Arnd, Johann - Wie ein Mensch durch's Gebet die Weisheit Gottes suchen soll - Capitel VIII
Gott ist kein Anseher der Person, sondern hat sie Alle gleich lieb.
Psalm 86, 5.: Du, Herr! bist gut und gnädig und von großer Güte Allen, die dich anrufen.
Ich weiß nun, daß Gott mein Anliegen besser weiß, denn ich's ihm kann vorbringen; er hat das Beten befohlen und Erhörung zugesagt; ich zweifle aber daran, ob er mich auch heiße beten und erhören wolle.
2. Da lerne, daß Gott kein Anseher der Person sei; obwohl die blinden Leiter aus etlichen Sprüchen, als Röm. 9, 13. Mal. 1, 2. 3. und dergleichen Gott parteiisch und zum Menschenfeinde machen wollen, wider die klaren, unwidersprechlichen Zeugnisse der Schrift, die wir uns wohl einbilden, und davon in keinem Wege abtreiben lassen sollen.
3. Ap. Gesch. 10, 34.: „Nun erfahre ich in der Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansiehet; sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm“. 5 Mos. 10, 17. 18.: „Der Herr, euer Gott, ist ein Gott aller Götter, und Herr aller Herren, ein großer Gott, mächtig und schrecklich, der keine Person achtet, und kein Geschenk nimmt, und schafft recht den Waisen und Wittwen, und hat die Fremdlinge lieb, daß er ihnen Speise und Kleider gebe“. Gal. 2, 6.: „Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht“. Col. 3, 25.: „Bei Gott gilt kein Ansehen der Person“. B. Weish. 6, 8.: „Der, so Aller Herr ist, wird keines Person fürchten, noch die Macht scheuen. Er hat Beide, die Kleinen und Großen, gemacht, und sorgt für Alle gleich“. Ezech. 33, 11. 12.: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre und lebe. Wenn ein Gottloser fromm wird, soll's ihm nicht schaden, daß er ist gottlos gewesen, und aller seiner Sünde, die er gethan hat, soll nicht gedacht werden.“ 1 Tim. 1, 15. 16.: „Das ist je gewißlich wahr, und ein theuer werthes Wort, daß Christus Jesus kommen ist in die Welt, die Sünder Selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf daß an mir vornehmlich Jesus Christus erzeigete alle Geduld, zum Exempel denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben“. 1 Tim. 2, 4.: „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, und sie zur Erkenntniß der Wahrheit kommen“. 2 Pet. 3, 9.: Gott will nicht, daß Jemand verloren werde, sondern daß sich Jedermann zur Buße kehre.„
4. Solche und dergleichen Zeugnisse mache sich ein Jeder bekannt, damit er wisse, wie Gott keinen vor dem Andern lieb habe, sondern Alle zugleich ohne Unterschied. Denn er hat sie Alle gleich geschaffen zu seinem Bildniß, und durch Christum wieder erlöst. Er hat bei sich selbst geschworen, daß er keinen Sünder will verderben lassen; Gott kommt uns Allen zuvor mit seiner Gnade, er wartet nicht, bis wir würdig werden. Denn ehe wir zu ihm kommen, kommt er zu uns. Er hat uns geliebt, „da wir noch seine Feinde waren“, Röm. 5, 10. Blind und gottlos ist der Mensch, der da sagen darf: Gott hat Einen lieber, als den Andern. Ein solcher verschmäht die göttliche Majestät, macht Gott stracks parteiisch, zum Anseher der Person.
5. Daß aber gesagt wird, „Gott habe Jacob lieb, und Esau hasse er“, Röm. 9, 13. ist nicht zu verstehen von ihrem menschlichen Wesen, oder von bloßem Haß, sondern von der Ausschließung des Erbtheils im gelobten Lande; nicht von dem Haß der verweigerten Seligkeit, sondern des verweigerten irdischen Segens.
6. Und ob wir gleich Alle Sünder sind, doch liebt Gott die, die ihn lieben, vor denen, die in Sünden und Blindheit stecken bleiben, und Gott nicht wollen für ihren Vater erkennen, noch Buße thun. Daran aber Gott keinen Gefallen trägt, sondern wollte lieber, daß alle Menschen selig würden.
7. Ebenso Röm. 9, 18.: „Er erbarmet sich, weß er will, und verstocket, wen er will“. Ist recht. Er will aber keinen verstocken, denn der sich selbst verstockt durch seinen Unglauben und Unbußfertigkeit. Solche läßt er, wiewohl ungern, fahren. So sind sie genug und allzusehr verstockt. Deßgleichen V. 16: „Es liegt nicht an Jemands Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Denn Gott läuft uns zuvor, erwählt uns und nicht wir selbst. Darum ist Alles Gottes Gabe und Gnade. Nichts soll uns zugeschrieben werden, ob wir gleich etwas Gutes thun.
8. Dies ist die rechte Erklärung solcher Sprüche. Aber die eigensinnigen Köpfe drehen sie nach ihrer Vernunft, machen den Haufen der Verdammten groß aus Gottes Ordnung und Vorsehung, aus Gott einen Menschenfeind, neidischen Saturn, der seine eigenen Kinder fresse und hasse. Daher Nichts folgt, denn Zerstörung des Glaubens, Verzweiflung, ein rohes, wildes, epicurisches Leben, wie vor Augen ist. Gott behüte uns vor solchen Sticken des leidigen Satans! Amen.
Gebet um Erkenntniß der allgemeinen Liebe Gottes.
O ewiger, unparteiischer Gott! der du nicht achtest die Person der Menschen; liebst sie alle gleich, Einen wie den Andern; bist also gütig, daß du Allen zuvorkommst mit deiner Gnade; wartest nicht, bis der Mensch tüchtig werde, sondern durch deine vorlaufende Gnade machst du ihn selber würdig und tüchtig: lehre mich durch deinen Geist dankbarlich erkennen solche deine unermeßliche Güte gegen Alle und über Alle; laß mir das Licht aufgehen in meinem Herzen, daß ich das gegenwärtige, mir eingethane Gut, das herrliche Erbtheil, den Schatz im Acker, mit der blinden Welt nicht verleugne, sondern denselben fleißig suche, finde, fühle, und in mir schmeckend gewahr werde. Amen.