Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 72. Der Hund.

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 72. Der Hund.

Als Gotthold Mahlzeit hielt und einen Hund, der ihm sehr getreu war, neben sich aufwarten sah, bis ihm etwas zugeworfen würde, nahm er ein ziemliches Stück Fleisch und hielts ihm dar; der aber erkannte bald, daß ihm ein solches nicht zukäme und zu nehmen gebührte, und ging deßhalb über die Seite; bald aber schnitt Gotthold ein weniges von gemeldetem Fleische und bot es ihm, welches er sobald nach seiner Art freundlich annahm. Seht ihr, sprach Gotthold zu den Seinigen, wie eine gute Erinnerung uns dieses unvernünftige Thier giebt, daß wir sollen uns bei uns selbst in Demuth gering und großer Gaben des lieben Gottes unwürdig achten. So that das kananäische Weib, welches die niedlichen Bissen der Gnade Gottes, für die Juden bereitet, gerne wollte fahren lassen und mit den Brosamen, die vom Tisch fallen, als einem Hundestheil vorlieb nehmen, Matth. 15, 27. Wir aber, wenn wir auf andere sehen und, wie ein Großes sie von dem barmherzigen Gott empfangen haben, inne werden, dürfen wol murren, daß uns nicht soviel zugekommen, vermeinend, wir Wärens so wohl werth, als jene, die wir doch sollten nach Art dieses Hündleins uns gern für Hündlein erkennen und alles, was uns Gott giebt, gegen unsere Unwürdigkeit für zu groß und zu viel halten. Mein Gott! du giebst mir an Leib und Seel manchen schönern und großem Bissen von deiner Gnade, als ich, ein Hündlein vor dir, werth bin. Giebst du andern noch mehr, was geht das mich an, der ich schon mehr empfangen habe, als meine Sünde verdient. Ich will gern vorlieb nehmen; laß es mir nur nimmer an Bröcklein, zur geistigen und leiblichen Nothdurft gehörig, fehlen!

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