Ahlfeld, Johann Friedrich - Das Pfingstfest ein Gerichtstag Gottes.
(II. heil, Pfingsttag 1848.)
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.
Text: Ev. Joh. 3, V. 16-21.
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr, denn das Licht. Denn ihre Werke waren böse. Wer Arges tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, auf dass seine Werke nicht gestraft werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, dass seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.
In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Wenn ihr Nachts heraustretet vor euer Haus, wie einst Abraham vor sein Zelt im Hain Mamre, und schaut in den tiefen, blauen Himmel hinein, so strahlt euch eine Menge von Sternen entgegen, die kein Mensch zählen kann. Und je länger und tiefer ihr schaut, um so mehr tauchen aus der wunderbaren Tiefe auf, dass man nicht fertig werden kann zu sehen. Um etliche unter ihnen braucht man sich gar nicht zu mühen. So wie man nur seine Augen emporhebt, sind sie da und erzählen die Ehre Gottes, ohne dass man erst lange nach ihnen suchen, ohne dass man sie erst lange danach fragen darf. Ich nenne sie euch nicht, diese hellsten Lichter am Firmament Gottes. - Teure Gemeinde, die heilige Schrift ist auch ein solcher tiefer, blauer Himmel. Wer heraustritt aus der Welt und in sie hineinschauen lernt, dem treten überall auch die lichten Sterne der göttlichen Barmherzigkeit entgegen. Und je tiefer er schaut, um so mehr sieht er ihrer. Er kann endlich seine Augen gar nicht mehr zurück ziehen, denn dies ganze weite und heilige Firmament wird eitel Licht und Leben. Aber auch hier treten uns gleich beim ersten Ausblick ihrer Etliche entgegen, die mit lauter Stimme die Ehre und die ewige Barmherzigkeit Gottes erzählen. Da stehen jene alten wunderbaren Prophetensprüche: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter. Er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst.“ „Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie wie Rosinfarbe ist, soll sie wie Wolle werden.“ „Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünde nicht.“ „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und geplagt und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen; die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Das ist am Himmel des Wortes Gottes Israels Wagen und seine Reiter. Und so stehen sie auch im neuen Testament vor uns: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist Heute der Heiland geboren, welcher ist Christus.“ „Und wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Golde erlöst seid von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ „Es ist je gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen.“ Hell und groß und Allen sichtbar steht unter diesen Sternen am Schrifthimmel auch der Anfang unseres Festevangeliums. Es ist ja wohl kaum Einer unter uns, der das teure Wort nicht auswendig wüsste: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Es redet von unserm teuersten Gut, von der Liebe Gottes, von der Erlösung, so in Christo Jesu geschehen ist, und vom ewigen Leben; von lauter Stücken, die das Herz so gern hört. Aber wie kommt es, dass der Herr daran sogleich eine andere Rede knüpft, vom Gericht der Welt? Liebe und Gericht wollen sich ja nicht zusammen reimen. Und sie müssen sich doch zusammen reimen, denn sonst hätte sie der Herr, der Mund der Wahrheit, nimmer zusammen verbunden. Wir müssen sie daher auch an dem Pfingstfest, diesem Freudenfest, zusammen verbinden. Wir rufen uns zu:
Das Pfingstfest ist ein Gerichtstag Gottes.
- Er stellt dir seine Gnade vor dein Angesicht
- Und fragt dich: „Willst du leben oder nicht?“
Herr, Herr, wir wollen leben. Gib uns das Leben. Verbinde uns im Glauben mit dir. So wir mit dir eins sind, werden wir nicht gerichtet, denn du selbst bist aus der Angst und aus dem Gericht genommen. Herr, gib uns den Geist des Lebens, dass wir durch ihn in dir Leben und die volle Genüge haben. Gehe mit diesem deinem Geist durch unsere Reihen, dass wir durch ihn zu dir berufen, in dir erleuchtet, geheiligt und erhalten werden. Amen.
l. Er stellt dir seine Gnade vor dein Angesicht.
Lieber Christ, du möchtest wohl anfangen zu fragen: Was soll denn der Spruch: „Also hat Gott die Welt geliebt rc.“ gerade am heiligen Pfingstfest? Er hat ja seinen eingebornen Sohn zu Weihnachten gegeben. Da gab er ihn in's Leben. Er hat ja seinen eingebornen Sohn am Karfreitag gegeben. Da gab er ihn in den Tod. Wie hat er ihn denn zu Pfingsten gegeben? Entsinne dich der Aufgabe und Arbeit des heiligen Geistes: Er soll dich in alle Wahrheit führen. Derselbige wird dich lehren und erinnern alles des, das dir Christus gesagt hat. Womit muss er da anfangen? Notwendig mit der ersten Grundlage des Reiches Gottes. Christus ist der Eckstein des Himmelreichs. Hier ist die Liebe des Vaters und die Liebe des Sohnes zusammengefasst in einen engen Rahmen, in ein teures Wort. Unser Spruch ist das A B C des Evangeliums. Wer das nicht lernt, lernt auch weiter Nichts. O es ist ein wunderbarer Zug der Weisheit der alten Kirche, dass sie nach der Ausgießung des heiligen Geistes dieses Wort als das erste hinstellt, das durch ihn in der Gemeinde zu Leben gebracht werden soll. Lasst uns denn einen Blick hinein tun in die reiche Gnadentiefe dieses einzigen Sprüchleins. Also hat Gott die Welt geliebt. Dieses Also klingt, wie wenn einer einen recht vollen Akkord greift auf seinem Instrument, dass Alle ablassen sollen vom Gespräch und Geschwätz und hinhorchen, was er spielen wird. Und fürwahr er hat die, so hinhorchen, mit diesem vollen Akkord nicht betrogen: „Hat Gott die Welt geliebt“. Das Wort ist wie wenn eine weite Tür sich auftäte. Der Heilige hat die Unheiligen geliebt. Der Herr aller Dinge hat die Menschen geliebt, die sein Gebot verachtet und verspottet haben. Der Herr aller Dinge, der Richter aller Welt, hat seine Feinde geliebt. Denn wenn du es auch gerade nicht aussprachst, dass du ein Feind Gottes bist, so ist ja doch das Feindschaft, dass du nicht tust, was er will, und dass du gerade das tust, was er nicht will. -
Und wie hat er diese Welt geliebt? Dass er seinen eingebornen Sohn gab. Es war nicht eine wohlfeile Liebe, die etwa für die Welt schöne Worte machte. Solche klingende Liebe hat die Welt wohl, aber Gottes Liebe ist eine andere. Eine Mutter sagt am Sterbebett ihres Kindes: „Ich könnte mein Herzblut darum geben, wenn ich es am Leben erhalten könnte.“ Sie möchte dies geben für ihr Kind. Und der Vater gibt für die Welt, die seine Feindin ist, sein Herz, seinen eingebornen Sohn. Was ist Menschenliebe, was ist das Band, mit dem dir dein Kind ans Herz gewachsen ist, gegen die Liebe Gottes, von dem du erst lieben gelernt hast! gegen die Liebe Gottes, mit der er den Sohn liebte, der von Ewigkeit aus ihm geboren, der von Ewigkeit her bei ihm gewesen war! Und diesen Sohn gab er in den Tod, gab er für dich in den Tod, dass du nicht verloren gehest, sondern das ewige Leben habest. Damit du losgekauft würdest von dem Gericht und der Schuld, wurde er verkauft für dreißig Silberlinge. Damit du lebst, ließ er ihn sterben. Damit du im Tod nicht verlassen seist, ließ er ihn schreien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Damit du aus dem Grab herausgehst, musste und wollte er hinein in das Grab. Dieser unser Spruch bleibt ewig der Mittelpunkt unserer Heilslehre. Wir schauen in ihm hinab in den Abgrund der himmlischen Liebe, die uns in Jesu Christo aufgetan ist. Wir können ihn nicht ergründen, weil unsere Liebe noch so arm ist. Aber wir haben noch ein Wörtlein darin ausgelassen, und das ein gar wichtiges: Die an ihn glauben, sollen das ewige Leben haben. Dieses Wörtlein „Glauben“ ist die Kette oder das Gelenk, das hier Himmel und Erde mit einander verbindet. Dies Wörtlein ist die Sehne, die dich zum Glied an dem Leib macht, dessen Haupt Jesus Christus ist. Es ist die Bedingung, die die großen Gnadengüter, die in dem Spruch ruhen, zu deinem Eigentum macht. Fasse aber ja das Wort nicht leicht. Zwischen dem „ich glaube“ im alltäglichen Leben und diesem „ich glaube an Jesum Christum“ ist ein weiter Unterschied. Wenn ein Kind an der Brust seiner Mutter die Augen aufschlägt und zu ihrem Auge emporschaut, so liegt in dem Blick die stumme Aussage: „Ich glaube an dich. Ich weiß, dass ich dein bin, ich verlasse mich einzig und allein auf dich.“ In jeder Not streckt es die Hände nach ihr aus und hält sich ihrer Hilfe gewiss. Das heißt: ich glaube an dich. -
Weil nun in diesem Bibelspruch ein so reicher Inhalt liegt, weil in ihm das ganze Evangelium so köstlich zusammengefasst ist, hat er auch in der Geschichte der einzelnen Seelen in der Kirche die höchste Bedeutung. Mit diesem Wort sind Hunderte von Kirchen in der alten und neuen Welt eingeweiht. An diesem Worte haben sich Tausende von betrübten Herzen in ihren schweren Stunden getröstet. Und wie Viele haben dieses Wort als Wall und Mauer gebraucht, um sich dahinter zu verbergen gegen die scharfen Pfeile des Todes. Als es Monika, die Mutter des großen Kirchenlehrers Augustinus, einst erklären hörte, rief sie wie entzückt aus: „Auf, lasst uns von hinnen fahren. Der Himmel hat den himmlischen Vater seinen Sohn, seines Herzens Krone, gekostet, bis er uns ist aufgeschlossen worden, und wir wollten nicht hineintrachten? Wir sollten unser ewiges Heil, unser seliges Erbteil um ein Linsengericht hinschenken?“ Luther sagt von unserm Spruch: „Dieser Text ist mir herzlich lieb, denn bereits im 12ten Jahre meines Alters habe ich solche Worte zu meinem Leichentext erwählt, hat mich auch noch nicht gereut. Ich trete mit Freuden auf die Kanzel, so oft ich diesen edlen Spruch erklären und also mir selber die Leichenpredigt halten soll.“ In seiner letzten Lebensstunde betete er ihn noch einmal recht brünstig. Fürst Carl zu Anhalt, der 1561 in jungen Jahren dahinstarb, lag in seinem letzten Kampfe auf seinem Lager ein Weilchen still und redete leise für sich hin. Da sprachen die Umstehenden: „Gnädiger Herr, wir verstehen Euch nicht mehr.“ Nun nahm er noch einmal alle Kraft zusammen und sprach mit lauter Stimme: „Also hat Gott die Welt geliebt“ rc. und damit entschlief er. Ja, sie mag ein sanftes Ruhekissen sein, diese höchste Liebe Gottes. Wie viel ließe sich noch sagen von diesem Spruch! Wer eine ganze Geschichte schreiben wollte von den Taten, die dies eine Wort Gottes an so vielen armen Menschenherzen getan hat, der möchte ein dickes Buch schreiben, und doch möchte ihm manches Herz verborgen bleiben, das ihn mit brünstigem Flehen gebetet hat. -
Ist dies nun ein solcher Segenspruch, wie bringt ihn denn der Herr in Verbindung mit dem Gericht? Und wie kommt er dazu, zu der Ausgießung des heiligen Geistes gleich das Gericht zu erwähnen? Wie wird das Pfingstfest zu einem Gerichtstage Gottes?
II. Und fragt dich: „Willst du leben oder nicht?
„Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde.“ Obgleich er nicht gekommen ist, um Gericht zu halten, so geht doch das Gericht mit ihm. „Und das ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht.“ Das Licht ist da. Christus ist das Licht. Er ist das Licht der Welt. wer ihm nachfolgt, wird nicht im Finstern wandeln. Der heilige Geist geht durch die Völker und will die Augen der Leute auftun, dass sie das Licht sehen, und dass sie sich an diesem Licht freuen. Das ist nun der Fluch der Sünde, dass sie das Heiligste, dass sie die lieblichsten Gnadengaben Gottes verkehrt und verdirbt. Was er gegeben hat zum Leben, das verkehrt sie, dass es ihr zum Tod gereicht. Was er gegeben hat aus Gnaden, das verkehrt sie, dass es ihr zur Ungnade wird. Christus ist ihr gesandt nicht zum Gericht, sondern zu einem Herzog der Seligkeit. Sie macht ihn mit Gewalt zu ihrem Richter. Der heilige Geist ist ihr gesandt zum Tröster, sie macht ihn mit Gewalt zu ihrem Verdammer. Wie mag das zugehen? Höre! Wer an Christum glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet. -
Lasst uns dies sehen an der Pfingstgeschichte selbst. Die Jünger sind versammelt in der Halle des Tempels. Da tut sich der Himmel auf, der Geist kommt hernieder. Für wen aber kommt er? Er hatte nicht Etliche ausgelesen und gesagt: „In euch will ich kommen.“ Er hatte nicht Etliche ausgelesen und zu ihnen gesagt: „In euch will ich nicht kommen.“ Und dennoch ist gleich der Unterschied da. Er ist zu keinem Caiphas, er ist zu keinem Hannas, zu keinem Herodes gekommen, weil sie nicht glaubten. Er ist nicht zu denen gekommen, die es ihren Spott hatten, die da sprachen: „Sie sind voll süßen Weins.“ Warum nicht? Wo Spott ist, ist kein Glaube. Er ist zu den Aposteln, er ist zu den übrigen Jüngern gekommen. In ihnen war die Tür geöffnet, durch die er eingehen konnte. Die Tür war der Glaube. So zieht er denn durch die, so in Jerusalem wohnten, durch die, so im Tempel versammelt waren, eine Scheidewand. Die Einen sind begnadigt im neuen Leben, die Anderen sind gerichtet. Aber Christus hat sie nicht gerichtet, sie haben sich selbst gerichtet. Es ist ihnen vorgelegt an jenem Tag Segen und Fluch. Sie haben den Segen verachtet, und damit haben sie den Fluch erwählt. Ein Mittelding gibt es einmal nicht. Wer nicht für Christum ist, der ist wider ihn. Wer das Leben nicht erwählt, der fällt dem Fluch anheim. Es kann sich Keiner etwa auf der Grenze zwischen beiden durchschleichen. Es kann Keiner etwa von diesem ein Wenig nehmen und auch von jenem ein Wenig. Zwei Herrn kann Niemand dienen. Entweder er wird den einen lieben und den anderen hassen, oder er wird dem einen anhangen und den anderen verachten. Denke dir, es stehen Zwei in der Kälte, und Beide beben wie Espenlaub. Nun wird ein Feuer angezündet, und man ruft ihnen zu: „Kommt her und wärmt euch, dass ihr lebt.“ Da kommt der Eine und wärmt sich, und der Frost weicht aus den Gliedern, es kommt ein neues Leben in die Adern, und siehe, er lebt. Der Andere aber ist hartnäckig, bleibt ferne und will nicht kommen. Er erstarrt und stirbt dahin. Er ist von Keinem gerichtet, er hat sich selbst gerichtet und hingerichtet. Der Herr ist gekommen ein Feuer anzuzünden, was wollte er lieber, denn es brennte schon. An dem Feuer soll sich die ganze Menschheit wärmen, dass der Frost und der Tod der Sünde aus dem Gebein weiche. Der heilige Geist lädt dazu ein, und zeigt das Feuer und will hinführen zu demselben. Wer sich führen lässt, wird erwärmt zu neuem Leben. Wer seiner Stimme widerstrebt, wer nicht kommen will, erstarrt und erstirbt im Sündenfrost. Die Pulse zum Glauben, die Pulse zum Leben, die Pulse zu der Liebe schlagen immer langsamer. Endlich stehen sie ganz still. Er ist tot. Es hat ihn Niemand gerichtet. Der Herr ist in die Welt gekommen, ein Arzt zu sein für die Kranken. Wer sind die Kranken? Wir Alle. Und wenn du dastehst in üppigster Gesundheit, und wenn du prahlst mit deinen Wangen, die wie Milch und Purpur prangen: bist ja doch krank, der Wurm der Sünde nagt in dir. Nun da ist der Arzt. Er ruft selbst: „Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Er lässt noch besonders rufen durch den heiligen Geist. Derselbe muss auch dir den Weg zu dem Arzt zeigen. Derselbe muss auch dich in gewissen Stunden an den Arm fassen und dich auf den Weg bringen. Gehst du nun, so heilt dich der Arzt. Gehst du nicht, lügst du dir vor, dass es mit deiner Krankheit Nichts auf sich habe, willst du dich selbst heilen mit den Hausmitteln deiner guten Werke, so frisst die Krankheit immer weiter. Die Säfte des Glaubens, der Liebe, der Demut werden immer weiter verderbt, bis du endlich in dir geistlich dahinstirbst, dass kein Arzt, auch nicht der Arzt aller Seelen, dir mehr helfen kann. Wer, aber hat dich gerichtet? Nicht Jesus Christus, du selbst. Wer hat dich getötet? Nicht Jesus Christus. Er ist nicht gekommen, zu töten, sondern lebendig zu machen. Du hast es selbst getan. -
Wohl ist es wahr, dass Christus endlich Gericht hält über alle Menschen. Es ist wahr, dass vor seinem Richterstuhl erscheinen müssen Alle, die je auf Erden gelebt haben. „Wir müssen Alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein Jeglicher empfange, nach dem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse.“ Aber Gott und Christus sprechen da weiter Nichts aus, als was du selbst schon ausgesprochen hast. Das Gericht ist Nichts als der Wiederhall deines Herzens. Hast du mit deinem Leben bezeugt: „Christus ist mein, und ich bin sein,“ so lautet sein Gericht: „Ja du bist mein,“ und das ist kein Gericht. Hast du mit deinem Leben bezeugt: „Ich will ihn nicht, ich brauche ihn nicht, ich gehorche ihm nicht, ich kann ohne ihn leben,“ so antwortet er dir im Gericht nur: „Du kannst ohne mich leben.“ Und ohne ihn leben ist die Hölle. Wer nicht glaubt an ihn, der ist schon gerichtet. -
Worin aber ruht es, dass so Viele nicht an das Licht wollen, nicht an das heilige Feuer wollen? Unser Evangelium sagt es uns: „Wer Arges tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, damit seine Werke nicht offenbar werden.“ Wisse, du Mensch, du kennst und fühlst deine eigene Sünde. Aber es soll so Halbwerk bleiben. Du willst dir selbst nicht mit klarem Wort und Namen sagen, dass es Sünde ist. Du willst dein verirrtes Herz so in der Schwebe hängen lassen. Wenn du aber zu Christo, wenn du an das Licht kommen willst, so musst du vor allen Dingen dir selbst sagen: „Ja, das war Trug, das war Wollust, das war Neid, Hass oder Lieblosigkeit, das war Hochmut und Gottvergessenheit.“ Dazu hat dein alter Mensch keine Lust. Darum willst du dich lieber von dem Licht in guter Ferne halten, damit deine Werke nicht gestraft werden. Wenn du zu Christo kommen willst, musst du ihm deine Sünde bekennen, und das noch viel tiefer als dir. Du musst ihm sagen: „Das Dichten und Trachten meines Herzens war böse von Jugend auf.“ Du musst mit ihm reden von dem trotzigen und verzagten Dinge, das man Herz nennt, und von deinem Fleisch: „Ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ - Dazu hast du freilich keine Lust. Du willst dem Herrn lieber verhehlen, wie es in dir aussieht. Was aber gewinnst du damit? Gar Nichts. Er weiß es doch. Es liegt Alles bloß und entdeckt vor seinen Augen. Er ist der Herzenskündiger. Und wenn du deine Sünde vergräbst in die tiefste Tiefe deiner Seele, wie Achan seinen gestohlenen babylonischen Mantel und seine goldene Zunge unter seinem Zelt in die Erde vergrub: über ein Kleines, so musst du doch an das Licht. Dann aber ist aus dem Licht ein verzehrendes Feuer geworden. Nichts hast du gewonnen, als dass du deine Last getragen hast alle Tage deines Lebens, und mit dem Tod wird sie dir nicht abgenommen, dann bekommt sie erst ihr volles, ganzes Gewicht. Und in diesem Allem hast du keine Entschuldigung. Es hat dich nicht ein finsterer Gewaltherr verdammt. Du bist dein eigner Richter geworden. Denn du kannst es nicht leugnen, dass auch dir das Licht des Lebens geleuchtet hat; du hast es nicht sehen wollen. - Eine Pfingstgemeinde, Geliebte, ist eine Festgemeinde, ist eine fröhliche Gemeinde. Wir meinen damit nicht die Freude, die sich vom Evangelio losgerissen hat und ohne dasselbe fortbestehen will. Sie hat die Schale von den Festen. Wenn nun an Festen ein Trauriger ist, so ist dieser selbst zwiefach traurig. Denn er sieht die Freude der Anderen und fühlt seinen eigenen Schmerz. Er ist arm unter den Reichen. Er stört aber auch die Freude der Anderen, denn sie können es nicht ohne Trauer ansehen, dass er kein Herz der Freude hat, dass ihm das selige Fest ein Stein des Anstoßes für seine Seele wird. Bei anderen Festen wie behandelt man da solchen Trauernden? Mit doppelter Liebe. Man sucht ihn mit Freundlichkeit hinwegzuführen über die wunde Stelle in seinem Herzen, man will ihn nicht daran denken lassen. Man tröstet ihn, wie man irgend trösten kann. Wie aber willst du einen trösten, der keine Pfingstfreude hat? Lieber Christ, lass ihn sehen die selige Freude deines Herzens, damit er unterscheiden kann zwischen der Freude, die der Geist dieser Welt seinen Kindern gibt, und zwischen der Freude, die der heilige Geist seinen Kindern gibt. Und weil er selbst noch nicht an das Licht will, so nage du ihn in deinen Gebeten hin zum Licht. Weil er selbst noch nicht zum Arzt will, so führe du ihn in deiner Fürbitte zum Arzt. Wenn die Gemeinde ein rechtes Pfingstfest feiert, so wird der Einzelne, der noch Nichts davon weiß, in der Zeit mitfeiern lernen. Hat Saul unter den Propheten mit weissagen lernen, so wird auch dein Bruder, wenn er noch nicht ganz verhärtet ist, unter deiner Liebe und deinen Gebeten mit lieben und danken lernen. -
Und du Geist der Gnade, Geist der Erneuerung, dich haben wir angerufen: „Komm und mache Wohnung in uns.“ Wo du aber gekommen bist, da rufen wir: „Bleibe bei uns!“ Der Welt Pfingstfreude entweicht, der Natur Pfingstschmuck verbleicht, die Pfingstmaien werden welk; unsere Pfingstmaien im Herzen halte du frisch und grün mit deinem Tau, der alle Tage von Neuem darauf fällt. Amen.