Anselm von Canterbury - Homilien und Ermahnungen. Vierzehnte Homilie.

Über das Evangelium nach Johannes: Es war ein Königsbeamter, dessen Sohn krank war zu Kapernaum usw. (Joh. 4, 46.)

Was, wie wir im evangelischen-Abschnitte vernommen haben, mit dem einen Königsbeamten und seinem Sohne besonders vor sich gegangen, das passt, wie wir sehen werden, im Ganzen zu dem menschlichen Geschlechte, wenn wir mit Fleiß den geheimnisvollen Sinn dem oberflächlichen Buchstaben anpassen wollen. Die Ableitung des Namens Königsbeamter von König zeigen sowohl die gleichlautenden Worte, als es auch die Bedeutung der Ableitung bestätigt. Auch wissen wir, dass es Königsbeamte, das heißt kleinere Könige gegeben hat. Wer möchte nun bezweifeln, dass der Mensch nach dem Bild und der Ähnlichkeit des vortrefflichsten Königs geschaffen (1. B. Ms. 1,26) ein König gewesen ist, solange er sich gut regierte, solange er mit Mäßigung über sich herrschte? Das Reich dieses Königs aber war das Paradies Gottes, zu dessen Einwohner der glückliche Mensch, zu dessen Bearbeiter er gesetzt war, in das er als König und Herr, um über die Tiere und Fische und die kriechenden und die fliegenden Tiere zu herrschen und zu gebieten, auf den Thron gestellt ward.

Aber, ach des Schmerzes! er, der auf diese Art zum Könige erhoben, den Vorsitz führte, ward durch den Stolz des Ungehorsams von jenem Reiche vertrieben, und dem Kummer und der Traurigkeit preisgegeben. Jedoch ward durch Gottes Erbarmung, der sich aller seiner Werke erbarmt (Ps. 144,9), der Mensch nicht gänzlich dem Abgrunde des Verderbens zugeschieden, weil er weder den freien Willen einbüßte, noch des Fassungsvermögens der Vernunft beraubt wurde. An sich büßte er also etwas Großes ein, es ließ aber auch die Barmherzigkeit des Schöpfers etwas Weniges zurück. Darin also, was er einbüßte, hörte er auf ein König zu sein; darin aber, dass ihm ein Vorzug vor den übrigen Tieren verblieb, lebte er wie ein Königsbeamter fort. Das scheinen die Worte des Evangeliums selbst anzudeuten, wenn es heißt: es war ein Königsbeamter. Denn damit, dass es heißt: war, ein Ausdruck für unvollendete Bezeichnung für etwas was zum Teil bereits so vergangen ist, dass es zum Teil noch nicht vergangen zu sein scheint, und einen Substantivsinn hat, wird das Wesen des Menschen angezeigt, welches bereits zum Teil durch den Tod vorübergegangen war, und zum Teil verwundet darniederlag, so dass der Mensch beinahe nicht mehr war, was er war, weil er krank wurde und zu sterben begann, während von seinem eigenen Namen geschwiegen und gesagt wird: Es war ein, weil er nicht zu hören verdiente: ich kenne dich mit Namen (2. B. Ms. 33,17), noch war sein Name in dem Himmel angeschrieben, so dass sich Gott herabgelassen hätte, ihn zu nennen. Denn auch wir lassen gewöhnlich die Namen von Einigen, obwohl wir sie gut im Gedächtnisse haben, aus Unwillen weg, wenn uns die Erinnerung an sie Ekel verursacht. Deshalb galt auch sein Name beim heiligen Geist nichts, da er ein Sünder war als niederster Königsbeamter.

Dessen Sohn krank war zu Kapernaum. Sohn ist, an dem der Vater mit väterlicher Zuneigung seine besondere Freude hat, den er mit zartester und voller Liebe wie sich selbst ans Herz drückt. Darunter verstehen wir die Seele im Innern des Menschen, von der wir gar nicht zweifeln, dass sie von der ersten Schöpfung bis auf Christus, von vielfacher Belästigung durch geistige Fieber befallen worden sei. Kapernaum aber heißt ein sehr schönes Feld, und unter dieser Welt, mit dem Schmucke der Geschöpfe geziert, in die Augen fallend durch die Einrichtung des großen Werkmeisters, lässt sich nicht unpassend ein sehr schönes Feld verstehen. Der Mensch, sein Bebauer, als Ankömmling und Fremdling, ward um so heftiger krank, je ausgelassener er sündigte. Es ward aber des Menschen besserer Teil krank, nämlich seine Seele, die gleichsam ein Sohn dem Menschen teurer sein soll.

Als dieser gehört hatte, Jesus komme von Judäa nach Galiläa, ging er fort zu ihm und bat ihn hinabzugehen und seinen Sohn zu heilen; denn dieser war dem Tode nahe. Judäa nun wird mit Bekenntnis oder Belobung, durch Verherrlichung; Galiläa aber mit vollbrachter Wanderung gedolmetscht. Und Jesus kam von Judäa nach Galiläa, als er von Bekenntnis und Belobung, die ihm droben von den heiligen Engeln unaufhörlich dargebracht wurde, mittels der Annahme des Fleisches zu uns zu kommen sich herabließ, die wir eine Wanderung vollbracht hatten vom Paradiese bis in dieses Tal des Elends. Und von dieser Ankunft hörte der Königsbeamte, weil der Mensch durch Zacharias davon sagen hört: Lobe und freue dich, Tochter Sion, denn siehe, ich komme, und werde in deiner Mitte wohnen, spricht der Herr (Zach. 2,10). Und als er diese und ähnliche Worte der Propheten über seine Ankunft gehört hatte, ging er fort zu ihm, um für seinen Sohn zu bitten, sein Betragen zu ändern, an ihn zu glauben. Erging fort zu ihm, weil er anfing, sich dem Glauben an ihn ein wenig zu nähern. Und bat ihn hinabzukommen und seinen Sohn zu heilen, der wie wir gesagt haben seine Seele war, weil er durch den Psalmisten sagte: Herr, neige deine Himmel und steige herab (Ps. 143, 5), und: Herr, erbarme dich meiner, heile meine Seele, weil ich an dir mich versündigt habe (Ps. 40,5). Er bat ihn, hinabzukommen, das heißt, sich zum demutsvollen Leiden barmherzig herabzulassen, und feinen Sohn, das heißt seinen teureren Teil zu heilen. Denn des Menschen Seele konnte von der Sündenkrankheit nicht geheilt werden, wenn nicht des Arztes Tod selbst ihm zur Arznei würde.

Denn schon war er ermattet von der Sünde dem Tode nahe. Denn das ist der Verwundete, den, wie es anderswo heißt, die Räuber auf dem Wege halbtot liegen ließen. Denn dem Teile nach lebt er, mit dem er Gott erkennen und was Recht ist, unterscheiden kann; gestorben ist er aber nach dem Teile, wonach er durch Sünden hinschwindet und vor Bosheit abnimmt. Ganz gestorben aber wird er sein, wenn er zur Hölle verdammt sein wird. So also war er dem Tode nahe, das heißt er war über die Maßen belästigt durch die Krankheit seiner Fehler und näherte sich dem Tode ewiger Verdammnis. Damit er aber nicht ganz stürbe, ging der Vater zu Jesus, um für ihn zu bitten, dass er, der das Leben, der Arzt, die Arznei ist, dem Tode: in den Weg treten möchte. Denn nach dem Tode ließe sich keine Arznei mehr auffinden, weil es in der Hölle keine Erlösung mehr gibt. Denn Jeder, der einmal der ewigen Verdammnis übergeben ist, kann nie mehr Erlösung erlangen.

Der Herr erwiderte aber auf die Bitte des Königsbeamten: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubet ihr nicht. Zwischen Zeichen und Wundern ist der Unterschied, dass man von Zeichen spricht, wenn man etwas Gegenwärtiges bezeichnen möchte; von Wundern aber, die man gleichsam Vorhersagungen nennt, weil sie vorher sagen, vorher bezeichnen, und etwas Zukünftiges prophezeien mögen. Und der Herr tat Zeichen und Wunder, weil einige seiner Werke etwas in der Gegenwart bezeichneten, andere die Zukunft vorhersahen. Der Königsbeamte bat um sein Herab kommen zum Heile seines Sohnes; der Herr aber empfahl sein Herabkommen, und legte es dem Königsbeamten auf eine feine Art nahe mit den Worten: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Als wollte er sagen: Mein Hinabsteigen in den Tod und die Hölle, das du wünschest, ist ein großes Zeichen, weil es das Heil der Fieberkranken ist, und ist ein großes Wunder, weil es die Auferstehung der Toten ist. Auch wird der christliche Glaube bei den Heiden sich nicht ausbreiten können, wenn er nicht diese Zeichen und Wunder sieht. Der Königsbeamte, einer der Gläubigen aus den Heiden, vorbezeichnet als Erstling der Heiden, sagt zu ihm: Herr, komm herab, bevor mein Sohn stirbt. Herr, da dein Herabkommen ein großes Zeichen und Wunder ist, und die Vorhaut von ihren Krankheiten nicht wird genesen können, wenn sie nicht diese Zeichen und Wunder zu sehen verdient, komm herab, weil es besser ist, wie du zuvor verordnet hast, dass du herabkommst, als dass mein Sohn, das heißt die Seele des Heidenvolks, auf ewig zu Grunde gehe. Steige also herab von der Menschwerdung zum Leiden, weil durch dein Leiden meine Seele Erlösung erhalten wird.

Auf diesen so großen Glauben und diese Hingabe erwiderte der Herr nur: Gehe, dein Sohn lebt. Es ist nämlich hart zu verstehen, dass er zu einem Ungläubigen und Glaubenslosen sollte gesagt haben: Geh, dein Sohn lebt, hätte er nicht den Glauben und die Andacht des Bittenden erkannt. Zum Voraus also, bevor er das Wunder verrichtete, weiß er die feine Antwort des gläubig Bittenden, und schritt sofort zur Offenbarung des Wunders, damit auch der Glaube des bereits Glaubenden zur Bekanntwerdung gelangen möchte. Geh, sagte er, das heißt, geh über zu vollkommenem Denken, und so wie du von meiner Menschwerdung gehört hast, erwarte auch mein Leiden. Denn dein Sohn, das heißt deine Seele, lebt bereits durch diesen Funken von Glauben. Und Niemand mag es beunruhigen, dass alle diese Worte nach der Geschichte sich nicht finden, dass sie sowohl vom Königsbeamten, das heißt vom Menschengeschlechte zum Herrn, als auch vom Herrn zum Menschengeschlechte nicht gesprochen worden. Denn diese Aussprüche gleichen denen des Hohenliedes, wo der Bräutigam zur Braut und die Braut zum Bräutigam solche Worte sagt, wie sie sich nirgends geschichtlich finden. Denn solche Aussprüche werden nicht sowohl mit dem Worte, als mit der Sache vorgebracht. Geh, sagte er, das heißt erhebe dich zum Höheren des Glaubens und schreite zum geistigen Sinne vor, denn dein Sohn lebt, diesem Beginne des Glaubens und meiner Vorherbestimmung gemäß.

Der Mann glaubte dem Worte, das Jesus zu ihm sprach, und ging. Das menschliche Geschlecht glaubte, dass seine Seele durch Gottes Gnade innerlich lebe, weil es Solches aus dem Mund des Erlösers vernahm, dessen Wahrhaftigkeit es kennen lernte; und ging, vorwärts kommend in Glauben und Betragen.

Während er aber noch hinabging, kamen ihm seine Knechte entgegen, verkündigten und sagten ihm, sein Sohn lebe. Er fragte sie nun nach der Stunde, in der es besser mit ihm geworden sei. Und sie sagten ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Während der Mann hinabging, das heißt bei sich selbst einkehrte, und seine Gedanken prüfte, kamen ihm seine Knechte entgegen, worunter man nicht unpassend die vernünftigen Gedanken des Menschen versteht, die dem Menschen als ihrem Herrn dienen und angenehme Botschaft bringen und Antwort geben müssen über das Wohlsein des ganzen innern Menschen und der Seele, wie es hier heißt, dass sie verkündigt haben, der Sohn lebe. Denn dass der Mensch von Gott hinabgeht, bedeutet so viel, als dass unsere Menschlichkeit sich ein wenig von jener Anschauung losreißt, und etwas zurückkehrt zu dem, was in uns ist, um klug zu betrachten, was wir sind, wie wir gehandelt haben. Dass man aber dem Herrn, wenn er hinabgeht, entgegenkommt, bedeutet, dass alle Sinne des ganzen menschlichen Wesens im Dienste Gottes stehen, und mit Ergebenheit ihrem Hausvater erzählen, was ihm lieb sein wird. Ist aber der Mensch durch die Unterredung mit Gott gestärkt und durch die Übung in den Schriften erquickt, so muss er zur Erwägung kommen gleichsam in sorgfältigster Forschung und seine Gedanken wie seine Diener und Freunde zu Rate ziehen, in welcher Stunde es mit seinem Sohne besser geworden, wann seine Seele zu freierer Genesung gelangt sei. Und das bedeutet es, wenn es heißt: er fragte sie nach der Stunde, in der es besser mit ihm geworden sei.

Hören wir aber die Antwort der Diener: Gestern, sagen sie, um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Gestern ist die vergangene Zeit. Auch wir, solange wir in diesem Leben sind, nehmen zwei Zeiten wahr; die dritte erwarten wir. Die ganze Zeit von Adam bis auf das Leiden Christi ist die vergangene Zeit. Vom Leiden Christi bis auf den Tag des Gerichts ist die heutige Zeit. Mit dem Tage des Gerichts, wann nun unsere Leiber umgestaltet sein werden, beginnt die dritte Zeit, die kein Ende nehmen wird. Gestern also beim Leiden Christi verließ den Menschen das Fieber, weil Christus die fremden und unordentlichen Hitzeanfälle unserer Fehler und die entzündlichen Zustände mancherlei Lüfte an sein Kreuz geheftet hat, denn er nahm unsere Krankheiten auf sich und er trug unsere Schmerzen (Jes. 53,4). Aber das so große und lange Gestern hatte seine Stunden, während bei der Zunahme der Zeiten eine Zeit auf die andere folgte. Denn von Adam bis Noe war es die erste Stunde, die mit der Sündflut abgelöst wurde. Rechne den Zeitraum von Noe bis Abraham, und ziehe die zweite Stunde in der Beschneidung in Erwägung. Die dritte von Abraham bis Moses, und siehe zu dass du nicht das Gesetz übersiehst. Die vierte von Moses bis David, und da wirst du das Reich der Juden in seiner Blüte sehen. Die fünfte von David bis auf die Zeit des Wegzuges, und da wirst du das Verwelken der Herrlichkeit Israels nicht leugnen können. Hierauf richte die sechste auf die Geburt des heiligen Johannes, und steh ein, wie das Gesetz und die Propheten hier ein Ende haben. Die siebente rechne vom Auftreten des heiligen Johannes bis auf das Leiden Christi, und fasse zusammen, wie hier der ganzen Welt Verschuldung gekreuzigt worden ist. Denn das ist die siebente Stunde, in der das Fieber nach Christi Lehre und Mahnung unsere Seele, gleichsam den Sohn des Königsbeamten verließ. Und siehe nun sind wir in der achten, und fingen dem Herrn ein Loblied für die achte. Denn wir befinden uns in einer Art von Auferstehungsherrlichkeit, in einer Art von ausgezeichnetem Ehrenzustande, so dass wir nichts mehr zu beklagen haben, als wenn wir mit etwas Totem nach der Abwaschung der Taufe freiwillig in Berührung gekommen sein sollten. Die vergangene Zeit verläuft also in sieben Stunden, um ihre Unvollständigkeit darzutun. Denn hätte sie einen ganzen Tag gehabt, so schlösse sie sich mit zwölf Stunden. Dem gestrigen Tage fehlen noch fünf Stunden, damit wir begreifen, dass das Gesetz mit seiner Zeit nichts zur Vollendung brachte und die Stimme des Psalmisten mit seiner Klage hören möchten: Als ich noch unvollendet war, sahen mich deine Augen (Ps. 138,16). Aber was jenem Tage noch fehlte, das ergänzte unser achter Tag, ein Tag zur Erleuchtung des Tages. Denn siehe wir lesen den Pentateuch, nachdem der Schleier von Moses genommen und sein Angesicht enthüllt ist, und führen den Dekalog auf die Beobachtung unserer fünf Sinne geistig zurück, und trennen die fünf klugen von den fünf törichten Jungfrauen (Matth. 25, 3). Unser Tag aber dehnt sich auf zwölf Stunden aus, weil unsere Stadt sich ihrer zwölf Tore rühmt, zwölf Aposteln anvertraut ist, die Fülle göttlichen Überflusses und das Wohlbefinden der Kirche durch zwölf Körbe bekannt getan wird.

Der Vater erkannte nun, dass es jene Stunde war, in der Jesus zu ihm sagte: Dein Sohn lebt. Jeder, der als Vater seine Seele regiert, muss sowohl vernünftig in Erwägung ziehen als auch durch die Erzählung der ihm zu Dienst stehenden Sinne und das Zeugnis der Schriften zu dem Schlusse kommen, dass zur gestrigen Zeit mit dem Leiden Christi, das die siebente Stunde ist, die Seele des Menschen durch Glauben zu leben begann, das heißt, durch den Glauben an Christi Tod, wie es nötig war, verdiente er sogleich zu leben.

Und er selbst glaubte, und sein ganzes Haus. Der Vater glaubte; denn nachdem nun die Sünde abgeführt, das Fieber gleichsam ausgelöscht ist, wünscht er ohne Maß und Ziel dem Herrn anzuhängen. Er und sein ganzes Haus glaubte; weil alles was in ihm ist und sich in seiner Seele rührt, seinem Willen dient und von Tugend zu Tugend fortschreitet, so dass es nun gewohnheitsmäßig sich zum Gutes tun gleichsam genötigt sieht.

Nach dieser Erörterung wollen wir noch der Ordnung nach den ganzen Abschnitt kurz wiederholen, um auch darüber Aufschluss geben zu können, was wir sonst noch darüber denken. Es war ein gewisser Königsbeamter usw. Vier Menschen hat der Herr dem Evangelium zufolge ins Leben zurückgerufen: diesen Sohn des Königsbeamten, der dem Tode nahe war, und er bezeichnete den Geist des Menschen, der mittels anfänglicher Zustimmung zu böser innerer Lust zu sterben anfängt; und das bereits tote aber noch in seinem Hause eingeschlossene Mädchen, welches den Menschengeist bedeutete, wie er innerlich tot ist durch Zustimmung zu böser Lust, und durch heimliches Begehren nach einem schlechten Werke; auch den Jüngling, den man zum Tore hinaustrug, welcher den Menschen bezeichnete, dessen geistiger Tod offen tatsächlich daliegt; aber auch den Lazarus, der schon vier Tage tot und im Verwesungsgeruche war, welcher den Sünder bezeichnete, der durch lange Gewohnheit im Grabe todbringenden Wandels liegt und den Gestank schmutziger Meinung von sich verbreitet. Unter diesen vier Graden des Todes also ist das der erste, in dem jetzt nach der Beschreibung der Sohn des königlichen Beamten nach der Beschreibung leidet. Und irre ich mich nicht, gibt es in dieser Zeit gar keinen Seelentod, der sich nicht in einem dieser Grade fände; und daher wird es beschrieben, wie jene alle der Herr auferweckt habe, um von ihm zu zeigen, wie er jeden Seelentod zum Leben umgestalte. Richten wir aber den Blick wieder auf den Leseabschnitt.

Es war ein Königsbeamter, dessen Sohn krank war zu Kapernaum. Unter diesem Königsbeamten wird nicht unpassend die Vernunft verstanden: sein Sohn ist der Gedanke, der aus dem Vernunftsinn entsteht. Es war ein Königsbeamter, das heißt der Vernunftsinn, dessen Macht einen Verlust, dessen geistiges Reich eine Minderung erlitt. Sein Sohn war krank, das heißt sein Denken und Sinnen leistete den Sündengelüsten schwachen Widerstand. Er war aber krank zu Kapernaum. Kapernaum aber wird verdolmetscht mit Acker des Trostes und Landgut des Trostes, und bezeichnet diese Welt, in welcher die zeitlichen Trost haben, zu denen gesagt wird: Wehe euch Reichen, die ihr eueren Trost habt (Luk. 6,24), und wovon wir lesen, dass der Acker die Welt ist (Matth. 13,38). Er war also krank zu Kapernaum, weil er bei Glück und Reichtum und den Schmeicheleien dieser Welt seine innere Kräfte verlor, so dass er nun den schädlichen Ergötzlichkeiten nicht mehr zu widerstehen vermochte. Da also dieser Königsbeamte, das heißt der Vernunftsinn, von Lehrern gehört hatte, Jesus komme von Judäa nach Galiläa, das heißt der Heiland komme vom Sündenbekenntnisse zur vollbrachten Übersiedelung, das heißt zu denen, die zur Bosheit übersiedelt seien, ging er zu ihm, das heißt, er nahte sich ihm geistig durch Hoffnung und Hingabe, um ihn mit sich zu führen: und er bat ihn, er möchte hinabkommen, das heißt er möge sich in seiner Barmherzigkeit herablassen und sein Denken von der Schwäche, den Schmeicheleien zu widerstehen heilen: denn es war dem Tode nahe, das heißt der Zustimmung zur Sünde.

Jesus nun sprach zu ihm, indem er an ihm die Langsamkeit derer schalt, die unentschlossenen Glaubens sind: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubet ihr nicht. Ihr glaubt nicht an das künftige Gericht in eurer stumpfsinnigen Sicherheit, wenn ihr nicht durch Wunderbares aufgerüttelt werdet. Denn der Sinn solcher Menschen pflegt beim Anblicke von Zeichen sich zu fürchten und zur Stunde zu glauben. Ihr glaubt meinen Geboten nicht, weil ihr sie nicht befolgt; ihr glaubt meinen Verheißungen nicht, weil ihr zu nachlässig seid, nach ihnen zu forschen. Zeichen und Wunder sind euch nötig, um durch sie zum Glauben, der in Liebe tätig ist, geführt zu werden. Der Königsbeamte in seiner Macht verkürzt, sagt zu ihm: Herr, komm herab, das heißt lass die Wohltat deiner Heimsuchung oder deines Leidens zu mir in Gnaden herabkommen, bevor mein Denken gänzlich stirbt durch vollendete Einwilligung in die Sünde.

Jesus sagt zu ihm: Geh, das heißt, wirke in Verbindung mit meiner Gnade, indem du mit meiner Hilfe Fortschritte in guten Werken machst; und so der Sohn deines Herzens den Fortschritt in der Gerechtigkeit lebt. Der Mann glaubte, das heißt die Vernunft ward folgsam dem Worte, das Jesus zu ihm sagte, und ging, indem er sich auf dem Wege der Gerechtigkeit fortbewegte. Während er nun aber hinabging, das heißt sich in Buße demütigte und züchtigte, und von der Höhe der Betrachtung zu sich selbst zurückkehrte, kamen ihm seine Diener entgegen, das heißt, traten die Glieder seines Leibes in seinen Dienst zum Guten, gemäß jenem Ausspruch des Apostels: Sowie ihr eure Glieder hingabt in den Dienst der Unreinheit und der Bosheit zur Bosheit; so gebt jetzt eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligung (Röm. 6, 13). Diesem ihrem Gehorsame zufolge verkündigten sie ihm, sein innerer Sohn lebe. Denn das Fleisch wird zum Dienste im Guten nicht bereit sein können, wenn sein innerer Herr nicht mit gutem Willen lebt. Oder sind die Diener die leiblichen Sinne, die im Dienste der Vernunft stehen müssen, und diese kamen ihm entgegen, indem sie sich dienstbereit anbieten. Und mag man unter diesen Dienern die leiblichen Glieder oder die leiblichen Sinne verstehen, so müssen sie dem Königsbeamten das Leben seines Sohnes ankündigen, damit er unzweifelhaft von dessen Leben Gewissheit bekommt; denn die Vernunft kann vom Leben ihres Gedankens keine ganz sichere Erkenntnis haben, wenn nicht gute Werke ihr das sichere Zeichen von seinem Leben geben. Denn Niemand soll sich glauben, was auch die Seele ihm über das Leben seines Gedankens ohne das Zeugnis eines Werkes vorbringt. Denn wenn der Gedanke innerlich wahrhaft lebt, so richten sich die äußeren Bewegungen alsbald zum Tun ein. Er fragte also, das heißt er forschte genau nach der Stunde bei ihnen, in der es besser mit ihm geworden sei. Denn darauf konnten die durch die Körperglieder an den Tag gelegten Werke Antwort geben.

Und sie sagten, das heißt sie waren die Ursache zur Verständigung, zu ihm: gestern, das heißt bei der Erinnerung an vergangene Sünden, in der siebenten Stunde, d. h. bei der Eingebung des siebenfachen Geistes, verließ ihn das Fieber, das heißt die Gewohnheitsschwäche mit ihrer Hitze und ihrem Zittern. Oder: Gestern, das heißt, während er vor Gott im Gebete war, verließ das Fieber seinen Gedanken. Es war nämlich Tag für ihn, während er in Betrachtung und Gebet vor Gott stand; aber es war Nacht, als er zu sich selbst zurückkehrte. Als er hierauf seine Werke und Gedanken bei hellem Lichte seines Geistes wachsam betrachtete, ging ihm eine Art strahlenden Tags auf. Jedoch nicht an diesem, sondern am vergangenen Tage, das heißt nicht damals, als er wachsam sich selbst betrachtete, sondern damals, als er betend vor Gott stand, verließ das innere Fieber den Gedanken, gleichsam den Sohn seines Herzens. Und es verließ ihn in der siebenten Stunde, das heißt bei der Erleuchtung der siebenfachen Gnade. Der Vater erkannte also, das heißt auch gemahnt durch die Erfahrung der Leibessinne und der ihm nun zum Guten gehorsamen Glieder nahm der vernünftige Sinn wahr, dass es jene Stunde war, in der Jesus zu ihm sagte: Dein Sohn lebt, das heißt in der er erst seine Hoffnung auf das Heil seines Gedankens aufrichtete. Und es glaubt der vernünftige Sinn selbst, der zuvor unvollständig glaubte, und sein ganzes Haus, das heißt die Gesamtmenge der Gedanken seines Geistes. Auch wir wollen also bei der Erkenntnis dieser Wohltat des Heilands uns, wenn es nötig sein sollte, bemühen, in uns selbst die nämliche Erfahrung zu machen; so dass Jeder, der seinen Gedanken wie einen Sohn unter den Lockungen der Ergötzlichkeiten dahin dahin welken sieht, ihn nicht ganz wie die Tochter des Synagogenvorstehers mittels des Wohlgefallens an den Ergötzlichkeiten und mittels Tuns sterben lässt; sondern dem Heiland entgegengeht, der das Heil der Sünder will, und durch frommes Flehen von ihm sein Leben und Heil erhält, unter Verleihung der Gnade des Heilands, der als Gott mit dem Vater und heiligen Geist lebt und regiert durch alle Ewigkeit. Amen.

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