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Lukas, Kapitel 15

Lukas, Kapitel 15

15:1 Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, daß sie ihn hörten.

15:2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen.

15:3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:

15:4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, so er der eines verliert, der nicht lasse die neunundneunzig in der Wüste und hingehe nach dem verlorenen, bis daß er's finde?

15:5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er's auf seine Achseln mit Freuden.
An diesem Vers, den ich vielleicht hundertmal in meinem Leben gelesen, fiel mir heute abend zum erstenmal der Gedanke auf: wie schwer so ein erwachsenes Schaf zu tragen ist und wie weit es sich von der Herde weg verirrt haben konnte, so daß es galt, diese Last vielleicht eine oder zwei Stunden weit zu tragen. Notwendig wird es gewesen sein, denn das arme Ding hatte sich auf Steingeröll beim sinnlosen Fortspringen die Füße müde und wund gelaufen. Und dann steht noch dabei, daß er das nicht mit Seufzen tat, sondern mit Freuden! Mit einem Schlag wurde ich tief beschämt. Nicht nur, daß Jesus mich überhaupt so geduldig gesucht, so lange, bis er mich fand. Nein, vielmehr, daß er nachher noch so viel Last mit mir gehabt hat und ich ihm vielleicht außer der natürlichen Schwere noch so viel Not mit meinem ungeduldigen Zappeln gemacht habe! Und das alles mit Freuden! Wie beugt mich solche Vorstellung! Meine Hirtenpflicht habe ich sehr oft mit Seufzen, sehr, sehr selten wirklich mit Freuden getan! Und er? Soll nun solch eine kleine Beobachtung nicht heißen, demütige Liebe in der Seele anfachen zu einem solchen Jesus! Es töne fort das Wort: Mit Freuden!
Herr Jesus, großer Menschenherden guter und getreuer Hirt, was soll ich zu solcher überwältigenden Liebe sagen? Ich beuge mich und bete drüber an und staune über dich! Ach, laß mich noch leben und arbeiten für dich, damit ich noch etwas mit Freuden für dich tun kann! Amen. (Samuel Keller)

15:6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.
Je mehr Gewicht auf dem Worte „verloren“ lag, um so heller tönt's wider in dem Worte „gefunden“. Welch ein hilfloses, unglückliches Geschöpf ist ein verirrtes, verlorenes Schaf! Wie viel bitterer ist der Schmerz um ein Kind, das im weglosen Bergland sich verirrte und zwischen schroffen Felsen hungernd in der Nacht erfroren war, ehe die Helfer es fanden. Aber was ist das gegen den Jammer um ein in Sünde und Schande verlorenes Kind, das kein Wort der Liebe und der Mahnung mehr erreicht! So war die ganze Menschheit in Gottes Augen verloren, so suchte Jesus sie - so freut er sich über einen, den er wirklich gefunden. Gerade weil er die Tiefe des Verlorenseins ganz anders ermißt als wir, ist das Finden eine so große Sache in seinen Augen. Nun, liebe Seele, wenn du heute abend doch ganz gewiß darüber bist, daß dich der gute Hirte längst gefunden hat, dann laß dir das auch so groß sein wie ihm! Dann laß doch das helle Licht dieser Freude wie einen Scheinwerfer über deine Augenblicksschmerzen und Sorgen fallen: Sein bin ich doch! Er hat mich gefunden. Sollte ich jetzt über den Kleinigkeiten von heute, die nicht über eine gute Nachtruhe hinüber ihre Schatten werfen können, mich aufregen und grämen?
Herr, ich bitte dich, laß den tiefen starken Ton deiner Freude darüber, daß du mich gefunden, all die kleinen Klagen übertönen, die mein Herz zum Verzagen bringen wollen. Ich bin dein und in deinen Händen. Amen. (Samuel Keller)

15:7 Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.1)

15:8 Oder welches Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie der einen verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis daß sie ihn finde?
Staub will Stille. Wie liegt der Staub der Vorurteile so totenstill auf dem Denken der Leute. Es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, daß Jesus einen Staubbesen haben und brauchen könne und plötzlich etwas geschieht, was diesen bleigrauen Staub hoch aufwirbelt. Eine einschneidende Erfahrung eigener Sünde - und der Staub der Selbstgerechtigkeit fliegt auf; die Bekehrung eines ungläubigen Freundes - und man erschrickt bis ins Mark; ein ernster Blick des untersuchenden Arztes - und der Staub der Sicherheit wird von dem kalten Hauch des nahenden Todes weggeblasen. Jesus braucht die verschiedensten Staubbesen. Wenn nur im Augenblick, wo der giftige, tödliche Staub aufwirbelt, mein Herz in Sehnsucht und Bitte glänzt, daß Jesus mich finden und aufheben kann:„Hier liege ich. Hebe mich auf.“ Da haben wir es besser. Wir können beten! Wehe aber, wenn alles Staubaufwirbeln nichts geholfen hat, weil du dich nicht hast retten lassen wollen; dann sinkt er doppelt stark hernieder und bildet bald wieder eine Todesschicht über dir. Wer weiß, wann wieder das Haus so gekehrt wird, daß für dich eine Rettungsstunde schlägt!
Darum will ich dankbar kommen, wenn du, mein Gott, mich suchst. Lehre mich die Gnadenstunden erkennen und ausnutzen. Ziehe meine Seele zu dir, wie ich es so nötig habe, und wie du so gern willst. Amen. (Samuel Keller)

15:9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freuet euch mit mir; denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte.

15:10 Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.2); 3); 4); 5); 6)
Obwohl Jesus eben vorher die schwersten Forderungen an die Seinen gestellt, daß sie ihr Kreuz auf sich nehmen, allem absagen sollen, das sie haben, so folgte ihm doch eine große Menge Volks nach, namentlich Zöllner und Sünder. Zu wem anders sollten sie gehen? Die Pharisäer schlossen sie ja als ganz unwürdig von ihrer Gemeinschaft aus und dann konnte ihre Lehre ihnen auch nicht von ihren Sünden helfen, da sie ja nur Aeußerliches vorschrieben, wie Waschung der Hände und ähnliches. Sie kommen also im Gefühl ihrer Sünden zu Christus, als dem Arzt. Als dieser sie freundlich aufnahm, murrten die Pharisäer: dieser nimmt die Sünder an. Gleich und gleich gesellt sich gern! Er könne also nicht der Prophet sein, für den er sich ausgebe, ja nicht einmal ein rechtschaffener Mann überhaupt. Allerdings darf man in der Regel einen Menschen nach seinem Umgang beurtheilen. Willst du Charakter und Gemüthsart eines Unbekannten kennen lernen, so hast du nicht nöthig, mit ihm selbst dich einzulassen; frage nur, wer die seien, mit denen er umgeht, und du weißt, wie er ist. Aber es kann diese Regel auch auf's Schändlichste mißbraucht werden. Ist der Arzt deßwegen krank, weil er mit Kranken umgeht? Sind die Gelehrten unwissend, weil sie Unwissende unterrichten? So verkehrte Christus mit den Sündern, um sie von ihren Sünden gleichsam an der Hand zur Gerechtigkeit zu führen. Nur die Pharisäer mißdeuteten es aus Neid, mit wahrhaft satanischer Bosheit, denn der Teufel ist seinem Grundwesen nach ein Verläumder. Von dieser Verläumdung nimmt Jesus Anlaß, die süßeste, erfreulichste Wahrheit zu lehren, die von der Liebe Gottes gegen Sünder, welche Buße thun. Er thut dies in drei Gleichnissen, deren erstes von der Sorge und Bekümmerniß Gottes um die Sünder und ihre Bekehrung handelt, während das zweite zugleich zeigt, wie kein Sünder, er sei auch noch so tief gefallen, verachtet oder gering geschätzt werden dürfe. Es eröffnet uns die tiefsten Einblicke in Gottes Gedanken und Rathschlüsse. Aehnliche Beispiele, wie das des Menschen, der dem einen verlorenen Schaf nachgeht, während er die neunundneunzig läßt, die er in Sicherheit weiß, wie das der Hausmutter, die mit größerer Sorgfalt den verlorenen Groschen sucht, als sie die andern aufbewahrt, finden sich in der heiligen Schrift. Jakob trauerte mehr um den Einen verlornen Sohn Joseph, als er sich durch den Besitz der andern Söhne tröstete. David trauerte stärker über den Einen Absalon, als er sich seiner noch übrigen Söhne freute. So ist Gott um die verlorenen Menschenkinder auf's Zärtlichste besorgt. Verlorene Schafe sind wir, wie schon Jesaias sagt: wir gingen in die Irre, wie Schafe. Das Schaf ist so dumm, daß es, wenn es sich vom Stall weg verirrt hat, eher durch Kälte umkommt, als in den Stall zurückkehrt, selbst wenn der Hirt es gefunden, ihm nicht folgt, sondern getrieben, geführt, von ihm getragen werden muß. So der Sünder, der sich von der Weide des Himmelreichs hinweg verirrt hat und lieber in der Wüste dieser Welt verkommt, als zu seinem Gott zurückkehrt. Aber Gott jammert seiner noch mehr, als je einen Menschen deß, das er verloren; nachdem er schon dem Samen Abrahams verheißen, daß in ihm alle Völker gesegnet sein sollen, nachdem er durch das Gesetz Erkenntniß der Sünde und durch die Propheten Sehnsucht nach dem Heil geweckt, sandte er seinen eingeborenen Sohn und verschonte ihn selbst nicht mit dem Kreuzestod, um das verlorene Schaf zu retten, und schickte nach seiner Erhöhung die Apostel über die ganze Erde, den Menschen zu bezeugen, daß er ihrer noch mehr achte, als selbst der ganzen Engelwelt. Und welche Freude, wenn der Sünder sich bekehrt! Gott thut ihm wohl auf manchfache Weise, schützt ihn im Unglück, trägt ihn gleichsam auf den Schultern, läßt die Engel im Himmel sich darüber freuen und ihn unter ihren Schutz nehmen, der mächtiger ist, als der aller Könige der Erde. Wer kann solche Gnade Gottes, solches Glück des Sünders, der Buße thut, mit Worten schildern, ja auch nur begreifen? Wer aber auch die Unseligkeit derer ermessen, die durch Unbußfertigkeit solch Heil verscherzen? Gibt uns also dies Gleichniß die unbegrenzte Gnade Gottes gegen den Sünder und die Pflicht des Sünders Buße zu thun, zu erkennen, so straft der Herr in demselben auch den Stolz der Pharisäer und Schriftgelehrten, mit welchen sie die Sünder verachten. Kein Mensch, und ist er noch so ehrbar, reich, gelehrt, darf den Andern, ob er unwürdig, arm, unwissend, unredlich ist, gering schätzen. Oder willst du besser sein, als Gott? Der Herr sucht den Sünder auf, und du verschmähst ihn? Der eingeborene Sohn Gottes geht in den Tod für ihn, und du wendest dich mit Eckel vor ihm ab? Die Engel freuen sich über den Sünder, der Buße thut, und du fährst fort, auch nachdem er sich gebessert, ihn öffentlich und geheim zu schmähen? Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn.
Auch im Gleichniß vom verlorenen Groschen wird uns die Sorge Gottes für den Sünder abgebildet und die Pflicht eingeschärft, Keinen zu verachten. Auf der Münze pflegt der Fürst sein Bild zu prägen. So trugen wir von Anfang das Bild Gottes, das wir großentheils durch die Sünde verloren. Aber so groß ist die göttliche Gnade, daß er, wie das Weib den verlorenen Groschen, uns sucht, indem er sein Licht anzündet, das Wort Gottes, das Evangelium von Christo zumal, das die wunderbare Eigenschaft besitzt, die, die nicht sehen, sehend, und die sehen, blind zu machen. Die Pharisäer waren nach ihrer Meinung die am hellsten Sehenden, die Zöllner und Sünder ganz blind. Jene aber wurden vom Licht geblendet, verfinstert, diese erhellt. So die Juden, und im Gegensatz gegen sie die Heiden. Auch jetzt noch zündet der Herr sein Licht an, läßt sein Evangelium uns verkündigen; wohl dem, der sich finden läßt, dem Evangelium folgt, Buße thut; die Engel freuen sich sein und er wird ewig selig! (Johannes Brenz)


Warum doch ist den Engeln die aufrichtige Buße eines Staubbewohners ein so hohes, freudiges Ereignis? Der Gründe hierfür sind wohl viele. Wir stammen ab von dem Vater der Lichter, von dem Schöpfer der Geister und gehören hinein in das Haus Gottes. Das Paradies ist uns entrissen, aber die Liebe Gottes ist uns geblieben. Die Liebe ließ Ihn Wege finden, die Ihm Verlorengegangenen zu erretten. Den Sohn der Liebe sandte Er unter die verführten Menschen, und Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit Ihm selber! Weil nun die Engel mit großer Liebe an Gott hangen, darum freuen sie sich über den Sieg Seiner Liebe. Die Erlösung, Errettung und Beseligung der Gefallenen, ihre Rückkehr ins Paradies, ins Vaterhaus ist Gottes Freude, ist die Freude Seiner Freunde. Darum freuen sich auch Seine Engel über jeden einzelnen Sünder, der Buße tut. Nun hat Gott wieder einmal eine Vaterfreude, ein Kind ist Ihm geboren worden, darüber freuen sich die Engel Gottes. Wie Gottes Freude ihre Freude ist, so ist auch der Menschen Freude ihre Freude. - Ein Sünder tut Buße. Er scheidet sich von der Sünde und tritt ein in die Reihen der Jünger Jesu. Nun hat der Satan auf Erden wieder einen Diener weniger und der Heiland einen Nachfolger mehr. An diesem Einen aber liegt den Engeln Gottes viel. Die Macht der Finsternis ist wieder um einen geschwächt - vielleicht hat sie diesmal Bedeutendes verloren und das Heil Gottes einen Träger und Zeugen mehr gewonnen. Das kann unberechenbare, weitgehende Folgen für Jesu Reich haben. Darum freuen sich die Engel über einen Sünder, der Buße tut. (Markus Hauser)

15:11 Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne.

15:12 Und der jüngste unter ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört. Und er teilte ihnen das Gut.
Was ist Sünde? Das, was dieser Sohn hier tat. Mir gehört, was du besitzest, sagt er zum Vater, wenn auch nicht dein ganzer Besitz, so doch der mir gebührende Teil. Ich will ihn haben, selbst über ihn verfügen und ihn brauchen, wie es mir gefällt. Und als er das Gut seines Vaters an sich genommen hatte, ging er weg in ein fernes Land. Am Guten entsteht das Böse, an Gottes Gabe. Wir können nur deshalb sündigen, weil uns Gottes Gnade mit ihren reichen Gaben beschenkt hat. Weil uns Gott durch die Natur begabt, gibt es Versündigungen im natürlichen Bereich unseres Lebens. Weil uns unser Leib mit seinen wunderbaren Kräften gegeben ist, können wir ihn missbrauchen, und es gibt nur deshalb Unzucht, weil unser Leib das Geheimnis der Vater- und Mutterschaft in sich trägt. Weil uns unsere inwendigen Vermögen, unser Denkvermögen und unsere Willenskraft, gegeben sind, sind wir imstande, verwerfliche Gedanken hervorzubringen und Ungerechtes zu begehen. Da uns schon die Natur die Erinnerung an Gott gewährt, können wir närrische Religionen erzeugen oder auch Gottlosigkeit zustandebringen, die Gott missachtet. Wir können auch von denjenigen Gaben, die uns Jesus verleiht, sagen: Gib sie mir, ich brauche sie nach meiner Lust. Weil die Vergebung unserer Sünden uns geschenkt ist, können wir uns die Busse ersparen und mit uns zufrieden sein. Weil uns Gottes Gesetz gezeigt ist, können wir es dazu missbrauchen, um die anderen zu richten. Weil uns Gottes Geist bewegt, können wir uns zu stolzer Hoffart aufrichten, die nichts anderes als unsere Meinungen und Wünsche gelten lässt. Darum gewinnen wir die Erkenntnis der Sünde nicht dadurch, dass wir unser Elend betrachten. Damit suchen wir die Sünde nicht da, wo sie ist. Denn aus der missbrauchten und vergeudeten Gabe entsteht die Schuld.
Du stellst, Herr, unser Sündigen in Dein Licht, weil Du gnädig bist. Dass wir es erkennen, ist der Anfang unseres Heils, und dass wir von ihm frei werden, ist Dein seliges Werk. Du hast mich mit Deiner ganzen Christenheit reich gemacht durch die Güter Deines Hauses. Nun gib mir auch, dass das, was Dein ist, Dir diene, nicht mir, und Deinen Namen preise, nicht den meinen. Amen. (Adolf Schlatter)

15:13 Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn alles zusammen und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen.

15:14 Da er nun all das Seine verzehrt hatte, ward eine große Teuerung durch dasselbe ganze Land, und er fing an zu darben.

15:15 Und ging hin und hängte sich an einen Bürger des Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.

15:16 Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit Trebern, die die Säue aßen; und niemand gab sie ihm.

15:17 Da schlug er in sich und sprach: Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger!

15:18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir 7)
Es ist fest und gewiss, dass alle, welche Christus mit seinem teuren Blut abgewaschen hat, vor Gott als ihrem Richter kein Sündenbekenntnis mehr werden abzulegen haben; denn sie sind nicht mehr Schuldner und Sünder, weil Christus auf ewig alle ihre Sünden hinweggenommen hat in aller rechtlichen Gültigkeit, also dass sie nicht mehr in einem Stande der Verdammlichkeit erfunden werden, sondern ein für allemal angenehm gemacht sind in dem Geliebten. Sollen sie aber, da sie nun Kinder geworden sind und sich doch gleich Kindern täglich verfehlen, nicht auch täglich zu ihrem himmlischen Vater kommen und Ihm ihre Sünden bekennen und offen gestehen, dass sie nicht gehorsam gewesen sind als gute Kinder? Schon das natürliche Gefühl lehrt uns, dass es irrender Kinder Pflicht ist, ihrem irdischen Vater ihr Unrecht zu bekennen; und so lehrt uns auch die göttliche Gnade, die in unserem Herzen wirksam ist, dass wir als Christen unserem himmlischen Vater gegenüber dieselbe Pflicht haben. Wir fehlen täglich mannigfaltig und dürfen uns nicht zufrieden geben, wenn wir nicht täglich aufs neue Verzeihung empfangen. Denn wenn etwa meine Übertretungen gegen meinen Vater nicht sogleich vor Ihn gebracht würden, um sie durch die reinigende Kraft des Blutes Jesu abwaschen zu lassen, was wäre dann die Folge? Sobald ich nicht Vergebung gesucht habe und nicht abgewaschen bin von diesen Versündigungen gegen meinen Vater, so muss ich mich aus seiner Nähe verbannt fühlen; ich muss an seiner Liebe gegen mich zweifeln; ich muss vor Ihm zittern; ich muss mich fürchten, zu Ihm zu beten. Wenn ich aber in kindlicher Reue darüber, dass ich einen so gnädigen und liebevollen Vater beleidigt habe, zu Ihm gehe und Ihm alles bekenne und mich nicht beruhige, bis ich Gewissheit der Vergebung erlangt habe, dann empfinde ich eine heilige Liebe zu meinem Vater und wandle durch mein Christenleben nicht bloß als ein Erlöster, sondern als einer, der den Frieden in Gott empfangen hat und genießt durch Jesum Christum, meinen Herrn. Des Vaters Arme sind die Zuflucht für ein reuiges Bekenntnis. Wir sind zwar ein für allemal gereinigt, aber immer noch ist‘s nötig, dass unsre Füße abgewaschen werden von dem Schmutz unsres täglichen Wandels, dieweil wir Gottes Kinder sind. (Charles Haddon Spurgeon)


Als der Sohn es gut hatte im Vaterhause, gärte es gewaltig in seiner Brust. Ich will fort! hieß es bei ihm. Was liegt doch nicht alles zwischen dem ersten Entschluss: Ich will mein eigener Herr sein! und dem zweiten: Ich will heim ins Vaterhaus! Gott lässt oft Seine Menschen nur so schalten und walten, als hätte Er zu ihrem Vorhaben gar nichts zu sagen. Aber Er behalt dennoch den Faden in Seiner Hand, Er kann warten und dem ungestümen Herzen Zeit lassen. Endlich klärt sich vieles ab, Gottes Rechte behält den Sieg. O Menschenkind, wie stark und wie schwach bist du! Stark im Eigensinn trogest du deinem Gott. Bald brichst du zusammen, mürbe gemacht durch bittere Not. Erkenne doch deine Ohnmacht bei aller Großtuerei! Heimwärts lenke deine Schritte, je eher, desto besser. Sprich auch du: Ich will mich aufmachen! Es ist klar, dass der verlorene Sohn nicht in der Fremde bleiben konnte. Die veränderte Gesinnung mußte zum Ausdruck kommen, den Ort der Sünde mußte er fliehen. Der verlorene Sohn sah seine Sünde. Sie ließ sich nicht mehr hinwegscherzen, sie mußte bekannt werden. Das sind entscheidende Augenblicke! Weißt du, wie einem Sünder zumute ist, der seine Sünde anschauen muss? „Ich will zu meinem Vater gehen und will bekennen.“ So ist es recht. Alles andere führt nur zu einem faulen Frieden. Tief ergreift uns des Vaters Liebe. Hier schöpfen wir Mut, eine wunderbare Hoffnung leuchtet bis ins Innerste unserer Seele hinein. Heim, heim will auch ich; der Vater liebt mich, zu Ihm will ich ziehen! Heimwärts zu Gott lasst uns die Schritte lenken. O, welch ein Jubel für den Erlösten. Er wandert schon dem ewigen Vaterhause zu! (Markus Hauser)

15:19 und bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!

15:20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals und küßte ihn.
Das Bild, das uns Jesus zeigt, ist schrecklich, gerade deshalb, weil er bei der Beschreibung des Reichen jeden grellen, hässlichen Zug vermieden hat. Er beschreibt ihn nicht als harten Wucherer oder als mit Dirnen schmausend. Seine Kunst besteht darin, dass er sich aus jedem Tag ein Fest zu machen weiß und die Bedeutung seiner Person zur Geltung bringt, auch im kostbaren Gewand mit seiner farbigen Pracht. und unmittelbar vor seinem behaglichen Heim, in dem jeder Tag zum Festtag wird, liegt menschliches Elend in nackter Schrecklichkeit. Wie sollte ich den Zorn Jesu nicht verstehen? Heißt er es Sünde, reich zu sein? So reich zu sein, heißt er freilich eine den Reichen verderbende Sünde, und sie ist es auch. Was wird an einem solchen Menschen Göttliches sichtbar? Nichts als Gottes Geduld, die ihn durch Güte zur Buße leiten will, doch umsonst. Blindheit wird hier sichtbar, die nichts kennt als das eigene ICH und seine Wünsche. Hier ist jeder Strahl der göttlichen Wahrheit erloschen und der purpurne Mantel zur Decke geworden, die das Auge völlig blendet. Härte macht sich hier breit, die das Leben des anderen als gleichgültig zerstört. Das ist nicht Gottes Art. Dieses Leben fällt unter das hart klingende und doch so wahre Wort des Paulus: sein Gott war sein Bauch. Wie können wir an Jesus glauben, wenn Er hier nicht zürnte, wie Ihn ehren, wenn Er hier nicht richtete? Aber auch indem er richtet, bleibt er der Zeuge der göttlichen Güte. „Dein Gutes hast du empfangen in deinem Leben“, so lautet der Urteilsspruch, an dem das Flehen des Reichen scheitert. Dir ward Gutes gegeben; du aber hast aus dem Guten, das du empfangen hast, das Böse gemacht, und was dir zum Leben gegeben ward, in Tod verwandelt. Barmherziger Gott, ich und nicht ich allein, sondern unser Volk bedarf den Schutz gegen das Verderben, das unser Besitz uns bereitet. An Gütern fehlt es uns nicht; aber wir töten uns mit ihnen. Denn wir vergessen Dich. So wird aus dem, was Deine Güte unserem Volke gab, unsere Schuld. Gib uns Dein weckendes und heilendes Wort in Kraft. Kein Name ist uns zum Heil gegeben als der Deine, der uns über unseren Besitz hinauf in die Freiheit führt. Amen. (Adolf Schlatter)

15:21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße.

15:22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor und tut es ihm an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße,
Wenn ein wahrhaft tiefes Gefühl der Sünde in uns wurzeln soll, müssen wir Sorge tragen, daß das Mißfallen Gottes nicht auf uns ruhe; und wir müssen darüber den tiefsten Schmerz empfinden, daß Er mehr durch unsere Sünde, als durch unsere Person erzürnt worden ist. Die Sünde kommt ursprünglich von Teufel, darum haßt sie Gott durchaus, unsere Person, unser Wesen aber kommt ursprünglich von Gott, und sind wir auch durch die Sünde befleckt, mit ihr überdeckt, so liebt Er uns doch noch als Sein Geschöpf, und kommen wir in wahrer Buße zu Ihm zurück, so fällt Er uns aus Liebe um den Hals, giebt uns den Kuß der Liebe und zieht uns das herrliche Kleid der Gerechtigkeit Seines lieben Sohnes an. Luc. 15, 20-22. (John Bunyan)

15:23 und bringet ein gemästet Kalb her und schlachtet's; lasset uns essen und fröhlich sein!8)
Dem, der zum Vater heimkehrt, wird ein Fest zuteil. Das Ehrenkleid wird ihm gegeben, das Kalb geschlachtet, das im Stall für ein Fest bereit gehalten wird, und der Reigen beginnt mit lauten Schall, so dass auch die, die draußen stehen, ihn hören. Hier hat Jesus stark leuchtende Farben verwandt, um uns recht sichtbar zu machen, was Vergebung ist. Wir glauben ja nicht, dass es Vergebung gebe. Das weiß Jesus wohl und darum lässt er den Heimkehrenden nicht bitten: Bereite mir mein Fest und kleide mich in ein Prachtgewand. „Mache mich zu deinem Tagelöhner“, das ist sein Begehren. Macht ihn der Vater zum Tagelöhner, dann trägt er bleibend das Merkmal seiner Schuld an sich. Dann weiß es jedermann und er selbst weiß es beständig: einst war ich Sohn, jetzt aber nur noch Tagelöhner; das hat mir mein Fall bereitet, der für immer darin sichtbar bleibt, dass die Trennung zwischen dem Vater und mir bestehen bleibt, wie sie den Tagelöhner von seinem Herrn entfernt. Dieses halbe Vergeben, das nicht vergessen kann. sondern die alte Schuld immer wieder hervorholt und weiter wirken lässt, ist unsere menschliche Art und wir meinen, wir täten schon Großes, wenn wir Verschuldete auch nur als Tagelöhner bei uns dulden. Nun aber, Herz, höre nicht nur, was dir Menschen sagen, und hänge dich nicht an das, was die Menschen tun, sondern höre auf Jesus und sieh; was durch ihn der Vater tut.
Der Heimgekehrte ist wieder Sohn und er ist es ganz, nicht halb, nicht mit Tränen und trübem Büßergesicht, sondern mit Jubel und schallendem Ruhm. Gott wird mit deiner Sünde ganz fertig und lässt sie im Meer seiner Gnade untergehen. Wie unverständlich blieb doch dieses Wort Jesu auch der Christenheit! Sie las dieses Gleichnis oft, hat aber selten begriffen, warum Jesus sagt: „Holt das gemästete Kalb, wir wollen fröhlich sein.
Das Vergeben, lieber Herr, muss ich bei Dir lernen. Ich bleibe an meiner Not hängen und sehe auch bei den anderen auf das, was ihnen fehlt und sie hemmt und schändet. Du kennst unseren Jammer besser als wir, kennst aber auch deines Vaters Herz und weißt darum, was Vergeben ist, und gibst es in seiner ganzen Herrlichkeit allen, die zu Dir kommen. Amen. (Adolf Schlatter)

15:24 denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein.

15:25 Aber der älteste Sohn war auf dem Felde. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er das Gesänge und den Reigen;

15:26 und er rief zu sich der Knechte einen und fragte, was das wäre.

15:27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat ein gemästet Kalb geschlachtet, daß er ihn gesund wieder hat.

15:28 Da ward er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.

15:29 Er aber antwortete und sprach zum Vater: Siehe, so viel Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre.

15:30 Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästet Kalb geschlachtet.

15:31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.
Auch seinen frommen Widersachern sprach Jesus die ganze Herrlichkeit der Sohnschaft Gottes zu. Dem, der mit verdrossenem Widerwillen seinen Gottesdienst als eine saure Pflicht betreibt, sagt er: „Du bist beim Vater, hast ihn ja nicht vergessen und verlassen, und weil du bei ihm bist, ist auch alles, was sein ist, dein; du hast Gott für dich in seiner göttlich großen Gnadenmacht.“ Wir hören hier, was es für Jesus bedeutete, wenn er von der Sohnschaft Gottes sprach; damit hat er gesagt: Ich bin allezeit beim Vater und alles, was des Vaters ist, ist auch des Sohnes. Aus dieser Wurzel erwachsen alle machtvollen Worte Jesu. Wenn Er vor den Gräbern in der Gewissheit stand, er öffne sie, und wenn er sich der Welt als den beschrieb, der sie richten werde, und wenn er sich seinen Jüngern als den darstellte, der sie von den Enden der Erde zu ihm holen werde, so floss dies alles aus der Gewissheit: ich bin beim Vater; und was des Vaters ist, ist mein. Damit reichte er den keuchenden und murrenden Frommen das dar, was ihnen half. Ihr seid beim Vater; ist denn das ein Unglück, ein hartes Los, eine peinigende Last? Beim Vater sein und murren kann nicht zusammen bestehen. Und der Vater handelt väterlich an euch und schließt euch nicht aus von dem, was er hat; denn der Vater macht den Sohn zu seinem Bild. Das war im Munde Jesu kein leeres Wort, sondern sichtbare Wirklichkeit und gebende Tat. Dadurch dass uns Gott Jesus gegeben hat, machte er das, was Gottes ist, zu unserem Besitz. Sein Sohn ist sein eigen und zugleich uns gegeben, ist seiner liebe Ziel und zugleich zu uns gesandt, dass er uns lieb habe, ist seines Lebens teilhaft und zugleich mit unserem Tod beladen, ist der Träger des göttlichen Bildes und trägt zugleich die Knechtsgestalt und unser Menschenbild. Sieh, so wahr ist es: alles, was mein ist, ist dein!
Vater, es ist das Geschenk Deines Geistes, dass wir zu Dir rufen: Abba, Vater. Das hat Deine Gnade erfunden in ihrer Höhe und Tiefe, Länge und Breite, dass wir Deine Kinder heißen. An Deiner Gabe will ich mich auch heute freuen und mit dem Psalmisten beten: „Ich will bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ Amen. (Adolf Schlatter)

15:32 Du solltest aber fröhlich und gutes Muts sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden.9)
Langmütiger, barmherziger Gott und Vater, der Du keinen Gefallen hast am Tode des Sünders, sondern willst, dass sich der Sünder bekehre und lebe, wir danken Dir von ganzem herzen, dass Du uns berufen hast zu Deinem wunderbaren Licht und wir als Deine Kinder nunmehr sitzen können an Deiner Tafel, essen von Deinem Bissen, trinken aus Deinem Becher und sicher ruhen in dem Schoß Deiner gnädigen Obhut. Aber ach, wie manchmal haben wir unsere Kinderpflicht vergessen, Dich mit unsern Sünden erzürnt und uns losgerissen von Deiner Gemeinschaft, und sind nicht wert, dass wir Deine Söhne und Töchter heißen! O gedenke des Namens, den Du führest; denn Du bist unser Vater, von Alters her ist das Dein Name; und nimm uns, ohne Dich verlorne Sünder, wieder zu Gnaden an, barmherziger Hoherpriester, Herr Jesu Christe, und wasche uns mit Deinem teuern und kostbaren Blut von allen unseren Sünden. Wir lassen Dich nicht und hören nicht auf Dir nachzulaufen, bis wir fallen in die Arme Deiner Liebe. Lass uns empfinden den Kuss Deiner Liebe, und Deine Freundlichkeit sehen und schmecken. Lege uns an den Rock der Gerechtigkeit und die Kleider des Heils. Gib, dass wir von nun an mögen anziehen die Schuhe der Eitelkeit und anlegen die Waffen des Lichts. – Du hast es getan im Sakrament der Taufe, und im heiligen Abendmahl, hast es getan, so oft wir von Dir gerechtfertigt worden sind im Glauben an Dein Verdienst. Ach, dass wir doch recht dankbare und liebreiche Herzen hätten, Dir Deine große Liebe zu vergelten! Zerbrich das zerstoßene Rohr unseres Glaubens nicht, lösche nicht aus den glimmenden Docht unserer Liebe; bewahr uns, dass wir nimmermehr unsere Sünden entschuldigen; lass uns auch niemals missgünstig werden, wenn Du gütig bist gegen unsern Nächsten, sondern zufrieden sein mit dem Segen, den Du uns gegeben, und mit der Gabe, die du uns anvertraut hast. Will uns die Welt, Fleisch und Blut abziehen von Deiner Gemeinschaft, so lass uns ritterlich kämpfen, dass wir unsere Christenwürde nimmermehr beflecken mit einem unchristlichen Wandel, sondern uns tragen als wahre Kinder Gottes, bis du uns geben wirst das schöne Kinderteil in Deinem Himmel. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)


Das neue Leben als natürliche Folge der Sündenvergebung. Wenn der Vater des verlorenen Sohnes ihm bloß seine Sünden vergeben hätte, ihm einen Kuß gegeben hätte und dann gesagt: „So, nun ist deine Schuld getilgt. jetzt geh zurück zu deinem Elend und hüte weiter die Schweine und hungere weiter“ - würde die Geschichte miserabel genannt werden. Warum machen sich aber viele Christen selbst solch eine elende Geschichte zurecht? Als ob die Vergebung der Schuld das allergrößte wäre, was sie erleben könnten. Wozu erlebt man sie denn, wenn nicht dazu, daß jetzt das Größere, die Gemeinschaft mit Gott, folgen kann, die tägliche Hilfe zum Gehorsam genommen werde und die beseligende Liebe erwache. Wir wollen beim Vater bleiben! Übereilungssünden, die noch geschehen können, bringen uns doch nicht auf die Straße. Der Sohn bleibt ewiglich im Hause. Sündenvergebung bei unserer Bekehrung ist etwas anderes als die tägliche Reinigung. Man braucht doch gar nicht nochmals tot zu werden, um das Lebendigwerden aufs neue zu erleben. Wir bleiben lebendig, so wahr wir täglich die Hilfe Jesu nehmen und uns von seinem Geist führen lassen; als sein Eigentum bleiben wir trotz aller Schwachheit bei ihm.
Ja, wir bleiben bei dir, Herr Jesu! Verlaufen und verirren wollen wir uns nicht wieder Vergib uns täglich, was an uns nicht taugt, halte uns fest in deinen treuen Händen als dein teuer erkauftes Eigentum. Amen. (Samuel Keller)


Was unser liebster Heiland Jesus Christus allbereits mit den zwei Gleichnißreden von dem verlornen Schaf und Groschen erläutert, daß nämlich Freude sey im Himmel und vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße thut - und wahrhaftig bekehret wird, das erkläret Er noch weiter - und bildet uns das mitleidige Vaterherz Gottes gegen alle armen Sünder und Sünderinnen, welche in sich gehen und vor Ihm in wahrer, herzlicher Reue sich demüthigen, herrlich ab in der Erzählung vom verlornen Sohn.
Da dieser seines frommen und liebreichen Vaters Haus verlassen - und ferne über Land gezogen, hat er daselbst sein Gut mit Prassen verzehret - und ist darüber in äußerste Armuth gerathen, darinnen er der Schweine hat hüten müssen, damit er nur nicht gar Hungers sterben möchte. Ueber solchem Elend gingen ihm die Augen auf, und er schlug in sich, so daß er seine Thorheit bejammerte - und nicht allein den Vorsatz faßte, wieder heim zu seinem Vater umzukehren und demüthige Abbitte zu thun, sondern auch solches in der That zu seinem großen Nutzen bewerkstelligte.
Denn sein lieber, frommer Vater, der wohl Ursache gehabt hätte, sich seiner gar nicht mehr anzunehmen - und ihn in dem Verderben umkommen zu lassen, darein er sich muthwillig gestürzet, läuft ihm, sobald er ihn in seiner elenden Gestalt erblicket, aus Bedauern und Mitleiden entgegen, fällt ihm um den Hals, küsset ihn - und läßt ihn seine bewegliche Abbitte nicht einmal zu Ende bringen, indem er vielmehr seinen Knechten befiehlt, das beste Kleid für seinen Sohn hervorzubringen, ihm einen Ring oder Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße zu thun, ferner, ein gemästet Kalb zu schlachten, mit ihm zu essen und fröhlich zu seyn, aus dem Grunde, weil dieser, sein Sohn, bisher gleichsam todt gewesen, nun aber wieder lebendig worden, verloren gewesen - und wieder funden worden ist.
Es kehret sich auch dieser geduldige und mitleidige Vater gar nicht an den Zorn und Unwillen seines altern Sohnes, der sich gewaltig daran ärgert, daß der Vater an den ungerathenen Sohn, der es doch am wenigsten verdient habe, so viel liebes und gutes wende. Vielmehr beharret der Vater in der Freude über seines Sohnes Wiederkunft.
Nun was stellet uns des verlornen Sohnes Ungehorsam und unordentliches Verhalten außer seines Vaters Haus anders vor, als die Unart derjenigen unter uns, welche an Gottes Wort und heilige Gebote nicht gebunden seyn wollen, sondern Gott gleichsam den Gehorsam aufkündigen - und die Gaben ihres Leibes und der Seele, ihre Zeit und was ihnen Gott sonst aus Gnaden geschenket hat, mißbrauchen und verschwenden?
Wenn nun aber Angst und Noth daherkommt, dieweil ja das Heil ferne ist von den Gottlosen, und was die Albernen gelüstet, zu ihrem größten Schaden und Verderben gereichet, - so lehret die Anfechtung das Wort merken, und es ist das ein Anzeichen, daß Gott solcher Sünder Tod nicht wolle, soferne sie nämlich durch das Kreuz und allerhand Plagen, darinnen sie sich selber nicht zu rathen noch zu helfen wissen, auch bei der Welt und dem Satan, welchen sie bisher gedienet, keinen Trost finden, gedrungen und getrieben werden, in sich zu schlagen, ihre Sicherheit und Unbußfertigkeit zu beklagen - und zu dem sich zu wenden, der sie schlaget.
Wenn dann der Sünder ein zerknirscht und zerschlagen Herz bekommt - und nicht allein wünscht, daß er nimmer so thöricht gethan, nimmer seinen lieben Gott so gröblich beleidiget und betrübet hätte, (als wodurch er sich selbst am allermeisten wehe gethan,) sondern auch eingedenk wird der grundlosen Barmherzigkeit Gottes, die kein Ende hat - und reich ist über alle, die Ihn anrufen, so daß er in tiefer Demuth und gläubiger Zuversicht zu Gott seufzet: „Ach, Vater, ich habe gesündiget - und bin nicht werth, daß ich ein Christenmensch und dein Kind heiße;“ wenn die Sünder also vor Gott sich niederbeugen, so will Er sie nicht verwerfen und verstoßen, sondern durch Seine zuvorkommende, begleitende und fortwährende Gnade alles an ihnen thun und leisten, was der Vater des verlornen Sohnes gethan hat. Er will sie mit offenen Liebesarmen bewillkommnen - und mit den Kleidern des Heils anziehen. Er will ihnen den Ring und Fingerreif des heiligen Geistes zum Pfand, daß Er mit ihnen wiederum versöhnet sey, an die Hand und in's Herz geben, auch Schuhe an ihre Füße, das ist, Kraft und Starke, hinfort zu wandeln, wie sich’s gebühret. Ja, der ganze Himmel soll sich mit ihm freuen, weil der Mensch, der in Sünden todt war, durch Buße und Glauben wiederum in Christo lebendig, und der verloren war, durch die Bekehrung zu Gott wiederum gefunden worden ist. Und wem dann Gott also wieder gnädig und gewogen ist, dem soll Teufel, Welt und Hölle mit ihrem Murren und Einwenden nichts schaden können.
Der fromme und getreue Vater im Himmel helfe, daß unser keines durch Muthwillen und beharrlichen Mißbrauch Seiner Gnade ewig verloren werde, sondern daß wir uns alle hier auf Erden bußfertig und gläubig wieder bei Ihm einfinden - und aus dem Tod in das Leben kommen mögen, durch Seine unermeßliche Barmherzigkeit, die Er uns in diesem Gleichniß - und in den Wunden Seines Sohnes eröffnet hat. Amen. (Veit Dieterich)

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