Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 3,4-10. - Wie uns das Sündigen unmöglich wird.

Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 3,4-10. - Wie uns das Sündigen unmöglich wird.

Johannes hat uns die Hauptstücke des Christenlebens in prächtiger Ordnung gezeigt: Gottes Licht strahlt in unsere sündige Art hinein, erweckt uns zur Neue und bringt Wahrheit in unsern Wandel, und Christus erhält uns durch seine Fürsprache in Gottes Gnade und gibt uns sein Gebot ins Herz. Dem Bruder gehört die Liebe, der Welt gehört sie nicht; gegen die Widerchristen ist uns Schutz und Schirm gegeben und in Christi neuer Gegenwart die Hoffnung geschenkt, auf die wir uns rüsten. So ist uns unser Weg bis hinaus zum Ziel beschrieben, bis dahin, wo wir Jesus sehen werden wie er ist, und in ihm Gott.

Drei Stücke hat uns Johannes genannt als die entscheidenden Hauptpunkte, durch welche wir in der Gemeinschaft mit Gott stehen, dass wir von der Sünde frei werden und den Bruder lieben und an Jesus glauben. Dieselben drei Hauptstücke bespricht er nochmals in derselben Ordnung, um uns in einer vertieften Betrachtung recht deutlich zu machen, wohin uns das Evangelium setzt und wie wir die richtige Stellung gewinnen.

Er fängt wieder mit der Sünde an. Zuerst hat er uns gesagt, dass wir sie unmöglich ableugnen können; jetzt sagt er uns, dass wir sie unmöglich behalten können. Denn jeder, der die Sünde tut, handelt gesetzlos. Das Gesetz hat die Macht, unser Gewissen zu bewegen, dass wir es als heilig und notwendig anerkennen müssen. Deswegen fürchtet sich jedermann vor dem gesetzlosen Wesen, durch welches das Gesetz entkräftet und verleugnet wird, wenn er nicht ganz ins Böse versunken ist. Den Juden war eine kräftige Scheu vor der Antastung des Gesetzes eigen. Es galt ihnen als völlig verwerflich und verderblich, seine Gültigkeit zu bezweifeln und zu verachten. Ebenso ernst behandelten die apostolischen Gemeinden Gottes Gesetz.

Es kann sich aber auch mit der Anerkennung des Gesetzes ein böser Wille verschmelzen dadurch, dass wir dasselbe nicht gegen jede Sünde gerichtet sein lassen. Dazu suchen wir den Anlass darin, dass es nicht alle Formen und Gestalten der Sünde aufzuzählen und für schuldig zu erklären vermag, weshalb es mancherlei Böses gibt, das nicht vom Gesetz ausdrücklich verboten und gescholten wird, weder vom geschriebenen Gesetz der Bibel, noch von demjenigen Gesetz, das im allgemeinen Urteil als Sitte unter uns lebendig ist. Drum stützt sich der Unwahrhaftige, auch wenn er sündigt, darauf, dass er ja das Gesetz nicht verletzt habe und ihm nichts abbreche, sondern ihm alle Ehre gebe und seine Gültigkeit nicht bestreite. Solche Lügen schneidet uns Johannes ab. Jeder, der die Sünde tut, vollbringt auch die Auflehnung gegen das Gesetz und die Sünde ist die Auflehnung gegen das Gesetz, V. 4.

Was Sünde ist, wissen wir im unmittelbaren Zeugnis, das in unserem Innern hörbar wird. Ich weiß, ob mein Verlangen rein und recht ist, oder ob es krumm, hässlich, Christo zuwider und Gott ungehorsam ist. Darüber werden wir inwendig ins Klare gesetzt, und dann gibt es keine Ausflucht mehr, als ob wir der bösen Regung folgen und das Gesetz dennoch heilig halten könnten. Eben dieses Böse, das sich in mir regt, will das Gesetz treffen. Dagegen ist es gegeben, und wenn ich's tue, so habe ich mich vom Gesetz losgesagt, habe es für mich entheiligt und ungültig gemacht. Es gibt keine Auflehnung gegen das Gesetz als einzig die Sünde, diese ist's aber auch in jedem Fall.

Dieses Wort des Johannes steht innerlich demjenigen nah, das wir bei Jakobus 2,10 lasen, dass die Übertretung des einzigen Gebots am ganzen Gesetz schuldig macht. Wie Jakobus die Entschuldigung zerstört, welche die Übertretung mit dem sonstigen Gehorsam decken will, so schneidet Johannes uns die ähnliche Ausflucht ab, dass es Sünden gebe, welche das Gesetz nicht umstoßen. Er lässt nicht zweierlei Sünden zu, solche, welche mit dem Gesetz vereinbar, und solche, welche ihm zuwider sind. Wie bei Jakobus jede Sünde uns mit Gott und darum auch mit seinem ganzen Gesetz in Zwiespalt bringt, so hat bei Johannes jede Sünde den Widerspruch gegen das Gesetz in sich.

Das macht ihre Hässlichkeit und Verwerflichkeit aus, dass wir uns durch sie von Gottes Gesetz lossagen.

Doch nicht nur vom Gesetz, sondern auch von Jesus sagen wir uns durch die Sünde los. Es muss ein großes Ziel und eine ernste Sache sein, weswegen Christus aus seiner himmlischen Art heraustrat und bei uns heimisch ward, so dass er offenbar wurde für uns. Der Sünde wegen tat er es. Er wurde offenbar, um die Sünden wegzunehmen, V. 5.

Das war schon das Zeugnis des Täufers über Jesus: das Lamm Gottes nimmt die Sünde der Welt weg, Ev. 1,29. Er kam, um für uns der Versöhner zu werden, der uns Gottes Vergebung verschafft. Und weil er uns im Namen und in der Wahrheit Gottes verzeiht, darum kommt er als der, welcher uns bekehrt, heiligt und verklärt. Er verzeiht, weil er die Sünden forthaben will, und ist deswegen nicht imstande, uns bloß zu verzeihen, weil seine Lust nicht auf das Böse geht, sondern auf das Gute. Deswegen macht er uns zugleich kräftig und gänzlich von allem Bösen los.

Wenn er die Sünde wegnimmt und tilgt, wie kann ich sie behalten, pflegen und suchen? Wenn er gegen sie kommt, wie kann ich mich für sie entscheiden? Wir sehen uns mit jedem bösen Willen gegen ihn, handeln dem entgegen, wozu er gekommen ist, sagen zu dem, was er macht und gibt: nein! Er schafft die Sünde fort; will ich sie haben, so kann ich dies nur dadurch, dass ich ihn lasse und von ihm geschieden bin.

Und Sünde ist in ihm nicht. Darin ist er das Bild des Vaters, der Licht ist ohne Finsternis. Alle Herrschermacht Jesu und sein herrlicher Unterschied von uns steht darin, dass er nichts Böses in sich hegt, keine gottlose Begehrung, nichts, was Gottes Gesetz entheiligt und bricht. Wenn ich auf Christum blicke, so sehe ich auf den, der für die Sünde keinen Raum in sich hat.

Alles, was mich zu ihm zieht, zieht mich darum vom Bösen ab. Ihm kann ich nur ohne meine Sünde, nicht mit ihr verbunden sein.

Keine Sünde ist in ihm, also auch keine Abweichung vom Gesetz, keine Entweihung und Zerstörung desselben, nichts was gesetzlos wäre. Johannes zeigt uns hier kurz und klar, worin die Freiheit des Christen vom Gesetz besteht und warum sie keine Ermächtigung zum Bösen ist. Er stellt uns nicht auf das Gesetz, setzt es nicht neben Jesus hin, als das, was uns regieren soll, sondern führt uns zu Christus allein, weil er allein unsrer Sünde ein Ende macht dadurch, dass er uns vergibt, uns begnadigt und belebt. Dass wir uns an ihn halten, ist kein Bruch des Gesetzes, sondern ist Gottes Wille, und das, was uns vom Bösen erlöst. Die Sünde ist der Bruch des Gesetzes, nicht der Glaube an Christus, nicht die Liebe, die er uns gibt, nicht das Leben, das durch ihn entsteht. Das Gesetz ist nicht gegen das Gute, sondern gegen das Böse gegeben. In Christo aber finden wir nichts Böses, keine Gesetzlosigkeit, vielmehr den Willen und die Macht, die Sünden wegzunehmen. Darum ist Christus mit dem göttlichen Gesetze völlig eins, und bringt auch uns nicht zu einem gesetzlosen Wesen, sondern macht, dass wir mit Gottes Gesetz einträchtig sind.

Jeder, der in ihm bleibt, in ihm, der nichts Böses in sich hat, und unsere Sünde uns nehmen will, der sündigt nicht, V. 6. Wer in ihm bleibt, steht unter seinem Regiment, und wird durch das bewegt, was er uns gibt. So kommt er niemals ins Böse, niemals auf einen Irrweg, auf dem er Gottes Gesetz entheiligte. Er hat in Christus die vollkommene und sichere Leitung zum Guten auf Gottes geradem Weg.

Das ist ein Spruch und Schluss des Glaubens. Nicht aus dem, was der Christ in sich selbst ist, gewinnt Johannes die freudige Zuversicht, dass er richtig handeln wird und einen guten Willen hat. Er schaut auf Christus, auf Christi reine Abgeschiedenheit vom Bösen, auf die Macht seiner Gnade, die uns nicht im Bösen lassen, sondern von ihm erlösen will. Das heißt er uns in kräftiger Bewegung des Glaubens erfassen, nicht nur einmal, sondern immer wieder bei jeder Entscheidung und Tat: dadurch, dass ich in ihm bleibe, kann ich nicht das Böse lieben und bin von der Sünde abgewandt.

Dass unsere Art sündig und verdorben ist, gilt für jeden Glaubenden nicht minder, als für den, der Jesus nicht kennt; es ist ja eine und dieselbe Art. Dazu ist für uns fleischliche und sündliche Menschen Christus offenbar worden, und hat uns zu sich berufen, damit er uns regiere und leite, und dadurch das Wunder zustande bringe, dass wir fleischliche und sündliche Menschen mit unsern finstern und unreinen Gedanken und Trieben doch nicht sündigen, sondern diese verleugnen und wegwerfen, weil wir uns an das halten, was uns Jesus zeigt und gibt, und daraus einen guten Willen schöpfen, der Gottes Willen tut. Daran sollen wir uns freuen und dafür Gott loben, als für ein unschätzbares Geschenk.

Dass wir nicht sündigen, ist nicht eine natürliche Unmöglichkeit. Wir hängen an Christus nicht durch ein Naturband, das uns keine eigene Bewegung ließe. Hier steht Person vor Person, vor Jesus in der Macht seiner Gnade wir mit unserem Glauben und Gehorsam, der an ihm hängt. Dieser ist aber beweglich, kann sich dem versuchlichen Reiz ergeben, kann die uns innerlich geschenkte Weisung verachten und den göttlichen Antrieb abschütteln. So bleiben wir aber nicht bei Christus, sondern kehren uns von ihm ab. Deswegen sind die Versündigungen auch frommer Leute nicht eine Widerlegung, sondern eine Bewährung des Worts, dass jeder, der in ihm bleibt, nicht sündigt. Denn wir wissen es klar, wenn wir sündigen, dass wir nicht auf Christus achteten.

Keiner, der sündigt, hat ihn gesehen und erkannt. Bei wem sich die Befreiung vom Bösen, die uns Christus gibt, nicht zeigt und wirksam wird, der hat den Weg zu ihm nicht gefunden. Er hat ihn nicht bemerkt und wahrgenommen, so dass er für ihn noch nicht da ist, wie jemand, der von uns ungesehen blieb. Ebenso wenig hat er ihn erkannt, und hat nicht begriffen, was Jesus auf Erden sucht und tut. Nur der hat ihn verstanden, dem durch ihn alles Böse verleidet, widerwärtig und unmöglich worden ist.

Wenn wir krummen und schlechten Trieben dienen, müssen wir uns somit sagen: Du kennst Christus nicht und hast ihn nicht begriffen; dazu ist dein Auge zu krank und schwach und dein Geist zu verdreht und unsauber. In der Tat ist das Wort des Apostels dazu gesagt, damit wir uns fürchten, und ein solches Urteil über uns selbst ist ganz gerecht. Es ist wahr, dass die Verdrehtheit und Unart unsres Geistes es uns unbegreiflich macht, was Jesus will und tut, so dass wir sein Bild nur wie in einem trüben Spiegel auffangen. Allein die Furcht und Reue, welche das apostolische Wort in uns schaffen will, ist niemals ungläubig. In Christo ist keine Sünde; deshalb ist in ihm Gnade, und er ist dazu offenbar worden, um unsere Sünden wegzunehmen. Die Gnade macht aber vieles, was für uns zur Sünde werden könnte, nicht zur Sünde, vieles, was als Schuld uns erdrücken und töten könnte, nicht zur Schuld, und lässt uns nicht fallen und schneidet uns nicht von Jesus ab, sondern hält uns an ihm, dass wir an ihm bleiben dürfen, trotz unsrer Schwachheiten und Krümmungen.

Nur dürfen wir hierbei nicht vermischen, was Christi Sache ist und ihm obliegt, und was uns obliegt. Er ist der Verwalter der Gnade; wir haben sie uns nicht selber zuzumessen. Er verzeiht; wir dürfen uns nicht selber verzeihen. Er darf Sünden übersehen, Schulden tilgen, Krummes gerade heißen, Bosheit nicht empfinden und nicht vergelten. Wir dürfen es nicht; wir haben klar und scharf unsere Sünden schlecht und uns ihretwegen schuldig zu heißen. Sowie wir uns unsere Bosheit wohlgefallen lassen, werden wir unfehlbar von dem, in welchem keine Sünde ist, getrennt und weggetan. Deswegen hat Johannes damit begonnen als mit der ersten Wirkung des göttlichen Lichts, dass wir unsere Sünde wahrnehmen und gestehen. Er sündigt nicht. Das ist der Spruch der vergebenden und heiligenden Gnade über uns. Sie rechnet uns unsere sündige Art nicht zur Sünde, verzeiht die bösartigen Bewegungen unsers Herzens, und schenkt uns den Antrieb und die Kraft zu dem, was vor Gott gut und wohlgefällig ist, bis sie uns endlich zur Vollkommenheit bringt, in der es auch von uns in jedem Sinne gilt: Sünde ist nicht in ihm. Diesen Spruch der Gnade dürfen wir im Glauben nachsprechen, auf uns anwenden und als gültig für uns bejahen. Das ist aber ganz und gar des Glaubens Sache. Wir haben's nur durch seine Gnade, dass wir in ihm bleiben, und nicht so sündigen, dass er uns wegwirft. Durch seine Gnade haben wir's aber auch in fester Wahrheit und Sicherheit. Das sollen wir glauben, und im Glauben empfindlich werden gegen alles Böse und es mit festem Griff erfassen, dass er uns von jeder Sünde trennt.

Johannes warnt, weil wir in diesem Stück für alle Verführung empfänglich sind. Wir lassen uns leicht mit unsern Sünden aussöhnen und nehmen die Ermächtigung zum Bösen gerne an. Darum dringt der Apostel auf die Tat. Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, V. 7, nicht wer von ihr redet und sie sich in Worten beimisst und mit einem Glauben sich ihrer rühmt, der ihn unwillig zum rechtschaffenen Handeln macht. Er hat ja schon von der Wahrheit gesagt, dass sie uns nicht nur gegeben sei, damit wir sie bedenken, glauben und verkündigen, sondern damit wir sie tun. Nicht weniger gilt das für die Gerechtigkeit. Sie ist eine Regel fürs Handeln und ordnet die Weise, wie wir Menschen und Dinge, Gott und Welt anfassen. Wenn wir nicht nach der Anleitung der Gerechtigkeit handeln, sind wir ihr nicht ergeben, sondern in unsrer Person von ihr los, und sind nicht gerecht, wie jener gerecht ist, der's auch nicht nur in Worten und Gedanken war, sondern so, dass er sie tat, und mit seinem ganzen Willen und Leben ihr Diener ward. Mit seinem Werk bis in den Tod, bis zum Kreuz, hat er die Gerechtigkeit zur Geltung und zum Bestand gebracht. Und ich sollte sagen: ich will zwar die Gerechtigkeit mit Worten loben, will mich ihrer freuen in lieblichen und gläubigen Gedanken, aber tun mag ich sie nicht! So würde ich mich wieder gründlich von Christo scheiden und bliebe nicht bei ihm.

Dieses heilige Verlangen nach der Tat, nach dem ganzen Gehorsam, nach der aufrichtigen Einigung mit Gottes Weisung, kennen wir schon von Jakobus her. Aus Werken wirst du gerechtfertigt werden, nicht bloß aus Glauben, sagt Jakobus; wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, sagt Johannes. Beides hat denselben Sinn. Der Unterschied zwischen beiden besteht nur darin, dass Johannes uns Jesus vorhält, wie er gerecht ist und die Sünde wegnimmt, damit wir Jesu wegen redlich werden und durch ihn unsern Willen Gott dargeben, während Jakobus ans menschliche Gewissen redet und aus der Schrift das Beispiel nimmt. Denn Johannes redet mit der Christenheit, die Jesus kennt; Jakobus erweckt dagegen Israel zum rechtschaffenen Gehorsam gegen Gott.

„Wer in ihm bleibt,“ so redet der Glaube; „der sündigt nicht,“ so schließt der Glaube, und macht durch solchen Schluss unsern Willen recht. „Wer die Gerechtigkeit tut,“ da tritt neben den Glauben das Werk; „der ist gerecht,“ da tritt zum Werk die Gnade, und erhält uns durch unser Werk in der Gemeinschaft mit Gott und schenkt uns durch unser Werk das höchste Ziel und Gut. Johannes zeigt uns deutlich, wie Glaube und Werk verbunden sind. Ich kann nicht gläubig Jesus als den erfassen, der mich hält und regiert, ohne dass mein Glaube in ihm den ergreift, der meiner Sünde ein Ende macht. Sie hat aber nur dadurch ein Ende, dass ich tue, was gerecht ist vor Gott.

Denn es verhält sich mit der Sünde ganz ebenso, wie mit der Gerechtigkeit. Wie es bei der Gerechtigkeit nicht auf das ankommt, was wir von ihr denken und sagen, sondern was wir tun, so gilt es auch von der Sünde: Wer die Sünde tut, hat sie. Wenn ich sie auch eifrig schelte, sie hässlich heiße und schlecht und traurig mit Schmerz und Tränen und bitterer Rene, und tue sie doch, oder wenn ich sie ableugne und in hochklingenden Worten von mir abstreife, und tue sie doch, dann bin ich von der Sünde nicht los und habe sie, weil ich sie tue, in mir. Von der Sünde ist nur der frei, der sie nicht tut. Wer sie aber tut, der ist aus dem Teufel, V. 8.

Unser guter und unser böser Wille entsteht in der Gemeinschaft, in die wir versetzt sind. Wären wir isoliert und eingesperrt in uns selbst, so geschähe gar nichts und gar kein Wille würde in uns geboren. In Bewegung kommen wir dadurch, dass wir nach oben oder nach unten mit einem unsichtbaren Reiche in Gemeinschaft stehen. Die Menschheit gleicht der See, die sich nicht selbst bewegt und ihre starken Wellen sich nicht selber gibt, sondern sie empfängt je nach dem Wind, der über sie fährt. Drum laufen sie bald so, bald so. Entweder haben wir nach oben zu Christus hin Gemeinschaft erlangt; dann entsteht aus Christi Wille in uns ein guter, Wille, dem's an der Gerechtigkeit liegt, oder wir stehen nach unten hin in Gemeinschaft und haben, was uns inwendig bewegt und treibt, aus des Teufels Wille empfangen, dann entsteht ein böser Wille, der die Sünde tut.

Auch das hat Johannes von Jesus gehört. Jesus hat der stolzen Zuversicht der Judenschaft, die sich keck auf Gott berief, gesagt, dass Lügen und Morden des Teufels Schöpfungen sind und dass, wer das in sich trägt und durch diese Triebe sich bewegen lässt, vom Teufel gebildet und gestaltet ist und darum ein Kind des Teufels heißen muss, Ev. 8,44.

Denn der Teufel sündigt von Anfang an. Christus hat seine Weise in der Gerechtigkeit; des Teufels Art ist Sündigen. Das betreibt er als sein Ziel vom Anfang des Weltlaufs an, schon ehe der Mensch sündigte. Der Mensch ist nicht der erste in diesem Geschäft, nicht der Erfinder, sondern der Nachahmer, der Lehrling, der sich von einem Meister leiten lässt, den er freilich nicht sieht und kennt, der ihn aber trotzdem innerlich zu berühren und zu unterweisen vermag.

Damit zeigt sich aufs neue, wie vollständig das Sündigen Christo widerspricht und wie unvereinbar es mit seiner Gemeinschaft ist. Denn Christus und der Teufel stehen wider einander. Was uns vom Teufel abhängig macht, macht uns von Christo los. Wir können nicht zugleich nach beider Bild und Art gestaltet sein. Dazu wurde der Sohn Gottes offenbar, damit er die Werke des Teufels auflöse.

Er wurde offenbar, um die Sünden wegzunehmen, und um die Werke des Teufels zu zerstören. Beide Absichten Jesu kommen mit einander zur Erfüllung. Die Werke des Teufels bestehen in dem, was er im Geist des Menschen Böses anrichtet durch die finstern Gedanken, die uns überfallen. Daraus entstehen die entzündeten Begierden und die alles verkehrenden Bewegungen unsres Geists, die das Gericht Gottes nötig machen, durch welches wir ins satanische Reich verbannt werden. Jesus heilt unsere Sündigkeit, zerstört dadurch alle teuflischen Absichten, vereitelt seine Erfolge und stellt ihn zur Menschheit hinaus in die Ohnmacht des Gefängnisses hinab. Das tut er, weil er der Sohn Gottes ist, und was er in sich trägt, von Gott empfängt und in seiner Gemeinschaft mit Gott die Wurzel seines Lebens hat. Darum kann er nicht anders handeln als so, dass er zum Widersacher des Teufels wird. Und wenn ich ihm zumute, dass er an den Werken des Teufels in mir seine Freude habe und dieselben erhalte und wachsen lasse, so vergesse und verleugne ich, dass er der Sohn Gottes ist, und dass der Sohn Gottes niemals ein Freund des Teufels wird.

Johannes hat mit besonderem Ernst auf den verborgenen Grund der menschlichen Sünde hingezeigt, auf den Bösen, der das Böse in die Menschheit hineingepflanzt hat und dem sich jeder Sündigende nähert und ähnlich macht. Das entspricht seinem hellen Blick in die Macht und Gnade Christi und in die Gegenwart Gottes in ihm. Er führt sowohl das Gute als das Böse auf seine Wurzel zurück. Indem er uns die himmlischen Kräfte zeigt, die das Leben hervorbringen und das Gute schaffen, tritt scharf und deutlich auch die bösartige Macht hervor, deren Werk der jetzige sündige und tote Zustand der Menschen ist. Und Johannes braucht nicht zu fürchten, dass uns der Blick in das Reich des Bösen verwirre und in hilflose Angst versetzte, weil er uns über demselben den zeigen kann, der es besiegt hat und seine Werke bricht.

Auch dieses Wort drängt ernst zur Entscheidung. Die Verwandtschaft unsres Trachtens mit dem des Teufels ist uns zunächst unbewusst. Wir sehen nicht, woher unsere verkehrte Neigung stammt, dünken uns dabei unsere eigenen Herren und bemerken nicht, dass wir sie empfangen haben und aus welcher Hand. Johannes öffnet uns die Augen, zeigt uns den Geber dieser schlimmen Gabe und sagt uns, woher sie kommt, wohin sie deswegen auch führt. Das drängt zur Entscheidung und macht ernst. Wenn wir sündigen und dabei wissen, dass das ein Erzeugnis des Bösen in uns ist, von unten stammt und teuflische Art an sich hat, so bestätigen wir mit unsrem eigenen Willen unser Verkauftsein an das satanische Reich und machen uns selbst mit unsrer eigenen Tat dem Teufel zum Knecht. Wissen wir, woher die Sünde kommt, so bleibt uns nichts übrig, als mit ungeteiltem Willen uns an den zu halten, der die Werke des Teufels zu beseitigen vermag.

Johannes hebt unsern Blick zu Gott empor. Weil Jesus der Sohn Gottes ist, ist er der Zerstörer aller teuflischen Wirkungen; aber auch wir selbst sind von Gott ins Leben gesetzt. Er ist uns zum Vater worden, der uns erzeugt und uns das verliehen hat, worin unser Wesen und Leben steht. Menschen, die Gott macht, deren Vater und Urheber Gott worden ist, sind von dem, was sündlich ist, getrennt. Jeder, der aus Gott erzeugt ist, tut nicht Sünde, V. 9. Denn die Kinder haben des Vaters Art, und Gottes Wille gibt uns unsern Willen und führt uns nicht zum Bösen hin. Denn sein Same bleibt in ihm. Nur wenn wir das, was Gott uns gab, verlören, könnten wir sündigen. Gott hat ein Samenkorn in uns hineingesät, aus dessen kräftigem Trieb unser inwendiges Wesen erwächst, das helle Gedanken, die der Wahrheit teilhaft sind, und den guten Willen, der nach der Gerechtigkeit verlangt, in uns hervorbringt. Dieses Samenkorn, mit dem uns Gott beschenkt hat, damit es der Grund eines neuen Wesens für uns setzt, ist nicht bald in uns und bald wieder weg. Es bleibt und deswegen. kann er nicht sündigen.

Wir können es nicht; es fehlt uns dazu das Vermögen und die Fähigkeit. Das ist die runde, saubere Absage gegen alles Böse, die sich nicht doch noch begehrlich nach ihm streckt, sondern ihm ein ehrliches Nein entgegenstellt. So sieht ein rechtschaffener guter Wille aus. Er sagt nicht bloß: ich will nicht und darf nicht, sondern was er nicht soll und darf, das kann er auch nicht, weil er das göttliche Gebot nicht zerbrechen, dem Teufel nicht gehorchen, Jesus nicht verleugnen und Gott nicht widerstreiten kann. Als aus Gott geboren hat er wohl die Fähigkeit und das Vermögen, Gott zu dienen, aber nicht mehr die Fähigkeit und das Vermögen, Böses zu tun.

Dieser Spruch ist eins mit dem Wort des Paulus: wir, die wir der Sünde gestorben sind, Röm. 6,2. Wer ihr gestorben ist, kann ihr nicht mehr leben, weil der Tod eine runde ganze Trennung setzt. Er ist dadurch in die Unfähigkeit gesetzt, ihr zu folgen und zu dienen, und der Gerechtigkeit zum Knecht geworden, von der Sünde aber frei. So sagt auch Johannes: der Strick ist entzwei, der uns ans Böse band; wir können dasselbe nicht mehr.

Fehlt es dem Wort des Apostels unter uns an Bewährung? Es ist doch nicht einzig Luther, der in einem entscheidenden, versuchungsreichen Augenblick sagte: ich kann nicht anders, ich kann nicht lügen, kann mich nicht krümmen, sondern muss nach meinem Gewissen handeln. Das ist immer wieder die Gabe Gottes an alle, die ihm redlich dienen, dass eine feste Gebundenheit ihres Herzens an Gottes Wahrheit und Gebot entsteht, dass sie nicht mehr lügen, nicht mehr geizen, nicht mehr hassen können; sie verstehen es nicht mehr.

Ein Grund zur Überhebung liegt hierin nicht. Wenn sie sich einmischt, dann können wir unzweifelhaft alles Schlechte und sind zu jeder Sünde aufgelegt und präpariert. Woher haben wir unsern guten Willen? Johannes antwortet: daher, weil dich Gott gemacht hat, und Paulus antwortet: weil du in Christi Tod begraben und dadurch von deiner sündigen Art los geworden und mit Christo zu einer neuen Gestalt des Lebens auferweckt bist. Darum schließt dieses: wir können nicht! die dreiste Sicherheit aus. Nach dem, was wir selber sind, können wir es freilich, haben es auch oft genug praktiziert, und sind alsbald wieder in der alten Kunst und Übung drin, die ein allgemein menschliches Vermögen worden ist durch des Teufels Unterricht. Wir können es nur deswegen nicht, weil Gott uns bildet und bewegt. Im Glauben, der sich an Gott hält, weil er uns hält, sprechen wir: wir können nicht. Vom Glauben, der bei Gott die Bewahrung vor der Bosheit sucht, gilt aber, dass er nicht zuschanden wird.

Daran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar, V. 10, so dass man sie nicht verwechseln, sondern von einander unterscheiden kann. Die Kinder des Teufels verstehen das Sündigen, die Kinder Gottes verstehen es nicht. Jene vermögen zu lügen und zu hassen, diese vermögen es nicht. Darin kommt ans Licht, was als verborgene Kraft den Menschen hält, wo er angewachsen ist und woher er die Säfte und den Trieb seines Herzens zieht. An nichts anderem sind sie offenbar, nicht an ihrer äußeren Lebensgestalt, da sie beide dasselbe Fleischesbild tragen, auch nicht an ihrem Lebenslauf, als wären Gottes Kinder durch besondere Segnung ausgezeichnet. Denn die Kinder des Teufels stehen noch unter Gottes Geduld und die Kinder Gottes noch unter Gottes Zucht, die sie schwer treffen und tief beugen kann. Auch nicht an ihren Worten und Gedanken lassen sie sich unterscheiden, denn das göttliche Wort lässt sich lernen und nachahmen, auch von dem, in dem es nicht heimisch ist, und eine Art Erkenntnis Gottes kann in uns sein, ohne dass wir selbst uns ihr ergeben haben und ihr untertänig worden sind. Dasjenige Geschenk, das sicher und hell das Kind Gottes kenntlich macht, ist, dass dasselbe die Fähigkeit zum Sündigen verloren hat. Ist's dir nicht mehr möglich, Böses zu denken und zu tun, dafür danke Gott; das ist sein Werk und das Kennzeichen, dass er dich zu seinem Kinde macht.

Wer nicht mehr die Sünde tut, der tut Gerechtigkeit und liebt seinen Bruder. Dies beides ist beisammen. So lange wir das Böse tun, bringen wir's niemals zur Liebe. Wir finden sie erst dann, wenn wir das Sündigen verlernt haben und statt dessen, was recht ist, tun. Wiederum macht erst die Liebe alles Handeln gut und rein. Ein liebloses Rechttun kann den andern manchen Nutzen zuwenden, manchen Schaden abhalten und Frieden und Ordnung schaffen, und ist doch nicht das Gute, das Gott pflanzt, nicht die Unfähigkeit zur Sünde, die er wirkt, nicht die Erscheinung jenes Lebens, dessen Urheber und Schöpfer Gott ist. Wenn die Liebe unsere Tat leitet und unsere Gerechtigkeit durchdringt, dann ist dieselbe aus Gott. In der Liebe sind wir selbst in unsres Herzens Grund und Kern durch Gott bewegt und in die gute Bahn gebracht.

Nun wissen wir nicht bloß, wie's mit uns selber steht und wie wir unsern eigenen Wandel richtig führen, sondern haben auch ein klares Urteil über alles, was um uns her geschieht und in der Kirche nach Geltung strebt. Wort und Erkenntnis, Geist und Wunder, Macht und Erfolg, das alles beweist noch nicht, dass Gottes Art im Menschen ist, dass Gott ihn leitet und zu seinem Werkzeug braucht. Wenn er sündigen, ungerecht und gehässig sein kann, so ist er mit all seiner Erkenntnis doch nicht aus Gott. Als Kind und Werkzeug Gottes ist nur der bewährt, der nicht zu sündigen vermag. Nur wer die Unfähigkeit zum Bösen hat, an dem dürfen wir uns freuen und mit dem uns verbinden und ihn ehren, weil er ein Werk Gottes ist.

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