Ahlfeld, Friedrich - Weckstimmen - III. Die Hauptsünde der Christenheit besteht darin, dass sie sich des Evangelii von Jesu Christo schämt.
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.
Text: Brief St. Pauli an die Römer, Kap. 1, V. 16-20:
Ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht Alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich, und auch die Griechen. Sintemal darinnen offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie denn geschrieben steht: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben.“ Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten. Denn dass man weiß, dass Gott sei, ist ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart, damit, dass Gottes unsichtbares Wesen, das ist, seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt; also, dass sie keine Entschuldigung haben.
In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Wo Gott uns Etwas nimmt, da gibt er auch, wenn wir die innere Hand nach seiner Gabe ausstrecken und auftun. Wo Gott schlägt, da heilt er auch eine alte Wunde, wenn wir fühlen, wo er hin will und ihm unsern Schaden bekennen und darlegen. Wo Gott eine äußere Last auflegt, da will er jedenfalls eine innere tiefliegende abnehmen, wenn wir seine Stimme hören und seinen gnädigen Rat verstehen wollen. Genommen hat er uns Manches, geschlagen hat er uns auch, und die Last liegt auch auf uns. Liegt doch ein Druck auf dem ganzen Volke, dem man zum Teil nicht einmal einen rechten Namen geben kann. Wir leben in einer Ungewissheit und Unbestimmtheit, die oft schwerer drückt als klare schwierige Verhältnisse, deren Umrisse man genau sieht. - Nun hat Gott bekanntlich über kein Volk mehr Lasten gebracht als über sein altes Bundesvolk. Wen er am Höchsten begnadigt, den schlägt er in seiner Untreue auch mit den schärfsten Ruten. Israel hat er bald mit Teuerung, bald mit Pestilenz geschlagen, aber am Häufigsten damit, dass er sie hingab in die Hände ihrer Feinde. Fast alle Völker haben zu Zeiten über dies alte Bundesvolk den Stab des Regiments geschwungen: Ägypter und Mohren aus Afrika, Midianiter, Philister, Amoriter und Moabiter aus der nächsten Nachbarschaft Kanaans, Syrer, Assyrer, Babylonier und Perser aus dem östlichen Asien, Makedonier und Römer aus Europa. Sobald nun Gott seine Hand über das Volk ausstreckte, wusste dieses in den meisten Fällen auch bald, wo die kranke Stelle war, wo das Übel steckte, und wo Gott hinwollte. In der Regel hatten sie fremden Göttern gedient. Sie hatten auf allen hohen Bergen und unter allen grünen Bäumen und auf den Dächern ihrer Häuser dem Moloch, dem Baal, der Astarte oder der Königin des Himmels geopfert. Sie waren hingegangen in den Götzendienst und in die andern Gräuel der Heiden. Ja sie hatten wohl die Götzen der Heiden mit in den Tempel gesetzt, in dem der Name des Herrn genannt wurde, in dem er seinen Herd und sein Feuer hatte. Besannen sie sich dann aber selbst, oder ließen sie sich durch die Propheten strafen und weisen über ihre Sünde, so gingen sie in der Regel auch gleich auf den rechten Punkt los, sie schafften die Götzen hinweg, sie kamen mit Trauern, Weinen und Fasten vor den Herrn, bekannten ihre Sünde, flehten um seine Gnade und gelobten, ihm hinfort in neuer Treue zu dienen. Dann erbarmte er sich über sie, dann zerbrach er den Stecken ihrer Treiber, dann nahm er ihnen die Last ab und ließ ihnen wieder leuchten das Licht seines Angesichts. Diesen Weg ist Israel oft gegangen, und Gott ist ihn oft mit Israel gegangen. Nur in seiner letzten Verstockung, nachdem es den Herrn der Herrlichkeit an das Holz geschlagen, fragte es nicht mehr nach seiner Sünde, erkannte es sie nicht mehr, sondern verhärtete sich in derselben bis in das Gericht, welches die Stadt zu einem Trümmerhaufen und das Volk zu einer Ruine machte, deren Steine durch die ganze Welt verstreuet sind. Israel also wusste, so lange noch ein Funke von aufrichtiger Buße in dem Volke war, allezeit die kranke Stelle zu finden. Es traf in dem Gerichte über sich selbst, im Sündenbekenntnisse und in der Umkehr stets den rechten. Punkt. - Wie ist es bei uns? Wir haben schon einige Zeit gehabt, uns zu besinnen. Es handelt sich nicht mehr um einige Wochen, es werden schon Monate. Haben wir in unserem Leben, im innern Leben, im häuslichen Leben und im ganzen Volksleben den kranken Punkt schon gefunden? Es ließen sich viele nennen. Wir könnten reden vom Dienste der Welt und ihrer Güter, von Luxus und Genusssucht, von Untreue, Unredlichkeit und Unzuverlässigkeit, von Unzucht und Unkeuschheit, von Verachtung der göttlichen Ordnungen und Autoritäten. Doch wie die Propheten Israel allemal auf die rechte Stelle wiesen, so hat uns Gott auch einen Propheten erweckt, der uns klar auf den rechten Punkt hinweist. Paulus tut es in unserm Texte. Er schreibt den Römern: „Ich schäme mich des Evangelii von Jesu Christo nicht.“ Ob unser Volk, ob das Geschlecht dieser Tage auch wohl sagen kann: „Ich schäme mich des Evangelii von Jesu Christo nicht?“ Kaum ein klein Häuflein dürfte, wenn es die Wahrheit reden will, den Mut dazu haben. Der größere Teil der Christenheit schämt sich seines Heilandes und seines Evangelii. So sprechen wir denn heute das Wort aus:
Die Hauptsünde der Christenheit besteht darin, dass sie sich des Evangelii von Jesu Christo schämt.
Wir sehen:
- Dass diese Sünde mächtig geworden ist;
- Dass sie die schwerste und gefährlichste Sünde ist;
- Dass wir alles Ernstes von ihr ablassen müssen.
Herr, unser Gott, wir haben uns genug zu schämen, wenn wir unsere Herzen und unsern Wandel ansehen. Wenn unser Denken und Tun vor Aller Augen offen daläge, wir dürften kein Auge aufschlagen vor den Menschen. Und wir dürfen keins aufschlagen vor dir. Wie können wir armen Menschen, die wir Sünde getrunken haben wie Wasser, dir, dem heiligen Gotte, ins Angesicht sehen! Wir können es nur, weil du dich unser erbarmt hast, weil du deinen lieben Sohn als Mittler und Versöhner in unser Geschlecht gegeben, weil du eine ewige Erlösung erfunden, weil du uns zu deinen Kindern gemacht hast. Und dieser Botschaft, dieser Gnade wollen wir uns schämen? Die soll nicht passen in die Bildung dieser Zeit? Deiner Gnade wollen wir uns vor armen Menschenkindern schämen, die morgen in Verzweiflung ohne Gott dahingehen? Herr, unser Gott, gib Gnade, dass wir uns dieser gottlosen Scham schämen und mit Paulo bekennen: „Ich schäme mich des Evangelii von Jesu Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, selig zu machen Alle, die daran glauben“, und auch mich. Amen.
I. Die Sünde, sich des Evangelii von Jesu Christo zu schämen, ist mächtig geworden.
In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Wenn es Paulus so stark hervorhebt, dass er sich des Evangelii von Jesu Christo nicht schämt, dann muss es in jener Zeit Leute gegeben haben, die sich desselben schämten. Dieselben fanden sich unter den Juden und unter den Heiden. Die Predigt von dem gekreuzigten Christus und von der Versöhnung, welche er uns durch sein bitteres Leiden und Sterben erworben hat, war den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit. Den Juden war es ein Gräuel, dass der Mann, welcher als Übeltäter an das Kreuz geschlagen war, ihr Heiland sein sollte. Den sie an das Kreuz gebracht hatten, der sollte ihr Heiland sein! Der den Tod des niedrigsten Verbrechers gestorben war, auf den sollten ihre Väter Jahrtausende gehofft haben! vor dem sollten sie knien, von dem sollten sie nehmen Gnade und Vergebung der Sünden! Bis dahin wollten sie ihre stolzen Herzen nicht demütigen. Sie schrien immer noch: „Hinweg mit diesem!“ Die Heiden aber, namentlich die Griechen und Römer, standen damals auf der Höhe der Zeitbildung. Griechenland, und namentlich die Stadt Athen, war eine Lehrerin aller Völker geworden. In Rom lebten damals die Dichter und Redner, auf welche man heute noch mit Bewunderung hinblickt. Der Stolz der beiden Völker war ungemessen. Das eine brüstete sich seiner Weisheit, das andere noch mehr seiner Taten. Und nun sollte der Heiland aller Welt aus dem verachteten Judenvolke gekommen sein! Der stille schlichte Meister aus Israel sollte seine Stelle hoch über allen Gewaltigen und Weisen dieser Welt einnehmen! Und was er brachte, das war die Religion der Demut, die Alles aus Gnaden empfängt. Ein Demütiger wollte die Demütigen, ein Verachteter die Verachteten selig machen. Von Demut aber hatte das ganze Heidentum keine Ahnung. Die Herrlichkeit und Unsterblichkeit der Heiden bestand obenan im Ruhme und Nachruhme. Wer will sich wundern, wenn die stolzen Geister nicht zu Christo hinwollten, und wenn Paulus im ersten Briefe an die Korinther schreibt: „Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen; sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zu Schanden mache, was stark ist?“ Er hat aber die Weisen und Gewaltigen und Edlen jener Tage nicht erwählt, weil er zuvor versehen, dass ihr Stolz sie nicht würde durch die enge Pforte einziehen lassen. Und wie damals so steht auch jetzt eine gewisse Bildung dem Evangelio entgegen. Um ihrer sogenannten Bildung und um anderer Menschen willen schämen sich jetzt Tausende von Christen des Evangelii von Jesu Christo. Es ist ihnen eine Schmach, rechtgläubige Christen sein zu sollen, eine Schmach, mit unserm Katechismus zu bekennen: „Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöst hat; erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen teuren Blute und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei, und in seinem Reiche unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.“ Und woher kommt diese Scham? Teils aus dem eigenen Hochmute. Sie verstehen die Größe des Herrn in der Demut und Erniedrigung nicht. Ihr eigener Stolz verschließt ihnen die Augen vor seiner Majestät. Dazu kommt ihre Unwissenheit. Sie haben Dies und Das gelesen, aber sich nie die Mühe gegeben, Gottes Wort ernstlich zu lesen. Weil es so gewöhnlich ist, weil es auch in den Händen der ärmsten Leute ist, weil es von Kindheit an mit durch das Leben gegangen ist, soll es keinen Wert haben. Wer ein wenig in allerlei Bücher, besonders in naturwissenschaftliche, hineingeschaut hat, der meint, er sei über diese Gottesoffenbarung hoch erhaben. Knaben von 16 bis 17 Jahren haben oft schon weggeworfen, was ihnen in der Schule und im Konfirmandenunterrichte teuer war. Liebe Christen, wenn dies wunderbare Buch Jahrtausende nicht da gewesen wäre, und die Welt hätte ohne dasselbe eine leidliche Bildung erlangt, und es wäre neu aufgefunden und in unsere Sprache übersetzt: ich sage euch, die Leute würden es kaufen, und wenn sie zehn Taler für ein Exemplar bezahlen sollten. Sie würden es lesen und anstaunen. - Zum Dritten schämen sie sich des Evangelii, weil es von dem Heil ihrer eigenen Seelen handelt. Welt und Freude, Genuss und Sorge haben die Menschen so hingenommen, dass man nur verstohlen in sich hinein und in den Himmel hinauf zu sehen wagt. Es ist nicht guter Ton, zu reden von dem Christus, der uns selig macht; wohl aber guter Ton, zu reden von Allem, was uns hier in der Welt reich und groß und zuletzt doch elend macht. Und so ist diese Scham vor dem Evangelio überhaupt zum großen Teil eine Frucht der Menschenfurcht. Weil die Zeitungen, weil die gewöhnliche Unterhaltungsliteratur nicht davon redet, so wagt man nicht davon zu reden. Es geht ein Bann durch weite Kreise der Christenheit. Man redet von Allem, aber nicht von dem Einen, das Not ist.
Nun wollen wir uns umsehen nach den Stätten, wo wir uns des Evangelii von Jesu Christo schämen. Du kommst zur Kirche, hörst hier zu, freuest dich auch an Manchem, das du hörst. Hast du dann aber auch eine Freudigkeit, zu den Deinen von Dem zu reden, was du gehört hast? Liebe Christen, wir haben Hunderte von Kirchgängern, bei denen kein Echo aus der Kirche durch das Haus klingt. Das ist diese falsche Scham! Du hast ein Herz zu den Deinen. Du möchtest sie heranziehen zu gottseligen Menschen und sie einst selig bei dem Herrn wissen. Der Gedanke hat sich oft in dir geregt: „Ich darf ihre Erziehung zur Gottseligkeit der Schule und der Kirche nicht allein überlassen. Ich muss als Vater oder Mutter das Meine auch dazu tun; von meiner Hand wird Gott die Kinder fordern.“ Und doch hast du es nie über dich gewinnen können, mit ihnen ein geistliches Gespräch zu führen, dich mit ihnen um Gottes Wort und um ein gutes Erbauungsbuch zu sammeln oder mit ihnen zu beten. Es ist mancher Jüngling hier, der aus dem Elternhause und aus der Schule einen Zug zum Herrn mitgebracht hat. Er ist Lehrling, Geselle oder Commis geworden. Er sitzt am Sonntage Nachmittag und liest in Gottes Wort. Da tritt ein Bekannter herein und an ihn heran und fragt: „Was liest du denn?“ Liebe Gemeinde, wie viele Jünglinge haben wir wohl, die den Mut haben, fröhlich und offen zu antworten: „Ich lese in der heiligen Schrift, im neuen Testamente,“ oder: „Ich lese ein Lied von Luther oder Paul Gerhardt?“ Sie werden sich zählen lassen, die frei heraus solche Antwort geben. Ja, es schämt sich Mancher, vor seinen Genossen zu bekennen, dass er in der Kirche gewesen ist. Seht, das ist ein Stück von dieser Scham, das ist ein Stück von dem Banne, der auf unserem Volke liegt. Und nun geh hin in die weitern Kreise. Ich bin weit entfernt, einem weichlichen und seichten Geschwätz von dem Herrn und unserem Heile das Wort zu reden. Aber es gibt Kreise genug, wo nie ein Wort vom Heilande und dem Heile verlautet. In stillschweigender Abrede geht man daran vorüber. Und wo sind die, welche das Wort nehmen, wenn mündlich oder schriftlich der Herr und das Heil in ihm geschmäht wird? Da ziehen sich die Meisten still zurück, wie wenn der Kampf ganz außerhalb ihres Gebietes läge. Wir wollen jetzt nur noch einer äußern Verachtung, eines Zeichens jener innern gedenken. Wenn irgend welche leibliche Not über unsern Nächsten gekommen ist, wenn ihn Gott heimgesucht hat mit Krankheit, mit Wunden, mit dem Tode des Versorgers, mit Feuers- und Wassersnot, dann regen sich alle Herzen und Hände. Wir wollen dies auch gern anerkennen, besonders wenn du es in deinem armen Bruder dem Herrn tust, wenn du in dem Armen, Kranken und Gefangenen ihn vor dir siehst. Wie steht es aber, wenn man dich bittet, ein Scherflein beizusteuern zur Mission unter den Heiden, damit ihnen das gnadenreiche Evangelium, dessen sich Paulus nicht schämte, gebracht werde? Da schütteln Viele den Kopf, das liegt ihnen fern, das gilt ihnen wohl gar als Torheit. Da kann man recht erkennen, wie sie selbst innerlich zu dem Evangelio stehen. Wer sich seiner Ausbreitung unter den Völkern schämt, der schämt sich auch des Evangelii selber. Und wem die Predigt von Christo an Andern eine Torheit ist, dem ist sie auch für seine Person eine Torheit, wenn er sich darüber auch noch nicht klar geworden ist. Dass diese Sünde, diese hoffärtige und träge Scham vor dem Gesetz und Evangelium von Jesu Christo, dem eingebornen Sohne Gottes, mächtig geworden ist, wer kann es leugnen? Wer kann aber auch leugnen, dass dies:
II. die schwerste und gefährlichste Sünde ist.
Mein lieber Christ, wir haben eine dreifache Offenbarung Gottes empfangen. Die erste hat Gott in das große Buch geschrieben, welches wir die Schöpfung nennen. Jeder Stern und jede Blume, jeder Vogel, jeder Schmetterling, jeder Wurm, jeder Regentropfen, jeder Bissen Brot ist ein Buchstabe in diesem Buche. Jeder sagt uns: „Es ist ein lebendiger Gott, die tote Kreatur kann nicht das Erste sein, sie kann nicht von sich selbst sein, der schaffende Geist muss vor ihr gewesen sein, und sie ist nur durch ihn.“ „Denn dass man weiß, dass Gott sei, ist ihnen offenbar, denn Gott hat es ihnen geoffenbart, damit dass Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit wird ersehen, so man des wahrnimmt an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt, also dass sie keine Entschuldigung haben.“ Dass es einen Gott, einen mächtigen, weisen und gütigen Gott gibt, ersehen auch alle Heiden aus der Schöpfung. Zu dieser ersten kommt die zweite Offenbarung im Gewissen und in dem geschriebenen Gesetze, in den heiligen zehn Geboten. Diese redet von dem heiligen Gotte. Sie macht die Sünde zur Sünde, sie verdammt die Sünde aus dem Wesen und aus dem Willen Gottes. Sie kann nur reden von Schuld, Zorn, Strafe und Verdammnis. Sie bringt die Fluten der Angst über das arme Herz und stellt die Wetter des letzten Gerichts an den Abendhimmel. Sie führt die Sündflut über das ganze Menschengeschlecht herauf, aber keinen Hauch der Gnade kann sie darüber hinwehen, keine Sonne der Erbarmung kann sie aufgehen lassen, um diese Fluten wegzutrocknen, um Frieden über die Seelen zu sprechen. Gottes Zorn wird geoffenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen. Ungnade und Zorn, Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun - und das sind wir Alle! Wo ist nun Rat, wo ist Hilfe und Trost? Nur in der dritten Offenbarung. Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherlei Weise zu den Vätern geredet hatte durch die Propheten, hat er am Letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn. Und er hat nicht allein durch ihn geredet, sondern auch gehandelt. Christus erlöste die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten. Er bringt uns die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Er bringt uns seine eigene Gerechtigkeit. Sie kommt aus Glauben in den Glauben. Der rechte Christ verlässt sich auf die Gerechtigkeit seines Herrn, und er empfängt in diesem Glauben die Gerechtigkeit. Der Glaube ist die ausgestreckte und die empfangende Hand. Das ist das Evangelium, dass wir durch den Glauben aus der Gerechtigkeit Jesu Christi gerecht und Erben des ewigen Lebens werden. Sieh, da ist Friede, da ist das Gewissen gestillt, da ist der Himmel aufgetan, da kannst du getrost leben und selig sterben, da wird dir Alles in Einem geschenkt. Da ruht der Morgenhauch der Gnade über der Sündflut, und die Sonne geht darüber auf. Nur so ist das Leben des Lebens wert, nur so kann ein Mensch sterben. Dadurch ist Christus der Erlöser, und die Botschaft von ihm das Evangelium. - Und nun nimm noch dazu, was er dir als Zugabe geschenkt hat. Alle wahre und gesunde Kultur ist aus diesem Evangelio gekommen. Wo klarer Friede unter den Völkern wohnt, ist er ein Geschenk dieses Friedefürsten. Wo Sicherheit und Ordnung in den Staaten herrscht, da ist sie ein Geschenk des Christentums. Wo wirklich Werke der Barmherzigkeit an Armen, Witwen, Waisen, Alten, Kranken und Verwundeten geübt werden, da sind es Zweige vom Kreuze Christi. Die Heidenwelt weiß von dem Allem Nichts. Wo das Haus und die Familie in schöner Zucht gedeiht, wo die Kinder um den Tisch sind wie die Ölzweige, da ist es ein Geschenk dieses Herrn.- Und seines Evangeliums kann sich ein Mensch schämen? Kann sich auch ein Mensch seiner Mutter schämen, die ihn unter ihrem Herzen getragen, an ihren Brüsten genährt und mit ihrer Liebe und Treue groß gezogen hat? Wenn es einer tut, so sieht man ihn mit Abscheu an. Noch mehr haben wir solchen Abscheu verdient, wenn wir uns des Herrn schämen, der uns mit seinem Herzblute ernährt und großgezogen und mehr als eine Mutter an uns getan hat. Du wirst dich des Arztes nicht schämen, der dich mit seiner ehrlichen Kunst geheilt und dir unter Gottes Gnade das Leben noch auf etliche Jahre erhalten hat. Noch weniger darfst du dich dessen schämen, der dich von dem ärgsten Seelenaussatz gereinigt und dir ein ewiges Leben erworben hat. Nie wird sich ein Gefangener und nun Befreiter des Mannes schämen, der die Schlösser seines Kerkers löste und ihn aus der Finsternis herausführte an das Licht der Freiheit. Dein Herr hat dich aus dem Gefängnis des Gewissens und aus dem ewigen Kerker erlöst. Und seiner und seines Evangelii wolltest du dich schämen? Es gibt keinen schwärzern Undank als das vornehme und stolze Hintansetzen und Ignorieren unseres Herrn Jesu Christi. Die sein Brot essen, treten ihn mit Füßen. Sie treten ihn mit Füßen ihrem armen täglich irrenden Menschenverstande und einer abgefallenen Welt zu Gefallen, die für sich selbst keinen Trost hat und die auch dir keinen geben kann. Das ist das Sündliche solcher Scham. Nun siehe einen Augenblick das Gefährliche an Dem, dessen wir uns schämen, geben wir uns nie ganz und ohne Rückhalt hin. Ich rede etwa einmal mit ihm hinter der Tür und im Winkel, wenn es kein Andrer sieht. Wer sich aber Christo nicht hingibt, den nimmt er auch nicht. Wem er nicht seine erste Liebe, wem er nicht die Tür zum ewigen Leben wird, der kann auch in dies Leben nicht eingehen. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; es kommt Niemand zum Vater denn durch ihn. Wer ihn bekennt vor den Menschen, den will er auch bekennen vor seinem himmlischen Vater und vor den Engeln Gottes. Wer sich aber sein und seiner Worte schämt, dessen will er sich auch schämen vor den Engeln Gottes. Was ist es aber, wenn er sich einst deiner schämt, wenn er von dir sagt: „Weiche von mir, ich kenne dich nicht.“ - Dann bist du weggestoßen aus dem wahrhaftigen Leben. Den Frieden, den falschen Frieden, welchen du hier auf der Erde mit deiner Verleugnung erlangt hattest, musst du bezahlen mit ewigem Unfrieden. Das arme fahle Lächeln, mit dem dir ein Mensch hier die Verleugnung deines Herrn lohnte, musst du bezahlen mit dem ewigen Zorn dessen, an dessen Ja und Nein die ganze Ewigkeit, die Seligkeit und Verdammnis hängt. Darum nimm deiner selbst wahr, dieweil es noch Zeit ist. Ringe darnach, dass du:
III. alles Ernstes von dieser Scham ablässt.
Paulus schämt sich des Evangelii von Jesu Christo nicht. Er bekennt den Herrn vor Juden und Heiden, vor Priestern und Pharisäern, vor den Philosophen von Athen, vor dem törichten Volk in Lykaonien und Pamphylien, vor Landpflegern und Königen. Er bekennt ihn unter aller Verfolgung bis in das Gefängnis hinein, bis unter das Schwert. Sein Sterben war auch noch ein Bekenntnis. Und so haben es alle die alten Märtyrer auch in den bittersten Todesqualen getan. Liebe Christen, was ist das Scheelsehen, was ist das wegwerfende Urteil, welches eine abgefallene Welt jetzt über treue Christen fällt, gegen jene Marter? Was können uns Menschen tun? Höre auf, dich vor ihnen zu schämen! Brich hindurch, werde frei, werde ein Mann in dem Herrn! Mache dich los von dem alten Banne, der deiner Seele schon Schaden genug getan hat! Würdest du dich, wenn du ein festes, sauberes, solides Kleid trägst, vor einem Menschen schämen, der sich mit elendem halt- und wertlosem Flitter behangen hat, durch den der Frost überall hindurchweht, und den ihm der erste beste Windstoß vom Leibe reißen wird? Gewiss nicht. Nun Alles, was die Ungläubigen als Seelenkleid haben, ist ein solcher Flitter. Überall weht der Frost der Nichtigkeit und Angst hindurch; und bei jedem Sturm der Not, der über ihre Seele kommt, müssen sie sich sagen: „Ich habe Nichts, womit ich ihm widerstehe und womit ich meine Blöße decke.“ Du aber kannst singen:
„Christi Blut und Gerechtigkeit
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott bestehn,
Wenn ich zum Himmel werd' eingehn.“
Dies Kleid wärmt in der Not, es schirmt im Tode, es hält im Gerichte Gottes. Was sollen wir uns dessen schämen? Darum bekenne den Herrn fröhlich unter den Deinen, gib ihm die Ehre in der kleinen Hausgemeinde. Fasse Mut, von ihm und seiner Gnade zu reden vor deinen Freunden. Und wenn die Widersacher seiner spotten und seinen Namen schmähen, dann zanke und hadere nicht, bekenne aber ruhig und fest: „Er ist mein Heiland. Außer ihm gibt es doch kein Heil. Es ist doch kein anderer Name dem Menschen gegeben, darinnen er könnte selig werden. Jesus Christus hat für mich gelebt, ist für mich gestorben und lebet und bittet noch für mich. In dem für mich habe ich meine Gerechtigkeit, meinen Frieden, meinen aufgetanen Himmel. Meinen Jesum lass ich nicht.“ O glaube es, in solchem einfältigen Bekennen liegt ein Segen. Das Bekenntnis kommt aus dem Glauben, und der Glaube wächst wieder durch das Bekenntnis. Du erfährst immer mehr, was du an deinem Herrn hast, das heilige Seelenkleid schließt sich immer fester an, und dir wird immer wohler darin. Ach, liebe Christen, bittet, bittet, dass uns der Herr in dieser schweren Zeit zu dieser Freiheit der Kinder Gottes helfen wolle. Dann werden wir sie eine Gnadenzeit nennen lernen, und es wird die schwerste Sünde unseres Volkes geheilt. Herr, du Arzt der Seelen und der Völker, verleihe uns dazu Gnade und Kraft. Amen.