Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Dreizehnte Betrachtung. Über Christus.

Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Dreizehnte Betrachtung. Über Christus.

Ein Wort im Geheimen habe ich mit zu reden, mein Herr, ewiger König, Jesus Christus. Das Gebilde deiner Hand nimmt es sich heraus in kühner Liebe dich anzureden, im Verlangen nach deiner Schönheit, und in der Freude dich zu vernehmen. Du Sehnsucht meines Herzens, wie lange soll ich noch deine Abwesenheit aushalten? Wie lange noch soll ich seufzen, und mein Auge nach dir feucht sein? Liebenswürdiger Herr, wo wohnst du? Wo ist deine Herberge, wo du fröhlich Mahl hältst unter deinen auserlesenen Lieblingen, und sie sättigst mit der Offenbarung deiner Herrlichkeit? Wie glücklich, wie herrlich, wie heilig, wie überaus wünschenswert ist jener Ort gottbeseligenden Vergnügens, der Ort unversieglicher Ergötzungen! Mein Auge erreichte nicht und mein Herz kam nicht nahe der Menge deiner Süßigkeit, die du dort innen deinen Kindern verborgen hast. Schon der Geruch allein von außen hält mich gänzlich aufrecht. Der Hauch deiner Lieblichkeit erreicht mich von ferne und geht mir über Balsamgeruch und angezündeten Weihrauch und Myrrhe, und jede Art von lieblichen Gerüchen. Er erzeugt reine Wünsche in mir, süß ist es, wenn sie angezündet werden, jedoch kaum zu tragen. Denn was habe ich im Himmel? (Ps. 72,25), was ist mein Schatz in jener himmlischen Kammer? was ist mein Erbe im Lande der Lebendigen? Nicht Christus mein Herr, mein einziges Heil, mein ganzes Gut, meine volle Freude? Und wie soll ich, Herr, mein Herz im Zaume halten, dass es dich nicht liebe? Wenn ich dich nicht liebe, was soll ich lieben? Wende ich meine Liebe von dir ab, wo finde ich für sie einen würdigen Platz? Herr alles Verlangens wert, wo sollte mein Verlangen Ruhe finden, wenn nicht in dir? Wohin immer meine Liebe den Fuß außer dir hinsetzen mag, wird sie besudelt werden. Wenn mein Verlangen sich von dir wegwendet, so wird es eitel sein. Bist du nicht liebenswürdiger und wünschenswerter als Alles, was man lieben und wünschen kann? Alles, was ein jedes Geschöpf von Schönheit und Wert in sich hat, hat es von dir. Und was Wunder, wenn du allein Alles übertriffst? Du hast unter den Gestirnen die Sonne mit vorzüglichem Glanze bekleidet, und du bist heller als die Sonne. Ja was ist die Sonne, was jedes geschaffene Licht im Vergleiche mit dir anders als Finsternis? Du ziertest den Himmel mit den Gestirnen, den obersten Feuerherd mit den Engeln, die Luft mit den Vögeln, das Wasser mit den Fischen, die Länder mit den Kräutern, die Gesträuche mit den Blumen. Aber verglichen mit dir, o Quelle aller Schönheit, Herr Jesus, hat das Alles gar kein Ansehen, noch Schönheit. Dem Honige verliehst du seine Süßigkeit und du bist süßer als Honig. Dem Öle gabst du seine Lieblichkeit, und du bist lieblicher als Öl. Sämtlichem Gewürze schenktest du seinen Wohlgeruch, und dein Geruch, o Jesus, ist lieblicher und angenehmer als alles Gewürz. Das Gold hast du als das kostbarste und schönste Metall mit besonderem Vorzuge erschaffen. Und was ist es mit dem unschätzbaren Herrn verglichen und der unermesslichen Klarheit, in die Engel zu schauen sich sehnen? Jeder kostbare und sehenswerte Stein ist das Werk deiner Hände: Karneol, Topas, Jaspis, Chrysolith, Onyx, Beryl, Amethyst, Saphir, Karfunkel, Smaragd. Und was ist das anders, als ein Halm im Vergleich mit dir, o überaus schöner und liebenswürdiger König? Dein Werk sind die lebendigen und unsterblichen Edelsteine, mit denen du, o weiser Baumeister, zu Anfang der Jahrhunderte deinen Hof über dem Äther schön geziert hast zu Lob und Ruhm des Vaters. Du machst, dass tausendmal Tausende zur Ausführung der Geheimnisse des Vaters beständig in raschem Laufe zwischen Himmel und Erde gehen, wie geschäftige Bienen zwischen den Bienenkörben und Blumen, alles lieblich anordnend; ein gegürtetes Volk, das nichts von Krankheit und ungehorsamem Verzuge weiß. Du machst, dass zehnmal hundert tausendmal Tausende im Heiligtum des himmlischen Tempels dastehen, den hellen und unbeweglichen Blick nur auf das Angesicht deiner Majestät gerichtet und die Harmonie eines unausgesetzten Lobgesangs ertönen lassend, zum Ruhme der dreieinigen und einfachen Gottheit. Du entzündest den Seraph, von dir hat der Cherub sein Licht, von dir die Throne ihr Gericht. Du unser Herr bist ein Feuer, das brennt, ohne Schaden anzurichten, und von der unmittelbaren Nähe deiner Gottheit wird es ganz von Liebe entzündet, und in Flammenglanz ist die heilige Ordnung der Seraphim gekleidet, die wieder den Überfluss ihres lieblichen Brandes auf andere Streiterreihen in deinem Dienste gießt, von deren Fülle auch wir verkosten. Du unser Gott bist das wahre Licht, und die Berge empfangen Licht für dein Volk, indem du die in dir verborgenen Schätze der Weisheit und Wissenschaft in die Augen der Cherubim reichlich aus dir streust, während sie in der Nähe dich schauen und machst, dass sie sich den ihnen untergeordneten auserwählten Lampen deines bewundernswerten Zeltes, um sie zu erleuchten, mitteilen, welche vor deinem Angesicht, Herr, unauslöschlich leuchten. Du König der Könige, und großer und furchtbarer Richter der Richter, sitzt auf erhabenen Thronen, die deine Größe allein über sich haben, lebendige und liebliche Sitze, voll Frieden und in gleicher höchster Ruhe bestehend, durch dich die Wege der Wahrheit unterscheidend, durch dich gerechte Gerichte entscheidend. Herrscher, Herr, dich betet die heilige Erhabenheit der Herrschaften an, die mit besonderer Freigebigkeit die Seele für das Göttliche dehnt, und unter den überaus edlen Heroen deines Hofes durch dich den Vortritt der hohen Herrlichkeit ohne hohen Stolz führt. Eine Zier von Fürstenadel, durch dich, Herr mein Gott, eine erhabene Ordnung von Befehlshaberstellen herrscht ohne neiderregenden Vorzug über das himmlische Kriegsheer, dem sie zur Ausführung der göttlichen Geheimnisse, der empfangenen Anordnung deines innersten Herzens zufolge den Vortritt im süßen Vorsteheramt gewährt. Dir gehört, Herr der Mächte, die Macht derer, die mit Flammenwaffen die Hälse der Höllenfürsten quälen, und dich fürchten sie in jenen, dass sie nicht nach ihrem Belieben das Böse zu unserem Verderben ganz durchzusetzen vermögen. Dir gehört, o Kraft des Vaters, jedes Wunderwerk seliger Kräfte, durch deren Dienst es soweit kommt, dass jedes Jahr hundert dich bewundert und vor deinen Wundern verstummend in die Worte ausbricht: Alles was der Herr wollte, machte er im Himmel und auf der Erde, im Meer und in allen Abgründen (Ps. 134, 6). Dir gehört, o süßer Jesus, die Erhabenheit der Erzengel, in denen deine Güte ein so würdiges Werk verrichtet, indem du es nicht verschmähst, so herrliche Statthalter deines Palastes für die armseligen Angelegenheiten dieser Welt zu bestimmen, um unserer Geringfügigkeit zu Hilfe zu kommen, die wir nur mit Kot in Vergleichung kommen, und ähnlich sind der Asche und dem Staube. Durch sie werden nämlich auf deinen Befehl die höchsten Geschäfte unseres Heils vollzogen und die höchsten Geheimnisse des himmlischen Ratschlusses uns übermacht. Durch sie wird die Gesundheit der Sterblichen zuwege gebracht; durch sie erhalten Königreiche und Mächte der Erde ihren Beistand. Unter ihnen kennen wir hauptsächlich deinen Michael, den edlen Fahnenträger, den Himmelsbürger, der vor dem Schlachtheere des lebendigen Gottes steht, das Schwert im Vorkampfe zückend und mit schrecklicher Stimme: Wer ist wie Gott? über die rufend, die auf der entgegengesetzten Seite stehen. Aber auch jene liebenswürdige Unschuld der glücklichen Engel, ist sie nicht das kostbare Werk deiner Finger, o Weisheit Gottes? Daher schmücktest du sie wie mit einem unzerstörlichen Gewand aus an dem Tag, an dem du sie schufst, zum Werke deines heiligen Dienstes. Sie sind die lebendigen Gestirne des obersten Himmels, die Lilien des innersten Paradieses, die über dem Wasser Siloah gepflanzten Rosen, das stille fließt, unbeweglich versenken sich die Wurzeln ihres Geistes in dich. O Friedensfluss, o Duft des Feldes der Ergötzlichkeiten, O Weisheit, die allein den Himmel umkreist, aus dir leuchten sie, glänzen, schimmern sie mit vieler Weisheit, jungfräulicher Keuschheit, ewiger Liebesglut. Diese blühende Jugend, Herr, entrichtet dir treulich ihre Dienste bei unserer Schwäche, indem sie in dieser Finsternis unsere Schritte wie ein Lehrer führt und leitet, indem sie feindliche Angriffe von uns abtreibt, indem sie die Geheimnisse deines Willens uns verkündigt, indem sie zu göttlichem Gutem die nachlässigen Geister stärkt, indem sie das Rauchwerk unserer Gebete vor deinen goldenen Altar bringt und vor dem milden Vater beständig für uns bittet. So, milder Vater, trägst du manche Sorge für uns, während wir noch in der Ferne wandeln. Und wenn die zehnte Drachme, meist deinem Busen entfallen, Wert hat und jetzt endlich durch deine Bemühungen gefunden worden ist, so ist das, guter Jesus, dein mildes Geschenk. Wenn diese zehnte Saite göttlichen Lobpreises einigen süßen Klang hat, so wirkt das an ihr deine liebliche Berührung, indem du auf dem zehnsaitigen Psalter den Ruhm des Vaters spielst. Spiele, wie du spielst, Herr, singe süßen Gesang dem Vater in schnellen Absätzen mannigfaltigen Dankes. Schlage an jene reinsten neuen Saiten im Himmel, die noch nie einen traurigen Ton von sich gegeben haben. Schlage an jene zehnte Saite, deren oberer Teil wohl freudig tönt, sobald sie zu dir aufgezogen ist, der untere, noch an die Erde gebunden, weiß nur Trauertöne von sich zu geben. Wenn ich sämtliche Werke deiner Kraft, o Eingeborner Gottes, aufmerksamen Geistes betrachte, erschrecke ich vor Staunen, denn du erscheinst gar herrlich auf jede Art in ihnen. Denn sehr groß, schön und gut sind sie, aber im Vergleiche mit dir gelten sie gleichsam für nichts und Leerheit. Himmel und Erde samt ihrer ganzen Zier besteht durch deine Urheberschaft und Regierung, dich den Mächtigen und Furchtbaren, den Weisen und Schönen, den Guten und Liebenswürdigen preist Alles, und wie das Licht die Finsternis, so übertriffst du allein Alles. Und du bist im Himmel wohl aufgehoben, mein Gott, der Lohn deines Knechts, Geber und Gabe des Heils zugleich, das meine Seele von dir erwartet. Und was verlange ich von dir auf der Erde? (Ps. 72,25.) Wofür rolle ich vom Himmel zum Mittelpunkt? Was habe ich Besseres, was Liebenswürdigeres als dich auf Erden kennen gelernt, um mein Herz von dir abzuziehen, um irgend etwas in der Welt ohne dich zu wünschen? Warum liebte, warum begehrte ich in meinem ganzen Leben etwas außer dir, Jesus, mein Gott? Warum verschob ich es, warum setzte ich je aus, mit dir, Jesus, Herzensumgang zu pflegen, dich von ganzem Herzen zu umfassen, und mit deiner Süßigkeit das ganze Innerste meines Geistes zu ergötzen? Wo war ich, wenn ich im Geiste nicht bei dir war? Wohin zerflossen meine Wünsche, wenn sie sich nicht um dich allein bewegten?

Gott meines Lebens, wie ist meine ganze Zeit in Eitelkeit vergeudet, wie unfruchtbar dahingegangen, während du sie mir dazu gegeben hast, dass ich damit deinen Willen tue, und nicht tat ich ihn! Welche Menge von Jahren, wie viele Stunden gingen bei mir verloren, in denen ich ohne Frucht vor dir gelebt habe! Und wie mag ich bestehen? Wie werde ich meine Augen zu deinem Angesichte erheben können bei jener deiner großen Prüfung, wenn auf deinen Befehl alle meine Sünden aufgezählt werden, oder du nach meiner ganzen Zeit und der Frucht von jeder einzelnen fragst? Geduldigster Vater, dass doch das nicht geschehe, sondern meine verlorne Zeit vor dir in Vergessenheit komme; ach! ihrer ist zu viel. Und habe ich einige mit deiner Hilfe treulich zugebracht, deren Zahl, o Herr, nahe beisammen ist, lass es in ewigem Andenken bleiben; lass, liebenswürdiger Vater, wenigstens diesen Rest meiner Zeit fruchtbar und durch deine Gnade geheiligt sein, dass er in den Tagen der Ewigkeit einen Platz und Wert vor dir finde. Erglüht von nun an all meine Wünsche und ergießt euch in den Herrn Jesus; lauft, bisher habt ihr genug gezögert, eilt nach eurem Ziele, sucht, den ihr sucht. Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten (Mrk. 16,6). Er ist in den Himmel aufgestiegen, er ist nicht hier (Ebend.). Er ist nicht mehr wo er war; er ist nicht mehr da, wo er sein edles Haupt nicht niederlegen konnte; er ist nicht mehr da, wo er mitten in Trübsal wanderte, mit Verachtung übergossen; er ist nicht mehr da, wo er vor Pilatus im Gerichte stand; er ist nicht mehr da, wo er verachtet und verspottet vor Herodes stand; er ist nicht mehr da, wo er verspieen, gegeißelt, verwundet, von Blut übergossen, mitten unter Verbrechern hing; er ist nicht mehr da, wo er vom Steine verschlossen lag, und von heidnischen Soldaten bewacht. Wo ist er aber, der größte Liebling des Herrn? er wohnt in Sicherheit und keine Geißel kommt in die Nähe seines Zeltes. Über die Höhe der Himmel, über alle Herrlichkeit der Engel, erhob er sich mit eigener Kraft, auf dem Throne der einzigen Herrlichkeit sitzt er zur Rechten des Vaters, gleich ewig und von gleichem Wesen mit ihm, und gekleidet in göttliches Licht, gekrönt mit Ruhm und Ehre, wie es dem Eingebornen Gottes ziemt, heiter in Freude in der Fülle der Allmacht, Herr im Himmel und auf der Erde. Dort beten ihn alle Engel Gottes an und die ganze Menge der Bürger der himmlischen Sion. In ihm freuen sich einmütig Aller Herzen, an seinem ersehnten Angesichte weiden sich die Augen aller Guten. Die Wünsche aller Heiligen fließen von allen Seiten bei ihm zusammen, ihm jubelt, ihm jauchzt Beifall, ihn erhebt die ganze himmlische Stadt, die in jeder Weise durch seinen Glanz herrliche.

Jauchze und lobpreise, Haus Sion, denn groß in deiner Mitte ist der Heilige Israels (Jes. 12,6). Jauchzt über euren edlen Sohn, ihr berühmten Patriarchen, denn in ihm ist alle eure Erwartung erfüllt, und er ist sehr erhaben, und in ihm, nämlich in eurem Samen, werden alle Völker gesegnet werden; denn so hat es Gottes Wort verheißen. Freut euch in Jesus, dem großen Propheten, ihr wahrhaftigen Prophetenmänner, denn wunderbar und herrlich seht ihr alles erfüllt, was ihr von ihm im heiligen Geiste verkündigt habt, und treu seid ihr durch ihn in allen euren Reden erfunden worden. Freut euch in dem Herrn Jesus, eurem Lehrer, ihr berühmten Vornehmsten des Himmels, selige Apostel, freut euch in ihm, und nochmals sage ich, freut euch mit Christus in vertraulicher Freude. Denn siehe der, den ihr in eurer Mitte hungrig und durstig, müde und dergleichen Schwächen des Fleisches tragen und von Allen verworfen und zu Übeltätern gerechnet saht, wie ist Alles unter seinen Füßen, wie herrlich strahlt er im Lichte in seiner Herrschaft, und nun hat er euch zu Genossen seiner Freude und seines unaussprechlichen Ruhmes, die ihr einst bei ihm in seinen Prüfungen ausgeharrt und an seinen Misshandlungen Teil genommen habt. Betet jetzt seine süße Knie an, die sich vor euch bis zur Erde krümmten, als ihr beim heiligsten Abendmahle saßt. Betet jetzt an jene geheiligte Hände, mit denen der König der Könige den Staub eurer Füße zu waschen und sie zu trocknen sich herabgelassen hat. Freut euch in Jesus, dem Fürsten eures Kriegsdienstes, ihr siegreichen Märtyrer, die ihr ihn, ja ihn meine ich, Jesus, den Sohn Gottes, für den ihr euer Leben in den Tod gegeben habt, besitzt als Lohn eures Kampfes. Freut euch in Jesus, dem höchsten Lehrer der Wahrheit, o ehrwürdige Bekenner und Lehrer, denn der, den ihr einst durch heilige Lehren und gerechte Werke vor den Menschen bekannt habt, bekennt euch jetzt vor seinem Vater und dessen heiligen Engeln. Freut euch im jungfräulichen Jesus und dem Heiligmacher der Jungfrauen, ihr das Paradies bewohnenden Jungfrauen, ihr den Engeln ähnliche, denn siehe, den ihr liebtet, nach dem ihr euch sehntet, den ihr mit heißen Wünschen erflehtet, um dessen Liebe willen ihr irdische Bräutigame und allen weltlichen Schmuck gering geschätzt habt, den seht ihr jetzt als Sohn des höchsten Königs, haltet ihn jetzt fest, ruht jetzt in seinen keuschen Umarmungen, und kein Betrug des Nachstellers kann ihn euch entreißen.

Aber unter allen Himmelsbewohnern sei deine Freude die größte, o Maria, einzige Jungfrau der Jungfrauen, Rose himmlischer Lieblichkeit, glänzendes Gestirn unter den Urlichtern, die vom göttlichen Lichte stammen. In deinem süßesten Sohne Jesus freue du dich allein in höchster Freude, denn den du als Menschen geboren und an der eigenen Brust ernährt hast, den betest du mit den Engeln und allen Himmelsbürgern als lebendigen und wahren Gott an. Freue dich, glückliche Mutter, denn den du am Kreuzholze hängen sahst, den siehst du im Himmel regieren mit großer Herrlichkeit, siehst alle Höhe der Himmlischen, Irdischen, und Unterirdischen vor seiner Majestät sich neigen, und alle Stärke seiner Feinde vernichtet. Die höchsten Freuden hast du, alle Fülle der Heiligen, seliges Jerusalem unsere Mutter, die du droben bist: halte ein Freudenfest, und zwar ohne Aufhören in friedlichem Anblicke deines Jesus, des Urhebers deiner Freiheit.

Auch du, meine Seele, erhebe dich jetzt mit möglichster Anstrengung und mische dich unter die Tausende Vergnügter im Herrn Jesus. Dorthin strebe mit Hilfe des Glaubens und der Hoffnung, dort sei dein Umgang in feuriger Liebe, wo Christus ist sitzend zur Rechten Gottes (Kol. 3,1). Richte das Geistesauge auf das Licht seines Angesichts. Betrachte und küsse mit glückwünschender Andacht die einzelnen Stellen seiner beglückenden Wunden, aus denen jene kostbaren Flüssigkeiten des heiligen Blutes geflossen sind, durch das der Eingeborne Gottes deinen Wert bestimmt und dich zum ewigen Leben geheiligt hat. Jesus, verdammt sei, wer dich nicht liebt. Wer dich nicht liebt, werde mit Bitterkeiten erfüllt. Keusch ist deine Liebe, Herr, und lässt nichts Unreines zu. Nüchtern ist der Geschmack deiner Liebe, und keinen Geist entfremdet sie vom Rechten. Lieblich ist deine Liebe, und nichts Bitteres hat sie, denn auch was die Welt Bitteres hat, versüßt sie; und ihre Süßigkeiten macht sie bitter. In Bedrängnissen lässt sie sich nicht ängstigen, unter Druck nicht erdrücken; unter Mangel geht sie nicht zu Grunde, von Trauer lässt sie sich nicht beengen. Bei Händearbeit gleichmütig, unter Drohungen beruhigt, von Schmeicheleien nicht bestochen, unter Qualen bleibt sie unbesiegt, im Tode behält sie stets das Leben. Wie der Habsüchtige seine Freude einem Schatz hat und eine Mutter ihre Lust an der Liebe ihres einzigen Sohnes hat, so hat eine dich liebende Seele, süßer Jesus, Freude und Ergötzung in deiner Liebe. Süßigkeit des Honigs, Lieblichkeit der Milch, berauschender Weingeschmack, und alle Ergötzlichkeiten vergnügen den Gaumen der dich Kostenden nicht so, wie deine Liebe den Geist derer, die dich lieben. O süßer Jesus, lebendiges, über alle Maßen wünschenswertes Brot, liebliche Traube, zum Trinken bereitetes Öl, sanftes Lamm, tapferer Löwe, schöner Panther, einfaltsvolle Taube, schneller Adler, Morgenstern, ewige Sonne, Engelsbote, Lichtquelle der beständigen Lichter, dich liebe, an dir ergötze sich, dich bewundere jeder gute Gedanke, der zum Lobe Gottes passt, Gott meines Herzens, und Christus Jesus mein Teil, von meinem Herzen weiche sein Geist und von meinem Fleische seine Lüste, damit du lebst in mir, und die lebendige Kohle deiner Liebe in meinem Geiste entbrenne und vollende sich zum vollkommenen Feuer. Deine Gnade pflege und nähre sie in mir, damit sie unausgesetzt auf dem Altare meines Herzens brenne: sie werde heiß in meinem Marke, brenne in der Tiefe meiner Seele, am Tage meiner Vollendung finde sie sich vollendet bei dir. An dem Tage, an welchem du mich dieses sterblichen Kleides beraubt sehen wirst, das ich jetzt mit mir herumtrage, umgebe mich deine Liebe, sei meiner Seele eine Art Ehrenkleid, dass man sie nicht nackt, sondern bekleidet finde, und sie ihre Schwächen vor deinen Augen zu verbergen im Stande sei. Fremd bleibe mir das Feuer, das Feuer, das durch deine Feinde brennen mag, deine heiße Liebe treibe es ferne von mir: sie erhebe sie zu dir, ihrem Schöpfer, und versenke sie bis zur Genüge in dein göttliches Licht. Herr Jesus, Alle, die dich lieben, mögen erfüllt werden von deinen Segnungen. Wer sich dir naht, möge im Himmel aufgeschrieben sein, damit er Frieden habe unter der Decke deiner Flügel (Ps. 62,8) in Ewigkeit. Dir aber, Einziger Gottes, sei mit dem ewigen Vater und dem heiligen Geiste unausgesetztes Lob, unverletzliche Ehre, und festes Reich, das dauert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

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