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Ahlfeld, Friedrich - Weckstimmen - II. Drei Bilder aus der Geschichte des Menschen.
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.
Text: Evang. St. Lukas, Kap. 16, V. 19-31:
Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären, und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde, und leckten ihm seine Schwären. Es begab sich aber, dass der Arme starb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hub er seine Augen auf, und sah Abraham von ferne, und Lazarum in seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein, und sende Lazarum, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und über das Alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, dass die da wollten von hinnen hinab fahren zu euch, könnten nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüber fahren. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mosen und die Propheten; lass sie dieselbigen hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Toten aufstünde.
In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Es wohnt ein Mann in einem engen, lieblichen Tale. Seinem Hause gegenüber steht ein Berg, über den er nicht weg sehen kann; vor dem Hause fließt ein Bach, den er schon nach der ersten Krümmung oder hinter der nächsten Bergecke nicht weiter mit den Augen verfolgen kann. Was jenseit des Berges ist, das weiß er nicht und darum kümmert er sich nicht; was weiter unten im Tale ist, darnach fragt er nicht; sein Haus mit der grünen Aue rings herum ist seine Welt. Er führt ein enges abgeschlossenes Leben. Aber ganz anders wird es, wenn er einmal auf die Höhe, recht auf die Höhe steigt und nun ausschaut über Land und Städte, wenn er seinem Bache oder Flusse vielleicht nachschaut bis an das blaue Meer, wo sein Rennen und Laufen aufhört, wo er Ruhe findet. Von dieser Stunde an bekommt sein Tal eine andere Bedeutung, es wird ihm der Ausgangspunkt zum großen Ganzen, er richtet sich anders in demselben ein und seine Sehnsucht geht hinaus über die Berge. Du Menschenkind, du selbst bist dieser Wohner in dem engen Tale. Der Berg dir gegenüber ist schon die nächste Nacht, und die erste Krümmung im Tale unterwärts der morgende Tag. Du kannst hinleben ohne zu fragen, was hinter dem Berge sei; ohne zu fragen, wo der Bach deines Lebens hinströme. Du kannst dich mit dem ärmsten und engsten Gesichtskreise begnügen. Du kannst stehen bleiben in den Fragen: „Was werde ich essen? was werde ich trinken? womit werde ich mich kleiden? womit werde ich mich vergnügen?“ Dabei sollst du aber nicht stehen bleiben. Du sollst, du musst hinauf auf die Höhe. Dazu hat Gott den lieben Sonntag eingesetzt, dass er dich oben auf den Bergesgipfel stelle, und du von da aus Zeit und Ewigkeit übersehen lernest. Ia du sollst hinausblicken bis in das blaue Meer, in welches einst alle deine Tage ausmünden. Dazu hat er sein ganzes liebes Wort gegeben. Es kommt aus der Höhe, es hebt in die Höhe, es stellt auf die Höhe. Und das tut, wieder ein Abschnitt vor dem andern. Ihr, die ihr die ganze verflossene Woche in dem engen Gesichtskreise eures Berufes oder der Weltfreude gelebt habt, die ihr nur das Bild des laufenden Lebens vor euch gehabt habt: in unserm Texte stellt euch euer Gott auf eine helle Bergesspitze, von welcher ihr Leben, Tod und Ewigkeit klar überschauen könnt. Es gibt in den schmalsten Teilen von Mittelamerika einige hohe Stellen, von denen man das diesseitige und jenseitige Meer sehen kann. Unser Text ist noch höher, man kann von ihm aus die Zeit und die Ewigkeit übersehen. Der Herr, unser Gott, gebe uns klare Augen und hellen Himmel; er bewahre uns, dass keine Wolken aufsteigen und den Blick in das eine oder andere Gebiet trüben. Wir betrachten in unserer weitern Andacht:
Drei Bilder aus der Geschichte des Menschen.
- Eins aus dem Leben,
- Eins aus dem Sterben,
- Eins aus der Ewigkeit.
Herr Jesu, bilde du dich selbst in unser Herz. Herr, tue es bei Zeiten, damit wir ein Leben das wahre Leben haben. Herr, errette uns von dem Betruge des eigenen Herzens und der Welt.
Was sind dieses Lebens Güter?
Eine Hand voller Sand,
Kummer der Gemüter.
Dort, dort sind die edlen Gaben,
Da mein Hirt Christus wird
Mich ohn' Ende laben.
Lass uns nicht den Schatten für das Wesen, nicht die Schale für den Kern nehmen. Alle Herrlichkeit der Welt ist wie des Grases Blume. Wenn der Wind darüber geht, ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Ob wir im Glücke leben, ob wir in Trübsal darnieder liegen, ja mit Lazarus vor des Reichen Tür liegen, lass uns nur dich haben. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde; und ob mir gleich Leib und Seele verschmachten, bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. Herr, wenn wir dich haben, ist das Bild unseres Lebens auch in der Ewigkeit ein Gnaden- und Freudenbild. Das schenke uns, dazu hilf uns auch heute durch dein teures Wort. Amen.
I. Ein Bild aus dem Leben,
und zwar ein Bild mit Licht und Schatten. Aber wir müssen zuvor fragen, wo denn eigentlich das Licht, und wo der Schatten war. Es war ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären, und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen. Doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären. Da habt ihr das erste Bild, das Bild aus dem Leben, vor euch. Wir sehen vor uns einen Reichen und einen Armen. Der Eine hat sein Haus, seine schönen Zimmer, seine Polster; dem Andern ist der Himmel sein Dach, die Erde sein Bett und sein Pfühl. Der Eine ist gekleidet in Purpur und köstliche Leinwand, der Andere in Lumpen gehüllt. Der Eine ist gesund wie ein Fisch; der Andere liegt da mit Schwären bedeckt. Der Eine lebt alle Tage herrlich und in Freuden, feiert alle Tage Festtage, in seinem Kalender sind alle Tage rot angestrichen; der Andere weiß in diesem Sinne von keinem Festtage mehr. Der Eine hat viel Freunde, die an seinem Freudenleben gern Teil nehmen; der Andere hat keinen menschlichen Freund mehr; doch kommen die Hunde und Lecken ihm seine Schwären. Das sind die äußern Umrisse des Bildes, sie fallen uns zunächst in die Augen. Hier ist keine Frage, wo das Licht, und wo der Schatten sei. Hier ist kein Zweifel, mit wem du teilen möchtest. Du sagt: „Ja ich möchte lieber mit dem Reichen drinnen sitzen, als mit Lazarus draußen liegen.“ Doch gehen wir tiefer hinein, geliebte Gemeinde. Der reiche Mann ist von der Art wie wir jetzt tausend reiche Leute haben. Er ist nicht gezeichnet als ein grober Übertreter; er ist kein Mörder, kein Totschläger, kein Dieb. Es steht nicht da, dass er sein Geld auf Wucher ausgeliehen habe, oder dass Witwen und Waisen über ihn Ach und Wehe geschrien hätten. Es steht nicht da, dass sein Herz hart wie Stein gewesen, und dass aus seinem Hause keinem Armen eine Erquickung zugeflossen sei. Es ist möglich, dass auch dem Lazarus, der sich zu sättigen suchte von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen, sein Wunsch erfüllt worden ist. Der Reiche ist ein rechtschaffener Mann und vielleicht nach dem Urteil seiner Stadt ein Ehrenmann gewesen. Aber es fehlte doch Etwas, es fehlte das Beste. Was hilft alles Gut, wenn der Herr nicht unser teuerstes Gut ist? Was hilft das Haus, wenn er nicht mit drinnen wohnt? Was hilft Decke und Dach, wenn ich nicht gläubig unter dem Schirme des Höchsten sitze? Was hilft der gute Tisch, wenn sich mein inwendiger Mensch nicht speist mit dem Brote des Lebens? Was nützt das schöne Kleid, wenn der inwendige Mensch nicht angetan ist mit dem Rocke der Gerechtigkeit? Was nützen denn die Freunde, wenn der fehlt, an dessen Freundschaft Alles liegt, an dessen Herzen wir ewig ruhen müssen. Der reiche Mann war ein Lebemann im vollsten Sinne des Wortes. Alles war in seinem Hause, nur der nicht, der das wahrhaftige Leben ist. Jesaias (5, V. 12) zeichnet sein Haus mit den kurzen Worten: Sie haben Harfen, Psalter, Pfeifen, Pauken und Wein in ihrem Wohlleben, und sehen nicht auf das Werk des Herrn, und schauen nicht auf das Geschäfte seiner Hände.“ Menschennamen wurden an dem Tische mit Ehren genannt, aber vom Namen Gottes wurde geschwiegen. Lieder wurden genug gesungen, aber keins nach der Melodie: „Lobe den Herrn meine Seele, und Alles, was in mir ist seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht was er dir Gutes getan hat.“ Fast möchte man glauben, der Reiche war ein Mensch, der sich, um sich keine Last aufzubürden, um recht ungestört seinem Luxus und seiner Lust nachleben zu können, nie verheiratet hatte. In der Hölle und in der Qual gedenkt er zwar der fünf Brüder, die er in seines Vaters Hause zurückgelassen hatte, aber von Weib und Kind steht keine Silbe da. Dass bei aller Freude und Herrlichkeit in solchem Hause der tiefere Friede, der Friede Gottes nicht wohnen kann, brauche ich keinem Christen zu sagen. - Gehen wir heraus aus dem Hause, Es ist uns drinnen doch nicht wohl! Vor der Tür liegt Lazarus. Sein Name bedeutet Gotthelf. Seine Armut und sein Elend haben wir schon gesehen. Schauen wir tiefer. Er ist ein Mann, wie es wenige gibt unter den Armen. Er ist keiner von jenen arbeitsscheuen Armen, die da meinen: „Wenn ich auch Nichts tue, ernährt muss ich doch werden!“ Er liegt da in seiner Krankheit, in seinen Schwären. Er ist keiner von jenen Armen, die Gottes Ordnung umstoßen und teilen wollen; er begehret sich nur zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fallen. Er ist keiner von den trotzigen Armen, die, wo ihnen nicht nach Wunsch gegeben wird, Scheltworte und Verwünschungen auf den Lippen haben. Still liegt er da in seinem Elend. Bitte, Geduld und Hoffnung sind die Hände, mit denen er an die Tür des Reichen klopft. Doch sieht er mit seinen Augen noch höher hinauf als nach dem Hause des Reichen. Er hebet seine Augen auf zu den Bergen, von welchen die Hilfe kommt. Doch klopft er mit seinen Gebeten noch anderswo an. Er kennt das Wort: „Klopft an, so wird euch aufgetan“. Er liegt da auf seinem Pflaster oder Erdboden als ein liebes Kind Gottes. Und der Herr, der um unsertwillen der Allerverachtetste und Unwerteste geworden ist, voller Schmerzen und Krankheit, der liegt neben ihm. - Teure Gemeinde, es können zwei ganz verschiedene Bilder neben einander hängen: ein prächtiges mit schönem Rahmen, glänzenden Farben und stolzen Figuren, und daneben ein anderes dunkles, von Staub und Rauch geschwärztes. Da lockt jenes allerdings zuerst an. Aber man ist mit ihm bald fertig. Das Auge des rechten Meisters und Kenners bleibt an dem andern hangen. Er dringt hindurch durch das unscheinbare Äußere. Die Wahrheit und tiefe Kunst des armen Bildes wird ihm immer klarer. Er kann nicht los von demselben. Das erste wird ihm das letzte, und das letzte das erste. So auch hier. Liebe Christen, wir wollen lieber bei dem armen Lazarus mit Christo draußen liegen, als mit dem reichen Manne ohne Christum drinnen wohnen. Dieser Wunsch wird noch mächtiger werden, wenn wir das zweite Bild:
II. das aus dem Sterben
vor uns aufgerollt sehen. Es begab sich aber, dass der Arme starb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch, und ward begraben. Meine liebe Gemeinde, es geht in der Welt bei Nichts verschiedener her als beim Sterben. Da steht: „Der Arme starb“, und dann: „Der Reiche starb auch“. Das sind dieselben Worte, aber ein ganz verschiedenes Los. Dass der Arme eher starb, nimmt uns nicht Wunder; er war schon krank, ihm fehlte es an Allem. Dagegen konnte der Reiche Leben und Gesundheit mit aller Vorsicht und mit allen Mitteln pflegen und pflegen lassen. Der Arme starb gern. Er hatte hier schon in der Gemeinschaft mit dem Herrn gelebt, der Herr war hier bei ihm gewesen. Der Himmel hatte ihn mitten in seinem Elend mit seinem Frieden gegrüßt. Und dazu kam sein Elend. Er konnte sagen: Ich sterbe nicht, mein Elend stirbt nur.“ Er konnte sagen:
Der Tod mag Andern düster scheinen,
Mir nicht, weil Seele, Herz und Mut
In dir, der du verlässt Keinen,
O allerliebstes Leben, ruht.
Wen kann des Weges End' erschrecken,
Wenn er aus mördervollen Hecken
Gelanget in die Sicherheit?
Mein Licht, so will ich auch mit Freuden
Aus dieser finstern Wildnis scheiden
Zu deiner Ruh der Ewigkeit.“
Und der Reiche? Er starb auch, er musste aus seinem Himmel heraus. Alle Lebenslust, alle Kunst der Ärzte konnte ihm den Lebensfaden nicht länger spinnen. Aber er starb nicht wie Einer, der aus der Wüste nach Kanaan, sondern wie Einer, der aus Kanaan in die Wüste geht. Wie sollte er vor den Thron Gottes treten, da Gott nicht in ihm war? Wie konnte er vor dem Fürsten des Lebens stehen, da er das Leben aus Gott in sich nicht hatte aufkommen lassen? O es ist ein Unterschied, wenn Einer sagen kann: „Kinder, seid stille, weint nicht, ich gehe heim zu meinem Vater, mein Heiland winkt mir, er schließt mir die goldne Pforte auf. Betet, dass ich den letzten Kampf tapfer durchkämpfe im Glauben“, und wenn ein Anderer spricht: „Was wollte ich darum geben, wenn ich mir nur noch ein Jahr erkaufen könnte, oder nur noch vierundzwanzig Stunden!“ - Er wird dann abgerissen wie ein zäher grüner Zweig von seinem Baume. Wer so stirbt, der stirbt nicht wohl. Und noch einmal, welcher Unterschied ist in der Bestattung! Gewiss ist der reiche Mann mit allen Ehren begraben worden. Wir wollen es nicht ausmalen, wie sein Reichtum gleich der untergehenden matten Abendsonne noch einmal seinen Sarg und sein Grab beschien, wie die Freunde ihm die letzte Ehre gaben, wie sein Lob am Grabe geredet und gesungen wurde. Wir wollen es auch nicht ausmalen, wie der Arme auf dem Gottesacker doch auch seinen Platz fand. Ob er einen schönen oder schlechten Sarg hatte, ob ihn noch ein Bekannter oder die Armenkasse bezahlte, ob ihm Einer oder Keiner folgte, ob an seinem Grabe ein Lied von den Siegen Gottes in den Hütten der Gerechten gesungen wurde: das Alles grämte ihn nicht. Es gibt ja hinter oder vielmehr vor jedem Begräbnis noch einen andern Akt. Der Mensch besteht aus Leib und Seele. Wir können nur den Leib an seinen Ort bringen, die Seele ist schon an ihren Ort gegangen. Wenn Einer die Schrecken malen könnte, mit welchen manche in der Welt reiche, aber in Gott arme Seele den Plass ihrer Herrlichkeit verlässt und hinauf muss vor Gottes Angesicht und Gericht, wie würde ihr Gang und ihr Angesicht von der herrlichen Bestattung abstechen. Und umgekehrt, wenn Einer die Freude und Seligkeit malen könnte, mit welcher eine andere Seele ihrem Bräutigam zueilt, so würden wir oft sehen, dass sie, während der Leib als ein armer Bettler begraben wird, als eine Königsbraut an das Herz ihres Heilandes fliegt. Sie wird getragen von den Engeln in Abrahams Schoß.
Im Augenblick wird sie erheben sich
Bis an das Firmament,
Wenn sie verlässt so sanft, so wunderlich
Die Stätt' der Element,
Fährt auf Eliä Wagen
Mit engelischer Schar,
Die sie in Händen tragen,
Umgeben ganz und gar.
O liebe Christen, das herrlichste Grabgeleite ist doch nur wie eine Schar zerlumpter Bettler gegen die Engel Gottes, welche die Seele des Lazarus heim geleiteten. Die schönste Grabrede und Grabschrift ist Wind und Staub und Phrase und Floskel gegen das eine Wort Gottes: „Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude.“ Wenn das droben gesagt wird, dann mögen sie bei unserer Bestattung hier auf Erden sprechen, was sie wollen. An dieser Rede Gottes hängt Alles. Der reiche Mann hatte eine schöne Rede am offenen Grabe, der arme Lazarus eine am offenen Himmel. Das ist das zweite Bild. Das letzte nehmen wir:
III. aus der Ewigkeit.
Liebe Gemeinde, es gibt ein altes von einem Spanier geschriebenes Schauspiel: „Das Leben ein Traum“. Es steckt in dieser Arbeit ein tiefer Sinn. Es ist wahr, das Leben ist ein Traum. Es ist im Verhältnis zur Ewigkeit so kurz wie ein Traum. Seine Freuden und Leiden sind so trüglich und flüchtig wie Traumbilder. Sie werden eben so schnell verwischt, und andere treten an ihre Stelle. Die Todesstunde ist der Augenblick des Erwachens. Dann sind alle diese Bilder weg. Von dem alten Prediger Flattich in Württemberg wollte einst ein hoher Offizier etwas Gewisses über den Zustand nach dem Tode wissen. Flattich fragte ihn: „Glauben Sie, dass Sie nach dem Tode nicht mehr General sein und ihr zeitliches Vermögen nicht mehr besitzen werden?“ Der General antwortete: „Ja, das muss ich wohl glauben; daran zweifle ich nicht im Geringsten.“ „Da wissen Sie denn“, fuhr Flattich fort, „schon etwas ganz Gewisses von dem Zustande nach dem Tode.“ Also der General und der reiche Mann und der hohe Beamtete und der junge Mann in der Fülle und Kraft des Lebens, das sind lauter Traumbilder. Wie sie aber vorübergehen, das fasst Lukas in das eine Wörtlein „nun“ zusammen. Als er nun in der Hölle und in der Qual war. Das „Nun“ zeugt davon, dass es im Nu geschieht. Und dort ist Alles anders. Das einst so helle Bild ist dunkel geworden, die schöne Wasserfarbe ist im Wetter und Gericht Gottes abgefallen. Das dunkle Bild ist hell geworden. Dem reichen Manne sagt sein Vater Abraham: „Du hast dein Gutes empfangen in deinem Leben, nun aber wirst du gepeinigt.“ Vom Lazarus sagt er: „Er hat Böses empfangen, nun wird er getröstet.“ Jener ist am Orte der Qual, dieser am Orte des Trostes. Und das Alles ist fest und unwandelbar, liebe Christen. Das Bild hat Gott gemalt mit ewigen unauslöschlichen Farben. Die zu Gnaden angenommen sind, können nie mehr aus dieser Gnade und Seligkeit herausfallen. Die verstoßen sind, werden nie mehr zu Gnaden angenommen. Ihnen wird kein Evangelium mehr gepredigt. Auch können beide Teile nicht mehr zu einander. Es ist zwischen ihnen eine tiefe Kluft befestigt; nicht eine aus Felsen und Schluchten gebaute Kluft, sondern die Kluft der tiefsten innern Scheidung. Den Einen ist Gott Alles in Allem, den Andern ist er nur ein Richter und Herr. Der Weizen ist vom Unkraute, das Gold von den Schlacken geschieden. Die Gottlosen können die Kinder Gottes nicht mehr plagen und quälen, die Gottseligen können die Verlornen nicht herumbringen, trösten und erquicken. Da ist von keiner Fürbitte für sie mehr die Rede, es ist kein Übergangszustand, es ist kein Fegefeuer; Gott hat gesprochen, und damit ist jedes Menschen Geschichte in Ewigkeit abgeschlossen. Die Erde, und nur die Erde ist die Laufbahn nach dem ewigen Kleinod gewesen. Aber den Verlornen, den reichen Mann, der seine Krone für ein nichtig Freudenleben vertauscht hatte, quält nicht allein die eigene Not. Es ist noch ein Stück von seiner saft- und kraftlosen Gutmütigkeit in seine Qual mit hineingegangen, und auch diese wird ihm zur Qual. Er hat fünf Brüder auf der Erde zurückgelassen. Er ist vielleicht der Älteste von allen gewesen und hat Vaterstelle an ihnen vertreten sollen. Nun geht ihm alles an ihnen Versäumte in der Seele auf. Es drückt ihn, dass er sie mit in seinen Sündenwandel hineingezogen hat. Er fürchtet, dass sie auch kommen an diesen Ort der Qual und durch ihr Elend und ihren Vorwurf seine Marter noch vermehren. Da bittet er, Abraham möge den Lazarus in seines Vaters Haus senden. Als ein Auferstandener sollte er den Brüdern erscheinen und sie verwarnen. Aber der alte Erzvater kennt kein Schwanken mehr. Wie die Erde die einzige Laufbahn ist um das ewige Heil, so sind auch die von Gott geordneten Gnadenmittel die einzigen Mittel zu diesem Heil. Er antwortet: „Sie haben Mosen und die Propheten; lass sie dieselbigen hören. Glauben sie Mosi und den Propheten nicht, so würden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Toten auferstünde“. Und wenn uns einst Alles, was wir an Kindern, Geschwistern, Freunden und an der Gemeinde versäumt haben, ins Gewissen kommt; wenn wir uns anklagen, dass wir Diesen oder Jenen in Unglauben und Sünde und Schande hineingelockt haben: was dann? Es ist dann abgeschlossen, wir können auch Nichts wieder gut machen. Gott sagt uns: „Sie haben Mosen und die Propheten, sie haben Christum und das Evangelium; lass sie dieselbigen hören.“ Sieh, das ist das letzte Bild, das steht fest in Ewigkeit, an dem ändert feine Hand wieder. Aber noch steht es nicht. Noch kann der Arme, der vor des Reichen Tür liegt, abfallen, und die Engel Gottes verlassen ihn schon im Leben und kennen ihn nicht im Tode. O stehe fest, halte fest, du Armer, der du den Herrn lieb gewonnen hast, und dem er mitten in der Armut sein Schatz ist! - Noch kann der Reiche, der bisher nur sich und seiner Lust gelebt hat, umkehren. Er kann dem Herrn sein Haus auftun und ihn anrufen: „Komm herein, du Gesegneter Gottes, ich will dir dienen mit Allem, was ich bin und habe.“ Siehe, dann wird das erste Bild anders, und an dem ersten hangt das zweite, und an dem zweiten das dritte.
Herr Jesu, hilf, dass du bei Jedem von uns, ob wir reich oder arm sind, im ersten in der Mitte stehst, im Tode unser Leben bist, und wir dich dann als die Getrösteten und Erquickten in Ewigkeit umgeben. Ja, Herr, hilf. Amen.