Anselm von Canterbury - Homilien und Ermahnungen. Elfte Homilie.

Anselm von Canterbury - Homilien und Ermahnungen. Elfte Homilie.

Über das Evangelium nach Lukas: Ein Mann veranstaltete ein großes Abendmahl und lud Viele ein. Und er sandte seinen Diener zur Stunde des Abendmahls, um den Eingeladenen zu sagen, dass sie kämen; weil schon Alles in Bereitschaft sei. Und alle zumal fingen an, sich zu entschuldigen. Der Erste sagte zu ihm u. f. f. (Luk. 14, 16).

Dieser Mensch ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus (1. Tmth. 2,5). Sein großes Abendmahl ist die neue geistige Erkenntnis, die er zuletzt durch sich und durch die Apostel und durch die Erklärer der Schriften uns reichlich in Gnaden verliehen hat, um unsere Seelen mit geistigen Ergötzungen zu speisen. Auch noch ein anderes Gericht fügte er hinzu, indem er unsern Geist durch seine Liebe ergötzlich weidet. Noch ein drittes fügte er hinzu, indem er uns die Anschauung seiner Gottheit unter den Engeln auf immer erteilte. Das ist sein Abendmahl, das er den Seinigen bereitet und zu dem er Viele berufen hat, nämlich die Juden und Heiden des ganzen Erdkreises; aber zuerst die Juden, hierauf die Heiden. Denn dieses Abendmahl ist durch jenes Gast-Mahl bezeichnet, das Assuerus1) im dritten Jahre seines Königtums seinen Vornehmsten und Freunden veranstaltete und hierauf das ganze Volk, das sich bei den Seinigen fand, dazu lud (Esth. 1,3.5). Denn Assuerus ist im geheimnisvollen Sinne Christus, das dritte Jahr ist die dritte Zeit. Denn die erste Zeit war die vor dem Gesetz, die zweite die unter dem Gesetze, die dritte die unter der Gnade. In dieser erteilte der König der Könige sein Gastmahl. Die Vornehmsten und Freunde sind die Apostel und die ersten Gläubigen aus den Juden. Das aus der ganzen Stadt eingeladene Volk ist die von dem ganzen Erdkreise berufene Menge der Heiden, weil die Stadt teils Welt, teils Heidentum bezeichnet.

Dieser Herr sandte also seinen Diener zur Stunde des Abendmahls, den Eingeladenen zu sagen, dass sie kämen, weil schon Alles in Bereitschaft sei. Der Diener ist der Stand der Prediger. Die Stunde des Abendmahls ist das letzte Zeitalter der Welt, von welchem der selige Johannes redet: Kindlein, es ist die letzte Stunde (1. Joh. 2,18). Denn diese Stunde ist der Zeitraum von der Ankunft des Herrn bis auf das Ende der Welt, worin die geistige Erkenntnis geoffenbart worden, und die Gnade des heiligen Geistes sich ergossen hat und die Himmelreiche eröffnet worden sind. Und deshalb heißt es, es sei schon Alles in Bereitschaft. Denn nichts ist im Rückstande, als dass sich Jeder würdig bereite und komme und das Alles genieße. Der Herr aber sandte seinen Diener, die Geladenen zu rufen, damals zum ersten male, als er zu seinen Jüngern sagte: Auf den Weg zu den Heiden gehet nicht und Samariterstädte betretet nicht; sondern geht vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (Mat. 10,5.6). Denn es hatten bereits die Israeliten eingeladen zu diesem Abendmahle sowohl die Patriarchen, als auch Moses und die Propheten. Jene wollten aber weder damals noch jetzt kommen, sondern Alle zugleich fingen an, sich zu entschuldigen.

Der Erste sagte: Ich habe ein Landgut gekauft, und muss hinausgehen und es sehen. Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. Dieser Erste spielt die Rolle der Mächtigen der Welt, welche sich Landgüter und Burgen aneignen, um über die Übrigen ihre Macht auszuüben, um geehrter und reicher als die Übrigen zu sein. Und während diese ihr Innerstes verlassen, gehen sie aus der Seele hinaus zu äußerlichen Sorgen, und lassen sich durch gewisse Bande der Bedürfnisse von der Rückkehr in das Innere abhalten, sondern sie möchten ihre Landgüter und Bestzungen stets sehen, und daran denken und sich dabei ergötzlich aufhalten, und deshalb das Abendmahl Gottes versäumen. Wenn aber Solche die Prediger einmal zu Besserem bereden wollen, so versprechen sie, sie wollen das ihnen Gebotene tun; aber sie schützen Hindernisse vor, halten eine Entschuldigung entgegen, und flehen, sie möchten Gott für sie bitten. Was heißt das aber anders, als sagen: ich bitte dich, halte mich für entschuldigt? Und Solcher gab es viele in Juda zur Zeit, als der Herr dieses redete; die jetzigen Juden aber erwerben Geld, weil sie keine Landgüter erwerben können. Und ein Anderer sagte: Ich habe fünf Paar Ochsen gekauft und gehe, sie zu erproben. Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. Dieser bezeichnet jene aus den Juden, die mehr dem fleischlichen Gesetzeseifer ergeben sind. Denn die fünf Paar Ochsen sind die fünf Bücher des Moses, die mit harter Knechtschaft auf die drücken, die fleischlich unter ihnen stehen. Diese Bücher aber haben die Juden gekauft, weil sie um dieser willen beschnitten worden sind, um dieser willen Zehnten und Erstlinge und Opfer darbringen. Jedoch haben sie sie noch nicht erprobt, weil sie sie noch nicht verstehen. Denn hätten sie sie verstanden, so hätten. sie keine Entschuldigung vorgeschützt, sondern wären bereits zum Abendmahle gekommen. Aber weil sie sie nicht verstehen, suchten sie, indem sie sich stellen, als verehren sie sie, ihre Gerechtigkeit aufzurichten, und unterwarfen sich daher der Gerechtigkeit Gottes nicht (Röm. 10, 3).

Und ein Anderer sagte: Ich habe mich verheiratet, und deshalb kann ich nicht kommen. Mit diesem werden diejenigen bezeichnet, die sich der Üppigkeit und den Lüsten des Fleisches in Allem unterwerfen. Diese suchen sich nicht zu entschuldigen, weil sie dieses Leben allein lieben und daher das andere geringschätzen. Mit diesen dreien aber, die nicht zur Mahlzeit kommen wollten, sind alle die bezeichnet, die zu ihr zu kommen versäumen, und nach dem Vorbilde dieser wollten die Juden zu diesem Abendmahle nicht gehen.

Und der Diener meldete das bei seiner Rückkunft seinem Herrn. Daher (sagt) Isaias: Herr, wer hat dem geglaubt, was wir vernommen haben? (Jes. 53, 1.) Dann ward der Hausvater zornig und sprach zu seinem Diener: Schnell gehe hinaus in die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Bresthafte2) und Blinde und Lahme herbei, hierher. Da die Juden nicht kommen wollten, ward der Herr zornig, denn er ermahnte sie nun nicht mehr durch seine Prediger zur Bekehrung, sondern er ließ sie gänzlich in ihrer Bosheit, indem er den Wolken befahl, auf den unfruchtbaren Weinstock nicht zu regnen (Jes. 5,6), das heißt, indem er den Aposteln gebot, in Judäa nicht mehr zu predigen. Denn es ist ein großer Zorn Gottes, die Sünder nicht zur Buße zu rufen, sondern in ihren Sünden bis zum Ende zu lassen. So zornig ist er über die Juden, die zum Abendmahle nicht kommen und nicht glauben wollten, und warf sein mitleidiges Auge auf die Heiden. Daher sprachen Paulus und Barnabas zu ihnen: Zu euch musste das Wort Gottes zuerst geredet werden, weil ihr es aber zurück stießt und euch das Urteil spracht, dass ihr des ewigen Lebens unwürdig seit, siehe so wenden wir uns an die Heiden (Apstlg. 13,46). Unter der Stadt versteht man aber an dieser Stelle das Heidentum, befestigt durch Mauern von Untersuchungen und Beweisen und weltlichen Mächten. Daher sagt auch der Herr durch den Psalmisten: Wer wird mich in die feste Stadt führen? wer wird mich nach Idumäa führen? (Ps. 59, 11.) Denn wer den Sündern predigt, führt Christum zu den Sündern. Und weil es deren Wenige gibt, deshalb sagt der Herr: Wer wird mich führen? Denn die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind es wenige (Luk. 10,2). Die Stadt aber ist, wie gesagt, das Heidentum; und eben das ist Idumäa, das heißt die irdische. Unter den Straßen und Gassen der Stadt aber wollen wir das Weite und Enge des Heidentums verstehen. Daher sagt er zum Predigerstande: Geh schnell hinaus in die Straßen und Gassen der Stadt, und die Armen und Bresthafte und Blinde und Lahme führe herbei, hier her. Als wollte er sagen: Eilig gehe zu den auswärtigen Nationen, und wen du dort findest, der sich entweder breit macht über die Größe seiner Bestzungen, oder beschränkt ist durch geringes Vermögen, den führe unverweilt zum Leben ein. Denn Arme und Bresthafte und Blinde und Lahme waren die Heiden, weil sie weder den Reichtum des Gesetzes, noch die Stärke der Tugenden, um damit dem Teufel widerstehen zu können, noch das Licht der Erkenntnis oder erleuchtete Herzensaugen hatten, noch geraden Schrittes auf dem Wege der Gerechtigkeit einhergingen. Jedoch zum Gastmahle Christi geladen wurden sie geistig reich und stark, und irren nun innerlich erleuchtet nicht mehr auf dem Wege Gottes, sondern schreiten auf geradem Pfade fort.

Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, wie du befohlen hast, und noch gibt es Platz. Wir riefen, heißt das, nach deinem Befehle Juden und Heiden, und noch ist Platz da, wo man die aufnehmen mag, die kommen wollen. Dieser Platz wird dann voll werden, wann diese Welt ihr Ende erreichen wird. Denn noch werden täglich Diener gesandt, noch kommen Gläubige zum Abendmahle, indem Einige durch die Taufe, Andere durch die Buße herbeieilen.

Denn der Herr sagte zum Diener: Gehe hinaus an die Wege und Zäune, und nötige einzutreten, damit mein Haus voll werde. Denn bereits gibt es keine Wege noch Zäune mehr, noch irgendeinen Platz, sei er offen oder umschlossen, bekannt oder verborgen, wohin nicht Diener Christi zum Aufsuchen gelangt wären. Wer also bei diesem Abendmahle nicht war oder nicht ist, mag es nicht der Nachlässigkeit der Diener, sondern seinem Ungehorsame zuschreiben. Diese dritte Einladung aber geht mehr unsere Zeit an, in der sich die Feindseligkeiten der Welt häufen, und deshalb heißt es dabei: Nötige einzutreten. Denn eine Zeitlang hat uns die Welt von Gott weggezogen, jetzt aber ist sie voll so vieler und großer Übel, dass sie uns nun selbst zu Gott schickt. Daher steht auch von den Wassern der Sündflut geschrieben: Gewaltig schwollen die Wasser und hoben die Arche über die Erde empor (1. Ms. 7,17). Denn was anderes wird durch die Wasser vorgebildet als Trübsale und durch die Arche die Kirche? Bei schwellendem Wasser nun hebt sich die Arche hoch über die Erde, weil die Kirche beim Hereinbrechen von Widerwärtigkeiten sich von irdischen Begierden trennt, oder eine gläubige und dem Himmel ganz nahe Seele wird. Denn es gibt Manche, die in dieser Welt Glück suchen, aber Unglück finden, und zeitliche Herrlichkeit zu erhaschen bemüht sind, und es nicht vermögen; und je mehr Vergnügungen und Reichtümer und Ehren sie begehren, desto mehr Stiche, und Kummer und Verachtung haben sie zu leiden. Diese nun nötigen die Widerwärtigkeiten, zum Abendmahle Gottes zu kommen. Weil aber ihr Geist gerade durch die Widerwärtigkeiten so gefühllos und hart geworden ist, dass er die Übel, die er erduldet, nicht begreift, so vollführt der Prediger, indem er ihnen das Böse der Welt, von dem sie heimgesucht werden, erklärt, und mit einer Art von gewaltigen Gründen und Ermahnungen sie nötigt, die himmlischen Güter zu begehren, den Ausspruch: Nötige einzutreten. Und so wird die Zahl der Erwählten vollzählig, und das himmlische Haus voll. Über die aber, die verächtlich weggeblieben waren, wird noch beigefügt: Ich sage euch, dass keiner der Männer, die geladen worden sind, von meinem Abendmahle kosten wird. Niemand von denen, die geladen worden sind, und nicht kommen wollten, wird vom Mahle der inneren Süßigkeit kosten. Niemand von diesen wird zugleich mit den Heiligen zum Schmause des ewigen Gastmahls eingehen. Daher sagt der Herr ihnen auch durch den Propheten: Siehe meine Diener werden essen und ihr werdet hungern. Siehe, meine Diener werden trinken und ihr werdet dürsten. Siehe, meine Diener werden sich freuen und ihr werdet bestürzt sein. Siehe meine Diener werden loben vor Jauchzen des Herzens, und ihr werdet schreien vor dem Schmerze des Herzens, und heulen vor Zerknirschung des Geistes (Jes. 55,13.14). Aber auch im Evangelium sagt der Herr selbst: Wer zu mir kommt, wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird niemals dürsten (Joh. 6,35). In ähnlichem Sinne heißt es auch im zweiten Buche des Moses: Israel sah Gott, und aß und trank. (2. B. Ms. 24,11).

All' dieses muss und teils schrecken, teils befeuern. Schrecken, damit nicht das Hunger- und Schmerzleiden mit den Verworfenen an uns kommt; befeuern, um es zu verdienen, mit den Auserwählten zu schmausen und uns zu freuen. Denn wer immer bei diesem Gastmahle fehlen wird, wird auf ewig in Hunger und Elend dahin schwinden, wie auch im Mangel an Allem. Und jeder, der dabei sein wird, wird ewig satt werden von der unermesslichen Fülle aller Güter. Denn Speise der Gerechten ist der gegenwärtige Anblick Gottes, der, indem er ohne Unterlass sich sehen lässt, ohne Ende den Geist mit Lebensspeise sättigt. Daher heißt es auch: Die Gerechten mögen schmausen und jauchzen vor dem Angesicht Gottes und in Freude sich ergötzen (Ps. 67,4). Dort werden über die Genossenschaft der Ewigkeit die sich freuen, die nun den Stricken zeitlicher Lust entschlüpft sind. Dort (gibt es) Lobgesangchöre der Engel, dort die Gesellschaft der Himmelsbürger. Dort süße Festfeier für die, die von der traurigen Mühsal dieser Wanderschaft heimkommen. Eilen wir also, bei diesem Gastmahle uns einzufinden, wo wir in Gesellschaft aller Auserwählten unausgesetzt bei Festfreuden jauchzen sollen, was der verleihe, der lebt und regiert, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

1)
Ahasveros, in der Vulgata Assuerus
2)
Die Bezeichnung bresthaft bedeutet gebrechlich, kränklich. Sie wurde vor allem in Süddeutschland und Österreich bis in die 1990er für Behinderte verwendet. Sie bezog sich primär auf Menschen mit einer Körperbehinderung, wurde aber auch für Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Mehrfachbehinderung verwendet.
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