Tholuck, August - Wie nahet Gott den Menschen, und wie nahet der Mensch zu Gott?

Tholuck, August - Wie nahet Gott den Menschen, und wie nahet der Mensch zu Gott?

Ich wende mich heut, in Christo Geliebte! besonders zu Einer Classe von Zuhörern unter euch; nicht sowohl an diejenigen, die sicher und ruhig sind auf dem Wege des Todes, und nicht sowohl an diejenigen, die Frieden und Seligkeit genießen auf dem Wege des Lebens; sondern an euch, Unglückliche, die ihr zwischen Himmel und Erde hängt, die ihr nicht sterben könnt und nicht leben, welche die Erde nicht lassen und der Himmel nicht aufnehmen will. Schrecklich ist es, wenn in dem Herzen, das für Gott geschaffen ist, die Welt und der Satan herrschen, und der Mensch dabei hingehen kann in stolzer Ruhe und zu sich und zu Andern sagen: es ist Friede, es steht Alles gut. Aber - werdet ihr sagen - offen zu schauen den Himmel über sich voll Gnade und Wahrheit und unter sich nicht los zu können von dem Koth der Erde, die Beute zu seyn von zwei streitenden Gewalten: das ist noch fürchterlicher. So meinen Viele, und statt sich loszuwinden aus dem Todesschlummer, drücken sie die Augenlieder desto fester zu, um zu schlafen. Aber es kommt darauf an, was fürchterlicher sei. Wären freilich die Wehen der kämpfenden Seele, die zwischen Tod und Leben hin und hergeschleudert wird, ihr ewiges Loos, dann hättet ihr Recht. Aber, meine Brüder! solche Wehen sind Geburtswehen: es ist das Ringen der Morgenröthe mit den dichten Nachtwolken. Kämpfe kühn und das Kind wird an's Licht geboren, und die Sonne tritt klar aus der alten Nacht hervor! Euch Kämpfern nun, die ihr die Hand ausstreckt nach Hülfe, will ich die Bruderhand reichen; ihr Petri, die ihr auf den Wellen wandelt und mit ausgestreckten Händen ruft: Herr, wir versinken - euch streckt Christus seine Hand entgegen, ihr sollt nicht versinken. Aus den Geburtswehen soll der neue Mensch nach Gottes Bild geboren werden, aus dem Nachthimmel soll die Sonne der Gerechtigkeit hervortreten. Willst du gesund seyn? so fragte der Herr seine Kranken, so fragt er euch auch euch. Vernehmet das Wort der heiligen Schrift, das ich heute euch vorhalten will im Namen Gottes, das euch seyn soll gleich einer aus dem Himmel herausgestreckten Hand, herauszuziehen aus der Nacht der Sünde und des Todes alle, die danach greifen. „Nahet euch zu Gott - ruft der Apostel Jakobus Cap. 4, 8. - so nahet er sich zu euch!“ Ehe wir genauer auf diese Worte des Apostels eingehen, lasset uns, Geliebte, zuvor eine Mißdeutung entfernen, die sich daran anschließen könnte. Leicht könnte es danach scheinen, als sei auf dem Wege des Lebens überall der Mensch derjenige, der die ersten Schritte thut; doch wo bliebe dann das Wort des Apostels: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? und hast du es empfangen, was rühmest du dich denn?“ Nein, meine Freunde, der, welcher zu allererst die Hand ausgestreckt hat und nahe gekommen ist, ist Gott, und was der Apostel hier sagt, gilt nur in Bezug darauf, daß das, was dir geboten wird, du ergreifen mußt, wenn du mehr haben willst. Sind wir allzumal Haushalter über die mannichfaltigen Gnaden und Gaben Gottes, so ist er uns allen auch entgegengekommen, und es kommt nur darauf an, daß auch wir ihm entgegenkommen, wenn wir mehr haben wollen. Ganz eigentlich ist daher das Wort des Apostels an euch gerichtet, die ihr bereits mit tiefer Wehmuth bekennt, daß Gottes Gnade euch nahe gekommen ist, die ihr aber weinet, theils weil ihr sie nicht halten könnt, theils weil ihr noch nicht die Fülle und Genüge dabei habt. So lasset uns denn zuerst die Frage uns vorlegen: Wie naht Gott dem Menschen? und dann: wie naht der Mensch Gott?

Wie nahet Gott dem Menschen? Er nahet ihm als Gott der Vater im Werke der Schöpfung und der Erhaltung. Umfangen ist alles, was da lebet, von dem großen Geheimniß der Liebe; denn die Liebe war es, die am Schöpfungsmorgen in das Dunkel hineinrief: „Es werde Licht!“ und es ward. Der selbstgenugsame, ewige Gott, der in seiner Seligkeit und Selbstgenugsamkeit ewig hätte allein bleiben können, wollte Genossen haben seiner Seligkeit, und er schuf die Welt und schuf die ihm verwandten Geister. Nun, Menschenseele! so oft du in freudiger Erhebung zu dir aufblickst und zu dir selber sagst: ich bin, so werde dir denn bewußt, daß du mit demselbigen Worte ausrufst: es ist die ewige Liebe, die zu ihrem Bilde mich geschaffen hat. Die Liebe, die dich hineingetragen in das irdische Daseyn, siehe, wie sie auf Mutterarmen dich hindurchträgt durch das arme von Dornen und Trübsal umgebene Leben. Weit hin über die Erde, wo die Menschengeister leben, geht der Strahl seiner Sonne, und milde und segnend geht seine Mutterliebe mit und erwärmt und trägt, und hegt und schirmt das unendlich bedürftige Menschenherz. Für dieses Naheseyn Gottes in dem Werke der Schöpfung und Erhaltung hat ja auch das roheste Gemüth ein Verständniß; mitten in der Heidenwelt tritt Paulus auf und verkündigt: „Bekehret euch zu dem lebendigen Gott, welcher gemacht hat Himmel und Erde und das Meer und Alles, was darinnen ist - und hat sich nicht unbezeuget gelassen, hat uns viel Gutes gethan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, und unsere Herzen erfüllet mit Speise und Freude.“ - Doch nicht bloß in dir selbst hat die schaffende und erhaltende Liebe sich einen Spiegel bereitet: weit hin um uns her hat sie ihre Hütte aufgeschlagen. Die Morgensterne des Himmels jauchzen ihrem Schöpfer, und die kleine Blume der Erde preiset ihn in dem einsamen Thale. O wenn ein Mensch, dem erst in seinem eignen Herzen das volle Bewußtseyn der Liebe aufgegangen, welche Himmel und Erde in die Umarmung ihrer Mutterarme schließt, wenn ein solcher Mensch hinaustritt an einem schönen Frühlingstage in den einsamen Tempel der Natur, o! wie er da Alles mit seinem eignen Herzen singen und beten fühlt: ewige Mutterliebe, geheiliget werde dein Name! - Ja, meine Brüder, Gott der Vater hat sich uns menschlich genaht, ist unaussprechlich uns nahe geworden, uns, seinen armen hülfsbedürftigen Kindern, in dem Werke seiner Schöpfung, und Alles, was da Odem hat, lobe und preise den Herrn.

Aber, Freunde! was hilft uns der herrliche Tempel der Natur, in welchen Gott uns zu seinen Priestern gesetzt hat, wenn der Mensch kein Priester ist? Was hilft dir die Fülle aller Gaben und Güter, die unerschöpflich aus Erde und Himmel dir entgegenquillt, wenn sie dein Herz nicht aufschließt zu gerührtem Danke und demüthigem Gehorsam? Was hilft es, daß jeder Stern am Himmel und jeder Wurm auf der Erde eine Zunge hat, mit der sie von der ewigen Liebe Zeugniß ablegen, wenn das Herz taub ist und dein Mund stumm bleibt? Was hilft es, daß Gott der Vater an uns und in der Natur sich als den Vater von Allem, was da lebet, offenbaret hat, wenn wir nicht seine Kinder sind? Und ehe Gott der Sohn uns zu Kindern Gottes gemacht hat, o wie steht der Mensch an dem schwellenden Busen der Natur so arm da, so unverständig - kann das Räthsel sich nicht deuten, lebt ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt, gleichwie die armen Heiden, und statt die Hände zu falten, ringt er sie in Verzweiflung.

Aber, Brüder, Gott ist uns nahe geworden als Gott der Sohn in dem Werke der Erlösung! Ohne Christus bleibt der Sternenhimmel wie das Menschenherz eine verschlossene Bilderschrift. Stehest du nicht, wie die Menschen daran herumrathen? wie verschieden sie sie lösen? wie kaum hie und da eine Sylbe des großen Räthsels errathen wird? Der heilige Unbekannte, dessen Gesichtszüge du nicht erkennen konntest als du aus den Sternen, aus den Blumen, aus dem Menschenherzen sie zu entziffern suchtest: siehe, er ist dir entgegengekommen, menschlich nahe; in Galiläa hat er seine Hütte aufgeschlagen; blicke in Jesu Herz und du hast in Gottes Herzen gelesen; denn „wer mich stehet, Philippe, der stehet den Vater,“ so ruft er. Heilige Liebe! als ich an dir vorüber ging, da du unter dem Schleier der Natur verborgen lagest, da ahnete ich dich, und mein Herz schwoll von Sehnsucht; seitdem im Sohn Gottes ich dich angeschaut, der dem verlornen Schaafe nachgeht und den Mühseligen und Beladenen zu sich einladet, da habe ich dir in's Angesicht gesehen und kenne dich, und beuge meine Kniee vor dir und rufe: ewige Liebe, gehe auch an mir nicht vorüber, an dem ärmsten deiner Kinder! - Ja, Freunde, was der verborgene Gott ist, erst in Christo wird es uns offenbar; aber auch was das verhüllte Menschenherz ist, erst ihm gegenüber lernest du es erkennen. Indem ich ihn anschaue, den Gottes- und der Menschen Sohn, da erwacht es in meinem Herzen, daß auch ich göttlichen Geschlechts bin; aber auch gerade wenn ich Ihn anschaue, da brechen die Thränen aus, denn ach! das Gottesbild ist schmählich in mir entstellt, und es dient in mir, was da herrschen sollte. Seinem Gehorsam gegenüber lernte ich meinen Ungehorsam kennen, seiner Demuth gegenüber meinen Hochmuth, seinem Erbarmen und liebewallenden Herzen gegenüber mein kaltes und liebeleeres Herz. Und ich stand unendlich betrübt und beschämt da, und meine Thränen flossen — da sprach eine Stimme vom Throne der Herrlichkeit: „Weine nicht, denn es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda!“ Willst du gesund werden? Ich sprach: Ja Herr, ach du weißt wie sehr! Da sprach er: Mein Sohn, sei getrost, dir ist geholfen, stehe auf und folge mir nach! Und ich folgte ihm nach, und siehe! ich wurde inne, daß er mich nicht betrogen hatte, als er sagte: „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben.“

Sehet da, wie Gott dem Menschen nahe kommt im Werke der Erlösung. Doch vergebens ist er dir nahe gekommen in dem Werke der Schöpfung und der Erlösung von außen, wenn er dir nicht nahe kommt im Heiligthume deiner eignen Seele. Ein stummes Räthsel steht dir Christus da wie die Natur, die Offenbarung des Sohnes in der Erlösung wie die des Vaters in der Schöpfung, wenn nicht der Geist deine Seele zubereitet.

Aber auch Gott der Geist nahet sich dem Menschen in dem Werke seiner Heiligung. Führt Gott dich nicht zu Gott,-so kannst du Gott nicht finden. Gerade das aber ist die dritte Art und Weise, wie Gott dem Menschen nahe kommt, daß es einen Geist Gottes gibt, der im Innern der menschlichen Herzen sein Geschäft hat, locket und ziehet immerdar, bis daß er die Menschen zu Christo geführet hat. „Gott hat gemacht, daß von Einem Blute aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen sollen, und hat Ziel gesetzt und zuvor versehen, wie lange und wie weit sie wohnen sollen, daß sie den Herrn suchen sollen, ob sie ihn doch fühlen und finden möchten. Und zwar ist er nicht ferne von einem jeglichen unter uns, denn in ihm leben, weben und sind wir.“ Mensch, fühle die ganze Größe dessen, was dir die Wahrheit verkündet! Mit deinem innersten Wesen bist du also in Gottes Geiste gewurzelt. Kein endliches Wesen, du selbst bist dir nicht so nahe, als es Gottes Geist dir ist. Er ist bei dir, wenn du stehest; er geht mit dir, wenn du liegest; und nähmest du die Flügel der Morgenröthe und flöhest bis an's äußerste Meer, so würde auch dort seine Hand dich halten. Du kannst dich nicht ganz von ihm losmachen. Der in die Finsterniß gesunkene Mensch will von ihm los; er mag diesen Begleiter nicht, aber er hält ihn; du hängst den Schleier vor, du siehst ihn nicht, aber er sieht dich. - O lieber Mensch! glaube mir, der, welcher innerlich zu dir spricht, ist nicht dein Feind; stoße seine Stimme nicht von dir; es ist die Stimme deines Freundes, es ist die Stimme deines besten Freundes, deines Gottes und Vaters, der dich zu seinem Sohne führen will. Was er dich lehren will, macht dir freilich Schmerz, du meintest, du wärest satt und hättest die Genüge - und siehe! er deckt dir auf, daß du bist nackt und bloß; weckt einen Durst und Hunger in deiner Seele; es mag dir wehe thun, aber, lieber Mensch, weise ihn nicht zurück; siehe, er macht dich aus keinem andern Grunde arm und nackt, und hungrig und durstig, als weil er dich kleiden will mit einem neuen, hochzeitlichen Gewande, welches dir sein Sohn bereitet hat und welches du tragen sollst in seinem Reiche, als weil er dich speisen und tränken will mit himmlischem Brot und lebendigem Wasser, welches sein Sohn dir spenden wird in seinem Reiche.

Siehe da, Gemeinde Gottes, die ausgebreiteten Liebesarme deines Gottes, die sich dir nahen und entgegenstrecken auf allen deinen Wegen! Ein Meer der Liebe umgibt mit seinen Wellen euch alle von allen Seiten, aber wie Viele von euch dursten mitten in diesen Wellen? Ja verdursten mußt du mitten darin - streckst nicht auch du deinem Gotte deine Arme entgegen. Willst du gesund werden? das ist die Frage, die ich alles Ernstes an euch wiederhole. War zu einer leiblichen Genesung der Wille des Menschen erforderlich, wie viel mehr, wenn es sich darum handelt, wie die Seele gesund werden soll. Christus erweckt und erleuchtet dich nicht ohne und wider deinen Willen. Aber sehet, hier ist die kranke Stelle in euern Herzen! Ihr alle, die ihr nicht todt seid in euern Sünden, aber auch nicht zum Leben kommen könnt, die ihr sagt, ihr glaubet, und die ihr doch nicht die Kraft und Seligkeit eines Christenlebens in euch inne werdet - am Ende liegt es doch nur daran, daß, wenn der Herr mit allem Ernste euch fragte: Willst du denn würklich gesund werden? ihr antworten müßtet: „Nein, ich will nicht!“ Ihr hungert nicht, ihr durstet nicht - wie soll euch Gott Speise geben?

Wollt ihr würklich gesund werden? - nun so nahet euch euerm Gotte. Nahet euch Gott, so nahet er sich euch, so wird das Meer der Liebe euch nicht bloß so umgeben, daß ihr genußlos in seinen Wellen steht; ihr werdet davon trinken.

Nahe dich Gott in dem Werke der Schöpfung und der Erhaltung! Warum fliehst du die Einsamkeit? warum fliehst du die einsamen Stunden? warum geht euer Leben hin wie ein Rausch? warum kommt für Viele unter euch im ganzen Laufe der Woche auch nicht eine einzige Stunde, wo ihr euch besinnt? Ihr geht dahin durchs Leben wie Träumende. Immer unter Menschen und niemals mit euch selbst. So war es mit unsern Vorfahren nicht; die hatten viele stille Stunden in ihrem Leben. Wenn der Abend kam, da hatte Jeder noch ein Stündlein, das war seinem Gotte gewidmet. Ihr habt die Klöster niedergerissen, aber warum habt ihr sie nicht in euren Herzen aufgebaut? Siehe, mein Bruder, wenn du stille Stunden dir aufsuchen wolltest, an jedem Tage nur eine, und wolltest betrachten die Liebe, die dich in's Daseyn rief, die alle Tage im Gange deines Lebens dich mit Segen überschüttet, oder durch traurige Erfahrungen mahnt und straft - das hieße deinem Gotte nahen, da würdest du ihn mit Händen greifen. So aber, wo du in unendlicher Zerstreuung herumirrst, umringt das Meer seiner Segnungen dich von allen Seiten, und deine Seele verdurstet dabei. - Willst du Gott nahen im Werke seiner Schöpfung und Erhaltung, so suche die stillen Stunden.

Nahe dich Gott im Werke seiner Erlösung! - Wie er freundlich der sündigen Welt entgegengekommen ist! und sie geht ihm nicht entgegen! Ihr, die ihr euch dazu bekennt, daß ihr habet in dem Gottesworte das ewige Leben: leset ihr es alle Tage? Glaubt mir, unendlich Viele von euch, die da schweben und schwanken und nicht zur Gewißheit kommen können - wenn sie es nur erst vermöchten, täglich in stiller Stunde die Schrift zu lesen. - Es kommt freilich darauf an: wie liesest du? Wohlan nun, ihr, denen es ein Ernst ist um den Himmel - daß ihr zuvörderst die Geschichte des Herrn lesen möchtet, um euch alle zerstreuten Strahlen seines Bildes zu Einer Sonne zu versammeln, daß ihr zuerst einen tiefen Eindruck von seinem ganzen heiligen Wesen und Wandel erhalten möchtet! O glaube mir, begleitet dich das heilige Bild den Tag über zu deiner Beschämung, zu deiner Tröstung, zu deiner Erweckung, so begleitet dich ein guter Geist. Wer lange in die Sonne gesehen, dem bildet sich ganz die Sonne ein, daß er überall nichts sieht, als die Sonne. Auch dir, mein lieber Bruder, wenn du alle Morgen in die Sonne des Jesusbildes schauest, wird Sein Bild sich einbilden, daß du Alles, was du sehen wirst, nur sehen wirst in Beziehung auf ihn - wirst dich freuen, wo du einen Strahl von ihm wiederfindest; wirst weinen, wenn du ihn nicht entdecken kannst; wirst jedem Wegweiser und jedem aufgehobenen Finger, der auf ihn hindeutet, nachgehen. - Willst du also Gott nahen im Werke der Erlösung, lies das Zeugniß, das er in deine Hand gelegt hat, von seinem Sohne.

Nahet euch ihm, wenn er zu euch kommt im Geiste, der in euerm Herzen würkt. O daß ich mit göttlicher Kraft es in euer Aller Herzen hineinrufen könnte: wenn ihr den Zug und die Stimme des Vaters in euern Herzen fühlt, widerstehet nicht, es ist Gottes Stimme, es ist Gottes Werk; überhöret sie nicht, denn gerade hier ist es, wie unsere neuliche Betrachtung uns lehrte, wo die Gerechtigkeit Gottes auf das furchtbarste sich zeigt. „Es wohnt, so sagt ein heidnischer Schriftsteller, ein heiliger Geist im Menschen, welcher, wie er von uns behandelt wird, so uns wieder behandelt.“ Einmal zurückgewiesen, und er kommt seltner wieder und spricht immer leiser. Doch wie nun, fragst du, wenn die Stimme in mir nur leise ruft, oder wenn ich sie verschmäht habe, und sie nur noch selten laut wird-? Bruder! es steht geschrieben: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgethan!“ Du sagst, ich habe ein kaltes Herz, ich kann nicht beten, und ich frage dich: ist ein warmes Herz keine gute Gabe? Ist es eine, nun so stehet geschrieben: „So ihr, die ihr doch arg seid, könnet dennoch euern Kindern gute Gaben geben, wie vielmehr wird euer Vater Gutes geben denen, die ihn bitten!“ Es ist ein Wahn, ein gefährlicher Irrthum, daß man nur beten solle, wenn das Herz treibt; denn wie nun, wenn es abstirbt, wenn es gar nicht mehr treibt? Weißt du nicht, daß das Herz selbst getrieben wird durch's Gebet zum Beten? Hast du noch nie aus Erfahrung den seligen Zustand kennen lernen, wo die Seele, wehmüthig über die Dürre und Kälte in ihrem Innern, sich niederwirft und anfängt mit kaltem Herzen zu beten, und das Gebet selber das steinerne Herz in ein fleischernes verwandelt, daß es anfängt, immer mehr in dir zu wallen und zu quellen, und die Worte immer reicher fließen und du ihrer kein Ende finden kannst, und du überwältigt ausrufst: „Ja, du bist wahrhaftig ein Gott, der überschwenglich thun kann über Alles, das wir bitten und verstehen?“ - Du sagst: „aber ach, mein Gebet fällt so kalt und ohnmächtig wieder auf mich zurück! Ist mir's doch, als ob ich Gottes spottete mit meinem Gebete voll Worte, aber ohne Seele!“ Bruder, ich frage dich nur Eines: Hungerst du nach dem Lebensbrote? O Bruder, wenn du danach hungerst, so spottest du ja wahrlich deines Gottes nicht mit deinen Gebeten. Solltest du hungernd ihn um Brot flehen und Er es dir verweigern? - Nein, nein, der, in dessen Antlitz wir den Vater schauen, hat gesagt: „Welcher ist unter euch Menschen, der, so ihn sein Sohn bittet um Brot, ihm einen Stein gebe?“ Rufe nur getrost: „Brot, Vater! will ich! Der du den jungen Raben leibliches Brot giebst - Seelenbrot verlangt dein Kind!“ Und meinst du etwa, daß dir allein es so ergangen wäre unter allen Sterblichen? Wisse, daß die Heiligen Gottes, wisse, daß ein August Hermann Francke auf den Knieen gelegen und gebeten hat: „Gott, wenn du bist, so offenbare dich mir!“ Siehe, so hat er anfangen müssen beten zu lernen, und wie er geendet hat in dieser Schule, ihr wißt es - siehe, der Bau seines Glaubens, seiner Gebete steht unter euch aufgerichtet - ein unvergängliches Denkmal! Und du willst noch zweifeln, du mit dem kalten Herzen, daß du einmal wirst warm, glühend beten lernen - wenn du nur anfängst im Glauben? - O lieben Christen, nahet euch Gottes heiligem Geiste im Gebete!

Wohlan denn, ihr alle, die ihr nicht todt seid, aber doch auch nicht lebet, die die Erde nicht lassen will, und der Himmel nicht aufnehmen, die ihr zweien Herren dient; wie lange wollt ihr schwanken? - Haltet in eurer Seele nur das Eine fest: was von Gottes Seite geschehen kann, ist geschehen - die Hochzeit ist bereitet, ihr seid auch eingeladen, es steht nur bei euch, zu kommen; das Meer der Liebe umwallt euch, es steht nur bei euch, davon zu trinken. Soll es am letzten Tage, wenn du in Verzweiflung die Hände ringen wirst, heißen: Ich habe ja gewollt, aber ihr habt nicht gewollt!? Wie ihr ihm nahen sollt, der so gnädig zu euch nahet, ihr wißt es. Suchet die stillen Stunden täglich, leset die heilige Schrift täglich, merkt auf jeden Zug des heiligen Geistes stündlich und augenblicklich, und schweigt er, so haltet an am Gebet„

Israel! warum willst du sterben? Siehe! nun weißt du, was zu deinem Frieden dient; wer da ausgeschlossen bleibt, wer da ausgeschlossen bleibt vom Werke der Gnade, der - hat sich selbst ausgeschlossen! –

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autoren/t/tholuck/hauptstuecke/tholuck_hauptstuecke_6_neu.txt · Zuletzt geändert: von aj
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