Ahlfeld, Friedrich - Weckstimmen - IV. Wer da steht, der sehe zu, dass er nicht falle.

Ahlfeld, Friedrich - Weckstimmen - IV. Wer da steht, der sehe zu, dass er nicht falle.

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: I. Brief St. Pauli an die Korinth., Kap. 10, v. 12 u. 13:
Darum, wer sich lässt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, dass er nicht falle. Es hat euch noch keine, denn menschliche Versuchung betreten; aber Gott ist getreu, der euch nicht lässt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinne, dass ihr's könnt ertragen.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Gott der Herr schickt über die Völker und über die Familien und über einzelne Leute schwere Zeiten, damit sie sich von Herzen bekehren zu dem Herrn ihrem Gotte. Er hat nicht Lust an dem Tode des Gottlosen, sondern dass sich derselbe bekehre und lebe. Die Bekehrung aber hat zwei Seiten. Ihr Wahlspruch ist: „Aus der Welt heraus, und in Gott hinein!“ Die falschen Herren sollen wir dran geben und uns dagegen mit ganzer Seele anhängen an den einen lieben treuen Herrn und Gott. Die trüglichen Güter und Freuden sollen wir opfern, und der Herr selbst will unseres Herzens Freude und unser höchstes Gut werden. Die morschen Stützen sollen wir wegwerfen, und uns halten lernen an den einen Stecken und Stab, der nicht wankt noch gleitet noch bricht. Von den löcherichten Brunnen, die kein Wasser halten, sollen wir uns wenden zu dem Brunnen des lebendigen Wassers, welcher ist Christus. Weil wir uns durch die Freundlichkeit des Herrn nicht haben dahinführen lassen; weil wir auf seinen Ruf: „kommt her zu mir, Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,“ so wenig geachtet haben, so treibt er uns mit dem Kreuze und mit dem Stabe Wehe. Wohl dem, der sich treiben lässt! Wohl dem, der da antwortet: „Ja, Herr, ich komme!“ Wo aber Gott seine Hand mit Macht nach den Seelen der Menschen ausstreckt, wo er sein Gnadenwerk gewaltig treibt, da säumt auch der Feind nicht. Er will den Rat Gottes zu Schanden machen. Er will die von Gott gesandte heilsame Trübsal verkehren zum Verderben der Menschen. Was Gott gegeben hat zur Arznei der Seelen, das möchte er den Seelen zu Gift machen. Was ihnen gegeben ist zur stillen Hingabe an die Hand Gottes, zur Demütigung unter seinen gewaltigen Arm, das nutzt er, um sie zum Murren gegen Gott zu verführen. Was in dir Demut und brüderliche Liebe nähren, was die Heimgesuchten desto enger mit einander verbinden soll, damit will er Hass und Zorn schüren. Was den alten Menschen demütigen und stillen sollte, wird ihm zur Nahrung gegeben. Der letzte Betrug wird dann ärger als der erste. - O liebe Christen, nehmt dieser Zeit recht wahr. Über Jerusalem klagte der Herr einst: „Wenn du es wüsstest, so würdest du wohl bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient; aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.“ Sie hatte nicht erkannt die Zeit, darinnen sie heimgesucht war. Was ihr nach des Herrn Rat die Morgendämmerung auf einen schönen Tag werden sollte, das ward ihr durch ihre eigene Schuld die Abenddämmerung auf eine lange finstere Nacht. So, liebe Christen, meint es Gott mit aller unserer jetzigen Trübsal gewiss und wahrhaftig gut mit unsern Seelen. Er reckt seine Hand aus nach seinem untreuen und undankbaren Volke. Er will uns zu sich ziehen mit seinem gewaltigen Arme. Lasst uns seine gnädige Heimsuchung nicht in unser Verderben verkehren. Lasst uns das, womit er uns im Glauben und in einem treuen Christenwandel gründen, kräftigen und vollbereiten will, nicht missbrauchen zu einem desto tieferen Falle. Es ist jetzt recht an der Zeit, dass wir uns zurufen:

Wer da steht, der sehe wohl zu, dass er nicht falle. Wir betrachten mit einander:

  1. die Versuchung, durch die wir zum Falle kommen können;
  2. die einzige Stütze, welche uns in der Anfechtung aufrecht erhält.

Herr, unser Gott, du kennst uns; du weißt, wie schwach wir sind. Da ist keiner, der in allem Wetter der Versuchung fest stünde. Deine treuesten Knechte sind gefallen. Hiob hat seinen Geburtstag verflucht, und Petrus hat seinen Heiland verleugnet. Und was sind wir? In allen trüben Tagen und Stunden klopft der Versucher an unsere Herzen an. Und dazu erheben sich drinnen immer Stimmen, die ihm das Wort reden, die mit ihm gehen, die unter seinem Rate der Trübsal entfliehen wollen. Da ist keiner, dessen Seele nicht hin und herschwankte. Aber wir sind doch deine Kinder, wenn auch deine armen schwachen Kinder. Du bist doch unser Vater, wenn wir auch tausendmal ein unkindliches und undankbares Herz gegen dich gehabt haben. Vater, lieber Vater im Himmel, stärke in dieser schweren Zeit deine Kinder! Mache uns Herz und Auge recht klar, zu erkennen, welches da sei der gute, gnädige und wohlgefällige Gotteswille. Mache das Herz recht fest aus Gnaden, dass es allezeit singen und sagen könne:

Meinen Jesum lass ich nicht.
Weil er sich für mich gegeben,
Also fordert meine Pflicht
Klettenweis an ihm zu kleben.
Er ist meines Lebens Licht:
Meinen Jesum lass ich nicht.

Herr, unser Gott, gib uns Gnade, dass wir dem Versucher das rechte Wort entgegensetzen und den rechten Streich auf sein Haupt tun können: Wie dein lieber Sohn ihm ins Angesicht sagen konnte: „Hebe dich weg von mir Satan, denn es steht geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten, und ihm allein dienen,“ „so gib uns das Schwert auch in die Hand. Lehre uns streiten und siegen aus deiner Fülle und Macht.“ Und zu solchem Siegesmute segne uns auch heute dein teures Wort um Jesu Christi willen. Amen.

Wir betrachten:

1. Die Versuchung, durch welche wir zum Falle kommen können.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Ein Schiff auf dem Meere ist gar vielen Gefahren ausgesetzt. Es kann auf der hohen See vom Sturme zerstört werden; es kann an Klippen, an Eisbergen, auf Sandbänken und Untiefen zerschellen; es kann in Nacht und Nebel mit einem andern Schiffe zusammenstoßen; es kann Feuer in dem Schiffe selbst auskommen, oder Gottes Blitze können es anzünden. Es kann endlich genommen oder zerstört werden durch Feinde und Seeräuber. Aber noch viel mehr Gefahren ist eine Menschenseele, so lange sie noch auf dem wilden Meere der Welt fährt, so lange sie noch nicht in den einen sichern Hafen eingelaufen ist, ausgesetzt. In unserm Texte ist von Versuchung die Rede. Paulus schreibt an die Korinther: „Es hat euch noch keine denn menschliche Versuchung betreten.“ Es gibt also noch andere als menschliche. Ja es gibt auch teuflische Versuchung. Ihr habt dies auch von Jugend auf im Katechismus gelernt. In der sechsten Bitte heißt es: Wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott wolle behüten und erhalten, auf dass uns der Teufel, die Welt und unseres Fleisches Wille nicht betrüge noch verführe in Missglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster; und ob wir damit angefochten würden, dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.“ Ja es gibt in gewissem Sinne auch göttliche Versuchung. Gott versuchte den Abraham, als er ihm seinen einigen Sohn Isaak zum Opfer abforderte. Und so sehen wir denn diese Versuchungen in folgender Reihe an: göttliche, menschliche und teuflische. Bei allen göttlichen Versuchungen ist es gut gemeint. Gott kann nicht anders denn es gut meinen. Seine Versuchungen sind dazu da, dass wir im Glauben fester werden, dass wir unsern Gott je länger je mehr als unser höchstes Gut haben und lieben, und uns auf keinen andern Stab stützen wollen als auf ihn. Gott versucht uns als ein lieber Vater, oder seine Liebe als eine liebe Mutter. Wenn eine Mutter ein Kind hat, so soll dies stehen, gehen und laufen lernen. Da kann es denn nicht fehlen, dass es dabei auch strauchelt und fällt und weint. Aber es fällt nicht, um liegen zu bleiben; es richtet sich selbst wieder auf, oder die Mutter ist gleich zur Hand, um es aufzurichten. So soll auch jeder Christ nach Gottes Rate stehen lernen, stehen im Glauben, stehen in der Liebe Gottes. Auch unser Text redet von diesem Stehen. Er soll gehen lernen, gehen in den Wegen Gottes. Er soll laufen lernen, laufen nach dem Ziele und dem Kleinode, das ihm vorgesteckt ist. Dabei strauchelt und fällt er auch; aber die Liebe Gottes ist auch überall gleich zur Hand, um ihn wieder aufzurichten. Gott versucht uns, indem er dem neuen aus Christo geborenen Menschen immer Mehr zumutet. Wir sollen wachsen an Jesu Christo, der unser Haupt ist. Wir sollen Männer werden nach dem Herzen Gottes. Die Aufgaben werden immer schwerer, und zwar im Glauben, im Tun und im Opfern. Und wenn er uns etwas Neues zumutet und zutrauet, dann will uns dies nach unserer Schwachheit als Versuchung vorkommen, da es doch nur ein väterliches Zutrauen zu dem wachsenden und reifenden Kinde ist. -

Doch hat Gottes Versuchung auch noch eine andere Seite. Er nimmt uns dies und das. Er greift ein in unsere Gesundheit, er legt uns aufs Krankenbett. Er greift ein in unser Vermögen, er macht uns arm. Er greift ein in unsere liebsten Pläne und Hoffnungen und macht sie zunichte. Er greift ein in Familienkreise und ruft das eine oder das andere Glied aus denselben ab. -

Liebe Gemeinde, diese Heimsuchungen Gottes sind die besten und die seligsten. In die weiß sich auch die Seele am Ersten zu finden. Es steht keine Wolke zwischen ihr und ihrem Gotte. O wie manchmal haben wir erlebt, dass Leute, denen ihr Eigentum durch Feuer, Wasser oder Hagel zu Grunde gegangen war, an der Stätte der Trümmer standen und sagten: „Der Herr hat's getan. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“ Wie manchen lieben Kranken haben wir auf seinem Schmerzenslager sagen hören: „Der Herr hat mich krank gemacht, er hat sein Kind aufs Lager gelegt.“ Und ich darf wohl sagen, dass ich im Leben viele Witwen kennen gelernt habe, die über dem Sarge des Gatten klar in den Himmel hinaufschauten, die mitten in ihren Tränen Gotte die Ehre gaben, und in denen der Glaube am Grabe wuchs wie die Lilien am Wasserbache. Das sind Gottes Heimsuchungen. Von ihnen sagen wir am Ersten: „Ich danke dir, Herr, dass du mich gezüchtigt hast, und dass du mich lehrst die Rechte deiner Gerechtigkeit.“ Liebe Christen, hütet euch, dass ihr der Hand Gottes gegenüber nicht murrt und euch gegen ihn nicht verbittert. Wer sich in der Wüste unter seine Hand nicht demütigt, bekommt nie das verheißene Land zu sehen. Und wie willst du, wenn du murrst gegen die Heimsuchungen Gottes, stehen gegen die Versuchungen der Menschen! -

Menschliche Versuchung hatte die Korinther betreten. Worin sie bestanden hat, das ist uns in den Briefen des Apostels nicht klar gesagt. Wahrscheinlich aber waren es Verfolgungen, die sie von Heiden und Juden zu erleiden hatten. Auch waren diese noch nicht einmal schwer. Wenn sie bis aufs Blut verfolgt worden wären, hätte der Apostel dessen in unserem oder im zweiten Briefe gedacht. Dennoch hält er es für nötig, sie zu warnen. Er ruft sie an: „Wer sich lässt dünken, er stehe, der mag wohl zusehen, dass er nicht falle.“ Menschliche Versuchungen sind auch für uns genug da. Sie können aus uns selbst, aus unserem alten verkehrten Herzen, aus unserem Fleisch entspringen. Sie treten aber auch ein, wenn uns Menschen mit ihrer Klugheit, mit klugen Reden weltlicher Weisheit, mit Spott über unsern Glauben irre machen wollen. Sie treten ein, wenn wir um Jesu Christi willen Spott, Hintansetzung und Verfolgung erleiden. Ja sie treten ein, wenn uns Menschen überhaupt Schaden tun an unserm guten Namen, unserer Habe, an Leib und Leben oder an den Unsrigen. Liebe Christen, wie schwer ist es dann, in dem einfältigen, demütigen und festen Christenstande zu bleiben! Wie schwer ist es dann, die Liebe im Herzen lebendig zu erhalten! Da wogt es oft inwendig wie ein ungestümes Meer, da brennt es wie ein wildes Feuer. Da ergehen sich die Gedanken in Ärger oder gar in Racheplänen. Der Himmel wird dunkel, düstere Wolken lagern sich zwischen uns und unserm Gott. Die Seele weiß Nichts mehr von der seligen Gottesruhe, wir können oft nicht mehr beten. Es ist wahr, einen Schlag von Gott, der durch Mark und Bein geht, ertragen wir oft leichter, als einen Schlag von Menschen, der uns nur auf der Oberfläche trifft. Da merken wir recht, wie schwach es steht um die brüderliche Liebe, und wie dieses schöne Wort in unserm Munde oft Nichts ist als ein hohler Klang. Endlich aber weiß die Schrift und die Erfahrung des Christen auch von teuflischen Versuchungen. Der alte Feind unseres Heils hat den Herrn angetastet, wie sollte er uns unangefochten lassen! Der das Haupt zunichte machen wollte, der den Starken fällen wollte, wie sollte er der Glieder, der Schwachen verschonen! Er nützt die Heimsuchungen Gottes und die Versuchungen von Menschen, um uns in Missglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster zu stürzen. Er schürt die Flammen in den Seelen; Habsucht, Zorn, Rachsucht, Wollust, verletzte Eitelkeit brennen oft drinnen wie feurige Pfeile. Der Mensch zieht und zieht an ihnen und kann sie nicht herausziehen. In Notzeiten kommt der Feind mit seinen gottlosen Einschlägen. Da heißt es: „Lüge, trüge, stiehl doch! Es haben's so Viele vor dir getan und sind ohne Strafe hindurchgekommen. Tue du es auch; du bist nicht der Erste und auch nicht der Letzte, der eine falsche Unterschrift, einen falschen Wechsel schreibt und einen falschen Eid schwört. Damit ist dir geholfen.“ Und solcher Gedanke haftet oft in der Seele, wie wenn er mit Klammern festgehalten würde. Im letzten Falle ruft dir der Feind zu: „Mache deinem elenden Leben ein Ende, dann ist alle Not mit einem Male aus.“ Von dem, was dahinter und drüben folgt, schweigt er. Du musst es wissen, dass solche Stimmen nicht von Gott kommen. Der Gott, welcher dir Leib und Seele, Augen und Ohren, Vernunft und alle Glieder gegeben hat; der Gott, der dich nicht verlassen noch versäumen will; der Gott, der dich heben, halten und tragen will, bis du alt und grau wirst, der kann dir solche Gedanken, solche Feuerbrände nicht in die Seele werfen. Es ist der Versucher. Er versteht es auch meisterhaft, dir alle Hoffnung abzuschneiden. Es kommen Zeiten, wo der Mensch an seinem ganzen Glauben irre werden möchte; wo es ihm vorkommt, als ob ihm aller Boden unter den Füßen weggezogen sei. Da fängt er an zu fragen: Ist es denn wahr, dass es einen lebendigen Gott gibt, der sich als mein Vater um mich kümmert? Ist es denn wahr, dass er auch um meinetwillen seinen eingebornen Sohn gegeben hat? Ist denn die ganze Botschaft von diesem Gottessohne, von diesem Versöhner, von diesem Gnadenfürsten, von diesem Pförtner des Himmels wahr? Erhört Gott Gebete, oder rede ich in die Luft? Gibt es einen Himmel und ein ewiges Leben, oder ist mit dem Tode Alles aus?“ Und nicht selten antwortet dann eine Stimme aus der Tiefe: „Das ist Alles Nichts, es ist Alles aus. Geh hin, lebe wie du willst, und stirb wie du kannst.“ Sünde und Verzweiflung schlagen dann ihre schwarzen Flügel um die arme Seele. Dahin hat sie der Feind eben bringen wollen. Liebe Gemeinde, es sind entsetzliche Tage, wenn die Erde bebt, wenn der Boden unter den Füßen wankt, wenn wir nicht mehr fest auf unserm Grunde stehen können, wenn die Häuser über uns zusammenstürzen. Aber noch entsetzlicher sind die Tage, wo der Himmel wankt, wo der ewige Grund über uns weicht; wo wir nicht mehr wissen, wohin wir lebend und sterbend unsern Fuß setzen sollen; wo die ewigen Hütten, in denen wir unsere letzte Zuflucht suchten, zusammenstürzen. Da hast du die arme Menschenseele in ihren Gefahren und Ängsten. Da hast du das arme von allerlei Stürmen umhergeschleuderte Schiff. Wohin nun? Wo ist der Hafen?

II. Wo ist die einzige Stütze, welche uns in allen Anfechtungen aufrecht erhält?

O liebe Christen, es gibt eine Säule, die nimmer bricht; es gibt eine Stütze, die nimmer wankt. „Gott ist getreu, der euch nicht lässt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinne, dass ihr es könnt ertragen.“ Gott ist getreu, wie im Geben, so auch im Hüten und Bewahren. Er hat dir versprochen: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen; sei nur getrost und unverzagt.“ Er sagt dir: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen. Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet.“ Er war dir treu, ehe du warst; seine Gnade ist dir von Ewigkeit her entgegen gegangen. Er ist dir treu gewesen von deinem Geburtstage an bis auf diese Stunde. Dein ganzes Leben ist ein Buch, Seite für Seite voll geschrieben von der Treue Gottes. Und ob du dich auch mit deiner Untreue schwer an ihm versündigt hast, so ist seine Treue doch nicht gewichen. Über deine Nacht ist seine Sonne immer wieder aufgegangen.

„Wenn Alle untreu werden,
So bleibt er doch treu.“

Er ist auch treu in den Versuchungen, welche über dich kommen. Er selbst legt dir nicht Mehr auf, als du tragen kannst. Er legt es dir übrigens nur auf, damit deine Glaubenskraft und deine Treue wachse. Und auch das, was Menschen an dir tun, und was der Teufel, der alte Feind der Seelen, tut, das geschieht unter seinen Augen und unter seiner Zulassung. Er lässt es zu uns zur Strafe, unsern Seelen zur Bewährung und zum Ruhme seines großen Namens. Er zieht aber auch die Grenzen, er spricht: „Bis hierher und nicht weiter!“ Als der Teufel den Hiob in seinem Glücke und Glauben antasten wollte, da zog Gott die scharfe Linie; er sprach zu ihm: „Siehe da, er ist in deiner Hand, doch schone seines Lebens.“ Und nicht allein das tut er. Er steht auch bei dir in der Versuchung. Er steht hinter dir, wie ein alter Kriegsmann hinter seinem Sohne, der den ersten Kampf kämpft. Er stärkt dich mit seinem Worte; er haucht dir von einer Stufe zur andern die Siegeskraft ein. Meine lieben Christen, wenn wir manches saure Stück unseres Lebens ansehen; wenn wir die Anfechtungen, die Tiefen und Abgründe, die Sorgen und Ängste ansehen, die wir durchgemacht haben, dann möchten wir wohl flugs fragen: „Ist es denn wahr, habe ich denn das wirklich durchgestritten und ertragen?“ Und es ist wahr; aber wir haben es nicht durchgekämpft, sondern der Herr in uns. Wenn man die Berge, über die man in seinem Leben hinweg muss, mit ihren Höhen, ihren Abgründen und ihren Dornen auf einmal vor sich liegen sähe, dann möchte man wohl in Missglauben und Verzweiflung fallen und weinend am Fuße derselben liegen bleiben. Es kommt aber eine Stufe nach der andern, eine Schlucht nach der andern. Und der große Gott geht und steigt mit, und hebt an dem armen Menschenkinde, bis es hinüber ist. Wie die Not wächst, lässt er auch die Kraft wachsen. An das Vermögen kann es kommen, der letzte Hauch von Kraft muss unter Umständen angespannt werden; aber über Vermögen lässt er Niemand versuchen. Dursten lässt er Israel in der Wüste; aber ehe es verschmachtet, spaltet er den Felsen und lässt Wasser herausfließen. Das Ende aller Versuchung ist aber der Preis Gottes und die Stärkung der Seele auf ihrem Glaubensgrunde. Durch das Heer der Feinde, durch das rote Meer, durch die Wüste, durch giftige Schlangen, und immer wieder durch neue Feinde hat er Israel nach Kanaan gebracht. Der Einzug in dies Land war nach solchem Wüstenwege um so herrlicher und um so fröhlicher, der Preis Gottes für das geschenkte Land war um so seliger, weil seine Getreuen durch so viel Not und Streit hindurchgemusst hatten. Und so soll es bei uns auch sein. Es soll nicht allein ein Ende gewinnen, dass wir es ertragen können; wir werden am Ende auch preisen und jubeln über die hohe Hand, die uns hindurch geführt hat.

Wie wird's sein? wie wird's sein?
Wenn ich zieh in Salem ein,
In die Stadt der goldnen Gasen?
Herr, mein Gott, ich kann's nicht fassen,
Was das wird für Wonne sein!

Nun vergiss aber nicht: wenn der heilige Gott, der deiner nicht bedarf, der sich deiner annimmt aus unergründlicher Barmherzigkeit, getreu ist, wie viel mehr sollst du getreu sein! Schöpfung und Erlösung, Schwachheit und Bedürftigkeit, Dankbarkeit und Hoffnung, Alles treibt dich hin zur Treue gegen ihn. Und gerade die Versuchung treibt recht. Da sollst du dich recht fest anlehnen an deine Säule. Da sollst du lesen und leben in dem Worte Gottes. Wie dein Herr und Heiland den Versucher mit dem Worte, mit dieser himmlischen Waffe überwindet, so sollst du es auch tun. Da wirst du erfahren, dass der Feind vor diesem Worte anders flieht als vor Menschenworten. Gottes Wort ist und bleibt kräftig und schärfer denn kein zweischneidig Schwert. Dazu sind Anfechtungszeiten Betzeiten. In der Not schreit das Kind nach seiner Mutter, in der Not hat David die schönsten Psalmen gedichtet, in der Not klammert sich das Herz an Gott an. In der Not ruft Jakob: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ O kehre fleißig ein in der festen Stadt, in der lieben Herberge, wo wir ausruhen von der Mühe des Lebens, und wo wir bei jeder Einkehr auch gleich die Hoffnung der ewigen Ruhe haben. Und wenn du betest, so bete nicht allein dein Vaterunser, so schütte nicht allein dein Herz und deine Wünsche vor deinem Gotte aus. Bete auch fleißig deinen Glauben. Er ist recht eigentlich dein Stecken und Stab, deine Rechtsurkunde vor Gott; er ist der Trauschein deiner Seele mit deinem Heilande; er ist der Grund und das Gefäß, in welches dir die andern Güter geschenkt werden sollen. O liebe Gemeinde, nehmt ihn mit in die tägliche Gebetsordnung, und ihr werdet bald erfahren, wie ihr im Glauben wachst.

Zu deiner Treue gehört dann endlich auch die Treue im Kampfe. Hüte dich vor Sicherheit. Wer sich lässt dünken, dass er stehe, der sehe wohl zu, dass er nicht falle. In dem Buch des Propheten Sacharja sagt ein Engel von dem Hohenpriester Josua: „Ist dieser nicht ein Brand, der aus dem Feuer errettet ist?“ Es ist ein Unterschied zwischen frischem grünen Holze und Bränden, die aus dem Feuer gerettet sind. Frisches grünes Holz fängt schwer Feuer; in einem aus dem Feuer geretteten Brande dagegen zündet jeder Funke, und es glimmt dann weiter. Und was sind wir Alle? Jeder, der sein Herz kennt, Jeder, den der heilige Geist mit seinen Mühen und Gnaden auf den rechten Weg gebracht und dem Verderben entrissen hat, wird bekennen: „Ich bin ein Brand, der aus dem Feuer errettet ist,“ aus dem Feuer der Sünde, der Schuld und des Verderbens. Darum siehe dich vor! Geh nicht hin, wo die Funken fliegen, die dein Herz so leicht wieder entzünden können. Hat Abraham gewankt, ist David gefallen, hat Hiob gestrauchelt, hat Petrus den Herrn verleugnet, ist Judas verloren gegangen: was sind wir, dass wir uns sicher wähnen sollten? Darum wache und bete, dass du nicht in Anfechtung fällst. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Herr, lass uns stehen und siegen in deiner Stärke. Amen.

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