Arndt, Friedrich - Die Gleichnis-Reden Jesu Christi - Das Auge
Ein und vierzigste Predigt.
Am Himmelfahrtstage.
Gott fährt auf gen Himmel, der Herr mit heller Posaune. Lobsinget, lobsinget Gott! Lobsinget unserm Könige! Amen!
Text: Matth. VI., 22-23.
Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein. Wenn aber dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn aber das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis selber sein?
Das ist ein rechter Text für den heutigen Tag. Nirgends besser findet er seine vollste Auslegung, als auf dem Ölberge, wo die Jünger stehen und dem Herrn nachschauen gen Himmel fahren. Ihr Leibes- und Geistes-Auge zugleich ist Licht; darum ist ihr ganzes Wesen Licht. Die Herrlichkeit des Herrn, der vor ihren Augen gen Himmel fährt, die Herrlichkeit der Engel, die ihnen diesen glorreichen Ausgang des irdischen Lebens Jesu dolmetschen und eine neue noch größere und herrlichere Zukunft verkündigen, hat auch ihren Sinn und ihr Herz verklärt; sie stehen mit andern Gefühlen am Himmelfahrtstage auf dem Ölberge, als sie am Karfreitage auf Golgatha standen, und kehren wieder um gen Jerusalem mit großer Freude und sind allewege im Tempel und preisen und loben Gott. Unmittelbar vor unserm Text hatte Jesus gesagt: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen, und da die Diebe nach graben und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fressen, und da die Diebe nicht nach graben, noch stehlen; denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Daran schließt Er nun die Worte: „Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig, d. h. recht sehend ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein.“ Und wenn dein Geistes- und Herzensauge die rechte Stellung hat, und die Dinge sieht, wie sie sind, so wird auch dein ganzes Tun und Lassen danach eingerichtet sein. Wenn aber dein Auge ein Schalk ist, falsch sieht, so wird dein ganzer Leib finster sein; und ist dein Herz und Verstand verblendet, so ist auch dein ganzes Leben ein Wandel in der Finsternis. Wenn aber das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis selbst sein? Wie unser Herzensauge, so unser Tun. Wie unser Sinn, so unser Wandel. Vom gesunden Auge, vom rechten Sehen der Dinge hängt Alles ab. Wozu ermahnt also, Geliebte, der Herr im Text? Zu dem rechten Standpunkte, der das Himmlische für himmlisch, das Irdische für irdisch hält und behandelt. Und wovor warnt Er? Vor der Verkehrtheit, die das Himmlische für irdisch, und das Irdische für himmlisch ansieht und behandelt. Lasst uns denn diese Warnung uns zu Herzen gehen an dem heutigen Tage; wir stehen ja auf dem Ölberge, über uns der Herr in den Wolken, umgeben von Seinen heiligen Engeln, unter uns die Täler der Erde mit ihren Nebeln und Tränen. Lasst uns betrachten den Blick nach oben und den Blick nach unten, oder den himmlischen und den irdischen Sinn.
I.
„Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein,“ das heißt, hast du die richtige Ansicht über Himmel und Erde, so wird auch dein ganzes Wesen, Tun und Lassen, ein richtiges sein. Welches ist die richtige Ansicht? Es ist diejenige, die das Himmlische als himmlisch und das Irdische als irdisch ansieht und behandelt, und darum nicht trachtet nach dem, was auf Erden, sondern nach dem, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur rechten Hand Gottes; es ist mit einem Worte der himmlische Sinn, der nur Eins im Auge hat, wie er dereinst solle selig werden. Dies ist die Hauptaufgabe, welche wir im irdischen Leben zu lösen haben, zugleich die würdigste Sorge, der sich das menschliche Herz unterziehen kann. Diese Aufgabe hienieden zu lösen, hat uns Gott geschaffen, und so viele große Anlagen und Kräfte, ja die Ewigkeit selbst, in die Seele gelegt. Diese Aufgabe zu lösen, hat uns Christus zu Seinem Eigentum erkauft mit Seinem teuren und kostbaren Blute: sonst hätte Er den Himmel und seine Herrlichkeit niemals verlassen. Diese Aufgabe zu lösen, hat der Heilige Geist am Pfingsttage die Kirche gegründet und bis auf diese Stunde erhalten mit allen ihren Gnadenanstalten und Gnadenmitteln. Darum kann uns auf die Dauer nichts Irdisches genügen: so wenig wie das Feuer gelöscht wird, wenn man Öl hineingießt, oder der Durst gelöscht wird durch salzige Getränke, so wenig vermögen die irdischen Güter die Bedürfnisse der Seele zu stillen; sie können ihr wohl Unterhaltung gewähren, aber keine Befriedigung. Wir essen, und werden nicht satt; wir trinken, und finden keine Erquickung. Unser Herz bleibt unruhig in sich selber so lange, bis es Ruhe findet in Gott. Darum ist die Bibel von Anfang bis zu Ende mit allen ihren Ermahnungen und Beispielen nur ein lauter Gottesruf an unsere Seele: „Trachtet am Ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das Übrige zufallen; vergesst, was dahinten ist, und streckt euch nach dem, was vor euch liegt, und jagt nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu. Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist; denn wer die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Was hilft es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder, was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?“
Gewiss ist dieser himmlische Sinn, der das Ewige zur Hauptaufgabe seines Strebens macht und mit Furcht und Zittern schafft, dass er dereinst selig werde, der allein richtige Lebensstandpunkt, das allein klare und einfältige Herzensauge. Denn die Güter, nach denen er trachtet, können nie verderben, wie irdische Güter, welche die Motten auffressen und verzehren; sie sind über alle zerstörenden Stoffe und Kräfte unendlich erhaben. Auch können sie niemals altern! Wenn auch der irdische Schatz nicht gerade immer verdirbt, so verdirbt doch unsere Lust und Freude mit der Zeit daran; der Schatz wird uns etwas Altes, und dann ist er uns kein Schatz mehr. Der Rost hat ihn gefressen; denn der Rost frisst nur alte oder ungebrauchte Sachen. Das gilt von unserer Gesundheit: sie altert. Das gilt von Reichtum und Ehre: sie werden allgemach uns etwas Altes! Alles ist eitel! Nur die himmlischen Güter bleiben ewig jung, das Christentum ist ewige Jugend, Vereinigung von Kindesunschuld, Jünglingsliebe und Manneskraft zugleich, aus der Fülle seines Herrn nimmt der Christ täglich eine Gnade um die andere. Die Güter, nach denen er trachtet, können ihm endlich niemals genommen werden: die Diebe können nicht danach graben und stehlen. Der Hüter Israels schläft und schlummert nicht, und hütet sie. Der Engel des Herrn lagert sich um die her, so Ihn fürchten. Er gibt Seinen Schafen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand kann sie Ihm aus Seiner Hand reißen. Weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges, noch Zukünftiges, kann sie scheiden von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu, unserm Herrn. Somit kann der himmlisch gesinnte Mensch die rechten, bleibenden Güter sein nennen, und in ihrem Besitz ist er so reich, dass er niemals verarmen, steht er so sicher, dass kein Erdbeben ihn erschüttern, lacht er so heiter in die dickste Zukunft hinein, dass keine dicke, schwarze Wolke an seinem Lebenshorizont aufsteigen kann. Er hat das Haus seines Glücks auf einen Felsen gebaut; denn nur derjenige ist glücklich. in dieser Welt, der danach trachtet, in jener Welt selig zu werden.
Der himmlische Sinn verklärt das ganze Leben, sowohl seine Schicksale, als seine Pflichten, als seinen Ausgang; darum ist er der rechte Lebensstandpunkt und das weit geöffnete Auge, das alle Dinge sieht und nimmt, wie sie sind. Was zunächst einem solchen Sinne Gott sendet, gereicht ihm zum Segen. Gott sendet aber zweierlei: Freuden und Leiden. Das Eine, wie das Andere, nimmt der himmlische Sinn aus Gottes Hand an. Beides kommt ihm vom Herrn, Beides führt ihn zum Herrn. Willkommen sind ihm die Freudenstunden, die ihm Gott bereitet; er freut sich ihrer mit ganzer Seele; er erkennt in ihnen Gnadenblicke seines Heilandes und Herrn und Unterpfänder seiner fortwährenden Huld und Treue; er fühlt sich beschämt durch so viel Liebe und Huld; er fragt wohl gar: „wie komme ich dazu? ich bin ihrer ja gar nicht wert; wollte Gott mir geben, was ich verdient habe, Er müsste mir Strafe geben, aber nicht Lohn; Entziehung Seiner Gnade, aber nicht Verdoppelung derselben:“ er fasst den Entschluss: „Nun will ich Ihn aber auch recht preisen, meinen Herrn und Gott; des Morgens will ich Seine Gnade, des Nachts Seine Wahrheit verkündigen, Sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.“ Aber er hängt sein Herz an diese flüchtigen Freuden nicht; sie sind ihm nur kostbare Zugaben, Blumen am Wege, an deren Farbenspiel er das Auge weidet und deren Duft ihn erquickt, dass er gestärkt und erfreut weiter gehen kann; er genießt sie mit dem Bewusstsein, dass sie doch auch nur vergänglich und irdisch sind, und denkt dabei viel lieber an die bleibenden, ewigen Freuden seines Herrn im Himmel: Gibst Du schon so viel auf Erden, was wird's erst im Himmel werden?“ So freut er sich, als freute er sich nicht, und hat, als besäße er nicht, und braucht die Güter der Welt, ohne sie zu missbrauchen, hat gelernt, bei welchem er ist, sich genügen zu lassen, er kann reich sein und arm sein, übrig haben und Mangel leiden, er vermag Alles durch Den, welcher ihn mächtig macht, Christus. Wie? haben ihn da nicht die Freuden des Lebens gesegnet? ist er nicht durch sie dankbarer, demütiger, freier, unabhängiger geworden und nur noch mehr gekettet an den Himmel und die Seligkeit? Noch mehr gilt das aber von den Leiden und Schmerzen des Lebens: sie sind ihm erst rechte Übungs- und Stärkungsmittel für seinen inwendigen Menschen und erproben die Wahrheit seines Blickes in die Verhältnisse der Erdenwelt. Vom Standpunkt der Ewigkeit aus angesehen, wie könnten sie ihm Veranlassung geben, irre zu werden an seinem Glauben und seiner Hoffnung? Sie sind ja alle so klein und nicht zu vergleichen mit der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden. Sie sind überdies so kurz, und währten sie zehn, zwanzig, dreißig Jahre, währten sie das ganze Leben hindurch: was ist ein ganzes irdisches Leben voll Schmerz gegen eine Ewigkeit voll Freuden, wo tausend Jahre sind wie ein Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache? Sie sind ja alle Offenbarungen der göttlichen Liebe, die uns zum Besten dienen sollen, Bewahrungsmittel vor der Anhänglichkeit der Welt, Übungen im Gebet und in der Geduld, Höhepunkte des inneren geistlichen Lebens und Stufenleitern von der Erde zum Himmel, den keinen Preis missen möchte in seinem Leben. Alle Morgen spricht er zu sich selbst: „Was wird der heutige Tag mir bringen, o mein Gott? Ich weiß es nicht; ich weiß nur, dass mir nichts widerfahren wird, als was Du von Ewigkeit her vorgesehen, gewollt, bestimmt und angeordnet hast. Das ist mir genug. Ich bete Deine unerforschlichen Ratschlüsse an, und unterwerfe mich denselben von ganzem Herzen aus Liebe zu Dir. Ich will Alles, was Du willst; ich nehme Alles gern und freudig an, was Du mir sendest, ich nehme Alles, was Du verlangst, und bitte Dich nur in Jesu Namen und durch Sein Verdienst um die Gnade der Geduld in meinen Leiden und der vollkommenen Ergebung in das, was Du geben und zulassen wirst.“ Wie? Ist ein solcher Mensch nicht glücklich auf Erden, der danach trachtet, einst selig zu werden im Himmel?
Der himmlische Sinn verklärt sodann die Pflichten des Lebens. Um sie zu erfüllen, muss er vor Allem sie kennen. So ist denn sein Erstes, dass er sie kennen lernt, und alle Gelegenheiten benutzt, mit ihnen gründlich bekannt zu werden. Er geht in die Kirche, er liest die Bibel, er betet um den Geist der Erleuchtung, er fragt die geförderteren Christen um Rat, er wacht und ringt und kämpft, dass er die Lehre seines Heilandes ziere in allen Stücken. Er wirkt, so lange es Tag ist, ehe denn die Nacht kommt, da Niemand wirken kann. In seinem Berufe ist er treu. Er beginnt, was er tut, mit Anrufung Gottes; er tut das Seine dann mit Gottes Kraft, und befiehlt alles Andere, was er nicht tun kann, Dem, der für die Lilien auf dem Felde und für die Vögel unter dem Himmel sorgt. Er tut immerdar Gutes, und wird nicht müde, auch wenn sein Wirken nicht anerkannt wird und Undank der Welt Lohn ist. Er hält Frieden mit Jedermann, so viel an ihm ist, selbst mit denen, die den Frieden hassen, bleibt gleichgültig gegen erlittene Beleidigungen, treu in seinen Versprechungen, zuverlässig in seiner Freundschaft, unerschütterlich in der Wahrnehmung des Rechts und der Gerechtigkeit. Er verzeiht ohne Hochmut; er ist uneigennützig, ohne Aufsehen zu machen; er bezähmt seine Leidenschaften, ohne es selbst zu gewahren; - und das Alles tut er in tiefster Demut, nur zur Ehre seines Herrn! Er weiß von seinen guten Werken und Verdiensten nichts. Weit entfernt, wohlgefällig auf sich selbst zu blicken, wendet er vielmehr seinen Blick von seinem Wirken ab und schämt sich desselben in gewissem Sinne mehr, als der Sünder sich seiner Laster schämt; weit entfernt, Beifall zu suchen, verbirgt er seine Werke des Lichts vor den Augen der Menschen; er handelt nur unter Gottes Augen, als gäbe es gar kein menschliches Urteil; er tut das Gute nur um des Herrn willen. Seine Hauptfrage bei jedem Geschäft ist die: in welcher Verbindung steht diese Sache mit der Ewigkeit? mit dem Reiche Gottes? mit der Ehre des Herrn? Muss er sich antworten: in keiner, - dann hat er auch nichts damit zu schaffen. Muss er sagen: sie ist für den Himmel nützlich, ergreift er sie auch mit ganzem Herzen, sei sie auch noch so lästig, mühsam und demütigend. Ist sie dagegen leicht, angenehm, einladend, lässt aber geistigen Nachteil für ihn befürchten: dann verabscheut er sie von Grund seiner Seele. Was er für die Welt tut, das, weiß er, wird untergehen; was er aber für Gott tut, bleibt in Ewigkeit. Wahrlich, durch diesen himmlischen Sinn wird der Christ dann etwas Großes in der Welt; groß durch seine Tugend und Pflichterfüllung vor den Menschen, indem er rücksichtslos nur will, was Gott will; größer noch durch seinen Glauben, durch welchen die Welt zu seinen Füßen liegt. Reichtümer beunruhigen ihn nicht, denn er hat nichts an ihnen, ebenso wenig wenn er sie besitzt, als wenn sie ihm versagt sind. Ehren vor den Menschen sind ihm gleichgültig, weil die Ehre vor Gott sein höchster und alleiniger Schatz ist. So ist er größer, als die ganze Welt, die er nur als eine Handvoll Staub betrachtet. Wie? ist er nun nicht glücklich in dieser Welt, da er danach trachtet, in jener Welt selig zu werden?
Dieser himmlische Sinn verklärt endlich das ganze Leben von seinem Anfange bis zu seinem Ausgange; denn nun ist es eine Vorschule für die Ewigkeit, ein Vorhof des Himmels. Wie kostbar ist ihm jeder Augenblick dieses flüchtigen Daseins! Wie erscheint es ihm als ein teurer Schatz, den er bei seiner Geburt geerbt hat, und den der Herr ihm aus bloßer Barmherzigkeit überlässt! Er ist in seinen Händen und er soll ihn gebrauchen, nicht um sich hienieden eitle Würden und Genüsse zu verschaffen, ach, Alles, was vergeht, ist zu gering, um der Preis der Zeit zu sein! - sondern um sich eine Stelle zu erkaufen neben Jesu Christo im Himmelreich, sich erhebend über Könige und Kaiser dieser Erde, indem er sich der Gesellschaft der Seligen zugesellt, die allesamt Könige sind und deren Reich keine andere Grenzen hat, als die der Ewigkeit! Wie kauft er jede Minute aus als eine Gnadenfrist, die ihm die ewige Liebe zulegt, damit er mit Furcht und Zittern schaffe, dass er selig werde! Wie prüft er sich jeden Abend, ob er diesem Ziele nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich einen Schritt näher gekommen! Wie legt er sich jede Nacht zur Ruhe mit dem Gedanken, es könne die letzte hienieden sein und der neue Morgen könne ihm aufgehen in der Ewigkeit! So lebt er in der Welt, und doch nicht mit der Welt. Sein Leib geht über die Erde; aber seine Seele ist allezeit im Himmel. Dem Menschen gibt er, was des Menschen ist; aber Gott gibt er, was Gottes ist. Seine eigene Geschichte hat ihm nur so viel Wert, als sie die Verklärung der Geschichte Jesu Christi ist in ihm. Wenn er weiß, dass Christus in ihm empfangen, geboren, gekreuzigt, auferstanden und gen Himmel gefahren ist, dass Christus ihn hat in das himmlische Wesen versetzt, dass Christi Geist, Christi Werk, Christi Bild immer herrlicher in ihm Gestalt gewinnt: dann ist er zufrieden, und keine Sprache der Welt ist im Stande, sein Glück zu schildern, keine Macht der Welt ist im Stande, seinen Frieden zu zerstören. Kommt dann endlich der Tod: er fürchtet sich vor demselben nicht. Wie könnte er ihn fürchten? Der Tod ist ja sein bester Freund, mit dem er sich lange schon bekannt gemacht, den er oft herbeigewünscht und ersehnt hat, und der ihn erst vollends befreit von den Banden, welche ihn hienieden noch binden und halten. Der Tod ist der Sieg des Geistes über das Fleisch. Der Tod ist der Eliaswagen, welcher ihn zum himmlischen Bräutigam führt. Der Tod ist Sonnenuntergang, auf welchen ein schönerer Aufgang folgt. Die Lebenssonne sinkt tiefer und immer tiefer, mit den sinkenden Schatten und den aufsteigenden Dünsten hüllen sich die Täler in Dunkelheit; aber die Spitzen der Türme und die Gipfel der Berge glühen noch in den letzten vergoldenden Strahlen der untergehenden Sonne. So auch leuchtet der Christ mit seinem himmlischen Sinne in den dunkeln Augenblicken des Sterbens. Der Seelenfrieden mahlt sich in allen seinen Zügen, die Hoffnung leuchtet von seiner Stirn hernieder, er unterliegt nicht, sondern hält Himmelfahrt. Der Tod, welcher alles Irdische zerstört, ist für ihn Triumph und Gewinn. Die Nachbleibenden stehen an der Leiche, wie die Jünger auf dem Ölberge am heutigen Tage. Sie preisen selig den, der vollendet hat; denn der Tod des Gerechten ist, wie die Schrift sagt, wert gehalten vor dem Herrn. Was gäben sie darum, hätten sie mit ihm sich zur Ruhe legen und Himmelfahrt halten können! Unsere Seele sterbe des Todes dieses Gerechten, und unser Ende werde wie sein Ende: das ist der letzte Wunsch, mit dem sie von der geliebten Hülle Abschied nehmen.
Wie? Hat Jesus nicht Recht: „Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein!“ Nur derjenige ist glücklich in dieser Welt, der danach trachtet, in jener Welt selig zu werden. Seine Schicksale, seine Pflichten, sein Leben, sein Tod sind ihm Gewinn und ewiger Segen.
II.
Wir treten nun aus der Sonne in den Schatten. Der Herr verlangt's; denn Er fährt im Texte fort: „Wenn aber dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster sein.“ Das Gegenteil des Tages ist die Nacht, das Gegenteil des Lebens in Gott ist das Leben in der Selbstsucht und Sünde. Ist das Herzensauge, das Streben der Seele irdisch, dann ist auch das ganze Leben und Treiben der Menschen ein niedriges und elendes. Ach, und das Herzensauge ist irdisch, sobald es nicht einfältig und rechtsehend ist, sondern entweder schielend, das heißt halb nach Gott, halb nach der Welt blickend, oder blind, das heißt völlig geschlossen für Gott und göttliche Dinge, und nur der Erde zugewandt. Im Wesentlichen ist Beides ein und derselbe Standpunkt, der Standpunkt nämlich der irdisch gesinnten Menschen, die vom Morgen bis zum Abend nur für die Erde leben und ihre eitle Lust, die ihr Herz beschweren mit Sorgen der Nahrung und früh und spät fragen: Was werden wir essen? was werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? Wie? besteht nicht leider der größte Teil der Menschen, auch der getauften Menschen, aus Solchen, die irdisch gesinnt sind? - Ach, es liegt ein geheimer Zauber auf den Gütern der Erde, ein Zauber, den der Erzlügner und Erzzauberer, der Teufel, darüber hingegossen hat, und dem der natürliche, sinnliche Mensch gar nicht zu widerstehen vermag. Seht, wie es den Habsüchtigen hinziehet nach dem Gelde, wie es dem Ehrgeizigen im Herzen brennt, er kann keine Anderen über sich noch neben sich dulden, wie die Lust den Sinnlichen stachelt und ihm nicht Ruhe lässt, wie er Alles daran fest, um sein geträumtes Paradies zu ersetzt, reichen! „Wenn ich nur dies oder jenes Gut haben könnte! Wenn ich nur reich wäre! Wenn jener Vorteil mir nur zuflösse! Wenn ich den Posten nur erlangte, die Freude nur mitmachen könnte, wie glücklich wäre ich dann!“ das sind die Wünsche, welche man auf allen Gassen hört. Dazu kommt dann noch die Einbildungskraft, die sich den Besitz der irdischen Güter als das höchste Glück ausmalt, und nun kann die Seele sie nicht mehr entbehren, sie steht mit ihnen auf, sie legt sich mit ihnen nieder, sie sieht dies irdische Glück für ihren Himmel an, während der wahre Himmel ihr in unendliche Fernen zurücktritt. O welche Selbstverblendung, welches Rätsel der menschlichen Natur! Tausende haben sich schon müde und matt gerungen, um das irdische Glück zu erlangen und in seinem Besitze froh zu sein, und haben es nicht gefunden; haben, was sie gefunden, im Tode wieder verloren; ja oft im Leben schon wieder verloren: der errungene Kranz verwelkte, auf die Freude folgte der Überdruss, und die unzufriedene, unbefriedigte Seele suchte andere Kränze und Kronen, von diesen sich mehr versprechend und nicht weniger durch sie getäuscht. Man sollte meinen, solche allgemeine Erfahrung müsse klug machen: dennoch sehen wir Tausende immer wieder in denselben Strudel sich hineinstürzen, von demselben verschlungen werden und rettungslos untergehen. O welcher Widerspruch, dass solche Erfahrung nicht einmal weise macht! Und wie sauer müssen es sich die Menschen werden lassen, und lassen sie es sich werden für Nichts und wieder Nichts! Wenn man sie so arbeiten sieht vom Morgen bis zum Abend, wenn man sieht, wie sie alle Kräfte Leibes und der Seele daran setzen, und nichts schonen, um ihr Ziel zu erreichen, und keiner Anstrengung ausweichen, man sollte meinen, es müsste etwas sehr Hohes und Edles sein, das sie so emsig verfolgen; und siehe da, es ist nur Staub und Asche, Moder und Verwesung! Wie wahr hat da unser Text: „Wenn dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn aber das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis selber sein!“
Wer nur danach trachtet, hienieden glücklich zu werden, den flieht nicht nur das Glück hienieden, er verscherzt auch die Seligkeit jenseits. Das ganze Leben der Irdisch gesinnten ist Finsternis.
Finsternis sind ihre Schicksale. Die Freude und der Besitz macht sie übermütig und gottvergessen; und durchdringt man einmal die eitle Außenseite von Glück und Freude, belauscht man sie einmal in stillen, einsamen Stunden, so findet man in ihrem Herzen Verdruss, Zwiespalt, Unfrieden, Angst; sie gestehen dann, dass sie noch nicht wahrhaft glücklich sind, dass der Glanz ihrer Herrlichkeit nur von ferne in die Augen fällt, und dass sie nur denen, die ihre Lage nicht kennen, beneidenswert erscheinen. Das Unglück und Missgeschick aber macht sie unmutig und verzagt, in bitteren Klagen ergießt sich die Ungeduld ihrer Seele: Warum muss ich das leiden? warum so viel? warum so lange? womit habe ich solch Geschick verdient? Ach, wäre ich doch niemals geboren! Wann werden endlich meine Leiden ein Ende nehmen?
Finsternis sind die Pflichten, die sie erfüllen, und die Taten, die sie leisten. Sie tun ja nicht, was Gott geboten. hat; sondern wozu ihr Vorteil, ihr Ehrgeiz, ihre Vergnügungssucht, ihre Eitelkeit sie bestimmt. Sie fragen bei ihrem Tun und Lassen nie: Ist's auch recht? führt's auch zu einem guten, heiligen Ziele? kann ich es auch vor Gott und meinem Gewissen verantworten? würde auch Jesus in meiner Lage so gedacht, gefühlt, gewollt, geredet, gehandelt haben? sie fragen nur: Was bringt's mir ein? lohnt sich's auch? Die Folge davon ist, dass ihr Leben immer flacher und eitler wird und sie am Ende einen wahren Widerwillen gegen alles Höhere und Göttliche bekommen. Was sollen sie noch in die Kirche gehen? wozu noch die Bibel lesen? wozu beten? wozu sich an Tod, Gericht, Ewigkeit, Vergeltung erinnern lassen? Das Alles stört sie ja im Besitz und Genuss dessen, was sie zu ihrem Götzen erkoren haben. So bewähren sie denn das alte Wort: „Mensch, was du liebst, in das wirst du verwandelt werden; Gott wirst du, liebst du Gott, und Erde, liebst du Erden.“
Kein Wunder, dass das ganze Leben, nur dem Lande und der Nichtigkeit geweiht, zuletzt nur ein verlorenes Leben ist. Denn verloren ist jeder Augenblick zu nennen, der nichts für die Ewigkeit einbringt; verloren jedes Leben, das keine Früchte trägt, die in Gott getan sind. Verlust der Zeit ist mehr Blutverlust; er ist Verstümmelung unseres Wesens und geistiger Selbstmord. Mein Gott im Himmel, wie ist es doch schal und langweilig und befleckt und unwürdig, immer nur nach unten blicken zu müssen und keinen Blick zu haben in die Höhe, immer nur vergängliche Zerstreuung zu genießen, und kein Vorgefühl himmlischer Seligkeit, und alle Tage verurteilt zu sein, dasselbe wieder zu sehen, was man so oft schon gesehen, wieder zu hören das oft Gehörte, dieselben Wege. mit Überdruss hin und zurück zu wandeln, in einem ewigen Kreise ganz ermüdet sich zu bewegen, von Zuneigung zu Abneigung überzugehen und von Abneigung zu Zuneigung, heute die Wünsche von gestern zurückzunehmen, und oft wohl gar das Unglück zu Hilfe rufen zu müssen, um sich wenigstens von der unausstehlichen Gleichförmigkeit zu befreien, und oft fragen zu müssen: „Weiter nichts? Das ist Alles? Darum habe ich mich so abgemüht und abgequält, so abgehärmt und tief gedemütigt und weggeworfen?“ Hier und da eine Blume in einer Wüste voll Dornen, das ist das Sinnbild eines solchen Lebens. Ach, oft ist es das nicht einmal! Oft sind's lauter Dornen, die da blühen, und die der verblendete Sinn für Rosen hielt!
Endlich, kaum haben die irdisch gesinnten Menschen Etwas von dem gefunden, was sie gesucht, kaum haben sie von den Wunden, welche die Dornen des Lebens ihnen gestochen, sich einigermaßen erholt: da steht der Tod vor der Tür und klopft an. Entsetzlicher Gedanke, noch lange nicht am Ziele, und schon sterben zu müssen! Zwar war das ganze bisher geführte Leben nicht einen Heller wert, man hat es oft verwünscht; aber es war doch noch Leben; jetzt, wo man es lassen soll, möchte man es festhalten. Ach, und wäre es noch mit dem bloßen Sterben abgetan; aber hinter dem Tode wartet der Richter, und im Tode erscheint plötzlich Alles so ganz anders, als es im Leben war. Der Zauber löst sich jetzt von den irdischen Gütern; die bisher in Finsternis gebundenen Augen gehen auf einmal auf, die Schuppen fallen, und nun erscheint, was früher wichtig war, als höchst nichtig und erbärmlich, und was früher nichtig war, als die wichtigste Aufgabe des Erdenlebens. „Wie?“ fragt der Sterbende bei dieser Enttäuschung, gibt's denn kein Mittel gegen den Tod?“ Nein, es gibt kein Mittel! „Darf ich denn Nichts mit hinübernehmen?“ Nein, du musst Alles zurücklassen! „Finde ich denn jenseits nichts von dem wieder, woran hier meine Seele hing?“ Nein, du findest nichts wieder, dort gibt es kein Spiel, keinen Tanz, kein üppiges Gelage, keine Erde, keine Sonne, kein Schauspiel mehr, als das, wo der Allmächtige selber auftritt und die Welten richtet! Kann ich denn nicht zurückrufen das entflohene Leben, einen Tag nur, eine Stunde nur, um mich zu bessern und Buße zu tun?“ Nein und ewig Nein, es ist Alles zu spät; du musst sterben!…. Da stirbt er, der Unglückliche Im Traume war er hienieden eine Zeit lang glücklich, um nun während einer ganzen, langen Ewigkeit gequält zu werden. Sein Haus war auf Sand gebaut; darum fiel es und tat einen großen Fall.
Summa: Wer da trachtet, einst selig zu werden, ist schon glücklich in dieser Welt; wer aber nur danach trachtet, hier unten glücklich zu sein, ist und bleibt hienieden unglücklich und einst über alle Maßen unselig. Die Auslegung steht auf dem Ölberge. Wie? Sind die Jünger nicht glücklich, was sage ich? nicht selig, die dem Herrn nachschauen gen Himmel fahren? ist ihr Herz nicht voll Freude, ihr Mund nicht voll Lob und Dank? Wo aber ist der Zwölfte geblieben? Es sind ihrer ja nur Elf! Wo ist Judas, der den Beutel trug und das Geld suchte und liebte? Was ist aus ihm geworden? Petrus sagt, eine Hülle über seinen Zustand deckend: „Er ist hingegangen an seinen Ort.“ O dass wir nicht einst auch hingehen müssen an unsern Ort, dass wir einst hingehen dürfen an des Herrn Ort, lasst uns trachten nicht nach dem, das auf Erden ist, sondern nach dem, das droben ist, da Christus ist, sitzend zur rechten Hand Gottes. Ein altes Gleichnis der Kirche schließe unsere Betrachtung. Es gab einmal ein Volk, welches einen sonderbaren Gebrauch mit größter Gewissenhaftigkeit beobachtete. Von zehn zu zehn Jahren nämlich wählte es sich einen König. Während der zehn Jahre war der König unumschränkter Herr im ganzen Lande; am Ende dieser Zeit aber musste er Krone und Zepter niederlegen, und wurde auf eine unfruchtbare wüste Insel gesetzt, wo er dann elend umkam. Einer dieser Könige aber war weiser, als alle anderen; sobald er nämlich den Thron bestiegen hatte, beschäftigte er sich, statt an das Königreich zu denken, einzig und allein mit der Insel, die einst seine Wohnung werden sollte. Er ließ einen Palast auf derselben erbauen, ließ den Boden fruchtbar machen, und alle Kostbarkeiten, die er auftreiben konnte, hinbringen. Der König sind wir; das Reich, das wir beherrschen, ist die Erde; die Krone und das Zepter, das wir tragen, sind sowohl die Geistes, als die Gnadengaben, mit denen Gott uns ausgerüstet hat, die Insel, auf welche wir einst ausgesetzt werden, ist die Ewigkeit. O lasst uns dem Beispiel des weisen Königs folgen, lasst uns dort ewige Hütten bauen, während wir hienieden umherwallen, lasst uns alle Kostbarkeiten hinüberschaffen, die uns einst den Aufenthalt daselbst verherrlichen können.
Zum Himmel bist Du eingegangen,
Mit Preis gekrönt, Herr Jesu Christ!
Wie sollte mich nun nicht verlangen,
Auch dort zu sein, wo Du nun bist?
Ich bin ja nur ein Pilgrim hier;
Nimm in die Heimat mich zu Dir. Amen. 1)