Anselm von Canterbury - Homilien und Ermahnungen. Sechszehnte Homilie.
Über jenes (Wort): Denn es ziemte ihm, um dessen willen und durch den Alles usw. (Ebr. 2, 10.)
Wenn der allmächtige Gott durchaus kein Geschöpf erschaffen hätte, konnte er in sich ganz selig sein; als der, der Niemandens bedarf, sondern sich selbst vollkommen genügt. Da er aber nach seiner höchsten Güte die Glückseligkeit der Geschöpfe wollte, die nur aus seiner Erkenntnis und Liebe hervorgehen sollte, so machte er Engelsgeschöpfe, um von ihnen gepriesen zu werden; nicht damit ihm aus ihrem Lobe irgendein Zuwachs zu Teil würde, sondern ihnen. Ferner schuf er mit eben dieser Güte die leiblichen Geschöpfe und wollte sie beseligen, damit sein Preis kein unvollkommener sein möchte. Aus diesem Grunde legte er einen vernünftigen Geist in den Körper; damit er durch gutes Regieren zugleich mit dem Körper in Gott beseligt würde; und so das Lob Gottes von jedem Geschöpf ein volles sein möchte. Daher heißt es, Alles lobe Gott; während die vernünftigen Geschöpfe, nämlich die Engel und Menschen Gottes wunderbare Macht und Güte sowohl an sich als an den übrigen Geschöpfen bewundern und loben. So sagt daher der Apostel: Um dessen willen Alles, nämlich um seines Lobes und seiner Verherrlichung willen; und durch den Alles, nämlich es nichts Überflüssiges gibt. Wenn das wahr ist, ja weil es wahr ist; muss der Mensch zur Herrlichkeit gelangen. Diese Notwendigkeit jedoch entspringt nirgends anderswoher, als, wie bereits gesagt, aus Gottes großer Güte. Der Mensch ging durch seine Sünde verloren; somit gelangt er nicht zur Herrlichkeit; also lobt er selbst nicht. Folgerichtig lobt also das körperliche Geschöpf nicht: es ist also nicht für ein Geschäft erschaffen worden. Wenn dem so ist, so loben also auch selbst die Engel nicht vollständig, da ihre Zahl vermindert worden ist. Um aber alle diese Unzukömmlichkeiten an der Quelle selbst, aus der sie entspringen, zu unterdrücken, so wollen wir festsetzen, der verlorene Mensch gelange zur Herrlichkeit. Sehen wir nach der Ordnung dieser herrlichen Rettung unter Hilfe des Urhebers selbst.
Gott hat den Menschen bei seiner Schöpfung so in die Mitte gestellt, dass wenn er im Gehorsam gegen ihn verharren würde, er durch den vollbrachten Gehorsam ohne die Dazwischenkunft des Todes aus einem Sterblichen ein Unsterblicher würde; im andern Falle aber von der Sterblichkeit in den Tod gestürzt werden sollte. Durch die Überredung des Teufels nun ward er trotz der furchtbaren Drohung Gottes aus einem Sterblichen ein Toter, und kam mit Recht in des Teufels Besitz, da er ihm freiwillig beigestimmt hatte (1. B. Ms. 2, 17). Jedoch wollte ihn Gott wieder zurückfordern; weil, wenn auch freiwillig, er doch durch fremde Überredung fiel. Den Teufel musste man aber nicht zurückfordern, weil er bei der Stärke seiner Natur durch sich selbst ohne Überredung von außen fiel. Er musste also einen Urheber des Heils haben, um durch ihn auf rechte Weise zu Gott zurückzukehren. Sehen wir nun, wer dieser Urheber möglicher Weise war. Wenn Gott schlechthin wäre, konnte er zwar den Teufel überwinden, den Menschen entreißen; aber das wäre nun nichts als Macht, nicht Sache der Gerechtigkeit; wenn er dem Teufel, der nach des Apostels Ausspruch (Ebr. 2, 14) die Macht über den Tod hatte, dennoch, obgleich er etwas Fremdes angegriffen hatte, den Menschen entrisse, der in seinen Besitz mit Recht dadurch gekommen war, dass er freiwillig seine Zustimmung gab. Wäre der Mensch schlechthin für sich, wie sollte er mit verdorbener Natur widerstehen, da er in seinem bessern Zustande so leicht unterlag? Hierbei ist zu bemerken, dass die Gnade Gottes dem freien Willen keine Gewalt antut. Wieder, wenn ein Engel diesen Kampf auf sich nähme, so wäre kein Grund da, warum deshalb der überwundene Teufel auch den Menschen einbüßen sollte. Aber auch kein Engel in einem Menschen Solches vermochte; weil, wenn er bei seiner einfachen und starken Natur sich schwach gezeigt hat, er in seiner Vermischung mit dieser schwachen, nämlich der menschlichen Natur, sich noch weit schwächer zeigen würde. Somit muss also jener Urheber des Heils Gott im Menschen sein, um dadurch, dass er Gott ist, vermögend zu sein; dadurch, dass er Mensch ist, die Schuldigkeit zu haben. Es ist gar sehr in der Ordnung, dass wie der Teufel zuerst durch schlechte Täuschung etwas Fremdes angriff, so Gott durch eine gute Täuschung, um uns so auszudrücken, seine Sache durch die Gnade durchführte: und dass sowie jener Mensch mit eigener Freiheit unterlag, so dieser Mensch mit der Willensfreiheit dem Teufel widerstand. Auch musste er leiden, damit der Teufel sich an dem versündigte, an dem er bei seiner Bestrafung keine Schuld fand: diesen griff er nämlich wie auch die Andern mit jeder Art von Versuchung an, erst mit schmeichelnden als Drache; hierauf mit harten, als Löwe; bis er ihn zuletzt tötete. Und so verlor er mit allem Rechte seine ganze Gewalt über die Menschen, indem er sich mehr als erlaubt war, her ausnahm. Daher spricht auch jetzt noch das gemeine Recht es aus, dass wer mehr verlangt, als was man ihm schuldig ist, verliert, was man ihm schuldig ist. Sowie er also über den, der ihm nicht zustimmte, das Recht verlor; so über alle seine Kinder, die seine Unschuld nachahmen. Nun musste aber jener nicht im Tode bleiben; weil er sonst weder sich noch einem Andern hätte helfen können. Durch Leiden also musste er verzehrt werden, um so seine Anhänger zu vollenden: und so meint es der Apostel, wenn er sagt: Denn es ziemte ihm um dessen willen und durch den Alles. Merke, wie es nun einzeln weiter heißt. Viele Kinder zur Herrlichkeit zu führen, ziemte ihm, nämlich dem Vater; um dessen willen, nämlich um seines Lobes und seiner Verherrlichung willen, Alles gemacht worden ist, und durch den Alles gemacht worden ist. Und zwar durch Verleihung eines Heilsurhebers, nämlich Christi; sowie auch durch dessen Hingabe in das Leiden; und so zur Vollendung. Gibst du auf diese Ordnung genau Acht, so wirst du sehen, dass der Mensch hätte errettet werden müssen, auch wenn kein Engel gefallen wäre.