesicht, wie es nöthig ist, und entdecke auch die annoch unbekannten Wege und Züge der alten Schlange, dadurch sie die armen Seelen in ihrem Netze behalten will. Nun bringe uns dann dein lebendig und feurig Gesetz an unsere Herzen, und treibe einen Jeden so kräftig in die Enge, damit wir deinen Ernst gewahr werden, vor unserer Gefahr erschrecken, in uns schlagen, und mit dem verlornen Sohn uns alle stracks zu dir kehren. Ach Vater, ist es dein Rath, und stehest du, daß wir es annehmen, so schicke uns die Gnade deiner Liebe entgegen, und locke uns mit Güte an dich, wie eine treue Mutter oder Gluckhenne, damit du nicht harte Schläge brauchen dürfest! Aber zerschmelze auch in uns, was deines Zuges unempfindlich hat bleiben wollen, laß keinen einigen guten Trieb an uns umsonst seyn. Lehre uns genau aufmerken auf die Bewegungen deiner Gnade in uns, und deine Fußstapfen kennen lernen, wie du mit uns gehest, und wie gerne du uns deinem Sohn übergibst. Dir erlassen wir uns dazu aufs Neue ganz und gar, als Todte und Ohnmächtige, damit wir in dir das Leben haben durch den Sohn. Ziehe uns nun durch den Geruch deiner Liebe nach ihm, so laufen wir, ja bringe uns ganz in seine Wunden, und laß uns nicht anders als in ihm zu dir nahen, daß wir das Leben haben in seinem Namen. Vater, wir sind dein, gib uns deinem Sohn, und bewahre uns in deinem Namen, daß wir auch in ihm bleiben, und seine Herrlichkeit sehen, die du ihm gegeben hast; damit Vater und Sohn durch den heiligen Geist ewig in uns, und wir in dir bleiben, du ewiges Leben. Amen.