Arnd, Johann - Wie ein Mensch durch's Gebet die Weisheit Gottes suchen soll - Capitel V.
Was ein Mensch vornehmlich bedenken soll, damit sein Herz über sich zu Gott gerichtet werde.
Jer. 23, 23.: Bin ich nicht ein Gott, der nahe ist, und nicht ein Gott, der ferne ist? spricht der Herr.
Auf daß wir einfältige und anhebende Menschen zum innigen Gebet im Geist und in der Wahrheit kommen mögen, welches Gott allein erfordert und haben will, wollen wir erklären etliche nöthige Punkte, dadurch wir zum Gebet erweckt und bereitet werden.
2. 1) Daß Gott alle Dinge zuvor besser wisse, was uns noth sei, ehe denn wir beten, Matth. 6, 8. 2) Daß Gott alle Menschen locke, reize, treibe und vermahne zum Gebet, und auch gewisse Erhörung zusage, Ps. 50, 15. 3) Daß Gott kein Anseher der Person sei, sondern er habe sie Alle gleich lieb, Apost. Gesch. 10, 34. 4) Daß eben so große Sünde sei, beten wegen eigener Frömmigkeit, Würdigkeit, Heiligkeit. Luk. 18, 11. als sein Gebet unterlassen wegen der Unwürdigkeit und vorbegangenen Sünde. 5) Daß man Gott nicht weit dürfe nachlaufen an einen gewissen Ort, Joh. 4, 21. sondern ihn finde allenthalben. 6) Daß Gott in seiner Ewigkeit unwandelbar bleibe, und eine Zeit so wohl höre, als die andere, und mit nichten an gewisse Zeit gebunden sei, Heb. 13, 8. 1 Thess. 5, 17. 7) Daß Gott lange zuvor komme, und herausgebe alle natürlichen und übernatürlichen Güter, und doch keiner dieselben erlange noch genieße, er bete denn darum.
3. Wer diese Stücke täglich betrachtet und übt, deß Herz und Gemüth wird erneuert und erweckt vom Schlaf, Ephes. 5, 14. gereinigt und geläutert vom Irrthum und Blindheit, bestätigt und befestigt im Grunde der Wahrheit, aufgerichtet zu Gott, angezündet zum Gebet.
4. Denn daraus folgen diese Lehren. 1) Daß Gott heiße, treibe und vermahne zum Gebet, nicht seinethalben, als wüßte er unser Anliegen nicht, sondern unsertwegen, daß wir durch's Gebet erweckt, auch solches erkennen und wissen. 2) Daß Gott unsers Gebets und langer Erzählung nicht bedürfe, sondern komme uns zuvor mit seiner gegenwärtigen Allwissenheit, Ps. 139, 2. Jes. 65, 24. 3) Daß Gott durch unser Geschrei, Fasten und Wachen nicht erweckt werde, denn er allezeit ein wachendes Auge ist, Ps. 33, 18. Ps. 34, 16. sondern der Mensch müsse durch solche Uebungen vom Schlaf der Sünden erweckt werden. 4) Daß Gott sei tausendmal bereiter, zu hören und zu geben, denn der Mensch, zu nehmen, Jer. 32, 41. 5) Er sei unermeßlicher Güte und Barmherzigkeit gegen den Menschen, Ps. 103, 13. der Mensch aber unmäßiger Faulheit und Nachlässigkeit im Beten, Suchen und Anklopfen, Matth. 7, 6) Daß Gott unpartheiisch gerecht bleibe in allen seinen Werken, und keine Ursache unserer Blindheit, Unwissenheit, Mangels oder Elends sei, sondern der verkehrte Mensch selber, der nicht bitten noch suchen will, 5. Mos. 32, 45. Ps. 92, 7. 7) Ein wahrer Anbeter hat an allen Orten und zu allen Zeiten einen freien Zutritt zum Vater in Christo, im Geist und Wahrheit mit Gott zu handeln, Joh. 4, 23. Luc. 18.1. sofern er sich selber nicht aufhält. 8) Ein Fauler und Verächter des Gebets beraubt sich selbst des lieblichen Gesprächs mit Gott, Ps. 19, 15. Straft also ein jeder Sünder sich selbst. 9) Ein fleißiger Anbeter frommt und nützt sich selber, nicht von sich selbst, sondern durch die göttliche vorlaufende Gnade, welche allen Menschen zuvor kommt ohne Unterschied.
5. Wem dies fünfte Capitel unbekannt ist, der ist noch weit von Christo, hat die Wahrheit noch wenig geschmeckt. Wer's aber weiß, und nicht glaubt, der thut sehr unrecht. Wer's glaubt, und übt's nicht, erweckt sich nicht, lebt in den Tag, gleich als zweifelte er daran; der ist ein großer Sünder, und muß desto mehr Streiche leiden, denn der Unwissende, Luc. 12, 47. Darum mag ein solcher wohl zusehen, daß er sich bekehre; sonst wird er in Sünden umkommen.
Gebetlein, daß man ein rechter Anbeter sein möge.
O gütiger Herr und Vater! wecke mich auf durch deinen Geist, daß ich solches nicht allein wisse, sondern im wahren Glauben übe, und ein wahrhaftiger Anbeter werde im Geist und in der Wahrheit. Amen.