Zuletzt angesehen: Römer, Kapitel 12

Römer, Kapitel 12

Römer, Kapitel 12

12:1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.
In einem schwachen Leibe leben wir jetzt inmitten einer verderbten Schöpfung. Allerlei Übel von Eltern und Voreltern her quälen leider nicht wenige, dazu kommen bei vielen schwere Verschuldungen durch ein zügelloses Leben in der Sünde im unbekehrten Zustande; wieviel Jammer und Kummer bereitet doch das alles! Leicht bleibt etwas hängen von jenen Einmischungen und Siegen, die wir früher dem Teufel gestatteten. Was ist jetzt zu tun? Bist du gründlich bekehrt und hast du deinen Leib Gott geweiht, so trägst du auch mit Ergebung die Übel, die dir als Rest geblieben sind. Grüble nicht mehr, verzage nicht, der Herr wird dich heilen, wenn Seine Stunde schlägt. Zur Demütigung aber lass dir selbstverschuldete Leiden dienen. O, wie glücklich sind doch diejenigen dran, die frühe sich bekehrt und vor schweren Sündenwegen bewahrt geblieben sind! Weihe dich nun mit Geist, Seele und Leib ganz dem Herrn, du wirst es nie bereuen. Trink nie vom Giftbecher schnöder Lust. Bewahre dich selbst. Lass keiner Macht der Finsternis Raum in deinem Gemüte, in deinem Fleische, in deinen Nerven. Was wider den heiligen Gott ist, zerstört deine Natur, schädigt deine Gesundheit, gefährdet dein Leben. Bekehre dich willig heute noch von ganzem Herzen zum Herrn. Lies Römer 6 und handle danach. Gott wird mit dir sein um Jesu willen. Dann werden dich Seine Engel umgeben und dir ist's wohl in dem Herrn. Glaube, bete, bis alle Satansstricke zerreißen, bis dein Herz rein und vom Herrn bewohnt ist. Es gibt auf diesem wichtigen Gebiet kein „unmöglich“! (Markus Hauser)


Paulus spricht immer anders als wir. Hätte er gesagt: ich tröste euch durch die Barmherzigkeit Gottes, oder ich verkündige euch die Vergebung durch die Barmherzigkeit Gottes, dann spräche er, wie es unsere religiöse Sprache uns lehrt. Nun nennt er uns Gottes Barmherzigkeit als das, woraus seine Mahnung entsteht, und welche Mahnung! Sie steigt empor auf alle Höhen des christlichen Berufs, greift nach unserem Leib, damit er unser lebendiges Opfer sei, ordnet unser Verhältnis zur Welt, damit wir unserem Verhalten die andere Gestalt gegen als die, die die Welt ihm gibt, und zeigt uns den unerschöpflich reichen Dienst innerhalb der Christenheit, in der jedes Glied an dem vom Leib zu vollbringenden Werk seinen tätigen Anteil hat. Und dies, Paulus, beschreibst du als die Folge der göttlichen Barmherzigkeit. Daran heißt du uns erkennen, dass Gott sich unserer erbarmt. Aber dieses Erstaunen gehört nur meinem kranken Ich an mit seiner Eigensucht. Ihr freilich wäre es lieb, wenn kein Anspruch an mich gerichtet würde, oder doch nicht ein solcher, der mich ganz „mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele und dem ganzen Vermögen“ erfasst. Paulus sah aber in unserem Gottesdienst Gottes Gnade, nicht eine mit Unlust übernommene Notwendigkeit, sondern das innig und völlig von uns begehrte Gut. Darum heftet er den Blick der Christenheit eben jetzt, da er von ihrer Pflicht und ihrem Werk, von ihrer Liebe und ihrem Dienst spricht, auf Gottes Barmherzigkeit. Wäre sie nicht für uns vorhanden, so könnte Paulus nicht von diesen Dingen mit uns reden. Dafür ist es die Voraussetzung, dass Gott ganz nahe zu uns herantritt, ganz in unsere Lage sich hineinstellt, so mit uns fährt, wie es unserem Kraftmaß entspricht, und das von uns verlangt, was wir innerhalb der Natur und der Welt an unserem Ort werden können. So behütet er uns davor, dass wir denken wie jener boshafte Knecht, der das empfangene Geld seinem Herrn zurückgab und sagte: „Ich wusste, dass du ein harter Herr bist.“ Das sagt keiner, der in der christlichen Verpflichtung die Bezeugung der göttlichen Barmherzigkeit erkennt.
Durch Deine Barmherzigkeit, Vater, bin ich an den Ort gestellt, an dem ich stehe, und mit der Pflicht begabt, der ich gehorche. Von Dir kommt sie, der Du Deine Gnade darin vollkommen machst, dass wir Dir gehorchen dürfen. Wir bedürfen alle der Mahnung; Dein Wort gibt sie uns hell und stark. Ich will hören. Amen. (Adolf Schlatter)


Nichts ist im selben Maß mein Eigentum wie mein Leib. Alles andere, Nahrung und Kleid, Haus und Geschäft, sind es erst im abgeleiteten Sinn und bekommen dadurch ihren Wert, dass ich meinen Leib habe. Was hat es für einen Sinn, dass mir ein solches Eigentum gegeben ist? Damit ist mir der Stoff zum Opfer gegeben. Meinen Leib soll ich, weil er mir als mein Eigentum gegeben ist, Gott dargeben, damit sich das höchste aller Gesetze erfülle, dass das, was von Gott kommt, für ihn bestimmt ist und zu ihm geht. Ist es aber wirklich wahr, dass mein Leib mein Eigentum sei, über das ich Macht habe? Hat nicht mein Leib Macht über mich, so dass er über mich verfügt? So ist es, solange ich von Gott fern bin. Von Gott verlassen versinke ich in meinem Leib. Nun ist mir aber Gott nicht fern, sondern ich lebe in seiner Gnade, bin seines Willens kundig und seiner Gnade teilhaft. Nun bin ich der Herr und Eigentümer meines Leibes; das bin ich aber nicht dazu geworden, damit ich über ihn nach meiner Lust verfüge. Menschliche Gewaltherrschaft lässt sich die Natur nicht gefallen. Wenn ich von ihr verlange, da sie meiner Eigensucht diene, packt sich mich sofort und macht mich sich untertan. Es gibt aber noch eine andere Weise, den Leib zu regieren, die, die ihn unter Gottes Willen stellt und ihn so gebraucht, dass er Gott dient. Nun ist mein Leib heilig. Nicht die Gebeine toter Christen hat Paulus heilig genannt, sondern von lebenden Leibern gesagt, dass sie heilig seien, weil die sie besitzen, die durch sie Gottes Willen tun.
Mein Leib, großer Gott, plagt mich mannigfach. Bald regt er mich auf und bald bedrückt er mich. Aber eben so, wie er ist, darf ich ihn dir übergeben. Nachdem Du der Herr und Regierer meines Herzens geworden bist, machst Du deine königliche Gnade dadurch voll, dass Du auch unsern Leib und alles, was wir in unserem Leibe tun, mit Deinem Wohlgefallen begnadest als unseren vernünftigen Gottesdienst. Amen. (Adolf Schlatter)


Es muß sich jeder Christ fleißig vorstellen, daß wir nicht unser eigen, sondern Gottes sind, dieses aber soll uns aufmuntern, daß wir uns selbst und alles, was wir haben, Gott auch wiederum aufopfern. Diese Opfer des alten Testaments mußten 1) seyn freiwillige Opfer. Der Mensch muß nicht in der Welt fromm leben aus Furcht der Strafe und der Hölle, sondern aus Liebe zu Gott, denn sonst ist es ein gezwungenes Opfer. 2) Die Opfer mußten Gott ganz, und nicht halb gebracht werden; derohalben sollen unser Herz nicht halb der Welt und halb Gott geben, sondern von ganzem Herzen und von ganzer Seele, und aus allen Kräften Gott lieben, und uns ihm ergeben. 3) Die Opfer mußten unbefleckt seyn, darum man kein Lahmes oder Blindes Gott bringen durfte. Wir sollen uns hüten, das wir Seele und Leib nicht beflecken, denn eine mit Sünden verunreinigte Seele mag Gott nicht in seinem Himmel aufnehmen. 4) Gott hat sonderlich ein Belieben getragen an Opfern, welche noch jung waren, an jährigen, zweijährigen Lämmern, um uns damit zu zeigen, daß wir mit unserer Bekehrung nicht sollen warten bis ins hohe Alter, sondern uns fein in Zeiten in der blühenden Jugend Gott zu einem Opfer übergeben. 5) Was einmal Gott geopfert war, durfte man nicht wieder austauschen oder wegnehmen; so soll ein Christ in seinem guten Vorhaben beständig seyn. (Johann Friedrich Stark)

12:2 Und stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch die Erneuerung eures Sinnes, auf daß ihr prüfen möget, welches da sei der gute, wohlgefällige und vollkommene Gotteswille.
Da wird unsern lieben Abreisenden doch noch etwas Ernsteres nachgerufen. Wollen sie jetzt wieder in die Welt hinein, und nach dem Lauf dieser Welt sich stellen? Das doch wohl nicht, wenn sie die Heiligen Gottes bleiben wollen. Setzten sie sich doch damit gleich wieder weit vom lieben Gott, so daß Sein Schutz sie, so zu sagen, nicht mehr erreichen könnte. Wer als ein Heiliger vom HErrn bewahrt sein will, - das versteht sich von selbst, - darf dieser Welt sich nicht mehr gleich stellen; und es darf bei ihm nicht mehr nach dem alten Wesen gehen, wie es der natürliche Mensch nach der in ihm wohnenden Sünde gewohnt ist. Vielmehr werden die Heiligen, die unter den Schutz Gottes sich stellen, immer und überall sich prüfen, wie weit in all ihrem Thun der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Wille Gottes mitlaufe. Wenn sie merken, daß es irgendwo fehlt, so machen sie's anders. Sie erneuern immer wieder ihren Sinn dem Willen Gottes nach, prüsen Euch allezeit, mit was sie's gut, Gott wohlgefällig und ganz recht machten, und werden so erst die rechten Heiligen Gottes. Je weiter es darin Einer bringt, desto herrlicher wird auch die Bewahrung sein, die er von dem HErrn erfahren darf.
Sind wir in dem, was zur Erneuerung gehört, treu, so werden wir auch leicht über den Kleinmuth und die Verzagtheit hinüberkommen, wie es uns oft befallen will, wenn das Gedränge groß wird. Treue erhält den Mut auch bei Schwachheiten, und läßt uns immer wieder mit Vertrauen seufzen: „HErr hilf mir!“ Solche Seufzer aber hört der HErr. Der bewahre unsre Seelen auch in dem, daß wir im Vertrauen nicht matt werden, in der Erneuerung unseres Sinnes nicht nachlassen, dem Treiben der Welt nicht zu nahe kommen, damit Ihm nie Ursache gegeben werde, uns Seinen helfenden Schirm und Schutz zu entziehen! Er gedenke derer, die jetzt abreisen, und gedenke derer, die bleiben, und wolle Seine Liebeshand nach allen ausstrecken und alles in allem zum Guten lenken nach Seiner Barmherzigkeit! (Christoph Blumhardt)


Wenn es möglich ist, dass ein Christ selig werden kann, obgleich er sich dieser Welt gleichstellt, so ist es jedenfalls so, dass er wie ein Brand aus dem Feuer gerettet wird. Eine solche nackte Errettung ist fast eher zu fürchten, als zu wünschen. Lieber Freund, möchtest du wohl wünschen, aus dieser Welt zu scheiden in der dunkeln Nacht eines verzweiflungsvollen Sterbebettes, um zum Himmel einzugehen als ein schiffbrüchiger Seefahrer, der sich über die Felsen der heimatlichen Küste hinaufrettet? Dann bleibe weltlich; halte dich zu den Mammonsdienern, und weigere dich, mit Christo außer dem Lager zu gehen und seine Schmach zu tragen. Aber du möchtest gern hienieden schon den Himmel haben, und den Himmel droben nicht missen; du möchtest mit allen Heiligen begreifen, welches da ist die Höhe und die Tiefe, die Länge und die Breite der Liebe Christi, die alle Erkenntnis übersteigt; du möchtest einen überschwänglichen Eingang erhalten zu deines Herrn Freude, - dann gehe aus von dieser Welt und sondere dich von ihr aus, und habe nichts gemein mit dem, was unheilig ist. Möchtest du gern völlige Versicherung deines Glaubens erlangen? Du gewinnst sie nicht, solange du der Sündenfreunde Freund bist. Möchtest du mit inbrünstiger Liebe brennen?
Deine Liebe wird von der Schwemme leichtsinniger Gesellschaft ertränkt. Du kannst vielleicht ein Säugling der Gnade sein, aber du kannst nicht zum vollkommenen Mannesalter Christi gelangen, wenn du dich den Sitten und Grundsätzen der Menschen dieser Welt anschmiegst. Es steht einem Erben des Himmels übel an, mit den Erben der Verdammnis auf vertrautem Fuße zu leben. Es geht nicht, dass ein königlicher Kammerherr mit den Feinden seines Fürsten innig befreundet sei. Selbst kleine Gefügigkeiten sind gefährlich. Kleine Dornen machen große Schmerzen, kleine Motten zerstören kostbare Gewänder, und kleine Leichtfertigkeiten und kleine Schelmereien rauben unsrem inwendigen Leben tausend Freuden. O Christ, der du dich von den Sünden zu wenig fern hältst, du weißt nicht, was du durch dein Benehmen verlierst. Es zerschneidet die Sehnen deiner Kraft, und du kannst nur kriechen, wo du solltest nachjagen. Wenn du also ein Christ bist, so beschwöre ich dich um deinetwillen, sei ein ganzer und entschiedener Christ. (Charles Haddon Spurgeon)


Diese Welt! Wie hatte Paulus sie kennengelernt, als die Macht der Mode, als den Glanz des Diesseits, als die Lust des Augenblicks, aber vor allem in dem heißen Haß gegen Christum und seine Apostel und die Predigt vom Kreuz! Wie konnte es da überhaupt eine Möglichkeit für wirkliche Christen geben, diese Weltart anzunehmen? Die Gefahr bestand darin, daß die Welt gleichsam eine Schablone für den Einzelfall erfunden hatte und versprach, die Christen in Ruhe zu lassen, wenn sie sich mit dieser Schablone zeichnen ließen. Gebot nicht die Klugheit, dieses äußere Schema anzunehmen? Nein, die äußere Zustimmung zu der Weltschablone ist schon Abfall. Viele Christen behalten leider, um mit der Welt Frieden zu halten, der Welt Form bei und tun so, als wäre wirklich Religion „Privatsache“. Feigheit schafft Gefügigkeit gegen die Weltschablone, und daraus entsteht ein falsches Christentum, das sich nach der Mode richten muß, bis es seine Gotteskraft ganz verliert und vom Herrn verworfen und von der Welt verachtet wird. Darum, mein Herz, sei auf der Hut, daß du deine Selbständigkeit dieser Welt gegenüber und deine Gebundenheit an Jesum nicht preisgibst! Lieber Haß und Feindschaft, als Schablone dieser Welt!
Herr Jesu, ich spüre die Gefahr; ich erkenne meine schmiegsame, schwache Art. Bewahre du mich, daß ich im Zusammenhang mit dir bleibe, daß mich weder die gottlose noch die christliche Weltart gefangen nehme. Du bist mein Muster und mein Meister und meine Hilfe. Amen. (Samuel Keller)


Durch den Geist der Gnade verschließe doch Herz und Haus den weltlichen Strömungen, hüte dich vor dem Zeitgeist wie vor einer Schlange. Freunde, es gilt eine Tat. Stellet euch nicht dieser Welt gleich. Aber dann sind wir eine Ausnahme, unser Tun wird sofort abstechen von dem der anderen. Dann wird man uns verlachen, schelten, verketzern, verfolgen. Die Finsternis scheut das Licht, denn sie kann es nicht ertragen. Sie verurteilt die Kinder des Lichtes mit ihrem Sein, Wesen und Tun. Warum werden diejenigen gehasst, die sich dieser Welt nicht gleichstellen, die gelernt haben, wider den Strom zu schwimmen? Ist es denn etwas Schlechtes, ein heiliges und stilles Leben zu führen? Ist es etwas Schlechtes, geistlich gesinnt zu sein? Wollen denn die Christen nicht das Beste und Höchste? Wie aber ist Gott, hat Er sich nicht als der Heilige geoffenbart? Hat Er nicht gesagt: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig?“ Ist es denn etwas Schlechtes, Gott gehorsam zu sein? Fürwahr, meine Lieben, der Himmel bleibt uns verschlossen, wenn wir es machen, wie alle Welt es macht; wenn wir uns von der Zeitströmung fortreißen lassen, so endet unser Leben bald in der Qual. Mag die Welt mit Fingern auf uns zeigen, wenn wir gegen ihr Wesen offen Front machen! Wir liegen einer guten Sache ob und wissen es, dass man uns im Himmel ehrt und dass unsere Namen angeschrieben sind. Nicht der „Welt“, dem Herrn wollen wir uns gleichstellen. Er allein sei unser Vorbild. Christi Sinn soll unser Sinn, Sein Wille unser Wille, Sein Leben unser Leben werden. (Markus Hauser)


Die in der Umgestaltung Stehenden empfangen die Prüfungsgabe. Je näher einer dem Herrn ist, desto klarer erkennt er Ihn. In der Umgestaltung fallen die Hüllen weg. Nur in dunklen, großen Umrissen erkennt der Anfänger den Willen Gottes, er merkt noch nicht recht, wo es mit der Erneuerung hinaus will; er ist oft bald fertig, weiß mit den kräftigsten und weitgehendsten Schriftstellen nicht viel anzufangen, er kommt sich vor, als wäre er mit der Umgestaltung für dieses Erdenleben schon am Ziele angelangt, so dass er nur noch in den Himmel einzugehen hätte. Schreitet er aber vorwärts auf der betretenen Bahn, kommt er mehr und mehr unter die Zucht, Erleuchtung und Erziehung des Heiligen Geistes, so sieht er nicht nur besser hinein in den ihm längst bekannten Willen Gottes, es erschließen sich ihm auch darüber neue, ungeahnte Gebiete. Dieser Fortschritt beglückt sehr. O, sei kein fertiger Christ! Aneignen musst du dir den guten, wohlgefälligen, vollkommenen Willen Gottes. Das ist eine fortgesetzte Geistesarbeit. Erwäge und bewege jedes dir noch so bekannte Gotteswort, denke noch reiflicher darüber nach, gehe damit auf die Knie, frage den Herrn, bitte Ihn selbst um Licht, so wirst du Gnaden und Seligkeiten genießen, von denen diejenigen keine Ahnung haben, die nur so leichthin die Bibel lesen. Die Prüfungsgabe hängt also mit der fortschreitenden Erneuerung aufs engste zusammen; wer sich durch des Heiligen Geistes Gnadenmacht umgestalten lässt in Jesu Bild, wer dem Heiland immer ähnlicher wird, der kann Gott verstehen. Darum ist Ihm auch Sein Wort teurer als im Anfang. (Markus Hauser)


Die Welt kann ich nicht verändern; erneuern aber kann ich meine Gedanken, und wenn diese neu werden, dann wird auch mein Verhalten neu. Dann gibt es eine Umformung und Neubildung, durch die diejenige Gestalt, die diese Welt mir aufprägt, beseitigt wird. Unser Anteil an unserem Volkstum gibt uns allen eine große Ähnlichkeit und diese Gemeinsamkeit ist eine starke Hilfe dazu, dass wir zusammenleben. Der Klang unserer Sprache färbt sich gleichartig mit der der anderen. Mode, Sitte und Staatsgesetz ordnen unser Verhalten nach derselben Regel, und auch im inwendigen Leben werden wir alle von seelischen Wellen bewegt, die mit großer Macht durch uns alle durchfahren und unser Empfinden, Denken und Wollen gleichartig machen. Warum ist es nun nötig, dass ich mich dieser Gemeinsamkeit entziehe und mich dieser Welt nicht anpasse? Was will ich? Den Willen Gottes will ich tun, und dieses Ziel reißt mich aus der nachgiebigen Abhängigkeit von den anderen heraus. Ich kann nicht mehr fragen: was tut jedermann? was ist Brauch und Gewohnheit? was gefällt und trägt Beifall ein? Die Christenfrage ist: was ist Gottes Wille? und für diese Frage reichen die alten Gedanken, die von jeher in der Menschheit vorhanden waren, nicht aus. Dazu brauche ich einen neuen Verstand. Neu muss er werden auch im Vergleich mit dem, was ich selbst von jeher besaß und schon in der Kindheit lernte, weil es in der Kirche so üblich war. Denn jede neue Lage stellt an mich einen neuen Anspruch, dem ich mit meinen alten Gedanken nicht genugtun kann. Es gilt zu erfassen, wohin mich Gott jetzt führt und was er mir in dieser meiner Lage als meine Pflicht zuteilt. Ist es mir denn möglich, neue Gedanken zu bekommen? Vor seine Mahnung hat Paulus das Wort gesetzt: „Durch Gottes Barmherzigkeit ermahne ich euch.“ Wir starren, wenn wir nach Gottes Willen fragen, nicht in einen leeren, finsteren Raum hinein, sondern erheben unseren Blick zu dem, der das Licht der Welt ist. Er lässt keinen im Dunkeln wandern, der nach seinem Willen fragt.
Du hast, lieber Herr, Deinen Jüngern gesagt: Macht es wie der Haushalter: er braucht Altes und Neues je nach Bedarf. Dein altes, längst gesagtes Wort leitet mich und Dein Geist gibt neue Weisung, wie ich sie für den neuen Tag bedarf. Altes und Neues, beides reicht uns die eine Hand dar, die gebende, die Deine. Gib mir Einsicht und Verstand für das, was der neue Tag von mir verlangt. Amen. (Adolf Schlatter)


Wenn ein gläubiger Christ erwäget, daß die Weltliebe ist wie das Unkraut, das von selbst in der Seele wächset, hingegen aber die Frucht Gottes, und die Liebe zu Gott wie eine schöne wohlriechende Pflanze, die mit Fleiß und Mühe erst muß da hinein gesetzt und wohl bewahrt werden; so kann er daraus erkennen, was man für Sorge und Arbeit anzuwenden hat. Er soll demnach 1) erkennen, daß Welt in ihm und ausser ihm sey; Welt in ihm sind die bösen Lüste, Tücke, Begierden und Gedanken seines Herzens; Welt außer ihm sind der bösen Menschen Exempel, Lockungen und Verführungen. Diesen allen aber muß ein wahrer Christ 2) wiederstehen, den aufsteigenden Lüsten und Gedanken durch Gebet und Seufzen, und der Welt Reizungen durch Vermeidung der Welt Gesellschaften, Gewohnheiten und Lebensarten. Weil nun dieses nicht steht in unsern eigenen Kräften, so muß er 3) Gott um seine Hülfe und Beistand eifrig anflehen. 4) Dieses Abziehen von der Welt muß nicht so geschehen, als ob man sich einschließen und einsperren wollte, mit Niemand reden und umgehen, sondern es muß darin bestehen, daß man mit den Weltkindern nicht sündige, und ihre bösen Werke und Thaten nicht nachthue. Denn wenn wir mit gar keinem Gottlosen umgehen sollten, so müßten wir nach Pauli Ausspruch die Welt räumen. Wir sollen in der Welt seyn, wie Joseph in Egypten, Loth in Sodom, Daniel und seine Gesellen in Babel, welche aber der Städte und Leute Sünden nicht verübten. 5) Dieses Abziehen von der Welt soll auch nicht etwa nur zum Schein auf etliche Tage geschehen, wenn man will Gott seine Sünden bekennen, und zu dem heiligen Abendmahl gehen, sondern diese Arbeit soll beständig seyn. Ist die Welt aus dem Herzen heraus, so gehet Jesus ein. (Johann Friedrich Stark)


Eine schöne Erklärung dieses Spruchs sind die Worte des seligen Märtyrers Johannes Huß, die in des sel. Riegers alten und neuen böhmischen Brüdern, VII. Stück, § 187., S. 653. ff. angeführt sind. Huß schrieb nämlich in seinem Traktat von dem Greuel der fleischlichen Priester und Mönche, K. 78.: „Ich habe zu Gott, dem Vater unsers HErrn Jesu Christi, treulich gebetet, meine Bibel habe ich über mich in den Händen gegen Ihn aufgehoben, mit Mund und Herzen habe ich gerufen: o Gott, mein HErr und Meister meines Lebens, verlaß mich nicht! Uebergib mich nicht in den Sinn und Rath dieser (weltlich gesinnten) Leute; behüte mich, daß ich mich nicht selber klug dünke, noch diesen Leuten heuchle, und in schwere Sünden falle; denn ich sage es frei vor Gott und Seinem Gesalbten, - daß ich von meiner Kindheit an bis auf diesen Tag gleichsam zwischen Thür und Angel gestanden bin, und gezweifelt habe, was ich erwählen solle oder nicht, ob ich begierig und unbescheiden nach Ehren und Pfründen (großen Einkünften) streben solle -, oder ob ich vielmehr außer das Lager hinaus gehen, und die Armuth und Schmach Jesu Christi tragen solle? ob ich ein geruhiges und gemächliches Leben mit dem größten Haufen erwählen, oder der lautern und heiligen evangelischen Wahrheit anhangen solle? ob ich preisen solle, was Alle preisen? rathen, was Alle rathen? entschuldigen, was Alle entschuldigen? die Schrift glossiren, wie dermalen fast alle große, berühmte, gelehrte, und mit dem Schein der Heiligkeit und Weisheit angezogene Männer sie glossiren? oder ob ich vielmehr jene unfruchtbaren Werke der Finsterniß männlich anklagen, bestrafen, und mich einfältiglich an die lautere Wahrheit des göttlichen Wortes halten solle, welches öffentlich den Sitten jetziger Leute widerspricht, und daß sie falsche Christen und Brüder seien, beweiset? – ich bekenne noch einmal, daß ich bisher also auf beiden Seiten gehinkt habe, daß ich in einer Stunde, wenn ich die Artigkeit der Weltliebhaber gesehen, derselben Fleiß und Bemühung gelobt, und mich selber gestraft habe, daß ich ihnen noch nicht nachgefolget sei. – Es geschahe aber, daß ich in einer Stunde wieder verwirrt hinwegging, und bereuete, daß ich sie gelobet hätte, wenn ich nämlich sahe, wie sie ihre Eitelkeit fortsetzten, und der Tugend und Wahrheit Jesu Christi mit Werken widersprachen, die sie erst mit Worten gelobet hatten.“
In diesem Kampf stand der sel. Johannes Huß, und überwand darin durch die Kraft Jesu Christi unter großen Leiden: wer ist aber, der jetzt die Gleichförmigkeit mit der gegenwärtigen Welt so lauterlich verabscheue und so ernstlich fliehe? Welt ist nicht nur der grobe und ungeschliffene Haufe, welcher sich in schändlichen Lastern herum wälzt, sondern auch die ganze Menge derjenigen, welche gerecht sein wollen ohne Christum, und weise und tugendhaft ohne Seinen Geist, und nach der feinen Weise ihrer Zeit der Augenlust, Fleischeslust, und dem hoffärtigen Leben nachhängen. Kurz zu sagen, Welt sind alle diejenigen, die da halten über dem Nichtigen, und ihre Gnade, das ist die Gnade, welche sie bei Jesu Christo zum Seligwerden finden könnten, verlassen. Jon. 2,9. Dieser Welt soll ich mich nicht gleich stellen, sondern mich verändern und einen neuen der Welt entgegengesetzten Sinn zeigen und behaupten, so lieb mir das Wohlgefallen Gottes ist.(Magnus Friedrich Roos)

12:3 Denn ich sage euch durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann unter euch, daß niemand weiter von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern daß er von sich mäßig halte, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens.
Ach ja, das Hinaustrachten über die Grenze. Wie viel Herzeleid und Unrecht hat das schon eingebracht! Der eine will geistig mehr scheinen, als er ist, unternimmt und verspricht zuviel, und dann langt es nirgends, seine Blöße zu decken. Verzweifelte Anstrengung, die doch nicht zum Ziele führt, verstimmt ihn, und jetzt wird er ungerecht gegen die andern, die Erfolg und Ehre erreichten. Auf dem Boden der inneren gläubigen Erfahrung geht es ganz ähnlich. Man trachtete hinaus über das Maß, das der Herr in unserer Begabung, unserer Stellung oder Lebensführung uns mit Glauben gefüllt hatte. Nach glänzenden Beispielen besonderer Glaubenshelden wollte man auch wachsen, wachsen ! Das gibt eine Aufgeblasenheit, eine Anstrengung, frömmer, größer zu scheinen als man ist, wo man sich der Unwahrheit gar nicht bewußt ist, weil man ja innerlich sich nach solchem Wachstum sehnt, vielleicht sogar ungeduldig darum betet. Was ist es dagegen für eine schöne, stille, starke Sache, wenn einer seine Grenze erkannt hat und lieber im engen Kreis etwas Ganzes und Kerniges werden will, als nach hohler Größe trachten.
Herr Jesus, du Meister meines Lebens, zeige mir doch allezeit meine Grenzen. Behüte mich, nach irgendeiner Seite über das hinauszutrachten, was du für mich vorhergesehen, als du mich geschaffen hast. Das Trachten macht krank. Mache du mich gesund, Herr Jesu! Amen. (Samuel Keller)


Vieles mag uns locken, was wir für heilsam halten, wenn es hergestellt würde. Unsere Phantasie versteht es gut, Bilder zu malen, die uns schöner scheinen als das, was uns gegeben ist. Allein solche Wünsche zeigen uns nicht das, was wir erstreben dürfen. Mache nicht, warnt Paulus, aus deinem Glauben einen Übermut. Wo endet die Besonnenheit und wo beginnt der Übermut? Ich verfalle ihm dann, wenn ich über das Maß meines Glaubens hinausfahre. Ergreife ich selbst die Zügel, um die Fahrt selbst zu lenken, so verliert mein Gefährt die Richtung. Nachfolgen, nicht voranlaufen kennzeichnet den, der in Gottes Reich festgewurzelt steht. Nun regiert Gott und nicht das begehrliche und träumende Menschenherz, und nur dann, wenn ich in dieser Folgsamkeit verharre, bleibt meine Freiheit unversehrt. Solange das mir zugeteilte Maß des Glaubens mir das Maß für mein Wirken gibt, handle ich frei, weil nun mein Handeln aus meinem eigenen Glauben erwächst. Wenn ich aber einen fremden Glauben zu meiner Richtschnur nehme und mich nach dem Maß richte, das den anderen gegeben ist, gebe ich meine Freiheit preis und zwinge mich, mich zu verstellen und untreu gegen mich zu sein. Nun muss ich mich stellen, als handle ich im Glauben, während nicht mein Glaube mich bewegt, sondern der der anderen. Gehorche ich dagegen Paulus, der mein ganzes Wirken an das Maß meines Glaubens hängt, so bleibe ich von Schein und Verstellung frei. Nur die Eitelkeit könnte mich verführen, mich auf einen fremden Glauben zu stützen, weil er größer und stärker als der meine ist. Allein Glaube und Eitelkeit vertragen sich nicht. Wo der Glaube einkehrt, ist der eigene Ruhm hinausgesperrt. Somit darf ich dankbar tun, was ich kann, und die Kraft brauchen, die ich habe, und mich an meinem Werk freuen; denn es ist für Gott getan, weil es aus dem Glauben kam.
An Deiner Hand zu wandern, Herr Gott, das gibt die frohe Fahrt. Sehe ich auf Dich, so verwirrt mich der Blick auf die anderen nicht. Was Du mir ins Herz gelegt hast, das ist meine Ausrüstung zu meinem Dienst und zu meinem Kampf. Denn Du gabst jedem Glauben, sei er noch so klein, Deine ganze Verheißung ohne Einschränkung. Amen. (Adolf Schlatter)

12:4 Denn gleicherweise als wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben,

12:5 also sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied,1)
Merk auf! Hier wird dir etwas gesagt, was gewaltig in die Höhe steigt! Ein Glied sein heißt ein eigenes Leben haben. Wenn ein Glied nicht mehr seine ganze Funktion nach seinem eigenen Gesetz vollzieht, wird es für den Leib unnütz und zum gefährlichen Herd um sich greifender Erkrankung. Ich darf nirgends nur mitlaufen, nirgends nur nachmachen, nie gegen meinen eigenen Glaubensstand untreu sein. Denn ich bin Glied, und ein Glied muss das besorgen, was ihm als sein Anteil am Leben des Leibes zugewiesen ist. Ich bin Glied, das heißt aber weiter, ich bin in den Leib hineingestellt. Was das Glied an Nahrung und Kräftigung empfängt, das stammt nicht aus ihm selbst, sondern kommt von den anderen, und was es leistet, das dient nicht bloß ihm, sondern den anderen. Gerade dadurch, dass es sein Eigenleben hat, steht es in der empfangenden und gebenden Gemeinschaft mit den anderen. Dies gilt ausnahmslos von uns allen. Jeder, der zum Leib gehört, ist Glied für die anderen. Es gibt keinen, der den Zweck seines Lebens in sich selbst finden könnte, wie es auch keinen gibt, der den Grund seines Lebens in sich selber hat. Es wird uns aber beides schwer, sowohl das Empfangen als auch das Geben. Es ist schwer zu lernen, weil meine eigenen Gedanken mir lieb sind; aber es ist auch schwer zu lehren, das Wort so zu fassen, dass es nicht verwirrt und stört, sondern hilft. Es ist nicht leicht, sich helfen zu lassen; geht nicht jede Arbeit leichter voran, wenn sie nur in einer Hand liegt? Es ist aber auch schwer, den anderen zu helfen und sich so in ihre Arbeit einzuordnen, dass sie von mir gefördert wird. Aber die Frage, ob es schwer oder leicht sei, was ich als Glied zu tun habe, hat gar keine Bedeutung. Christus macht aus uns den einen, zusammengewachsenen Leib. Da gibt es nichts zu ändern und nichts zu wünschen. Durch einander und für einander leben wir, weil wir durch Christus und für Christus leben. Darum ist alles, was den anderen gegeben ist, auch für mich Gewinn, und alles, was mein eigen ist, auch zum Heil der anderen da. Damit endet alles Erwägen, ob die Gemeinschaft schwer oder leicht, mehr Hemmung oder mehr Förderung sei. Sie ist da und ich bin in sie hineingesetzt, so gewiss ich das empfangen habe, was von Christus stammt.
Mit Deiner Hilfe, lieber Herr, weise ich meine eigensüchtigen Wünsche weg, die sich nur um mich selber drehen. Höre ich auf mich, so sollen wohl die anderen mir mancherlei geben, allein keinen Anspruch auf mich haben. Das verstößt gegen Dein gnädiges Werk, durch das Du Deinen Leib bereitest, der Dein eigen ist als von Dir regiert. Glied im Leib, das ist mein Ort, ein herrlicher Ort, das sichtbare Wahrzeichen Deiner Heilandsmacht. Amen. (Adolf Schlatter)

12:6 und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.

12:7 Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben gemäß. Hat jemand ein Amt, so warte er des Amts. Lehrt jemand, so warte er der Lehre.

12:8 Ermahnt jemand, so warte er des Ermahnens. Gibt jemand, so gebe er einfältig. Regiert jemand, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's mit Lust.

12:9 Die Liebe sei nicht falsch. Hasset das Arge, hanget dem Guten an.
Wenn ein Wort des christlichen Wortschatzes imstande ist, blitzschnell eine Bußstimmung in mir auszulösen, so ist es „Liebe“. Wie viel erleben wir vom Herrn, wie wenig klingt davon unser Umgang mit andern wider! Darüber ist Freund und Feind einig, daß der Hauptbeweis des neuen Lebens Liebe sein müsse, und wenn sie nicht da ist, fühlt man sich versucht, sie wenigstens vor andern zu markieren oder wenigstens mit dem wenigen, was man davon hat, eine möglichst günstige Schaufensterauslage herzustellen. Wie dünn wird das Metall, wenn man eine sehr große Fläche mit einem kleinen Klumpen Gold überziehen will! Man lebt gleichsam über seine Verhältnisse, indem man wenig hat und doch nach außen den großen Christen spielen will, bei dem ein Überfluß an Liebe vorhanden ist. Daher ist die Warnung des Apostels nicht unberechtigt und trifft auch mich. War meine Liebe gegen andere wirklich echt, daß sie das Arge, was jene an sich hatten, haßte und ihre guten Seiten unerschütterlich festhielt? War sie wirklich ein starker Trieb, ihren Seelen voranzuhelfen, daß sie ihr Ziel erreichten oder wenigstens wuchsen an Nähe zum Heiland?
Herr Jesu, du bist der Born der echten großen Liebe! Vergib mir, daß ich dir so wenig ähnlich war und hilf mir, mehr Liebe nehmen, damit ich sie umsetzen kann in Wort und Wesen und du darüber Lob und Ehre erlangest, der so viel Liebe den Menschen gibt. Amen. (Samuel Keller)

12:10 Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.
Ein schneller Blick in einen sehr guten Spiegel zeigt uns einen Flecken im Gesicht. So scheint mir s mit diesem Wort des Apostels zu sein. Ist in dieser hellen Beleuchtung nicht ein Fehler an meiner Liebesstellung gegen die Brüder? Die Brüderlichkeit setzt das Wort als vorhanden voraus; ich will das mal heute bei mir auch tun. Aber hat sie diesen zärtlichen Charakter einer familienhaften Zuneigung? Gegen einige Menschen, die mir gar nicht verwandt sind, gewiß. Ihr Schmerz wäre mein Schmerz; ihr Glück würde meines erhöhen; ihre Verunglimpfung würde mich erzürnen. Aber wie wenige sind es unter den Tausenden, die vielleicht an meine christliche Bruderliebe ihnen gegenüber glauben? Manchen gegenüber finde ich in mir Gleichgültigkeit oder nur schwache Ansätze von Interesse; andere liebe ich mit einem starken Aber! Wo ist die neidlose Freude an meinen Brüdern? Auf einmal scheint's mir, als ob meine brüderliche Liebe kleiner geworden sei, seit ich sie so aufmerksam betrachte, und der schwarze Flecken selbstischer Gefühle wächst. Und zart? Rücksichtsvoll, sie schonend und hegend? Erst recht nicht!
Da ist kein Rat, Herr Jesus, du mußt dich ins Mittel legen. Vergib mir das eigene Wesen so, daß es ausgewurzelt abfallen kann, und gib mir deine Liebe zu den Brüdern so, daß sie fest einwurzeln und stark wachsen kann und blühen und grünen zu deiner Ehre und der Brüder Freude. Amen. (Samuel Keller)

12:11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brünstig im Geiste. Schicket euch in die Zeit.

12:12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.

12:13 Nehmet euch der Notdurft der Heiligen an. Herberget gern.

12:14 Segnet, die euch verfolgen; segnet und fluchet nicht.

12:15 Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.
Ist jemand fröhlich, sollen wir nicht sauer sehen, wie die Heuchler, die etwas Besonderes sein wollen und mit ihrem unzeitigen Ernst sich allein weise und heilig dargeben und alle, die fröhlich sind und nicht mit ihnen sauer sehen, zu Narren und Sündern machen; sondern es soll uns ihre Freude gefallen, wo sie nicht wider Gott ist. Als, daß doch ein Vater fröhlich ist, so ihm sein Weib gesund, fromm, hold ist, ein Kind gebiert; item so sein Kind fromm und vernünftig ist, so fortan, wo es ihm wohl geht an Seele, Leib, Gut, Ehre und den Seinen, als uns selbst: denn das sind Gottes Gaben, die er gibt, spricht S. Paulus, Apostelgesch. 14,17: „daß er der Menschenkinder Herz mit Freuden erfüllt“. Wiewohl viele solche Gaben und Freuden übel brauchen, dennoch sind's darum nicht desto weniger Gottes Gaben, die nicht mit Sauersehen zu verdammen sind, als möchte oder sollte man sie nicht haben. (Martin Luther)

12:16 Habt einerlei Sinn untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.2)

12:17 Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Fleißigt euch der Ehrbarkeit gegen jedermann.3)
Wenn wir zum Überwinden des Bösen angestellt sind, dann dürfen wir das fremde Böse nicht dadurch stärken, daß wir ihm Brennmaterial zuführen. Durch eine böse Antwort wird der gereizte Gegner um so gereizter: sein Böses wird gestärkt, bestätigt, entschuldigt durch unser Böses. Böses hat der andere schon genug; führe deine Güte und Freundlichkeit in diesen Vorgang hinein, denn nur dadurch gewinnst du wirklich. Auf eine scharfe Entgegnung war der andere gefaßt: nach seinem Hieb auf dich stand er in Verteidigungsstellung bereit, sofort wieder zu schlagen. Wenn du aber nicht zurückschlägst, macht ihn das verblüfft. Er kommt sich in seiner empörten Fechterstellung selbst komisch vor. Jetzt beruhigt sich sein Blut, und er schämt sich. Bist du noch dazu freundlich gegen ihn, so muß er die Waffe aus der Hand fallen lassen und kann deine zur Versöhnung ausgestreckte Hand ergreifen. Die Kraft zu solchem siegreichen Überwinden des Bösen kannst du von dem beziehen, der für uns geboren wurde zu Bethlehem, und für uns gestorben ist, da wir noch seine Feinde waren. Das ist die große Macht der wehrlosen Sanftmut, die jeden zornmütigen Gegner auf die Dauer überwindet.
Herr Jesus, lege deine Sanftmut wie einen Schild über deine Leute. Lehre uns schweigen, dulden, tragen, lieben, bis du über uns gesiegt hast und dann durch unsere Sanftmut über unsere Feinde siegst! Amen. (Samuel Keller)


Wenn das Gute nur in unseren Worten und dem Wandel vor Menschenaugen seine Stätte hat, während zur selben Zeit im geheimen Denken mancherlei Böses seinen Unterschlupf gefunden und sein Nebendasein fristen kann, sind wir noch nicht sicher vor Entdeckung. Äußerlich aufopfernd, edel, hilfsbereit, innerlich selbstsüchtig, unnobel, hartherzig, auf die eigene Ehre oder Bequemlichkeit sinnend - das ist ein gewagtes Spiel! Plötzlich verlierst du das seit Jahren mühsam bewahrte Gleichgewicht und fällst in einem hitzigen Augenblick aus deiner Rolle, und die andern, die dich wie ein Tugendmuster verehrt, sehen erschrocken in das glühende Innere deines Wesens, wo ganz gemeine Triebe toben. Doppelleben! Darum ist es der beste Rat, den der Apostel geben kann: Denke so dem wahrhaft Guten nach daß es an dir nichts zu verraten gibt. Denke im geheimen so, als wäre deine Stirn aus Glas, und als könnten alle Menschen deine innersten Gedanken lesen. Dann gibt es keine Demütigung der Entdeckung. Dann wird das Innere mit dem Äußeren ganz natürlich zusammenstimmen, und wer etwas von deinem Wesen kennenlernt, der hat dich ganz kennenlernt. Was für klare Rechnungen mit Menschen gäbe das!
Herr, vor dir bin ich entdeckt. Jetzt hilf mir zum nächsten Schritt, daß ich vor mir selbst entdeckt sei, daß ich mich selbst richtig erkenne, und dann hilf mir zu der Stufe, daß mein Innerstes vor aller Augen offen liegen kann. Herr Jesu, reinige du mich! Amen. (Samuel Keller)

12:18 Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.

12:19 Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der HERR.“

12:20 So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.

12:21 Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.4)
O Herr Jesu Christe, des lebendigen Gottes Sohn, Du Spiegel der göttlichen Majestät und ewigen Klarheit, der Du uns geliebt hast bis an’s Ende, und aus brünstiger Liebe am Kreuz für uns arme Sünder gestorben bist, und uns damit vom ewigen Tode erlöset und ein Vorbild der rechten inbrünstigen Liebe gelassen hast, nach welchem wir Dich über alle Dinge und von ganzem Herzen lieb haben, Dein Wort halten und uns nach Deinem neuen Gebot und Beispiel unter einander herzlich lieben, uns damit als Deine rechtschaffenen Jünger und wahre Christen beweisen sollen: verleihe, daß solches nun auch unter uns wirklich also geschehe, wie Du es von uns haben willst. Gieb, daß sich ein jeder Christ des andern, als Glied Eines Leibes, mit brüderlicher Liebe und herzlicher Treue annehme; dazu, daß solche Liebe nicht falsch oder erdichtet, sondern rechtschaffen und ungefärbt sei; daß wir uns unter einander nicht nur mit Worten und mit der Zunge, sondern mit der That und der Wahrheit lieb haben.
Entzünde durch Deinen heiligen Geist unsere Herzen, daß wir nach Deinem Vorbild auch unsere Feinde lieben, und Gutes thun denen, die uns hassen und verfolgen, und Dir die Rache in allen Dingen mit Geduld übergeben. O Du Sohn Gottes, nimm von uns weg allen Haß, Neid, Feindschaft; alle Bitterkeit sammt aller Bosheit laß ferne von uns sein, auf daß wir nicht das Band der Vollkommenheit trennen und auflösen. Hilf, daß wir einander von Herzensgrund verzeihen, gleich wie Du uns vergeben hast, und daß wir die Sonne nicht lassen untergehen über unsern Zorn, auch nicht Raum geben dem Lästerer.
Ja, Herr, gieb Gnade, daß wir Dir dienen in rechtschaffenem Glauben, der durch die Liebe kräftig und thätig ist, auf daß wir in Dir ewiglich bleiben und Du in uns, also, daß uns weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur von Deiner ewigwährenden Liebe abscheiden könne, der Du lebest und regierest mit dem Vater und heiligen Geist in Ewigkeit. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)


Nachdem der Apostel in dem bisherigen ersten Theil dieser ganzen Epistel von den wichtigsten Glaubenslehren auf das gründlichste gehandelt hat, so lehret er nun in diesem und den folgenden Kapiteln, wie der Gläubigen Leben und Wandel beschaffen seyn solle.
Im Anfang des 12. Kapitels ermahnt er auf das allerbeweglichste und durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes insgemein alle Gläubigen, daß sie als geistliche Priester Gott den Ihm gebührenden Dienst auf eine heilige und Ihm gefällige Weise bringen, die sündlichen Lüste als ein Opfer schlachten und tödten, sich selbst Gott zum Gehorsam aufopfern - und also der Welt sich nicht gleichstellen, sondern in einem ganz geänderten Sinn verharren sollen.
Dadurch wird die gemeine Entschuldigung vieler Namenchristen, die ihr Thun und Lassen mit dem gemeinen Lauf und der Gewohnheit der Welt beschönigen wollen, gänzlich niedergeschlagen, und der beständige Unterschied zwischen den Kindern und Liebhabern der Welt einerseits und den Kindern und Priestern Gottes andererseits nochmals festgesetzt.
Im folgenden zeiget der Apostel, wie ein jeder in seinem Amt und Beruf seine Gaben in Demuth und Verträglichkeit und zum gemeinen Nutzen anwenden - und sich also als ein Glied an dem Leib Christi desselben Erhaltung angelegen seyn lassen solle. Ebenso schreibet er auch allerhand schöne und kurze Lebensregeln vor, die ein jeder in seinem Christenthum, besonders in der Liebe gegen den Nächsten, gegen Freund und Feind, fleißig zu beobachten hat, damit dieses Band der Vollkommenheit nicht zerrissen - oder doch, wo dergleichen durch allerhand Beleidigungen geschehen ist, bald wieder ergänzt werde.
Auch diese Vorstellung soll uns dazu dienen, daß wir erstlich in diesem Spiegel deutlich erkennen, wie das Leben eines Christen beschaffen seyn müsse, - daß wir ferner, wenn wir bei aufrichtiger Prüfung - sowohl insgemein als auch jeder für sich - so große Unähnlichkeit und sündliche Flecken finden, dieselbigen wehmüthig beklagen, - und daß wir endlich in sorgfältiger Besserung uns mehr und mehr nach solcher Vorschrift einherzugehen befleißigen, folglich auch die Früchte eines solchen geheiligten Christenstandes zum Segen unserer Seelen, unserer Häuser, ja der ganzen Kirche reichlich genießen mögen. (Veit Dieterich)

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
bibel/nt/06_rom/rom_kapitel_12.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain