Ahlfeld, Friedrich - Selig ist der Mann, der recht beten kann.

Ahlfeld, Friedrich - Selig ist der Mann, der recht beten kann.

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Evang. St. Johannis, Kap. 16, V. 23-28.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben. Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. Solches habe ich zu euch durch Sprichwort geredet. Es kommt aber die Zeit, dass ich nicht mehr durch Sprichwort mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An demselbigen Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, dass ihr mich liebt, und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt, und gehe zum Vater.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Im Lauf der letzten Jahre habe ich einmal in einer Missionsstunde einen Abriss von dem Leben des schottischen Missionars William Chalmers Burns gegeben. 21 Jahr, vom Jahre 1847-1868, von seinem 34. bis 55. Lebensjahre hat dieser reichbegabte, tüchtig vorgebildete und sehr treue Arbeiter dem Herrn unter den Chinesen gedient und sich gründlich eingelebt in die Sprache und Sitten dieses Volkes. Viel Schweres hat er dort erlebt; aber am schwersten hat es ihn gedrückt, dass dieses Volk keinen bestimmten Feiertag hat. Die Griechen und Römer hatten gesetzlich geordnete Feiertage, die Juden feierten und feiern noch den Sonnabend, die Muhamedaner den Freitag, die Christen den Sonntag. Nach China ist das Gebot: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst,“ nicht gedrungen. Da läuten keine Glocken, da zieht man kein Sonntagskleid an, ein Tag sieht aus wie der andere, ununterbrochen treibt man sein Handwerk oder sein Geschäft fort, und der Lärm desselben erfüllt unausgesetzt die Städte. Freilich haben diese Leute auch noch mehr Ursache zur Arbeit als wir. Sie müssen nicht allein für die Lebenden, sondern auch für die Gestorbenen Brot schaffen. Nach ihrem Glauben lebt man in der andern Welt gerade so fort wie in der diesseitigen. In ihrem Himmel hat das Geld ganz dieselbe Bedeutung wie auf ihrer Erde. Wer kein Geld hat, muss dort auch Hunger leiden. Darum werden den Reichen gleich große Summen in gutem gültigem Papiergeld mitgegeben, das man für sie verbrennt. Weil aber doch sehr Viele in Armut hinsterben, werden alljährlich in allen Provinzen große Sammlungen veranstaltet, um auch diese zu befriedigen. Viele Millionen Papiergeld werden jährlich für sie verbrannt. Aber dessen ungeachtet bleiben noch viele hungrige Geister übrig. Diese kommen dann zurück in diese Welt und stören und ängstigen die Lebenden. Wenn der Wind am Abend an den Fensterläden rüttelt, wird dem Chinesen bange. Es sind hungrige Geister. Er geht hinaus und verbrennt an der Türschwelle kleine Noten, damit diese Quäler wenigstens befriedigt werden. Und darum muss er ununterbrochen fortarbeiten, um für die Bewohner zweier Welten das Nötige zu beschaffen. Dieses Leben vergleicht Burns mit einer Wüste, in der es keinen Quell, keinen Baum, keinen Schatten, keine Ruhe gibt. In dürrer Eintönigkeit läuft es dahin. Gott Lob und Dank, dass wir den lieben Sonntag haben! Er ist so tief in das Herz unseres Volkes eingewachsen, dass er ihm wohl verkümmert, aber nimmermehr genommen werden kann. Aber die äußere Einrichtung tut es lange noch nicht. Sie schafft nur Raum für die Einkehr in Gott Der Sonntag ist seit der Auferstehung des Herrn dazu geordnet, dass das Glaubensleben in den Christen geweckt, erhalten und gestärkt werde. Er ist die Tür, durch welche die rechten Sabbatstunden in das Leben hineingetragen werden sollen. Am Sonntage redet der Vater besonders zu seinen Kindern hernieder, damit ihr Herz fort und fort zu ihm hinausschlage, damit sie immerfort in gläubigem Gebet die liebe Himmelsstraße wandeln. Und damit ja der Geist des Gebetes in den Gemeinden nicht ersterbe, hat die Kirche seit alter Zeit einen Sonntag besonders geordnet, an welchem wir zum Gebet ermahnt und in seiner rechten Art unterwiesen werden sollen. Das ist der heutige, der Sonntag Rogate. Rogate heißt „betet“. Es ist aber dazu gerade einer der Sonntage kurz vor Pfingsten gewählt, weil wir nur im heiligen Geiste recht beten Lernen. Er ist es ja, von dem ein alter lieber Dichter singt:

Du bist ein Geist, der lehrt,
Wie man recht beten soll.
Dein Beten wird erhöret,
Dein Singen klinget wohl;
Es steigt zum Himmel an,
Es steigt und lässt nicht abe,
Bis der geholfen habe,
Der allen helfen kann. 1)

Es ist und bleibt ein unaussprechliches Gut, wenn ein Christ in recht kindlichem Glauben beten kann. Unser Herr Jesus Christus, der uns auch das liebe Vaterunser, das Gebet aller Gebete, gegeben hat, gibt uns auch in unserem heutigen Texte die schönste Anweisung, wie man recht beten soll. Und um uns alle aufzumuntern, diese seine Unterweisung recht zu Herzen zu nehmen, wollen wir unserer weiteren Andacht das Wort voranstellen:

Selig ist der Mann, der recht beten kann. Wir sehen:

1) Den Grund, auf welchem er stehen muss;
2) Die Art des rechten Gebets;
3) Den Segen, den er von solchem Gebete hat.

Herr Jesu, lehre Du uns beten, wie Du Deine Jünger beten gelehrt hast. Gib Du uns die gläubige kindliche Art, dass wir mit Deinem und unserem Vater reden als die lieben Kinder mit ihrem Vater. Hilf doch, dass nicht der eigene Geist oder das Fleisch aus uns rufe, sondern wir als Gottes Kinder im heiligen Geist beten können: „Abba, lieber Vater.“ Ach, lass uns nichts Unreines vor deinen Gnadenthron bringen, sondern nur Bitten, zu denen Du Dich bekennen und in denen Du uns vertreten kannst. Ja Herr, stehe Du zwischen uns und unserem Gotte; denn nur um Deinetwillen können uns alle guten und vollkommenen Gaben, kann uns Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit geschenkt werden. O Herr, erhöre Du unsere Gebete, und in der Erhörung gib uns wieder demütige Herzen. Wir wissen nicht, was wir bitten sollen; wir wissen nicht, was uns gut ist. Wir meinen wohl, wenn Du uns nicht das gibst, was wir haben wollen, und wenn Du es uns nicht gibst, wann wir es haben wollen, dann hätten wir umsonst gebetet. Bringe uns hinunter in die Demut und in den Verzicht auf eignen Willen, wo wir bekennen und rühmen: „Herr, wenn Du gibst, wie wir es wollen, dann ist es wohlgetan. Wenn Du uns aber unsere Bitte versagst, dann hast Du uns dennoch erhört. Dein gnädiger und guter Wille ist allezeit wohlgetan.“ So rufen wir Dich denn heute an: Nimm uns in Deinen Unterricht. Schenke uns den Geist des Gebetes. Lass uns zuallererst bitten, dass Dein Reich in uns komme und Deine Ehre in uns gebaut werde. Daraus gib uns aber auch die Zuversicht, dass Du alles andere Beten um des Lebens Nahrung und Notdurft gnädig erhören werdest. So führe uns denn nun ein in Dein teures Wort und lass den lieben Rogatesonntag nicht fruchtlos an uns vorübergehen. Amen.

Selig ist der Mann, der recht beten kann. Wir sehen :

1. den Grund, auf welchem er stehen muss.

Wir hören, in dem Herrn geliebte Gemeinde, viele Klagen über die Nutzlosigkeit des Gebets. Oft werden sie mit kalter und bestimmter Rohheit ausgesprochen. Wer von uns hätte nicht schon Worte gehört wie etwa die: „Beten hilft auch nichts. Davon werde ich nicht satt; davon kriege ich keinen neuen Rock und keine ganzen Stiefeln an die Füße.“ Bei andern lautet es mehr im Ton der Klage: „Ach ich habe den lieben Gott so viel angerufen, dass er mich aus dieser Not erretten, mir diese Last abnehmen soll; es ist aber alles vergeblich gewesen.“ Solche Klagen sind uralt, sie sind auch schon in der apostolischen Zeit dagewesen. Jakobus schreibt an die Gemeinde: „Ihr bittet, und kriegt nicht, darum dass ihr übel bittet, nämlich dahin, dass ihr es mit euren Wollüsten verzehrt.“ Ebenso straft er sie schon wegen des Unglaubens beim Gebet. Es heißt bei ihm: „So Jemand unter euch bittet, der bitte im Glauben und zweifle nicht. Denn wer da zweifelt, der ist wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und gewebt wird. Ein solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde.“ Die Sonne kann sich nicht fest spiegeln in der vom Winde bewegten Flut; und die Gnade kann nicht eingehen in ein unter Zweifeln hin- und herschwankendes Herz. Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht aus Gnade. - Und nun, liebe Christen, lasst uns sehen, wie das Herz eines Menschen beschaffen sein muss, der erhörlich beten will. Wer unsern Text aufmerksam liest, der merkt bald, dass durch denselben schon etwas von Pfingstodem weht. Allerdings ist der Heilige Geist in den Versen gar nicht genannt. Aber Alles, was den Jüngern in denselben verheißen wird, ist schon Werk des Heiligen Geistes in uns. Man könnte versucht sein zu glauben, der Herr habe dies erst nach seiner Auferstehung kurz vor der Himmelfahrt und kurz vor Pfingsten geredet. Es erhält auch alles erst nach Pfingsten seine Wahrheit, auch erst nach unserem Pfingsten, nachdem wir aus der Taufe und dem dazu gehörigen Glauben wiedergeboren sind zu lebendigen Kindern Gottes. Hört, geliebte Gemeinde, durch diesen ganzen Abschnitt geht hindurch die lebendige Kindschaft. Überall ist es der Vater, sind es die Kinder. Was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben. Er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, dass ihr mich liebt und glaubt an mich. Also die ganze große Verheißung des Herrn, nach welcher Gott unsere Gebete erhören will, stützt sich darauf, dass wir Gottes Kinder sind. Willst du also, dass deine Gebete erhört werden, so erwecke vor allen Dingen in dir den Glauben: „Ich bin ein Kind Gottes; und das bin ich nicht von Natur, sondern ich bin es geworden, indem mich Gott durch Taufe und Glauben gemacht zu einem Gliede an dem Leibe seines eingebornen wesentlichen Sohnes, meines Herrn und Heilandes Jesu Christi.“ So oft du nun Etwas bitten willst, so senke dich zunächst hinein in diesen deinen edelsten Stand. Als Kind darfst du deinen Vater ansprechen. Du hast ein Recht ihm zu sagen:

Hast Du mich in Dein Geschlecht,
Vater, aufgenommen,
Ei, so hab' ich Kindesrecht
Und darf kühnlich kommen.
Denn den Kindern stehet frei,
Väter anzuflehen:
Vater, Deine Vatertreu
Lass mich Armen sehen.

Zum andern musst du eine klare und feste Stellung zu unserm Herrn Jesu Christo als unserem einigen Mittler haben. Diese klare Stellung besteht aber aus zwei Stücken, aus heiliger inniger Liebe zu ihm und aus festem Glauben an ihn. In unserem Text steht: „Er selbst der Vater hat euch lieb, darum dass ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.“ Die Liebe nun zu sich selbst beschreibt uns der Herr an anderer Stelle mit den Worten: „Wer Vater oder Mutter oder Sohn oder Tochter oder Bruder oder Schwester mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht wert.“ Er will von uns nicht geliebt sein als Einer unter Andern, sondern als der Eine über Allen. Hier heißt es in vollem Sinne des Wortes:

Die Liebe leidet nicht Gesellen,
Sofern sie treu und redlich brennt;
Zwei Sonnen können nicht erhellen
Zu gleicher Zeit das Firmament.

Und er, der uns geliebt hat bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz, hat solche Liebe wohl von uns verdient. - In gleicher Weise sagt er uns auch in unserem Texte, was ein Christ von ihm glauben soll. Er sagt dies den Seinen nun nicht mehr im Sprichwort, nicht mehr in Gleichnissen oder verhüllter Sprache, sondern frei heraus: „Ich bin vom Vater ausgegangen.“ Da redet er in klaren Worten von seiner göttlichen Natur, von seinem ewigen Sein beim Vater vor der Welt Grundlegung. O wie hebt er den Unterschied zwischen sich und den Propheten hervor. Alle Propheten sind von Gott gesandt. Auch von Johannes dem Täufer schreibt Johannes der Evangelist: „Es war ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes.“ Nirgends aber heißt es von ihm und den Propheten, dass sie von Gott ausgegangen seien. Dann fährt der Herr in unserem Texte fort: „Ich bin gekommen in die Welt.“ Da redet er von seiner menschlichen Natur und seinem Wandel als Gottmensch unter uns. Da die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan. Das Alles steht diesem Jünger, der an der Brust des Herrn geruht hat, so fest, dass er in seinem ersten Briefe schreiben kann: „Ein jeglicher Geist, der nicht bekennt, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists, von welchem ihr gehört habt, dass er kommen werde, und er ist jetzt schon in der Welt.“ - Nein, wir wollen dem Herrn seine Krone nicht nehmen. Wenn wir den ewigen Sohn vom Vater nicht mehr haben, dann haben wir auch keinen Erlöser mehr. Als Gottes- und Menschensohn hat er uns durch sein Wort, sein Tun und Leiden erlöst. Er erlöste die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten. Er hat uns die Vergebung der Sünden, die Kindschaft und das ewige Leben errungen. Und nachdem er dieses größte und heiligste Werk, welches die Welt je gesehen hat und sehen wird, vollbracht hatte, hat er die Welt verlassen und ist wieder zum Vater gegangen, wie wir denn nächsten Donnerstag sein Himmelfahrtsfest feiern. Dort hat er uns die Stätte bereitet. Er sagt: „Wenn ich werde von der Erde erhöht sein, will ich euch Alle nach mir ziehen. Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, dass sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast. Denn Du hast mich geliebt, ehe denn die Welt gegründet war.“ Als Gottessohn ist er vom Vater ausgegangen; als Gottes- und Menschensohn ist er zu seinem Vater zurückgekehrt. Und weil der Vater den Sohn liebt, liebt er auch die, welche diesen lieben und macht sie derselben Seligkeit mit ihm teilhaftig. Da dies aber nur geschehen kann, wenn der Sohn selbst in dir Wohnung macht und lebendig wird; da nur die dort eingehen können, welchen das lebendige Bild des Sohnes ins Herz geprägt ist: hat uns Jesus den heiligen Geist gesandt, welcher ihn in uns verklären, d. h. sein Abbild, den neuen Menschen durch den Glauben in uns lebendig machen soll. Das ist der Grund, auf dem ein Christ stehen muss, wenn er recht beten will. Das ist der Fels, in den er seinen Fuß eingedrückt haben muss, wenn er mit Gott ringen will. Allerdings gibt es auch vorher schon Kindergebete und Seufzer, Gebete der suchenden Seelen, dass uns Gott aus uns und aus der Welt herausziehen wolle; aber jeder reifere Christ, jede Seele, die gefunden hat, steht auf jenem Boden.

Und nun lasst uns weiter bedenken:

2. die rechte Art des Gebetes.

Ja, liebe Christen, es kommt viel darauf an, dass das Gebet in rechter Art geschehe. Nun unterweist man die Jugend bekanntlich so viel über den Umgang mit Menschen, namentlich auch mit hochgestellten Menschen. Warum sollten wir uns nicht unterweisen und unterweisen lassen über den Umgang mit Gott, dem Könige aller Könige und Herren aller Herren. - Wohlan denn, wenn du betest, so stelle dich zuerst recht hin vor das Angesicht Gottes. Rücke dir seine heilige Gegenwart nahe. Sieh ihn aber ganz an. Hüte dich, dass du dein Angesicht nicht halb zu ihm und halb zu der Welt und deinen irdischen Stützen gekehrt hältst. Siehe ihn aber auch recht an. Er ist es, der Augen hat wie Feuerflammen; er ist es aber auch, dem allezeit das Herz bricht seinen armen Kindern gegenüber. Und dann siehe noch den neben ihm thronen, von welchem Johannes in seinem ersten Briefe zeugt: „Meine Kindlein, solches schreibe ich euch, auf dass ihr nicht sündigt. Und ob Jemand sündigt, haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesum Christum, welcher gerecht ist. Derselbe ist die Versöhnung für unsere Sünden; nicht allein aber für die unsern, sondern für die der ganzen Welt.“ -

Stehst du dann so vor ihm, so mache Stille in deinem Herzen. Sorge dafür, dass nicht allerlei Gedanken in demselben untereinander schreien. Wo dies geschieht, gibt es keine klare und einfältige Rede mit deinem Vater. Gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür hinter dir zu. Ja schließ die Herzenstür zu; treibe die fremden Gedanken fort mit ernster Sammlung und festem Willen, und dann bete zu deinem Vater, der in das Verborgene sieht. Hast du dich nun so vor ihm gesammelt, dann stürme nicht gleich heran mit dem, was dir zur Stunde auf dem Herzen liegt. Jedes rechte Christengebet beginnt mit dem Bekenntnis der eigenen Sünde, Schuld und Schwachheit. „Lieber Vater, ich bin ein armer Sünder. Ich habe es nicht verdient, was ich bitte, sondern Du wollest mir Alles aus Gnaden geben um Deines lieben Sohnes Jesu Christi, meines Herrn und Heilandes willen. Ich liege hier vor Dir auf meinen Knien, nicht auf meine Gerechtigkeit, sondern allein auf Deine große Barmherzigkeit. Ich komme zu Dir auf Deinen Befehl und Deine Verheißung. Du hast mir geboten zu beten, und verheißen, dass Du mich wollest erhören.“ Ja Gott hat uns selbst gesagt: „Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; wer da sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird aufgetan. Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen. Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen.“ „Lieber Vater im Himmel, Du hast uns selbst gesagt, dass Du uns lieb hast und dass Du uns geben willst, was wir im Namen Deines lieben Sohnes bitten.“ Dazu berufe dich auf die große Gnadengeschichte, die du schon mit deinem Gotte durchlebt hast. Wenn Israel in tiefer Not steckte, dann zählte es seinem Gotte vor, aus wie vielen Drangsalen er sein Volk schon erlöst habe. Und daran knüpfte es die Bitte: „so wirst Du uns doch auch jetzt nicht zu Schanden werden und untergehen lassen.“ Ist es denn mit uns nicht ebenso? Kann denn nicht wenigstens jeder von uns Alten sagen: „Du hast mich bis hierher getragen auf Adlersflügeln der Barmherzigkeit, Du hast mich aus sechs Trübsalen errettet. Ich darf darauf die Hoffnung gründen, dass mich auch in der siebten kein Unglück anrühren soll.“ - Dann bring du deine Bitte vor. Und bist du so ernstlich vor dem Angesichte des heiligen Gottes ins Gebet gegangen, dann wird der Heilige Geist auch abstreifen und heraustun, was aus dem Fleisch war. Du wirst so Manches gar nicht aussprechen können, was dir vorher durch den Sinn gelaufen war. Es ist ja ein Anderes, in sich und vor sich reden, und reden vor dem heiligen Angesichte Gottes. Hast du aber geredet, so zweifle auch nicht. Sei so gewiss, wie wenn du die Erhörung schon empfangen hättest. Das ist eben Glaube, Kindesglaube. Doch möchte Mancher denken: „Das ist anmaßend! Wie darf ich mich denn so zu Gott stellen?“ - Sieh einmal recht in unsern Text hinein. Sechsmal kommt in demselben der liebe Vatername vor, jedes Mal aus dem Munde des Herrn. Das ist nicht von ungefähr. Er will uns dadurch ein Herz machen, wirklich die volle Kindesstellung zu dem Herrn aller Dinge einzunehmen. Dazu seht in euer eigen Leben. Viele von uns haben Kinder in entfernten Orten gehabt und haben sie noch. Von ihnen ist gar mancher Brief an die Eltern gekommen, in dem es hieß: „Lieber Vater, liebe Mutter, besorge und ordne mir dies oder das. Schlichte dies oder das, damit keine Verdrießlichkeit daraus erwachse.“ Und wenn sie ihren Brief in kindlicher Art geschrieben hatten, dann waren sie fertig, dann war die Sache an der rechten Stelle niedergelegt. Und wir Eltern haben es auch getan, wenn es eben wohl getan war und wir es vermochten. Ja wir haben es vielleicht in manchen Fällen noch besser gemacht, als es die Kinder gedacht und erbeten hatten. Was sind aber alle Eltern mit ihrer Liebe, Einsicht und Kraft gegen den, der der rechte Vater ist über Alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden; der überschwänglich tun kann über Alles, was wir bitten und verstehen. So denn ihr, die ihr doch arg seid, könnet dennoch euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer himmlischer Vater Gutes geben, den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten. Wie ganz anders und wie viel gewisser können wir unsere Sorgen auf ihn werfen. O so lasst es uns denn auch tun und nicht sein wie misstrauische Leute, die Jemand etwas übertragen, in der nächsten halben Stunde aber wiederkommen und ihm den Auftrag wieder abnehmen, weil sie sich einbilden, es könne es doch Niemand besser ausführen als sie selbst. Menschen gegenüber erscheint dies kindisch, aber mit unserem Gotte machen wir es oft so. -

Herr, gib uns die Zuversicht, dass wir nach jedem Gebete sagen können: „Ich habe es an die rechte Stelle und an das rechte Herz gelegt. Drum ist es gut. Nun will ich mich auch nicht mehr mit Sorgen quälen. Ich will still das Meine tun, er wird das Seine viel besser tun.“

Dabei denke noch daran, dass du, wenn du vor Gott trittst, außer der Liebe zu ihm und deinem Heiland auch die Liebe zu deinen Brüdern mitbringst. Wie der Herr die Fürbitte in das ganze Vaterunser von dem ersten Worte „Vater unser“ bis zu dem: „Erlöse uns von den Übel“ eingeschrieben hat, so soll sie auch in jedem unserer Gebete stehen. Wo wir zum Vater kommen, bringen wir auch unsere Brüder mit. Keine Not soll dich so eng und so kalt machen, dass du sie vergessen könnest. Und wenn du nichts für sie bittest, so schließe an dein Gebet wenigstens die Worte an: „Erbarme Dich auch derer, die in ähnlicher Bedrängnis sind.“

Endlich hüte dich wohl, dem Herrn vorschreiben zu wollen, wann, wie, in welchem Maß und durch welche Mittelspersonen er dir helfen solle. Die Not ist deine Sache, die gläubige Bitte ist auch deine Sache, aber die Hilfe ist seine. Und von ihm singen wir mit vollem Recht:

Weg hast Du allerwegen,
An Mitteln fehlt Dir's nicht;
Dein Tun ist lauter Segen,
Dein Gang ist lauter Licht.
Dein Werk kann Niemand hindern,
Dein' Arbeit kann nicht ruh'n,
Wenn Du, was Deinen Kindern
Ersprießlich ist, willst tun.
Ihn, ihn lass tun und walten,
Er ist ein weiser Fürst,
Und wird sich so verhalten,
Dass Du Dich wundern wirst,
Wenn er, wie ihm gebühret,
Mit wunderbarem Rat
Das Werk hinausgeführt,
Das Dich bekümmert hat.

Wer in festem Glauben betet, der soll nehmen, dass seine Freude vollkommen sei. So blicken wir denn noch

3. auf den Segen des Gebets.

Meine liebe Gemeinde, wie wohl ist es uns, wenn wir in den heißen Sommertagen aus den schwülen Tälern und Ebenen hinaufsteigen können auf die Berge. Da weht eine andere Luft, da atmet es sich freier. Jedes gläubige Gebet ist solches Hinaufsteigen auf die Höhe. Ich hebe meine Augen nicht allein auf, ich steige auch hinauf auf die Berge, von welchen mir Hilfe kommt. Oder, um es nicht so weit zu suchen: wie wohl war dir in den letzten Wochen, wenn du aus dem Lärm und Getümmel der Messe nur auf eine halbe Stunde hinauskonntest in den stillen Wald oder in das ruhige Feld, über dem die Lerche sang. Nun ist ja bekanntlich im Leben eigentlich immerfort Getümmel und Messe. Alle Gebetsstunden sind ja Ausgänge ins Freie. Losgelöst von dem Treiben des Tages und Berufes reden wir frei mit unserem Gotte. Also schon das bloße Herausgehen aus sich und dem Qualm des Tages ist Segen und Freude. Wo geh'n wir aber hin? Für ein Kind, das nicht mehr im elterlichen Hause ist, also für einen Lehrling, für jeden Arbeiter an fremder Stätte, auch für verheiratete Kinder ist es eine wahre Herzensfreude, wenn sie zu den Eltern kommen, ihnen ihr Herz ausschütten und ihnen Alles in ihr Herz legen können, was sie freut oder drückt. -

Wir sind Alle noch in der Fremde; wir sind Alle Pilger nach der wahrhaftigen Heimat, wo wir ewig bleiben werden. In jedem gläubigen Gebete gehen wir nach Hause und schütten unser Herz vor unserem Vater aus. Er will es ja so haben. Er befiehlt uns: Hofft auf den Herrn allezeit, lieben Leute; schüttet euer Herz vor ihm aus: Gott ist unsere Zuversicht. -

Liebe Christen, dass wir das können und dürfen, das ist Segen und Seligkeit. Ja wir haben durch Christum einen freien Zugang zum Vater. Wohl will er selbst in seiner Herrlichkeit noch für uns bitten; aber auch uns hat der Vater lieb und wir dürfen ihn getrost und mit aller Zuversicht bitten, als die lieben Kinder ihren lieben Vater. Dadurch bildet sich dann ein wahrer innerer Umgang zwischen uns und Gott, ein heiliger Hintergrund hinter der Sünde, Mühe und Sorge des Lebens, ein Allerheiligstes, in welches der Staub nicht fliegt und die Stürme nicht dringen. Wenn Jemand klagt: „Ich habe seit Monaten oder seit Jahren keine frohe Stunde gehabt“, so kann er uns nur dauern. Er sagt damit auch zugleich, dass er seit Monaten oder Jahren nie mehr ernstlich im Gebet bei seinem Gott gewesen ist. Der Herr segne uns alle mit vielen solcher frohesten und edelsten Stunden. Dann trägt sich auch alles Kreuz der Erde unendlich leichter. Dann kann man auch seinen Feinden anders vergeben und anders das Werk schaffen, dazu uns Gott berufen hat. -

Gehen wir weiter vorwärts zur Erhörung der Gebete, so. weiß jeder nur einigermaßen begründete und erfahrene Christ davon zu sagen. Unser Gott ist ja der Gott, der Gebete erhört. Darum kommt alles Fleisch zu ihm. Die Erhörungen, geliebte Gemeinde, haben aber ihren Segen nicht allein in der Hilfe für den einzelnen Notfall. Sie bedeuten viel mehr. Sie sind heilige Siegel der göttlichen Gnade. Sie sind tatsächliche Urkunden, dass wir einen lieben reichen Vater haben, der mit seinen Kindern lebt, ihre Not auf dem Herzen trägt und ihr Seufzen hört. Sie sind Engelsflügel, die uns heben und tragen und uns Mut geben, getrost in die dunklen Hallen der Zukunft hineinzugehen. Da steht mancher Denkstein mit der Ausschrift: „Bis hierher hat der Herr geholfen.“ Und dabei fassen wir den Mut: „Er wird auch weiter helfen.“ Wenn er uns aber zu Zeiten nicht erhört, so ist dies eben die Erhörung. Er will uns damit sagen: „Es ist euch gut und heilsam, dass ihr noch unter eurem Joch fortgeht. Wenn meine Stunde gekommen ist, will ich meine Barmherzigkeit groß an euch machen.“ Treue Christen danken ihm ebenso für eine versagte wie für eine gewährte Bitte. Beides ist seine Gnade.

Zum Schluss wollen wir nur noch eines Segens gedenken, den das rechte Gebet bringt. Alle lauteren Gebetsstunden mit ihrer heiligen Freude sind Unterpfänder auf das ungetrübte ewige Sein beim Vater. Sie sind Strahlen der Morgenröte, welche zeugen von dem vollen hellen Tage, wo das Wort erfüllt wird: „Sie werden bei dem Herrn sein allezeit und sich freuen mit unaussprechlicher herrlicher Freude. Ihr Los ist ihnen gefallen aufs Liebliche, ihnen ist ein schön Erbteil geworden. Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Sie werden nehmen, dass ihre Freude vollkommen sei.“ - Ja Rogate, betet, lernet beten, dass ihr durch den heiligen Geist aller dieser Güter teilhaftig werdet. -

Liebe Christen, wenn es bekannt wird, dass irgendwo in einem Lande bedeutende Schätze liegen, mögen es Goldkörner oder Diamanten sein, so lassen Tausende die Heimat, auch wohl Weib und Kind im Stich, um dort zu graben und zu suchen. Und wenn es bekannt wird, dass von den Felsen irgendwelcher Meeresküste edle echte Perlen zu lösen sind, so steigen sie mit Darangabe des Lebens in die dunkle Tiefe hinunter, um sie zu holen. - O wie träge sind wir dagegen, auf die lichten Höhen hinaufzusteigen, um uns die Güter zu holen, die edler sind denn Gold und Diamanten und Perlen und die in Ewigkeit ihren Wert und Glanz nicht verlieren. Ach, Herr Jesu, gib uns den heiligen Geist und lehre uns um die vollkommene Freude beten und ringen. Amen.

1)
Paul Gerhard „Zieh ein zu deinen Toren“
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