Anselm von Canterbury - Homilien und Ermahnungen. Siebte Homilie.

Anselm von Canterbury - Homilien und Ermahnungen. Siebte Homilie.

Über das Evangelium nach Lukas: Seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem am Osterfeste. Und als er zwölf Jahre alt war, und sie nach der Gewohnheit des Festes nach Jerusalem hinaufgingen, und nachdem die Tage vorüber waren, blieb, während sie zurückkehrten, der Knabe Jesus in Jerusalem zurück, und seine Eltern wussten nichts davon. usw. (Luk. 2,41).

Die gottesfürchtigen Eltern des Heilands gingen nach der Vorschrift des Gesetzes jedes Jahr nach Jerusalem, um das Gesetz zu vernehmen, an den Opfern Teil zu nehmen, den Festlichkeiten beizuwohnen, und dienten dem Schatten von dem, dessen Wirklichkeit sie hatten. Sie bedeuteten aber die Juden, aus denen der Herr Fleisch annahm, und die den Brauch des alten Herkommens beständig bewahrten. Er selbst aber war geheimnisvoll zwölf Jahre alt, als er es mit dem Predigen soweit brachte, dass es zwölf Aposteln anvertraut wurde, dass sie mittels desselben den vier Weltteilen die Kenntnis von der höchsten Dreieinigkeit beibringen sollten; denn dreimal vier sind zwölf. Und damals gingen seine Eltern nach der Gewohnheit des Festtags nach Jerusalem hinauf; denn die Juden gelangten nach der Sitte der Festfreude, die die zu Gott Bekehrten begehen, zum geistigen Sinne und kamen durch Glauben zur Kirche. Und endlich nach Ablauf der Tage und Vollendung des Festes blieb der Knabe Jesus, während sie zurückkehrten, in Jerusalem zurück. Damals nämlich vollendeten sich die Feste der Juden, als bei der Auferstehung unseres Heilands von den Toten das Alte vorbei war, und Alles neu wurde. Und damals blieb der Knabe Jesus, während die Ungläubigen unter den Juden zu dem, was dahinten ist, zurückkehrten, in Jerusalem zurück, das Friedenserscheinung bedeutet und die Kirche bezeichnet. Daher heißt es auch: Seine Stelle ward ihm im Frieden bereitet, und seine Wohnung in Sion (Ps. 75,2). Davon aber wussten seine Eltern, das heißt die Synagoge und das Judenvolk nichts, sondern in der Meinung, er sei bei der Reisegesellschaft, kamen sie eine Lagereise weit, worunter die Zeit verstanden wird, in der sie nach seiner Auferstehung noch nichts davon wussten, dass sie in der Irre gehen. Denn in ihrer Blindheit meinten sie ihn immer noch bei sich zu haben, während sie ihn bereits getötet und sagen gehört hatten: Siehe, euer Haus wird euch verödet hinterlassen werden (Matth. 23,38); und in den Psalmen: Siehe ich entfloh weit fort und blieb in der Einsamkeit (Ps. 54,8).

Da sie ihn aber unter den Verwandten und Bekannten suchten und nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück, und suchten ihn. Das ging damals geistiger Weise in Erfüllung, als nach Christi Leiden einige Juden es zu Herzen nahmen und zu den Aposteln kamen. Denn das hieß Christum suchen und nach Jerusalem zurückkehren. Und sie sprachen: Was sollen wir tun, Männer, Brüder? Und der selige Petrus sagte zu ihnen: Tut Buße, und Jeder von euch lasse sich taufen (Apstlg. 2,38). Die Eltern Jesu bezeichneten also diese und die Übrigen, die damals glaubten; denn wie jene ihn, ohne es zu wissen, verloren hatten, so halten auch diese ihn in der Unwissenheit getötet. Denn hätten sie es gewusst, so hätten sie nimmermehr den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt (1. Kor. 2,8).

Und es geschah, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, ihnen zuhörend und sie fragend. Nach drei Tagen wird Jesus im Tempel gefunden; denn nach der Auferstehung, die am dritten Tage vor sich ging, wird er von denen, die ihn suchen, im Tempel gefunden. Denn vor dem dritten Tage fand man ihn nicht, weil man ihn von Seiten der Menschen nicht für Gott, sondern nur für einen Menschen hielt. Aber wo findet man ihn? Im Tempel, in der Kirche, in der Versammlung der Gläubigen, mitten unter den Lehrern, unter den Predigern. Dort findet man ihn, wie er sie anhört und befragt. Das Hören ist unsere Sache, auf einen von anderswoher kommenden Schall das Ohr, das anderswo seinen Platz hat, zu richten. Dagegen kommt es aber Gott, in welchem Alles ist, zu, unsere unter sich selbst sich erhebenden Wünsche zu vernehmen. Gewöhnlich hat er aber drei Arten uns zu fragen, entweder wenn er uns mit der Geisel straft und uns zeigt, wie viel oder wie wenig Geduld in uns sich befindet, oder Einiges uns befiehlt, was gegen unsern Willen ist, und uns unsern Gehorsam oder Ungehorsam kund tut; oder uns einiges Verborgene aufdeckt und Einiges verbirgt, und uns mit dem Maß unserer Demut bekannt macht. Und zwar fragt er auf diese dritte Weise mehr die Lehrer.

Es erstaunte, heißt es, Jedermann, der ihn hörte, über seine Einsicht und seine Antworten. Wer immer ihn noch mit dem Ohre des Herzens hört, der staunt über seine Einsicht; gleichwie auch der selige Job, der unter den Menschen weise gesprochen hatte; aber nachdem er die Reden Gottes vernommen hatte, sprach er, er habe unweise gesprochen. Auch seine Antworten sind staunenswert. Denn antworten heißt bei ihm, den durch geheime Eingebungen unterrichten, der von sich in seiner Demut weiß, dass er nichts weiß. Denn er gibt seine Antworten aus dem Lehramte der Einhauchung, und belehrt wunderbar den Geist der Demütigen. Er antwortet so, wie auch anderswo zu ihm gesagt ist: Rufe mich, so will ich dir antworten; oder will ich wenigstens reden und du antworte mir (Joh. 13,22). Denn das Rufen ist bei Gott soviel, als durch Liebe und Erwählung nach uns sehen. Antworten heißt aber bei uns, seiner Liebe durch gute Werke gehorchen. Wir reden auch, wenn wir sehnsüchtig nach seinem Angesichte verlangen. Und er antwortet den Redenden, wenn er sich uns bei unserer Liebe zu ihm zeigt.

Weiter heißt es: Und bei diesem Anblicke verwunderten sie sich. Seine Eltern verwunderten sich, als sie ihn im Tempel mitten unter den Lehrern sitzen sahen. Noch heute verwundern sich alle Juden, die in die Kirche kommen, und bekehren sich zum Glauben, indem sie dort den Messias, das heißt Christum sehen, den sie in der Synagoge, und unter Verwandten und Bekannten ohne eine Auskunft von ihnen sehen oder verstehen konnten.

Und seine Mutter sprach zu ihm: Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe dein Vater und ich suchten dich mit Schmerzen. Wir sagten, durch die Mutter des Herrn werde die Synagoge bezeichnet, von der der Herr nach dem Fleische stammte. Diese aber ist, so oft sie in die Kirche kommt und dort die Wahrheit einsieht, über ihre Unwissenheit und Christi Abwesenheit verwundert, und sagt in ihrer Verwunderung: Sohn, warum hast du uns das getan? warum hast du uns verlassen und gingst hinüber in die Kirche der Heiden? Siehe dein Vater, das Judenvolk, und ich suchten dich mit Schmerzen. Denn das ist es, was der Apostel sagt: Ich gebe ihnen das Zeugnis, dass sie Eifer für Gott haben, aber ohne Einsicht (Röm. 10, 2). Sie suchen Jesum, und finden nicht; weil sie noch nicht zum Tempel und zur Kirche gelangt sind.

Und er sagte zu ihnen: Warum suchtet ihr mich? Wusstet ihr nicht, dass ich dem, was meinem Vater gehört, sein muss? Warum, heißt es, suchtet ihr mich bei den Ungläubigen, und meintet, ich sei außer der Kirche? Denn wer mich suchen will, mag mich hier suchen. Wusstet ihr nicht, dass ich in dem, das meinem Vater gehört, und unter denen, die meines Vaters Willen tun, sein muss? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen geredet. Sie verstanden nicht, weil sie ein erblindetes Herz hatten, und nichts davon wussten, dass Christus in der Kirche der Heiden ist; denn es kam zum Teil Blindheit über Israel, bis die Fülle der Heiden eingehen und so ganz Israel gerettet würde (Röm. 11,25). Denn weil in der letzten Zeit der Heiland zum Reste von Israel zurückkehren wird, heißt es passend sofort: Und er ging mit ihnen hinab, und kam nach Nazareth, und war ihnen untertan. Denn zuletzt ging er mit den Ebräern hinab, und kam nach Nazareth, wo er erzogen worden war; weil er mit denen, die aus der Beschneidung gläubig geworden waren, sich barmherzig zum Israelitischen Volke neigte. Dies jedoch steht erst noch bevor, wenn wir es gleich wie etwas Vergangenes erzählen. Und er war ihnen untertan, wie der Apostel auch vom heiligen. Geiste sagt, der Geist der Propheten sei den Propheten untertan, um nämlich ihren Willen zu tun, und ihrer Freiheit nicht entgegen zu treten. Denn wie auf diese Art der Geist der Propheten den Propheten untertan ist, so ist die Weisheit der Prediger den Predigern untertan. Die Weisheit aber der Prediger oder Lehrer ist Christus. Und seine Mutter bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen. Das fromme Volk der Beschneidung behielt mit eifrigem Herzen oder wird vielmehr behalten die Geheimnisse Christi.

Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gnade bei Gott und den Menschen. Jesus nahm zu; weil die Ausbreitung seiner Predigt zunahm. Denn die Weisheit nahm zu, weil man in seiner Lehre stets größere Weisheit fand. Er nahm auch an Alter zu, weil sich beim Fortschritte der Seele sofort ein reiferes Alter in seiner Rede fand. Er nahm auch zu an Gnade, weil er den Seinigen mit täglicher Zunahme größere Gnade verlieh. Denn nicht ihm, sondern auch den Seinigen zulieb geschah diese Zunahme. Bei Gott und den Menschen nahm er so zu, weil das sowohl zur Verherrlichung Gottes als auch zum Heile der Menschen vor sich ging, und mehr und mehr den Engeln bekannt wurde, die bei Gott sind, und den Menschen zum Beispiele. Daher sei Lob und Ehre eben diesem milden Heiland, samt dem Vater und heiligen Geiste, durch die grenzenlose Ewigkeit. Amen.

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