Ps. 22,1
Predigten
Andachten
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Herr Jesu, was ist mir dieses Wort wert! Wärest Du in dem Stillschweigen gestorben, da Du die drei Stunden der Finsternis beobachtetest, so hätte ich nicht gewusst, dass Du die Hölle für mich geschmeckt, und welch ein Trost wäre mir da entgangen! Aber Du redest wohl mit recht beklemmtem Herzen, das zeigt die Wiederholung Deiner Worte. Was Du bei dem Aussprechen derselben empfunden hast, das erreicht kein Mensch in der Sterblichkeit. Ein jedes Wort in Deiner Jammerklage ist von der größten Wichtigkeit. Das schöne Glaubenswort mein setzest Du voran, und das versüßt mir Dein ganzes Klaggeschrei. lehre mich alle meine Gebete auch damit anfangen, und Dich und Deinen Vater dadurch gleichsam zu mir reißen. Du nennest aber an Deinem Kreuze nichts Dein, als nur Gott, das allerhöchste Gut. So arm Du freiwillig wurdest und Alles fahren ließest, so lässt Du Dir doch Deinen Gott nicht rauben. O lass mich fleißig in diese Glaubensschule gehen, Herr Jesu, und von Dir glauben lernen; aber Deinen verdienstlichen Glauben lass mir dabei zu Statten kommen. Der süße Vatername ist gegenwärtig nicht auf Deinen Lippen, Dein Vater hatte sich in einen Grausamen verwandelt gegen Dich, den Bürgen des menschlichen Geschlechts. Aber die Veränderung Deiner Sprache, da Du nicht Vater, sondern Gott sagtest, soll mich eben tiefer in das Geheimnis Deiner Verlassung führen: ach, gib mir Kraft und Gnade dazu. Du sprichst gar bedenklich: warum hast Du mich verlassen? Du wusstest es wohl, warum; aber mir willst Du diese Frage in den Mund legen, ich soll fleißig mich um die Ursache bekümmern, welche Dich in solchen Jammerstand gesetzt. Ach, es ist meine Sünde! Darum musst Du von Gott verlassen werden, damit ich ewig wieder mit dem höchsten Gute könnte vereinigt werden. Du sprichst: mich, Deinen gehorsamen Sohn. Ja, mein Erlöser, weil Du eben das Menschengeschlecht vom Fluch, Zorn, Tod und Hölle erlösen solltest und wolltest, deswegen steckst eben Du, und kein Anderer, in dieser Angstgrube. Ach, keine andere Kreatur wäre auch solches zu ertragen im Stande gewesen. Sei in Ewigkeit dafür gelobet, und lass mir die Sünde nun auch recht sündig und mich derselben recht gram werden. Amen. (Friedrich Arndt)