Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 56. Der Trunkene.

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 56. Der Trunkene.

Es kam ein trunkener Mensch über die Gasse hergestolpert, welcher weder seines Kopfes, noch feiner Füße mächtig war; er war kothig und ganz besudelt, daß man wohl sah, wo er Ablager mußte gehalten haben; er lärmte und schrie zuweilen überlaut, damit er desto mehr Ansehens bekäme; zuweilen blieb er stehen und wollte mit den Vorübergehenden reden, da doch seine Zunge, etwas Vernehmliches vorzubringen, viel zu schwer war; er fiel von einer Seite zur andern und war mit einem Worte der Kinder Spott und jedermanns Gelächter. Diesen sah auch Gotthold und sprach: nun verstehe ich, was ehemals die klugen Spartaner bewogen, daß sie ihren Kindern, von der Trunkenheit selbige abzuhalten, ihre tollen vollen Knechte zum Schauspiel vorgestellt. Was ist dieser Mensch anders, als ein überladenes Schiff, an welchem die Segel vom Winde zerrissen, der Mastbaum über Bord geworfen und das Steuerruder zerbrochen ist, welches von Wellen und Winden nach ihrem Willen hin und wieder geworfen wird und alle Augenblicke auf eine Klippe gestoßen zu werden befahren muß? Ach, Trunkenheit, du Mistpfütze der bösen Lüste, du Mutter des Zanks, der Uneinigkeit und Mordes! Du bist eine tiefe Grube des Teufels, durch welche er viele zum ewigen Verderben hinabstürzt! Du bist eine Meisterin alles Muthwillens und unverschämten Wesens, du bist ein freundlicher Teufel, ein süßes Gift, eine selbst erwählte Raserei, ein genöthigter Feind, eine Verlockung der Ehrbarkeit und Verletzung der Zucht und Schamhaftigkeit! Du bist eine Quelle aller Schanden und Laster! Und ist wol zu verwundern, daß, was männiglich an andern verlacht und verspottet, männiglich ohne weiteres Nachdenken selbst beliebt, und dieses Laster fast auf den Sessel der Tugend gesetzt und mit allerlei Entschuldigungsmänteln behangen ist, so, daß es die wenigsten, wie scheußlich es sei, gewahr werden. Ach, mein Gott! behüte mich davor! gieb, daß ich alle scheinbare Gelegenheit dazu nicht anders, als ein Liebkosen des Satans annehme und mich mit gottseligem Eifer demselben widersetze. Ein Lusttrünklein, das in deiner Furcht und als vor deinem Angesicht in stetigem Andenken deiner Gebote geschieht, wirst du mir wol vergönnen, wenn ich mich nur hüte, daß mein Herz mit Fressen und Saufen nicht beschwert wird. Luc. 21, 34.

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