Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst du auch, was du liest? Matth. 19,17.

Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst du auch, was du liest? Matth. 19,17.

Niemand ist gut, denn der einige Gott.

Dies Wort bekommt man gewöhnlich schon zu hören, wenn man noch gar nicht einmal mit der Predigt des Evangeliums, sondern erst mit der Verkündigung des Gesetzes an den Menschen herantritt. Will man ihn auf die Schäden seines Lebens, auf seine Lieblingslust und Sünde aufmerksam machen, so ruft er uns zu: „So genau dürfen wir's nicht nehmen; wir sind allzumal Sünder, Niemand ist gut, denn der einige Gott.“ Es begegnet uns hier eine Erscheinung, die bei der Beobachtung des sittlichen Lebens nicht selten ist. Man misst dasselbe nicht nach dem Maßstabe des Guten, wie es in Gott ist, sondern nach seiner Gestaltung bei den Nebenmenschen. Der Mensch beruhigt sich in seinem sündlichen Zustande damit, wenn er sieht, dass Andere nicht besser sind; so betrachtet er das obige Wort als eine ihn völlig sicher stellende Entschuldigung. Wie ungereimt! Geh' in ein Lazarett, wo viele Totkranke sich befinden; sollte da die Hoffnung der Genesung und das Verlangen nach ihr bei der Bemerkung ersterben: Ich bin nicht allein krank, sondern alle, welche hier sich finden! - Überdies liegt doch immer der Anwendung jener Entschuldigungsrede die Einsicht zum Grunde, eigentlich solle es nicht so sein. Es gehört aber zum menschlichen Leichtsinn, dass man sie fast mit lachender Miene vorbringen kann. - Ja, es ist wahr: „Niemand ist gut, denn der einige Gott,“ aber das ist eine Tatsache, wie sie ist, nicht wie sie sein soll; denn Gott spricht: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig!“ Christus ermahnt uns vollkommen zu sein, wie unser himmlischer Vater vollkommen ist (Matth. 5,48. 3 Mos. 11,44). - Ein ernsteres Gemüt aber könnte fragen: „Wie kam Christus dazu, dieses Wort auszusprechen?“ Dem sei folgende Antwort.

Ein reicher Jüngling, der das Gesetze gehalten zu haben meinte, der aber durch ein hierüber hinausgehendes Tun Gottes besonderes Wohlgefallen erlangen wollte, fragte den Herrn: „Guter Meister, was soll ich Gutes tun, dass ich das ewige Leben möge haben?“ Er betrachtete Christum als einen gewöhnlichen Rabbi und redete ihn „guter Meister“ an nach dem leichtfertigen Gebrauche, den man im täglichen Leben von dem Worte „gut“ zu machen pflegte und pflegt. Das will Christus zuvörderst berichtigen; darum sagt er: „Niemand ist gut, denn der alleinige Gott.“ Er sagt damit keineswegs: Ich bin nicht gut“ sondern: „Du nennst mich, wie Du mich noch gar nicht erkannt hast; willst Du das Wort „gut“ gebrauchen, so gebrauche es von dem, den Du als solchen erkannt hast, d. i. Gott.“ Auch uns sei dies eine Mahnung, des ganzen Inhalts stets eingedenk zu sein, den dieses Wörtlein hat; ferner sei es ein Wink, als einigen Maßstab des Guten den zu betrachten, von dem der Heiland diesen Ausspruch tut. Auch der Sohn ist nur insofern gut, als sein Wille der Wille des Vaters, als er Sohn ist; daher darf derjenige Christo dieses Beiwort nicht geben, der seine Sohnschaft leugnet.

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