Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 79. Das Glas.

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 79. Das Glas.

Es ward Gotthold und andern guten Freunden ein schönes und mit vielen artigen gerissenen Bildern geziertes Glas gezeigt, welches der Besitzer gar hoch hielt, wie es denn auch werth war wegen der großen Kunst und Fleißes, so daran gelegt. Es sagte aber ein guter Mann: er hielte mehr davon, wenn einer sein Geld an ein schönes Silbergeschirr legte, welche man auch zierlich und künstlich genug haben könnte, und zwar darum, weil, im Fall es nöthig, man solches leicht wiederum verhandeln könnte und nichts, als etwa das Macherlohn verlieren dürfte, da ein solches kostbares Glas gar leicht durch Unvorsichtigkeit zerstoßen und also sein Herr um den ganzen Werth gebracht würde. Gotthold antwortete: Es ist so, wie ihr sagt, allein ich muß selbst bekennen, daß ich ein so helles und schönes Glas mit mehr Lust, als ein Silbergeschirr anschaue, und wenn sich ein solcher Meister wieder fände, der dem Glase die Zerbrechlichkeit benehmen und, wenn es Beulen gefallen, es wieder ausklopfen könnte, so würd ich das hellzarte Glas vor allem Gold und Silber erwählen. Bon dem westindischen Könige in Peru, dem Attabaliba, zeugen die Geschichtsschreiber, daß unter allen Sachen, welche die Spanier in selbige Gegend gebracht, er nichts höher gehalten und mehr bewundert, als das Glas, darum er auch zu dem spanischen Befehlshaber, Franz Pizarro, sagte: es nehme ihn sehr Wunder, warum er dieser Orten mit so großer Ungelegenheit Gold suche, da es doch in Kastilien viel schönere Sachen, das Glas meinend, hätte. Jetzt aber bedenket das dabei, daß wir Menschen insgemein das Hinfällige und Vergängliche belieben und das Dauerhafte verachten. Was ist aller Welt Pracht, Lust und Ergötzlichkeit anders, als ein zerbrechliches Glas? Ein Glas, wie kostbar es ist, wird oft zerbrochen, indem man es am besten zur Lust zu gebrauchen gedenkt. So ists mit der Wollust dieser Welt, die oft aufhört, wenn wir meinen, daß sie recht anheben soll. Ja, was sind wir selbst anders, als zerbrechliche Gläser, aus Erde und Asche bereitet, zu welchen wir auch, eh wirs uns oft versehen, wieder werden müssen? Meine schönste Lust aber am Glase ist die, wenn ich sehe, wie es mit einem lautern Wein oder Wasser gefüllt von den Sonnenstrahlen durchleuchtet wird, und mit hellglänzenden Farben nach Diamanten Art lieblich spielt; dabei erinnere ich mich des verklärten Leibes, damit mein Erlöser, wenn er mich aus dem Staube der Erde wird erweckt haben, mich begaben wird. Freilich wird er heller und schöner sein, als das schönste Glas, die hellsten Krystalle und Diamanten, ja heller, als die Sonne. Diesen Leib wird er mit seiner Gnade füllen und mit dem Glanz seiner ewigen Herrlichkeit bestrahlen. Ach, mein Herr Jesu! zerschlage diesen meinen nichtigen Leib, dies Gefäß der Sünden, und gieb mir einen verklärten Leib, der dem deinigen ähnlich sei, darinnen deine selige Liebesflamme ewig leuchte.

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