Albrecht, Ludwig - Einleitung zum Matthäus-Evangelium

Albrecht, Ludwig - Einleitung zum Matthäus-Evangelium

„Das Evangelium „nach Matthäus“ ist nicht ein Bericht der Frohen Botschaft, der nach Mitteilungen des Matthäus von irgendwelchem Unbekannten aufgezeichnet wäre. Dieser Ausdruck besagt vielmehr, daß es sich um die Gestalt der Frohen Botschaft handelt, die uns nach dem eigenen Bericht des Matthäus überliefert worden ist.“

Dieser Matthäus, hebräisch Mattei, d.h. Geschenk Jahwes, sonst auch Levi genannt, ist kein anderer als der Apostel gleichen Namens, der vor seiner Berufung als Zöllner tätig war (Matth. 9,9ff.; Luk. 5,27). Er tritt unter den Zwölfen nicht besonders hervor, und über seine späteren Schicksale ist uns nichts Zuverlässiges bekannt.

Als der christliche Pantänus aus Alexandria um das Jahr 180 n.Chr. den Indern (im südlichen Arabien?) predigte, fand er bei einigen von ihnen nicht nur eine Kenntnis von Christus, sondern auch das Matthäusevangelium in hebräischer Sprache, das der Apostel Bartholomäus, der dort einst gewirkt hatte, den von ihm Bekehrten zurückgelassen haben sollte (Euseb. h.e. V, 10,3).

Daß Matthäus sein Evangelium wirklich in hebräischer Sprache aufgezeichnet hat, dies wird uns auch durch die Kirchenväter des ersten Jahrhunderts so bestimmt und einmütig bezeugt, daß jeder Zweifel schweigen muß.

Eusebius, der im Jahr 340 n.Chr. verstorbene Bischof von Cäsarea, schreibt in seiner Kirchengeschichte: „Als Matthäus, der zunächst den Hebräern (d.h. den Juden in Jerusalem und Palästina) gepredigt hatte, auch zu anderen Völkern gehen wollte, da zeichnete er in seiner Muttersprache das nach ihm benannte Evangelium auf. Dadurch wollte er denen, die er verließ, schriftlich einen Ersatz für den Mangel seiner persönlichen Gegenwart bieten“ (Euseb. h.e. III, 24,6).

Origenes, der berühmte Kirchenlehrer in Alexandria (gestorben 254), berichtet: „Unter den Evangelien ist das nach Matthäus, der vorher ein Zöllner und später ein Apostel Jesu Christi war, zuerst entstanden; und zwar ist es für die Gläubigen aus dem Judentum in hebräischer Sprache herausgegeben worden“ (Euseb. h.e. IV, 25,4).

Der Kirchenvater Irenäus (gestorben um 202) bezeugt: „Matthäus hat bei den Hebräern in ihrer Mundart auch ein Evangelium herausgegeben“ (Euseb. h.e. V, 8,2). Dieses schriftliche Evangelium steht, im Zusammenhang der Stelle bei Irenäus, dem mündlichen gegenüber, das Matthäus den Hebräern ebenfalls in ihrer Muttersprache verkündigt hatte, und es sollte nach dem Zeugnis des Eusebius den Hebräern die mündliche Verkündigung des Matthäus ersetzen, die sie entbehren mußten, als er Palästina verließ, um auch anderen Völkern die Wahrheit des Heils zu bringen.

Die älteste uns erhaltene Nachricht über das hebräische Matthäusevangelium verdanken wir dem Bischof Papias von Hierapolis in Phrygien, der um das Jahr 130 n.Chr. geschrieben hat. Er sagt in seiner „Erklärung von Aussprüchen des Herrn“: „Matthäus hat die Aussprüche (des Herrn) in hebräischer Mundart zusammengestellt; und jeder übersetzte sie, so gut er konnte“ (Euseb. h.e. III, 39,16).

Dies Zeugnis des Papias gründet sich, wie er selbst bemerkt, auf die Mitteilung der Ältesten in Kleinasien, die noch mit den Aposteln verkehrt hatten. An seiner Zuverlässigkeit ist deshalb nicht zu zweifeln. Aber wie sind seine Worte im einzelnen zu verstehen?

Gleich den anderen Zeugen sagt auch Papias ganz bestimmt, Matthäus habe in hebräischer Mundart geschrieben. Diese Mundart ist die aramäische Landessprache Palästinas, in der Jesus selbst das Volk belehrt und mit seinen Jüngern verkehrt hat. Diese aramäische Sprache, die Lukas und Johannes gleichfalls als hebräische bezeichnen (Apg. 21,40; 22,2; Joh. 5,2; 19,13.17; 20,16), gebrauchten auch die Apostel und die anderen Diener des Evangeliums bei ihrer Predigt in Palästina. Wenn daher Matthäus für die Juden dieses Landes schreiben wollte, so ist es ganz selbstverständlich, daß er sich dabei der hebräischen oder aramäischen Sprache bedienen mußte

Während nun aber die anderen Kirchenväter ausdrücklich von einem Evangelium des Matthäus reden, hören wir in der Nachricht des Papias nur von Aussprüchen des Herrn, die Matthäus in hebräischer Sprache zusammengestellt habe. Damit will jedoch Papias keine Schrift bezeichnen, die von dem Matthäusevangelium verschieden wäre. Sondern für ihn sind nur die Aussprüche des Herrn besonders wichtig. Darum hat er sie auch in fünf Büchern erklärt, die aber seit dem 13. Jahrhundert spurlos verschwunden sind, und wovon wir nur das wenige kennen, das Eusebius in seine Kirchengeschichte aufgenommen hat. Wenn man also, wie das noch immer geschieht, von einer hebräischen Spruchsammlung des Matthäus im Unterschied zu dem hebräischen Matthäusevangelium redet, ja wenn man diese Spruchsammlung aus unserem jetzigen Matthäusevangelium sogar zusammenstellen will, so ist das nichts als Wahn und Täuschung.

Papias sagt dann weiter, ein jeder habe die von Matthäus in hebräischer Sprache aufgezeichneten Sprüche des Herrn übersetzt, so gut er konnte. Hier handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Hebräischen in das Griechische, die selbstverständlich nur von solchen gegeben werden konnte, die beider Sprachen mächtig waren. Eine solche Übersetzung machte aber große Schwierigkeiten. Denn es handelte sich darum, die Reden Jesu in eine Sprache zu übertragen, deren Geist von dem der aramäischen ganz verschieden ist. Nun fehlte nicht nur den Heidenchristen die Kenntnis des Hebräischen oder Aramäischen, sondern auch die hellenistischen Judenchristen in Jerusalem und Palästina (Apg. 6,1), deren Muttersprache die griechische war, zeigten sich wohl schwerlich mit dem Aramäischen immer recht vertraut. Für sie mußte daher eine griechische Übersetzung des hebräischen Matthäusevangeliums in erster Linie erwünscht sein. Papias redet nun von mancherlei Übersetzungsversuchen, die wohl teils mündlich, teils schriftlich stattgefunden und mehr oder minder große Abschnitte des Matthäusevangeliums umfaßt haben mögen. Von allen schriftlichen Übersetzungen des hebräischen Matthäusevangeliums ist uns aber nur die eine erhalten geblieben, die wir heute als das griechische Matthäusevangelium im Neuen Testament haben. Gerade diese Übersetzung wird wohl deshalb alle anderen verdrängt haben, weil sie von einer Persönlichkeit stammt, die der Kirche für eine solche Aufgabe ganz besonders befähigt erschien. Wer das gewesen ist, darüber fehlt uns jede zuverlässige Kunde. Schon der Kirchenvater Hieronymus (gestorben 420) hat weder über den Verfasser noch über die Entstehungszeit der griechischen Übersetzung des hebräischen Matthäusevangeliums etwas Sicheres in Erfahrung bringen können

Über den Zeitpunkt der Veröffentlichung des hebräischen Matthäusevangeliums macht nun aber der Kirchenvater Irenäus eine ganz bestimmte Angabe. In der früher erwähnten Stelle sagt er nämlich weiter, Matthäus habe seine hebräische Evangelienschrift herausgegeben, „als Petrus und Paulus in Rom die Heilsbotschaft verkündigten und dort die Kirche gründeten“, d.h. um das Jahr 63 unserer Zeitrechnung. Es ist hier zu beachten, daß Irenäus in diesen Worten nicht von der Abfassung, sondern von der Herausgabe der hebräischen Matthäusschrift redet, wobei wahrscheinlich an eine Veröffentlichung für den gottesdienstlichen Gebrauch zu denken ist. Mag aber auch das hebräische Matthäusevangelium erst um 63 n.Chr. als kirchliche Schrift bei den judenchristlichen Gemeinden Palästinas Aufnahme gefunden haben, so kann es doch schon vorher als Erbauungsschrift für den Privatgebrauch der hebräischen Christen verbreitet gewesen sein. Nun berichtet ja Eusebius, Matthäus habe seine hebräische Evangelienschrift als einen Ersatz für seine mündliche Predigt zum Besten der Gläubigen in Palästina aufgezeichnet, als er im Begriff gewesen sei, seine Heimat zu verlassen, um anderswo zu wirken. Und wann ist dies geschehen? Hier kommt uns die alte, durchaus glaubwürdige Überlieferung zu Hilfe, die Apostel hätten zwölf Jahre nach Jesu Auferstehung die Stadt Jerusalem verlassen (vgl. Harnack: Chronologie, S. 243f.). Dies Ereignis fällt in das Jahr 41 oder 42 n.Chr., wenn Jesus im Jahr 29 oder 30 unserer Zeitrechnung gestorben und auferstanden ist. Hat nun Matthäus mit den anderen Aposteln, vielleicht um einer Verfolgung durch den König Herodes Agrippa zu entgehen (Apg. 12), im Jahr 41 oder 42 für längere Zeit ein Arbeitsgebiet außerhalb Palästinas aufgesucht, so wird sein hebräisches Evangelium wohl schon um jene Zeit entstanden sein. Ich nehme deshalb an, daß Matthäus seine hebräische Evangelienschrift um das Jahr 40 n.Chr. für den Privatgebrauch der Juden Palästinas aufgezeichnet, sie aber erst über 20 Jahre später und zwar vielleicht in erweiterter Gestalt für den gottesdienstlichen Gebrauch der hebräischen Gemeinden öffentlich herausgegeben hat.

Daß das Matthäusevangelium ursprünglich für die Judenchristen Palästinas bestimmt gewesen ist, dafür legen nicht nur die ältesten Kirchenväter Zeugnis ab, sondern auch der ganze Inhalt des Buches beweist es deutlich. Denn Jesus wird darin geschildert als der Erfüller des mosaischen Gesetzes, als der von den Propheten verheißene Messias Israels, als der erwartete König des Gottesreiches, jedoch nicht eines irdischen Reiches, wovon die Juden damals träumten, sondern des Königreiches der Himmel. Außer den zahlreichen Hinweisen auf die Schriften des Alten Bundes in den Reden Jesu hebt Matthäus an 13 Stellen seines Evangeliums ausdrücklich hervor, wie sich prophetische Aussprüche in dem Leben und Wirken Jesu und seines Vorläufers Johannes erfüllt haben. Ja es scheint, als habe Matthäus gerade solche Worte und Werke Jesu berichten wollen, die als Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen anzusehen sind. Daneben weist Matthäus auch an einigen Stellen Verleumdungen der ungläubigen Juden zurück (1,18f.; 28,15). Weil Matthäus sein Evangelium für seine Landsleute geschrieben hat, darum gebraucht er auch aramäische Ausdrücke ohne weitere Erklärung, und alles auf das Judentum Bezügliche setzt er bei seinen Lesern als bekannt voraus.

Das hebräische Matthäusevangelium muß jedoch schon früh verlorengegangen sein. Dies kann uns übrigens nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, daß das Judenchristentum nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. immer mehr zurückgetreten und endlich ganz verschwunden ist. Das sogenannte Hebräerevangelium, das später bei den judenchristlichen Nazaräern Palästinas als einzige christliche Schrift neben den Büchern des Alten Bundes in Gebrauch gewesen ist, kann vielleicht als eine freie Bearbeitung des ursprünglichen hebräischen Matthäusevangeliums angesehen werden. Bekanntschaft mit unserem griechischen Matthäusevangelium verraten schon verschiedene christliche Schriften aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/albrecht/albrecht_ludwig-matthaeus.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain