Spurgeon, Charles Haddon - 1. Korintherbrief (Andachten)

Spurgeon, Charles Haddon - 1. Korintherbrief (Andachten)

1. Kor. 1,19

Denn es stehet geschrieben: „Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.“

Dieser Vers ist eine Drohung, soweit er die Weltlich-Weisen betrifft, aber für den einfach Gläubigen ist er eine Verheißung. Die, welche sich Gelehrte nennen, versuchen beständig, den Glauben des demütig Gläubigen zunichte zu machen, aber ihre Versuche schlagen fehl. Ihre Beweisgründe halten nicht Stich, ihre Theorien sinken unter ihrem eignen Gewicht, ihre tiefangelegten Pläne kommen zutage, ehe ihr Zweck erfüllt ist. Das alte Evangelium ist noch nicht ausgestorben und wird nicht aussterben, so lange der Herr lebet. Wenn es ausgerottet werden könnte, so wäre es schon längst von der Erde verschwunden.

Wir können die Weisheit der Weisen nicht zunichte machen und brauchen es auch nicht zu versuchen, denn diese Arbeit ist in viel besseren Händen. Der Herr selbst spricht: „Ich will,“ und Er beschließt nie vergeblich. Zweimal erklärt Er in diesem Verse seinen Vorsatz, und wir können versichert sein, dass Er ihn nicht aufgeben wird.

Wie gründlich verfährt der Herr mit der Philosophie und dem „Neuen Denken“, wenn Er seine Hand daran legt! Er vernichtet es, so schön sein Aussehen auch ist. Er zerstört gänzlich das Holz, das Heu und die Stoppeln. Es stehet geschrieben, dass es so sein wird, und so wird es sein. Herr, tue es bald. Amen und Amen.

1. Kor. 1,28

„Das Unedle vor der Welt hat Gott erwählt.“

Wandelt bei Mondlicht durch die Straßen einer großen Stadt, wenn ihr‘s euch getraut, so könnt ihr Sünder sehen. Wachet, wenn die Nacht finster ist, und der Wind heult, und die Grille zirpt, und der Wurm nagt in der Tür, so werdet ihr Sünder sehen. Geht in jenes Gefängnis und besucht seine Zellen und Arbeitssäle, und achtet auf die Menschen mit finstern, überhängenden Augenbrauen, Menschen, denen ihr nicht gern nachts oder an einsamen Orten begegnen möchtet; - dann habt ihr Sünder vor euch. Geht hin in die Besserungs- und Zwangsarbeitsanstalten, und betrachtet die jugendlichen verderbten Verbrecher, in deren Gemüt das wuchernde Böse einen fruchtbaren Boden gefunden hat, so seht ihr Sünder. Fahret hin übers Meer zu den Inseln, wo ein Mensch einen Knochen abnagt, der noch nach Menschenfleisch riecht, so habt ihr einen Sünder vor euch. Geht hin, wo ihr nur wollt, so braucht ihr nicht lange zu suchen, um Sünder zu finden, denn sie sind eine allgemein anzutreffende Rasse; ihr könnt sie an jeder Ecke und auf allen Straßen aller Städte treffen, in Flecken, Dörfern und Weilern. Und für solche Leute ist der Herr Jesus gestorben. Wenn ihr mir den allerruchlosesten aller Menschen auf dem Erdboden auslest, wenn er nur von einem Weibe geboren ist, so will ich die Hoffnung über ihn nicht aufgeben, weil Christus Jesus gekommen ist, Sünder zu suchen und selig zu machen. Die erwählende Liebe hat sich etliche der Allerverdorbensten auserlesen, um sie zu den Allerbesten zu machen. Kiesel aus dem Bache verwandelt die Gnade in Edelsteine für ihre Königskrone. Wertlose Schlacken verändert sie ins reinste Gold. Die versöhnende Liebe hat sich manchen der allerverdorbensten Menschen zum Lohn für die Leiden des Heilandes ersehen. Die seligmachende Gnade beruft viele der Gottlosesten aus den Gottlosen, dass sie mit am Gnadentische sitzen sollen, und darum darf keiner verzweifeln.

Lieber Leser, bei der Liebe, die aus Jesu tränenvollen Augen blickt, bei der Liebe, die aus seinen blutenden Wunden strömt, bei dieser treuen Liebe, bei dieser starken Liebe, bei dieser reinen, uneigennützigen, dauernden Liebe; bei dem Herzen und bei dem Mitleid des Heilandes beschwöre ich dich, wende dich nun nicht ab, wie wenn es dich nichts anginge; sondern glaube an Ihn, so wirst du selig. Vertraue deine Seele Ihm an, so wird Er dich zur Rechten seines Vaters bringen, zur ewigen seligen Herrlichkeit.

1. Kor. 1,30

„Welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit.“

Des Menschen Geist sucht Ruhe und sucht sie von Natur außerhalb des Herrn Jesu Christi. Menschen von Bildung sind, auch wenn sie bekehrt sind, stets geneigt, auf die Einfalt des Kreuzes Christi mit einem zu wenig achtungs- und liebevollen Blick hinabzuschauen. Sie lassen sich in das alte Netz locken, in welchem die Griechen gefangen wurden, und haben eine Neigung, ihre Philosophie mit der Offenbarung zu verflechten. An einen Menschen von scharfem Verstande und guter Erziehung tritt die Versuchung heran, von der einfachen Wahrheit des gekreuzigten Christus abzugehen, und eine geistiger gefasste Lehre aufzustellen, wie man sich auszudrücken pflegt. Dies führte die ersten christlichen Gemeinden zum Gnostizismus und bezauberte sie mit allerlei ketzerischen Lehren. Dies ist die Wurzel der Gottesverleugnung und andrer Aster-Weisheit, die in vergangenen Tagen in Deutschland wucherten, und noch jetzt auf gewisse Richtungen unter den Gottesgelehrten großen Zauber ausüben. Wer du auch bist, lieber Freund, und welche Erziehung du genossen hast; wenn du des Herrn bist, so sei versichert, dass du in einer philosophierenden Religion keine Ruhe findest.

Du kannst dir hier die Lehre irgendeines großen Denkers, dort den Traum eines tiefen Forschers aneignen; aber was die Spreu am Weizen ist, ist dies alles an der reinen Wahrheit des göttlichen Wortes. Alles, was auch die bestgeleitete Vernunft zu erforschen vermag, ist nur das ABC der Wahrheit, und auch da noch fehlt es an Gewissheit, weil in Christo Jesu alle Fülle der Weisheit und der Erkenntnis vereinigt ist. Alle Versuche, sich mit einer Vereinigung aller christlichen Bekenntnisse zu befreunden, sind gescheitert; die wahrhaften Erben des Himmelreichs kommen stets auf die großartig einfache Tatsache zurück, die des Ärmsten Auge mit freudigem Glänzen erfüllt und des Elendesten Herz mit Wonne erquickt: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ Jesus gewährt dem höchstgebildetsten Weisen volle Befriedigung, wenn Er gläubig ins Herz aufgenommen wird, aber außer Ihm findet das Gemüt des Wiedergeborenen keine Ruhe. „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang; das ist eine feine Klugheit; wer danach tut, des Lob bleibet ewiglich.“

1. Kor. 2,12

„Wir haben aber empfangen den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist.“

Lieber Freund, hast du empfangen den Geist aus Gott, der durch den Heiligen Geist in deiner Seele geboren ist? Wie notwendig das Wirken des Heiligen Geistes in der Seele ist, ergibt sich ganz deutlich aus der Tatsache, dass alles, was Gott der Vater an uns getan hat, und alles, was Gott der Sohn für uns vollbracht hat, unwirksam an uns vorübergeht, wenn nicht der Heilige Geist es unserm Herzen offenbart und nahe bringt. Welche Wirkung übt die Lehre von der Gnadenwahl auf den Menschen aus, wenn nicht der Geist Gottes bei ihm einkehrt? Die Erwählung bleibt ein toter Buchstabe in meinem Gewissen, so lange nicht der Geist Gottes mich beruft aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht. Dann aber erkenne ich durch meine Berufung auch meine Erwählung, und so ich erkenne, dass ich von Gott berufen bin, so weiß ich auch gewiss, dass ich nach dem ewigen Vorsatz Gottes auserwählt bin. Gott der Vater hat mit dem Herrn Jesus einen Bund und Testament gemacht; aber was nützt uns dieser Bund, ehe uns der Heilige Geist Seiner Segnungen teilhaftig werden lässt und unsere Herzen auftut, dass wir sie empfangen können? Dort hängt der Inhalt aller dieser Segnungen am Fluchholze: Jesus Christus; aber da wir so klein sind, so können wir nicht bis zu diesem kostbaren Gut hinaufreichen; der Geist Gottes aber reicht es uns herab und übergibt es uns, und so wird es wirklich unser Eigentum. Bundesgüter sind an und für sich, wie das Manna in den Wolken, sterblichen Händen unerreichbar, aber der Geist Gottes öffnet die Fenster des Himmels, und streut das lebendige Brot herab auf das Lager des geistlichen Israels. Christi vollendetes Werk ist Wein in Fässern, unser Unglaube hindert uns, den Wein herauszulassen und zu trinken, da taucht der Heilige Geist unser Gefäß in diesen köstlichen Wein und alsdann trinken wir; aber ohne den Geist des Herrn sind wir ebenso tot in Übertretung und Sünden, als ob der Vater uns nie erwählt, als ob der Sohn uns nie erkauft hätte mit Seinem Blut. Der Heilige Geist ist unumgänglich notwendig zu unserm Wohlergehen. So wollen wir denn wandeln in der Liebe zu Ihm und Ihn nie betrüben. (Goldstrahlen Februar 29)

1. Kor. 3,1

„Junge Kinder in Christo.“

Trauerst du, liebe gläubige Seele, dass du so schwach bist im Leben aus Gott; dass dein Glaube so klein ist und deine Liebe so matt? Werde munter, denn du hast alle Ursache, dankbar zu sein. Bedenke, dass du in etlichen Stücken dem erwachsensten und reifsten Christen vollkommen ebenbürtig dastehst. Du bist ebenso mit Blut erkauft, wie er. Du bist ebensogut ein wohlgefälliges Kind Gottes als jeder andre Gläubige. Ein Kindlein ist ebenso wahrhaftig ein Kind seiner Eltern, wie der erwachsene Mensch. Du bist ebenso völlig gerechtfertigt, denn deine Rechtfertigung ist nichts, was sich nach Graden abstuft; dein kleiner Glaube hat dich ganz und gar gereinigt. Du hast ein ebenso großes Recht an die köstlichen Güter des Testaments, wie die gefördertsten Gläubigen, denn dein Recht an die Bundesgnaden hängt nicht von deinem Wachstum ab, sondern vom Bund und Testament selber; und dein Glaube an den Herrn Jesum ist nicht der Maßstab, sondern nur das Pfand deines Eigentumsrechts an Ihn. Du bist ebenso reich, wie der Reichste, wenn nicht am Genuss, so doch an wirklichem Besitz. Der kleinste Stern, der von oben funkelt, steht am Himmel; der schwächste Strahl des Lichts ist mit dem großen Tagesgestirn verwandt. Im Familienbuch der Herrlichkeit sind der Große und der Kleine mit der gleichen Feder eingezeichnet worden. Du bist seinem Vaterherzen ebenso teuer, wie das älteste Familienglied. Der Herr Jesus ist ganz liebevoll und zärtlich gegen dich. Du bist wie der glimmende Docht; ein unzarter Sinn würde rücksichtslos verlangen: „Löscht doch den glimmenden Docht aus, er erfüllt die Luft nur mit widrigem Gestank!“ aber den glimmenden Docht wird Er nicht auslöschen. Du bist wie ein zerstoßenes Rohr; und eine rauere Hand wie die des großen Saitenspielers würde dich zerknicken oder dich wegwerfen; aber Er will das zerstoßene Rohr nicht gar zerbrechen. Statt über deinen Zustand betrübt und niedergeschlagen zu sein, solltest du frohlocken in deinem Heiland Jesus Christus. Bin ich der Geringste in Israel? Dennoch bin ich in Christo erwählt, zu thronen in den himmlischen Gefilden. Bin ich arm im Glauben? Dennoch bin ich in Jesu ein Erbe aller Dinge. Bin ich auch weniger als nichts, so darf ich mich gleichwohl rühmen als in der Torheit; ist nur die Wurzel des Guten in mir, so will ich mich freuen in dem Herrn, und mich rühmen in Gott, meinem Heil.

1. Kor. 3,23

„Ihr aber seid Christi.“

Ihr aber seid Christi. Ihr seid sein eigen als Gabe, denn der Vater hat euch dem Sohn gegeben; sein eigen durch sein blutiges Lösegeld, denn Er hat den hohen Preis für eure Erlösung bezahlt; sein eigen durch euer Gelübde, denn ihr habt euch Ihm übergeben; sein eigen durch Verwandtschaft, denn ihr seid nach seinem Namen genannt und seid seine Brüder und Miterben geworden. So zeige denn, lieber Christ, durch die Tat, dass du der Knecht, der Freund, die Braut Jesu bist. Versucht dich die Sünde, so antworte: „Wie sollt‘ ich ein solch großes Übel tun; ich gehöre ja Christo an.“ Ein unsterbliches Gesetz verwehrt dem Freunde Christi die Sünde. Wenn euch reicher Gewinn zur Sünde verlocken will, so sagt, dass ihr Christi seid, und rührt nichts an. Drohen euch Verlegenheiten und Gefahren, dann seid standhaft und gedenkt, dass ihr Christi seid. Seid ihr hingestellt, wo andre müßig sitzen und zusehen, so macht euch mit Aufbietung aller Kraft ans Werk; und rinnt euch der Schweiß von der Stirne und wollt ihr ermatten, so ruft: „Nein, ich will nicht ruhen, denn ich bin Christi. Wäre ich nicht mit Blut erkauft, so möchte ich vielleicht wie Isaschar mich zwischen den Grenzen lagern; aber ich bin Christi, und darf nicht ruhen.“ Wenn der Sirenengesang der Luft euch vom Pfade der Gerechtigkeit hinweglocken will, so sprecht: „Dein Reigen verführt mich nicht, denn ich bin Christi.“ Verleugne dein Bekenntnis nie. Deine Tat sei allezeit Christi würdig, deine Rede lieblich gewürzt, dein Wort und Wandel himmlisch, auf dass alle, die dich sehen, wissen, dass du dem Heilande angehörst und in dir seine Liebe und sein heiliges Gemüt wohnen. „Ich bin ein römischer Bürger!“ das war vorzeiten ein unantastbarer Schutzbrief; wie viel mehr sollte dir dies Wort ein Schutzbrief und Vorrecht zu einem Wandel der Heiligung sein: „Ich bin Christi!“

„Selig,
Fröhlich
Sind die Seelen,
Die erwählen,
Ohn‘ Bedenken
Ihrem Jesu sich zu schenken.“

1. Kor. 7,20

„Ein jeglicher bleibe in dem Beruf, darinnen er berufen ist.“

Manche Leute haben das törichte Vorurteil, dass der einzige Weg, wie sie Gott dienen können, darin bestehe, Prediger oder Sendboten unter den Heiden, oder Gehilfen in der Verbreitung christlicher Schriften zu werden. Ach! wie viele wären von aller Möglichkeit ausgeschlossen, den Höchsten zu verherrlichen, wenn dem also wäre! Liebe Freunde, nicht das Amt, sondern der Eifer ist die Hauptsache; nicht die Stellung, sondern die Gnade macht uns tüchtig, Gott zu erhöhen. Wahrlich, Gott wird mehr verherrlicht in der Werkstätte, in welcher der fromme Handwerker unter der Arbeit Lieder von der Liebe Jesu singt, als in manchem prachtvollen Saal, wo die öffentliche gottesdienstliche Übung ihren heiligen Pflichten obliegt. Der Name Jesu wird von dem armen, ungebildeten Fuhrmann ebenso verherrlicht, während er seine Pferde leitet und seinem Gott dankt, oder am Straßenrande mit seinem Nebenmenschen sich unterhält, als von dem allgemein geachteten Prediger, welcher, wie eines der beiden Donnerskinder, in einem großen Kreise das Evangelium mit mächtiger Stimme verkündigt. Gott wird verherrlicht, wenn wir Ihm in unserm verordneten Beruf dienen. Darum hüte dich, lieber Freund, dass du nicht den Pfad deiner Pflicht verlässt durch Vernachlässigung deines Berufes, und hüte dich, dass du dein Bekenntnis nicht verunehrst, wenn du deinem Berufe treu bleibst. Denke wenig an dich selbst, aber achte deinen Beruf nicht gering. Jede rechtmäßige Arbeit kann durch das Evangelium aufs schönste geziert werden. Gehe hin zur Bibel, so findest du die untergeordnetsten Berufsarten entweder mit den kühnsten Glaubenstaten verwoben, oder an Personen geknüpft, deren heiliger Wandel ein leuchtendes Vorbild hinterließ. Darum sei nicht unzufrieden mit deinem Beruf. In welche Stellung auch Gott dich berufen, oder welche Arbeit Er dir zugeteilt hat, bleibe dabei, es sei dir denn zur unzweifelhaften Gewissheit geworden, dass Er dich zu etwas Anderm erwählt hat. Deine erste Sorge lass sein, Gott nach deinem besten Vermögen zu verherrlichen in der Lage, wo du dich befindest. Erfülle deinen gegenwärtigen Berufskreis zu Seiner Ehre, und braucht er dich in einem andern, so wird Ers dir schon zeigen. Gib dich ohne allen Ehrgeiz einer ergebungsvollen Zufriedenheit hin. (Goldstrahlen Juni 27)

1. Kor. 9,22

„Ich bin jedermann allerlei geworden, auf dass ich allenthalben je etliche selig mache.“

Pauli große Sorge war nicht nur, dass er lehre und bessere, sondern dass er errette. In nichts andrem hätte er Befriedigung finden können; er wollte, dass die Menschen im Herzen erneuert, versöhnt, geheiligt, wahrhaft errettet und selig würden. Haben unsre christlichen Bestrebungen etwas Geringeres im Auge gehabt als dieses eine Notwendige? Dann wollen wir bessere Wege einschlagen, denn was nützte es, wenn wir die Menschen bloß gelehrt und gebessert haben, und sie doch am letzten großen Gerichtstage nicht als Erlöste vor Gottes Thron erscheinen können. Blut wird unser Gewand färben, wenn wir im Leben nicht das eine Große erstrebt, wenn wir vergessen haben, dass die Menschen sollen durchs Evangelium selig werden. Der Apostel Paulus kannte das Verderben des natürlichen Menschen und suchte nicht, ihn zu erziehen, sondern selig zu machen; er sah die Menschen zur Hölle fahren und redete nicht von ihrer Läuterung, sondern von ihrer Errettung vor dem zukünftigen Zorn. Ihr Heil zu schaffen, gab er sich mit unermüdlichem Eifer hin, allenthalben das Evangelium zu predigen, die Menschen zu warnen und zu ermahnen, dass sie sich sollten versöhnen lassen mit Gott. Er betete inbrünstig und anhaltend und arbeitete unablässig. Seelen zu erretten, war seine verzehrende Leidenschaft, sein Ehrgeiz, seine Tätigkeit. Er wurde ein Knecht aller Menschen, er mühte sich ab für sein Geschlecht und fühlte sich schmerzlich verletzt, wenn er das Evangelium nicht verkündigen konnte. Er begab sich aller seiner Vorzüge, um jedem Vorurteil zu begegnen; in untergeordneten Dingen beugte er seinen Willen, und wenn die Menschen nur bereit waren, das Evangelium anzunehmen, so waren ihm alle äußeren, gottesdienstlichen Formen gleichgültig, ihm war das Evangelium das eine, was alles andre übertrifft. Wenn er nur jemand erretten konnte, so war er befriedigt. Das war die Krone, nach welcher er strebte, der einzige und genügende Lohn seiner Mühen und seiner Selbstverleugnung. Brennt dasselbe allverzehrende Feuer in uns? Wo ist unsre Liebe? Wo unsre Hingebung für Christum, wenn wir nicht seine Ehre suchen in der Errettung der Menschen? Ach, dass uns doch der Herr durch und durch mit einem unermüdlichen Eifer um das Heil der Menschen erfüllte!

1. Kor. 10,12

„Wer sich lässt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, dass er nicht falle.“

Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass es Leute gibt, die auf die Gnade stolz sein können. Es spricht einer: „Ich habe einen starken Glauben, ich werde nicht fallen; der armselige Kleinglaube ist vor dem Fall nicht sicher, ich aber werde nimmermehr wanken.“ „Ich habe brünstige Liebe,“ spricht ein andrer, „ich vermag zu stehen; es hat keine Gefahr mit mir, ich werde nicht abirren.“ Wer mit der Gnade prahlt, hat sich geringer Gnade zu rühmen. Etliche, die das tun, bilden sich ein, ihre Gnadengaben wären imstande, sie aufrecht zu erhalten, und bedenken nicht, dass der Strom ununterbrochen aus der Quelle fließen muss, wenn nicht des Stromes Bette bald vertrocknen soll. Wenn der Lampe nicht beständig neues Öl zufließt, so wird sie trotz ihres jetzigen strahlenden Lichtglanzes doch morgen schon rauchen; und dann wird sie nur einen schädlichen Dampf verbreiten. Hüte dich, dass du dich nicht in deinen Tugenden selbstgefällig erhebst, sondern lass all dein Rühmen und Vertrauen auf Christum und seine Kraft gerichtet sein, denn so allein bleibst du vor dem Fall bewahrt. Lege dich mehr aufs Beten. Verwende mehr Zeit auf heilige Sammlung und Andacht. Lies Gottes Wort eifriger und anhaltender. Wache sorgfältiger über dich im Handel und Wandel. Lebe in inniger Gemeinschaft mit deinem Gott. Strebe den besten Vorbildern nach. Deine Rede sei lieblich und mit himmlischem Duft gewürzt. Dein Herz sei entzündet von Liebe zu den Menschenseelen. Lebe so, dass die Leute erkennen müssen, du seiest auch mit Jesu gewesen und habest von Ihm gelernt; und wenn einst der selige Tag kommt, wo Der, den deine Seele liebt, zu dir spricht: „Steige herauf,“ so möge es dich mit seligem Entzücken erfüllen, wenn du Ihn sagen hörst: „Du hast einen guten Kampf gekämpft, du hast den Lauf vollendet, hinfort ist dir beigelegt die unverwelkliche Krone der Gerechtigkeit.“ Vorwärts, lieber Christ, mit Vorsicht und Sorgfalt! Vorwärts, mit heiliger Furcht und mit Zittern! Vorwärts, mit Glauben und Vertrauen auf Jesum allein, und lass dein beständiges Flehen sein: „Erhalte mich durch Dein Wort.“ Nur Er, und Er allein, kann euch behüten ohne Fehler, und euch stellen „vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden.“ „Lasst uns beten, lasst uns wachen: Herr, sei mächtig in uns Schwachen!“

1. Kor. 11,24

„Solches tut zu meinem Gedächtnis.“

Es scheint hieraus beinahe, als ob Christen könnten Christum vergessen! Es wäre ja diese liebevolle Ermahnung nicht vonnöten gewesen, wenn nicht die schreckliche Voraussetzung vorhanden wäre, dass unser Gedächtnis uns untreu werden könnte. Und das ist keine grundlose Voraussetzung; sie ist, leider! in unserer Erfahrung zu tief begründet, nicht als eine Möglichkeit, sondern als eine beklagenswerte Wirklichkeit. Es scheint beinahe unmöglich, dass diejenigen, die versöhnt worden sind durch das Blut des geschlachteten Lammes, und geliebt mit einer ewigen Liebe vom Sohne Gottes, sollten ihren gnädigen Heiland vergessen können; aber, wie befremdend es auch dem Ohre klingt, so fällt es, ach! zu deutlich in die Augen, als dass wir uns erlauben könnten, das Verbrechen abzuleugnen.

„Wie könnt‘ ich sein vergessen,
Der mein noch nie vergaß!“

Ihn vergessen, der sein teures Blut für unsre Sünden vergoss! Ihn vergessen, der uns liebte bis in den Tod! Wär‘s möglich? Ja, es ist nicht nur möglich, sondern das Gewissen bekennt, wie es bei uns allen ein allzu trauriger Fehler ist, dass wir Ihn wie einen fremden Wanderer nur gelegentlich einmal bei uns übernachten lassen. Er, den wir zum bleibenden Inwohner unsres Gedächtnisses machen sollten, ist nur ein flüchtiger Besucher darin. Das Kreuz, bei dem das Gedächtnis aller Wahrscheinlichkeit nach verweilen müsste, und wo die Gleichgültigkeit ein unbekannter Fremdling bleiben sollte, wird entweiht von den Fußtritten undankbarer Vergesslichkeit. Bezeugt euch nicht euer Gewissen, dass dem also ist? Müsst ihr nicht bekennen, dass ihr Jesum oft vergesst? Manches Geschöpf stiehlt euch das Herz, und ihr seid Dessen uneingedenk, auf den all eure Zärtlichkeit gerichtet sein sollte. Die oder jene irdische Beschäftigung nimmt eure Gedanken in Anspruch, wo ihr eure Augen unverwandt solltet aufs Kreuz lassen gerichtet sein. Es ist das unablässige Weltgetümmel, die beständige Aufmerksamkeit aufs Vergängliche, was die Seele von Christo abzieht. Während das Gedächtnis nur allzu willig ein giftiges Unkraut beherbergt, lässt es die Rose von Saron verwelken. Wir wollen es uns zur Pflicht machen, ein himmlisches Vergissmeinnicht für Jesum, unsern Freund, auf unsre Herzen zu heften, und was wir auch sonst fahren lassen: Ihn wollen wir festhalten.

1. Kor. 15,20

„Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten.“

Das ganze Wesen des Christentums beruht auf der Tatsache, dass „Christus auferstanden ist von den Toten;“ denn „ist Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube eitel: so seid ihr noch in euren Sünden.“ Die Gottheit Christi findet ihre festeste Bestätigung in seiner Auferstehung, denn Er ist „kräftiglich erwiesen ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiligt, seit der Zeit Er auferstanden ist von den Toten.“ Es wäre nicht unvernünftig, an seiner Gottheit zu zweifeln, wenn Er nicht auferstanden wäre. Überdies hängt Christi Herrschaft ganz von seiner Auferstehung ab, denn „dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden, und wieder lebendig geworden, dass Er über Tote und Lebendige Herr sei.“ Ferner ist unsre Rechtfertigung, dieser köstliche Segen des neuen Bundes, aufs engste mit Christi herrlichem Siege über Tod und Grab verknüpft; „denn Er ist um unserer Sünden willen dahingegeben, und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt.“ Ja, noch mehr, sogar unsre Wiedergeburt steht im Zusammenhang mit seiner Auferstehung, denn Gott „hat uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung, durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“ Und es ist vor allem gewiss, dass aus diesem Grunde auch unsre Auferstehung bei der Zukunft Christi ruht, denn „so nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch derselbe, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen, um des willen, dass sein Geist in euch wohnt.“ Ist Christus nicht auferstanden, so werden wir auch nicht auferstehen; wenn Er aber auferstanden ist, so sind auch die, so in Christo entschlafen sind, nicht verloren, sondern sie werden in ihrem Fleisch Gott sehen. So läuft die silberne Schnur der Auferstehung durch alle Segenserfahrungen des Gläubigen, von seiner Wiedergeburt an, bis zu seiner Auferstehung, und fasst sie alle in eins zusammen. Wie wichtig muss darum diese große Heilstatsache seinem Gemüt werden, und wie muss er sich hoch darüber freuen, dass es über alle Zweifel feststeht: „Nun ist Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen. Und werden in Christo alle lebendig gemacht werden.“

1. Kor. 15,45

„Der letzte Adam.“

Jesus ist das Bundeshaupt seiner Auserwählten. Gleichwie jeder Erbe des Fleisches und Blutes persönlich teil hat an Adam, als an dem Bundeshaupt und Stellvertreter des Menschengeschlechts nach seiner Stellung zum Gesetz der Werke: so ist jede erlöste Seele unter dem Gesetz der Gnade eins mit dem Herrn, Werke: der vom Himmel gekommen ist, welcher ist der zweite Adam, der leidende Stellvertreter und Fürsprecher der Auserwählten in dem neuen Bund der Liebe. Der Apostel Paulus erklärt, dass Levi noch verborgen war in Abraham, als Melchisedek ihm begegnete; und so ist es eine gewisse Wahrheit, dass jeder Gläubige verborgen war in Christo Jesu, dem Mittler, da vor dieser Zeit in den Tagen vergangener Ewigkeiten die Bundes-Satzungen der Gnade festgestellt, gut geheißen und für alle Ewigkeit bestätigt wurden. Darum hat Christus alles, was Er getan hat, vollbracht für den ganzen Leib seiner Gemeinde. Wir sind in Ihm gekreuzigt und mit Ihm begraben, und, wunderbarer noch, wir sind auch mit Ihm auferwecket, und mit Ihm aufgefahren zu den Thronen in der Höhe. So hat die Gemeinde das Gesetz erfüllt, und „ist angenehm gemacht in dem Geliebten.“ So schaut der gerechte Jehovah mit Wohlgefallen auf sie herab, denn Er sieht in ihr Jesum, und Er schaut sie nicht anders an als verbunden mit ihrem Bundeshaupt. Als der gesalbte Erlöser Israels hat der Herr Jesus Christus nichts, was Ihn von seiner Gemeinde schiede, sondern alles, was Er besitzt, besitzt Er für sie und um ihretwillen. Adams Gerechtigkeit gehörte uns zu, solange er darin verharrte, und seine Sünde wurde unsere Sünde in dem Augenblick, da er sie beging; und ganz ebenso gehört alles, was der „letzte Adam“ ist oder tut, vollkommen uns zu wie Ihm selber, weil wir sehen, dass Er uns vertritt. Hier ist der Grundstein unsres Gnadenbundes. Diese gnädige Stellvertretung, welche Justin, den Märtyrer, zu dem Ausruf bewog: „O selige Veränderung, o selige Umwandlung!“ ist die Grundlage des Evangeliums von unserer Erlösung, und wird aufgenommen mit starkem Glauben und entzückender Freude.

„In Jesu liegt der Gnade Grund,
Da nimmt der Glaube teil;
Mein Heiland, an dem Kreuz verwund‘t,
Macht meine Seele heil.“

1. Kor. 15,48

„Welcherlei der Himmlische ist, solcherlei sind auch die Himmlischen.“

Haupt und Glieder sind derselben Natur teilhaftig, und gleichen nicht jenem großen und schrecklichen Bilde, das Nebukadnezar in seinem Traume erblickte. Das Haupt war von feinem Gold, seine Brust und Arme waren von Silber, aber sein Bauch und seine Lenden waren von Erz, seine Schenkel waren Eisen, und seine Füße waren einesteils Eisen und einesteils Ton. Christi geistlicher Leib ist keine widersinnige Zusammensetzung aus entgegengesetzten Bestandteilen; die Glieder waren sterblich, und darum musste auch Christus sterben; das verklärte Haupt ist unsterblich, und darum ist auch der Leib unsterblich, denn also stehet geschrieben: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Gleichwie unser liebendes Haupt ist, so ist auch der Leib und jedes Glied insbesondere. Ein auserwähltes Haupt und auserwählte Glieder; ein angenehmes Haupt und angenehme Glieder; ein lebendiges Haupt und lebendige Glieder. Ist das Haupt lauteres Gold, so sind auch alle Teile des Leibes von lauterem Golde. So besteht also eine doppelte Vereinigung der Naturen als Grundlage für die innigste Gemeinschaft im Umgang. Halte hier still, andächtiger Leser, und siehe, ob du ohne entzückendes Staunen kannst die unendliche Herablassung des Sohnes Gottes betrachten, der deine Niedrigkeit und dein Elend zu solch seliger Vereinigung mit seiner Herrlichkeit erhöht hat. Du bist so verächtlich und niedrig, dass du, eingedenk deiner Sterblichkeit, musst zur Verwesung sprechen: „Du bist mein Vater,“ und zum Wurm: „Du bist mein Bruder;“ und dennoch bist du in Christo so hoch geachtet, dass du zum Allmächtigen sagen kannst: „Abba, lieber Vater;“ und zum fleischgewordenen Gott: „Mein Bruder und mein Bräutigam.“ Wahrlich, wenn die Verwandtschaft mit alten und edlen Familien die Menschen stolz machen kann, dass sie sich für etwas Großes halten, so haben wir Grund, uns zu rühmen, mehr denn alle hohen Häupter. Der ärmste und verachtetste Gläubige soll an diesem Vorrecht festhalten; durch keinen gefühllosen Stumpfsinn lasse er sich verführen, seinen Stammbaum zu vernachlässigen, noch lasse er in törichter Anhänglichkeit an die Eitelkeiten dieser Zeit seine Gedanken gefangen nehmen, bis dass er von diesen herrlichen Vorrechten, von dieser himmlischen Ehre der Vereinigung mit Christo ausgeschlossen sein wird.

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