Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 7. Andacht.

Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 7. Andacht.

Jesaia 45.

Wenn wir dieses Kapitel mit Nachdenken lesen, und recht zu Herzen nehmen, besonders das Wort, das in demselben öfters wiederholt wird und darum besonders zu beachten ist: V. 5. „Ich bin der Herr und sonst Keiner mehr; kein Gott ist ohne Ich,“ und „Ich will vor dir hergehen, und will dir geben die heimlichen Schätze und die verborgenen Kleinodien,“ nach V. 2. u. 3. müssen wir uns dann nicht diesem mächtigen Gott gegenüber ganz kraftlos und gering fühlen? Können wir da noch länger in eigener Gerechtigkeit und Selbstliebe einhergehen? Wird es uns nicht ganz klar, dass wir Staub, ja gar nichts sind? Ja, meine Lieben, wir sind völlig kraft- und machtlos, nicht fähig, von uns selbst etwas Gutes zu denken oder zu tun; und doch liegt eben darin unser größtes Glück und unsere ganze Stärke, dass wir erkennen, dass wir Staub, ja Nichts sind. Aber bis das betörte Menschenherz das endlich einsieht, das kostet einen Kampf auf Leben und Tod. Das Menschenherz steckt voll Eigenehre, Eigenliebe und Eigenwillen; und so lange wir diese finsteren Mächte noch beherbergen, haben wir keinen lebendigen Heiland und keinen Frieden, da leben wir in einem steten Selbstbetrug und überliefern uns dem schrecklichen Gericht. Aus der Eigenliebe entspringt der Hochmut und die Heuchelei, und wo diese herrschen, da ist die größte Finsternis, obgleich wir uns selbst und andere glauben machen möchten, wir liebten das Gute, und wir hätten einen Heiland. Welch ein Erwachen, welche Enttäuschung wird es einst für eine Seele, die so dahingelebt hat, in der Ewigkeit geben? Von einer solchen betrogenen Seele handelt ein Gedicht von Albert Knapp, welches mir, als ich es vor 29 Jahren zum ersten Mal las, tief in's Herz schnitt und einen unauslöschlichen Eindruck auf mich machte. Das selbe lautet:

„In einem Tal, von Felsen hoch umfasst,
Darüber Sonn' und Sterne längst erblasst,
Unheimlich dämmernd, nur von falbem Schein,
Saß eine Tote, kam erst kaum herein;
Auf ihrer Bank sind And're noch gereiht,
Erst gestern gab man ihr das Grabgeleit.

Die Welt im Herzen, hatte sie gelebt,
Selbstsüchtig, arg, nach Ehre nur gestrebt,
Unrein im Innersten; doch konnte sie
Fromm, edel sich verhüllen, dass man nie,
Ob auch misstrauend, auf die Tiefe kam.
Bis sie des Todes Faust von hinnen nahm.

Dort sitzt sie nun, gerade wie sie war.
Doch schüttelt sie's: „Warum ist's hier nicht klar?
„Warum so schauerlich, so todesschwül?
Und die Genossen sind so fremd, so kühl?
Warum nicht bin ich in des Himmels Haus?“
Doch gibt sie drum ihr Innres nicht heraus.

Ein frommes Lied hebt sie zu singen an;
Es tönet schlecht, es ist nicht wohlgetan!
Die Stimme klingt wie hohler Scherbenton:
„Ich glaube doch an Gott und Seinen Sohn!
Ihm weih' ich kindlich meinen Lobgesang!“
So lügt sie fort, sie log ihr Lebenlang.

Sie finget fort: „Auf, Seele, sei vergnügt!
Du warest fromm und hast den Tod besiegt.
„Gestorben bin ich zwar das ist mir leid,
Doch trag' ich bald ein schönes Ehrenkleid!“
Da dunkelt's näher um die Berge her,
Graß, wetterleuchtend steigt ein Wolkenmeer.

Dumpf donnert's, und wie Geißeln fährt der Blitz;
Noch singet sie: „Du kommst von Deinem Sitz
„Zu Deinem Kind, o Vater!“ Sturm und Strahl!
Auf ihrer Stirne flackerts rot und fahl,
Da wird ihr Ton Entsetzen und Geheul!
Und oben wendet sich's vom ew'gen Greu'l.“1)

Ein schönes, aber schauerliches Gedicht; es ist aber wahr, sehr wahr. O, dass es nicht auch einmal von uns heiße: „So lügt sie fort, sie log ihr Leben lang!“ Meine Lieben, wir wollen den Herrn von ganzem Herzen bitten, dass Er uns vor solchem Selbstbetrug bewahren möge. Als ich es zum ersten Mal las, bat ich den Herrn inbrünstig, Er möge mich nur ganz aus der Wahrheit sein lassen, mir Alles offenbaren, und mich nicht in Selbstbetrug und Täuschung dahin gehen lassen, und um dieses bitte ich ihn noch täglich; denn so lange wir in dieser Welt leben, sind wir nie sicher vor den Nachstellungen des Satans. Darum gilt es fortwährend zu wachen und zu beten. Wenn wir aber einmal einsehen gelernt haben, dass wir aus uns selbst nichts sind noch können, nicht einmal ein Stäublein schaffen, so wollen wir uns auch ganz zermalmen und vernichten lassen, und freudig glauben, der Herr kann und wird Alles tun. Wir wollen zu ihm vertrauensvoll nahen und anhalten in Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung; dann werden wir Wunder an unserer Seele erfahren, aber was wir durch gute Vorsätze erreichen wollen, das hält nicht Stich. So erzählte mir ein lieber Freund, der nach längerem Aufenthalt in meinem Haus durch Gottes Gnade einsehen gelernt hatte, dass sein seitheriges Christentum ein ganz falsches, sein Glaube ein Schein- und Heuchelglaube gewesen war, und der nun die besten Vorsätze fasste, es künftig anders zu machen und ein ganz neuer Mensch zu werden: Er sei zu jener Zeit einmal zu dem seligen Missionar Hebich gekommen und habe ihm sein Vorhaben mitgeteilt, in der Hoffnung, derselbe werde sich über seine guten Vorsätze freuen und seine Absicht loben. Statt dessen aber sagte der gute Mann: „Das ist lauter dummes Zeug. Ich gebe gar nichts um deine guten Vorsätze, damit kommst du nicht vorwärts, sondern rückwärts. Lasse dich vom Heiland ganz vernichten und zermalmen, gib dein eigenes „Ich,“ dieses verwünschte „Ich“ willig auf und lege dich ganz willenlos dem Heiland hin, dass Er mit dir und an dir tun kann, was Ihm wohlgefällt.“ Eine so ernste Sprache wirkte mächtig auf diese Seele. Wir können nichts tun, als uns die Vergebung der Sünden schenken lassen, und mit der Sünde und dem Teufel keine Gemeinschaft mehr haben. Alles andere müssen wir dem lieben Heiland überlassen, dabei aber nicht versäumen, Seine Gnadenmittel, nämlich: Sein Wort, das Gebet und das heilige Abendmahl fleißig zu benützen und ohne Unterlass bei Ihm zu bleiben. Wir wollen uns Alles, was Er uns von der Krippe bis zur Himmelfahrt erworben hat, schenken lassen, auch die himmlischen Schätze und die verborgenen Kleinodien, von denen schon der Prophet Jesaja im dritten Vers unsers Kapitels spricht. In dieser Seiner Kraft, die wir zu erbeten haben, können wir Taten tun, die dem Herrn wohlgefällig sind. will dann vor uns hergehen und das Höckerichte eben machen; Er will die ehernen Türen zerschlagen und die eisernen Riegel zerbrechen.“ V. 2. Ach, ihr Lieben! wenn wir zum Heiland eilen, uns einfältig und willenlos Ihm zu Füßen legen und Er mit Seinen Flammenaugen das aufrichtige Sehnen und Verlangen unseres Herzens, frei zu werden, sieht, dann kommt Er uns mit Seiner Liebe entgegen und will vor uns hergehen! Ja, meine Lieben! welch glückseliges, herrliches Leben haben wir dann bei Ihm. Da ist Friede und Freude und liebliches Wesen immer und ewiglich! Ich hatte vor mehreren Jahren einen inneren Drang, die Gefangenen des Zuchthauses in Markgröningen zu besuchen. Am Morgen beim Erwachen hörte ich eine innere Stimme: „Sage den Gefangenen: Suche Jesum und Sein Licht, alles Andere hilft dir nicht!“. Ich durfte damals alle Gefangenen sehen und sprechen, was mir den tiefsten Eindruck machte von dem Elend der armen Menschheit. Zuletzt führte mich der Aufseher an eine fest verschlossene Türe mit vielen Riegeln. In dem ganz finsteren Gemach saß eine unglückliche Gefangene, ich nahm sie an der Hand vor dem Wärter heraus, um mit ihr sprechen und beten zu können. Angesichts dieser furchtbaren Fesseln und Riegel war mein Gemüt tief erschüttert, und ich fühlte das innigste Mitleiden mit dieser armen, unglücklichen Person. Wohin, ihr Lieben, kann uns die Sünde bringen! Hätte die Gnade Jesu mich nicht bewahrt, so könnte ich auch an einem solchen schauerlichen Ort sein. Dies waren meine innersten Gedanken, als ich vor dieser armen Seele stund. O, meine Lieben! Wir müssen den Herrn ernstlich bitten, dass Er uns von den Sündenbanden, mit denen wir gebunden sind, befreie. Das kann aber nur geschehen, wenn wir allen eigenen Willen aufgeben und den Herrn allein wirken lassen. Gänzlicher Willensbruch und völlige Hingabe sind die Grundbedingungen. Missionar Schaufler aus Konstantinopel sagte einmal in einer Andachtsstunde: Wenn ein Cherubim oder Seraphim, die Tag und Nacht mit verhülltem Angesicht vor Gottes Thron stehen und Ihm dienen, nur einen leisesten Willen hätten, oder nur Anspruch auf ein Sandkörnlein machen würden, könnten sie nicht vor Gott stehen und Ihm dienen. Wie viel mehr müssen wir elende, sündige Geschöpfe unsern eigenen Willen aufgeben und in Demut und Gehorsam dem Herrn zu Füßen liegen. Wer noch im Ungehorsam, in herrschenden Verdammungssünden steckt, der hat keinen lebendigen Heiland, denn der Herr unser Gott ist kein Eli, sondern ein heiliger Gott. Wer aber fest bei dem Herrn steht und bei Ihm unverrückt bleibt, der wird frei von Sündenbanden; denn Beides kann unmöglich neben einander bestehen. Darum wollen wir uns doch Alle recht in die Gnadenzucht des heiligen Geistes begeben, das eigene Ich gänzlich vernichten lassen und den Herrn bitten, dass Er uns alle Schäden unseres bösen Herzens aufdecken und uns heilen möge nach Leib und Seele, um Seiner großen Liebe und Barmherzigkeit willen. Amen.

1)
Albert Knapp, Christoterpe 1834
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/seckendorff/seckendorff-hausandachten/seckendorff_hausandachten_7_andacht.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain