Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst du auch, was du liest? Apostelgesch. 10,35

Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst du auch, was du liest? Apostelgesch. 10,35

In allerlei Volk wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.

„Die reine Gottes-Wahrheit“, sagt der Ungläubige, „ist auf Erden nirgends zu finden; alle Religionen tragen Wahrheit in sich, aber in keiner ist sie ganz enthüllt; darum wird Gott nach seinem Glauben Keinen richten, und auch mir muss deshalb, was Jemand glaubt, völlig gleichgültig sein. Ist er rechtschaffen, so reiche ich ihm die Bruderhand, ob er Christ, Jude, Türke oder Heide sei. Das ist die wahre Religion der Liebe.“ Gehört er zu den Gebildeten, so schlägt er seinen Lessing auf und liest uns mit Begeisterung vor: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren verschlossen hielte und sprach zu mir: Wähle! ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!“ Oder er führt uns auch die Fabel von den drei Ringen aus demselben Schriftsteller an. Diesen Gewährsmann wollen wir gern ihm lassen; gewöhnlich aber setzt er hinzu: „So meint es auch die Bibel; die sagt: In allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ - Diesen Beweisgrund haben wir zu prüfen, und wie? –

Lieber Leser, betrachte die heilige Schrift nie als ein Wörterbuch, aus dem Du hier und da beliebig Etwas herausgreifen kannst. Sieh auf den Zusammenhang, in dem jedes Wort steht; in diesem erhält es gewöhnlich erst seinen Sinn und seine Bedeutung. Der Ausspruch, welchen Du hier angeführt findest, ist aus der Geschichte vom Hauptmann Kornelius. Der war ein Proselyt des Tores, d. h. ein Heide, der dem jüdischen Gottesdienst zugetan war, ohne ganz schon ins Judentum sich haben aufnehmen zu lassen. Er trug jetzt die Sehnsucht in sich, Christ zu werden, und Gott wollte dieselbe durch Absendung des Apostels Petrus an ihn befriedigen. Dieser Apostel aber befand sich noch in der irrigen Meinung, es bedürfe erst des Durchganges durch das vollständige Judentum, um getauft werden zu können1). Gott traf deshalb die Veranstaltung, durch eine wunderbare Erscheinung ihn von seinem Irrtume zu überzeugen. „Er sah den Himmel aufgetan und hernieder fahren zu ihm ein Gefäß, wie ein großes, leinenes Luch, an vier Zipfeln gebunden und ward niedergelassen auf die Erde; darinnen waren allerlei vierfüßige Tiere der Erde und wilde Tiere und Gewürm und Vögel des Himmels; und geschah eine Stimme zu ihm: Steh auf Petre, schlachte und iss! Petrus aber sprach: nein, Herr! denn ich habe noch nie etwas Gemeines oder Unreines gegessen; und die Stimme sprach zum andern Mal zu ihm: Was Gott gereinigt hat, das mache Du nicht gemein. Und das geschah zu drei Malen; und das Gefäß ward wieder aufgenommen gen Himmel.“ Als jetzt gerade die Gesandten des heidnischen Hauptmannes kamen, erkannte Petrus den Zweck und die Bedeutung des ihm zu Teil gewordenen Gesichtes. Schon so war er bewogen, ihm die Taufe nicht vorzuenthalten; noch mehr aber, als er nun die Reden des Mannes selber hörte. Da sprach er: „Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ Das heißt also: „Jetzt, da ich solche Worte aus dem Munde eines Nichtjuden vernehme, erkenne ich unzweideutig, dass die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft nicht bloß sehnsuchtsvollen Gemütern aus den Juden zu Teil werden soll, sondern Allen, aus welchem Volk sie sein mögen, so sie nur Gott fürchten und recht tun.“ - Nach dem Sinne, den die Leute heut zu Tage hineinlegen, hätte Petrus sagen müssen: „Lieber Kornelius, wozu soll ich Dich taufen? Ein Mann wie Du braucht kein Christ zu werden; denn aus allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ Da dieser Sinn aber mit der ganzen Rede des Apostels und mit seinem Verfahren im klarsten Widerspruche steht, so lernen wir noch mehr aus diesem Worte; dass nämlich die Ungläubigen einen Spruch für sich anführen, der gerade gegen sie zeugt. Wir sehen nämlich, dass die Gottesfurcht und Rechtschaffenheit außerhalb des Glaubens und ohne ihn durchaus nicht hinreicht zur Erlangung des göttlichen Wohlgefallens. Sonst würde Gott dem Apostel nicht jene Erscheinung haben zu Teil werden lassen und Petrus den Kornelius nicht erst getauft haben. So ist also dieser Ausspruch des Apostels eine Bestätigung seines anderen auf das Heil in Christo bezüglichen Wortes: „Es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben worden, darinnen wir sollen selig werden (Ap. Gesch. 4,12).“

1)
Der Apostel stand in diesem Irrtum nicht allein da, er hatte unter den Judenchristen viele Genossen. Vgl. Apost. Gesch. 11,2,3.
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