Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Ezechiel.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Ezechiel.

Für Ezechiel bildet wie für Jeremia der Untergang Jerusalems das Ereignis, das seine ganze Weissagung beherrscht. Daß der Tempel und die heilige Stadt verwüstet und das Volk in kleinen Bruchteilen in das Völkergemenge des babylonischen Reichs hinausgeworfen werden sollte, das waren für einen ächten Israeliten, der sein Leben vor Gott führte, nicht auszudenkende Dinge, mit denen er nicht fertig wurde. Es ging ein vollständiges Sterben über Israel, das doch nimmermehr ein endgültiges Sterben und Verderben sein konnte, sondern in irgend einer Weise den Aufgang eines neuen Lebens einleiten mußte. Alles Arte wurde abgebrochen und doch konnte dies nur die Vorbereitung zu einem neuen Aufbau der Gemeinde sein. Aber warum zerbrach das Alte? warum unterlag es der Zerstörung? Und was war das Neue, das kommen sollte? Warum fing Gott Israel wiederum von vorne an?

Auch die wirren Stimmen erregter Leidenschaft, welche diese Ereignisse im Volk entzündeten, gaben auf diese Fragen in ihrer Weise Antwort. Bis zum letzten Augenblick sprach eine trotzige dreiste Hoffnung von Gottes Bund und Heiligtum und vom Triumph Israels über alle Völker. „Friede, Friede ist um dich her, Jerusalem!“ Das war das falsche Prophetenwort. Und dicht daneben sagte die Verzweiflung und dumpfe Hoffnungslosigkeit: Gott sieht nicht auf uns. In der Erregtheit der letzten Kampfeszeit griff das Volk nach allen Strohhalmen. Es häufte die Gottesdienste und Götter. Es hing sich an die Macht Pharao's und sah in Ägypten seinen Retter. Und wenn alles verloren war, dann rechnete der irdische Sinn die Vorteile aus, die Babylonien für Handel und Wandel, Gewinn und Genuß darbot, und vergaß den heimatlichen Gott und die heiligen Güter des eignen Volkes. Wie war in dieser Verwirrung Gottes Sinn und Weg zu finden? Was war des Herrn Rat? Darauf gab die prophetische Erleuchtung Antwort, die Ezechiel erhielt.

Er hatte in Jerusalem Gott als Priester gedient und gehörte ohne Zweifel zu den Priestern aus dem Geschlechte Zadoks, von denen er sagt, daß sie den Herrn nicht verlassen hätten, als das Volk von ihm abirrte, im Unterschied von andern priesterlichen Männern, die sich auch zum Götzendienst brauchen ließen, 44,10 ff. Aber er sagt uns selbst, daß denen die in Jerusalem am Herrn allein festhielten, nichts übrig blieb als zu seufzen, 9,4. Übermächtig schaltete die Willkür der Könige und Vornehmen im Tempel und der fromme Teil der Priesterschaft war ohnmächtig. Da kam die erste Eroberung der Stadt und mit Jechonja wurde auch Ezechiel nach Babylonien weggeführt. Schwerlich war er damals noch ein ganz junger Mann, als ihm die Heimat verloren ging. Er besitzt ausgedehnte Kenntnisse über die Verhältnisse Palästina's und seiner Nachbarländer, so daß er die Grenzen Kanaans genau anzugeben weiß, 47,15 ff. Der Markt in Tyrus steht ihm so lebhaft vor Augen, daß er wohl die Stadt selbst gesehen hat, 27. Auch über die Städte Ägyptens ist er gut unterrichtet, 30,13 ff. In Babylonien lebte er auf dem Lande am Flusse Kebar, und dort empfing er im 5ten Jahre nach der Wegführung in einem Gesicht die Berufung zum prophetischen Amt.

In Jerusalem begann damals Zedekia die Empörung gegen Babylonien. Während dieser Zeit folgen sich vier Jahre lang Ezechiels prophetische Sprüche zahlreich, bis zum 9. Jahr der Verbannung, bis zum Tage, wo Nebukadnezar die Belagerung begann. Damit brach für das, was Ezechiel bisher in Worten bezeugt hatte, die Erfüllung an, und der Prophet verstummte. Gott redete nun die Sprache der That und das Amt des Propheten war damit vorerst beendigt. Es folgen in der Zeit kurz vor und nach der Zerstörung der Stadt nur noch einige Sprüche über die Nachbarvölker, die in den großen Weltkampf mit verflochten waren. Als die Flüchtlinge aus Jerusalem eintrafen und den Fall der Stadt verkündigten, im 12. Jahre seit der ersten Eroberung, wurde Ezechiel auf's neue prophetisch beredt. Bisher hatte er den Untergang der Stadt als unvermeidlich bezeugt und nach seinem Grunde erläutert, als Gericht Gottes über Israels Abfall. Jetzt verkündigte er die Wiederherstellung des Volks. Er hat den Fall Jerusalems noch manches Jahr überlebt. Das letzte große Bild von der neuen Gestalt des Heiligtums stammt aus dem 25. Jahr der Verbannung, 40,1, und ein kleiner Spruch über Nebukadnezars Sieg über Ägypten stammt aus dem 27. Jahr, 29,17.

Ezechiel war das unmittelbar wirksame Eingreifen in die Geschichte des Volks vollends versagt. Es fehlte ihm zwar nicht ganz an einer Zuhörerschaft, da er in einer jüdischen Ansiedlung wohnte. Auch hörten die Exulanten mit Vergnügen, daß ein Prophet unter ihnen aufgestanden sei, und suchten seinen Rat. Aber das war nicht mehr eine Stellung, wie sie noch Jeremia hatte, der das prophetische Wort im Tempel dem Volk oder im Gespräche dem Könige vorlegen konnte. Dennoch erscheint auch Ezechiel die prophetische Aufgabe und Pflicht als überaus hoch. Er ist zwar nicht wie Jeremia über Völker und Königreiche zum Regenten gesetzt, um sie durch sein Wort abzureißen oder aufzubauen. Dafür hat er aber eine seelsorgerliche Aufgabe an die Einzelnen. Er hat den Gottlosen zu warnen, den Gerechten zu stärken, und die Verantwortung, die dies auf ihn legt, steht groß vor seinen Augen. „Wenn der Gottlose ungewarnt stirbt, so bist du an seinem Tode schuld!“

Mit der besonderen Art seiner Lage haben wir auch die Eigentümlichkeiten seiner Darstellungsweise in Zusammenhang zu bringen. Er liebt die gleichnisartigen Abbildungen, die dem Leser ein Rätsel aufgeben, dadurch, daß er aus der darstellenden Hülle deren Sinn erst herausschälen muß. In seiner Abgeschlossenheit wird sein geistiges Leben ein anhaltendes Sinnen, das auch künstlichere Mittel des Ausdrucks zur Verwendung bringt. Dabei ist auch dies zu beachten, daß er von Anfang an nicht die Rede, sondern die Schrift als das hauptsächliche Mittel betrachten mußte, durch welches er seine Weissagung dem Volke zu übergeben vermochte. Da zeichnet er nun auf seine Blätter diese Bilder hin, die den Leser zu nachdenklichem Forschen festhalten sollen. Vielleicht ist auch die asiatische Umgebung des Propheten für seine Art nicht ganz bedeutungslos. Jeder Prophet entnimmt die Form eines Worts der Umgebung, in der er mit seinen Hörern lebt. Und die Religionen des Euphratlandes haben auffallende symbolische Gestalten geliebt. Wo sein Wort die bildlichen Hüllen verläßt, da redet er einfach die Sprache des täglichen Lebens. Das Wort wird ihm nicht mehr wie den Alten von selbst zum Lied. Er drückt seine Gedanken in schlichter, ungeschmückter Prosa aus, damit sie recht deutlich seien.

Die Berufung. 1,1-3,21.

Auch Ezechiels Weissagen begann mit einem Gesicht. Die Annäherung Gottes an den Propheten gewann für ihn sinnliche Gestalt. Aus dem feurigen Kern einer Wolke tritt Gottes Bild hervor. Er selbst erscheint als eine von Licht und Feuer umflossene Menschengestalt auf dem Throne, der auf einem Abbild des Himmelsbogen steht. Doch wird Gott nicht näher beschrieben; an ihn wagt sich auch in der Vision das beschreibende Wort nicht hinan. Dagegen werden die Eigenschaften der göttlichen Herrlichkeit abgestaltet in dem, was unter dem Throne als dessen lebendige Stützen und Träger sichtbar wird. Es sind dies zwischen vier Doppelrädern voller Augen vier Cherube, Menschengestalten mit vier Häuptern, da sie neben dem menschlichen Antlitz auch noch das Haupt des Löwen, Stiers und Adlers besitzen, ferner mit Flügeln und Händen, selbst auch gekleidet in feurigen Glanz. In diesen Wesen sind die vier Regenten der irdischen Schöpfung vereinigt. Unter den Haustieren steht der Stier, unter dem Wild der Löwe, unter den Vögeln der Adler obenan als das königliche Geschöpf. Die Vereinigung aller wird zum Zeichen jener geistigen Wesen, durch deren Dienst Gott sein Regiment über die Welt ausübt. Sie haben eine Machtfülle, die alles, was die irdische Schöpfung enthält, hoch überragt. Was hier verteilt und stückweise erscheint, das haben sie beisammen in ungeteilter Vollkommenheit. Und wenn ihnen die vier Häupter und den Rädern ihre Doppelgestalt die Bewegung in allen vier Richtungen der Welt verstatten, ohne daß sie sich wenden müssen, und wenn sie wie die Räder voller Augen sind, so ist und damit die alles durchdringende Macht des göttlichen Schauens und Wirkens dargestellt.

Nachdem ihm Gottes Herrlichkeit in dieser Gestalt sichtbar geworden ist, hört er ihn auch sprechen. Gott überträgt ihm das Botenamt an das abtrünnige, widerspenstige Volk, und dies wird wiederum in einer gleichnisartigen Handlung anschaulich gemacht: es wird ihm das göttliche Wort auf einer beschriebenen Rolle gereicht, daß er sie esse. So nimmt er die Eingebung Gottes in sich auf und kann nun in seinem Namen reden. Gottes Hauch trägt ihn zu der Judenschaft von Tell-Abib im Euphratland und daselbst empfängt er das abschließende Wort zu seiner Berufung, das ihn verantwortlich macht für den Tod des Gottlosen oder auch des Gerechten, der sich von seiner Gerechtigkeit abkehrt, falls er ihn nicht warnt.

Das Gesicht erzählt uns nicht bloß, wie Ezechiel Prophet wurde, sondern gibt uns zugleich den tiefsten Grund für den Inhalt seiner Verkündigung an. Er heißt Israel die Herrlichkeit und Erhabenheit Gottes bedenken. Da liegt die Antwort auf die Fragen, welche es bedrücken. Warum geht die heilige Stadt und das heilige Haus unter? Israel bedenke die Herrlichkeit Gottes! An ihm gefrevelt zu haben, macht, daß alles untergeht. Und wie kann Israel sich neu gestalten? Es bedenke die Herrlichkeit Gottes! Er macht, daß Tote auferstehen.

Die erste Weissagungsreihe reicht bis zur Belagerung der Stadt. Sie verbürgt allen trüglichen Hoffnungen zur Beschämung deren Untergang und erläutert dessen Grund.

Jerusalem s Untergang und dessen Grund. 3, 22-24,27.

Zuerst stellt der Prophet

Das Schicksal der Stadt, 3,22-7,27

fest. Er stellt sie auf einem Ziegel dar und deutet deren Belagerung darauf an. Er selbst ist das Bild des Herrn, der von seinem Volke geschieden sein Angesicht unerbittlich auf dessen Untergang richtet; darum liegt er neben dem Bild der Stadt, von ihr durch eine eiserne Platte getrennt. 430 Tage 1) soll er unbeweglich liegen, auf's kümmerlichste genährt durch Speise, die durch die Art ihrer Bereitung verunreinigt ist, ein Bild Israels und Juda's, die ihre Sünde tragen und den Hunger der Belagerung leiden und das unreine Brod der Gefangenschaft essen müssen. Seine abgeschnittenen Haare macht er zum Bild des durch Pest, Schwert und Exil vergehenden Volks, und nur ein kleiner Rest, den er aufbewahren soll, deutet auf die kleine Gemeinde der Bewahrten hin, die als Same des neuen Volkes übrig bleibt. 3,22-5,17.

Daran schließt sich in bildloser Rede das Todesurteil über die Bewohner Jerusalems. 6 u. 7.

Die Ursache für die Zerstörung des Tempel 8,8-11.

Gottes Wohnung auf dem Zion scheint ein sichrer Schutz für die Stadt. Ezechiel deckt auf, warum gerade das Gegenteil statt hat und Jerusalem um des Tempels willen zerstört werden wird. Er wird im Geist in denselben versetzt, und sieht dort wieder die Erscheinung Gottes. Das ist das hochheilige Wesen des Tempels, daß er der Herrlichkeit Gottes zur Wohnstätte dient. Aber nun werden ihm die götzendienerischen Dinge gezeigt, die den Tempel schänden. Nachdem diejenigen, die über diese Greuel seufzen, mit einem schützenden Zeichen versehen sind, sieht er, wie die Götzendiener erschlagen werden, und darauf wirft einer der göttlichen Diener Feuer über die Stadt. Die Herrlichkeit Gottes weicht zurück aus dem Haus zum Tempelthor. Dort stehen die Machthaber der Stadt und reden trotzig von ihren kriegerischen Plänen. Ezechiel muß gegen sie weissagen, daß sie zum Land hinaus geführt und an dessen Grenze gerichtet werden. Auf die Klage des Propheten gibt ihm aber Gott die Zusage von der Erneuerung der Gemeinde, der das steinerne Herz genommen wird. Darauf verläßt die Herrlichkeit Gottes den Tempel ganz.

Weitere Sprüche über den Fall Jerusalems. 12-24.

Wie einer der in die Verbannung zieht, muß Ezechiel sein Gerät zur Hütte hinaustragen. Dieses Bild richtet sich speziell gegen Zedekia und weissagt, daß auch er in die Verbannung muß. Die Stadt wird nur noch in Unruh und Angst ihr Brot essen. 12, 1-20.

Dem Zweifel, der nicht an die Weissagung glauben will, wird das baldige Eintreffen derselben bezeugt, und die falschen Propheten, die Jerusalem Frieden und Gedeihen weissagen, werden unter das Gerichtswort gestellt; ebenso die Weiber, die mit ihren Wahrsagekünsten das Volk verführen. Den Männern, die mit götzendienerischen Neigungen zu ihm kommen, versagt der Herr die Antwort. 12,21-14,11.

Nichts kann Jerusalem mehr helfen. Auch die größten Gerechten könnten nur sich selbst und nicht das Volk als Ganzes mehr erretten. Wenn aber die Entronnenen kommen und ihre Thaten bekannt werden, dann werden alle von der Notwendigkeit des Gerichts über Jerusalem überzeugt. 14,12-23.

Wie das Rebholz nur zum Verbrennen taugt, so taugt Jerusalem nur noch zur Vernichtung. 15.

Judas Lebendlauf wird in ein Gesamtbild zusammengefaßt. Als Kind wurde es ausgesetzt. Aber der Herr zog es auf und machte es zu seinem Weibe. Aber in abscheulichem Undank ergab es sich endloser Hurerei. Darum wird es gerichtet wie ihre Schwestern Samarien und Sodom. Aber der Herr erneuert ihm seinen Bund. 16.

Ein anderes Gleichnis schildert das Geschick des Königshauses. Ein Adler brach der Zeder die Krone ab und raubte sie. Statt deren pflanzte er eine schwache Rebe; aber diese wandte sich einem andern Adler zu. Darob wurde sie ausgerissen. So hat Nebukadnezar das starke Königshaus zerbrochen und dafür den schwachen König Zedekia eingesetzt. Aber dieser wendet sich nach Ägypten. Darum bricht der Thron des Davidshauses. Dafür pflanzt der Herr das neue Cedernschoß, den König der Verheißung. 17.

Israel wirft die Schuld auf die Väter. Allein der Sohn trägt nicht die Schuld des Vaters. Jeder lebt durch seine Gerechtigkeit und stirbt durch seine Sünde. Jedem Sünder steht der Rückweg offen durch Bekehrung, wie auch jeder Gerechte fallen kann. 18.

Der Prophet erhebt ein Klagelied über die beiden gefangenen Löwen, Joahas, der nach Ägypten, Jojachin, der nach Babel weggeführt ist. 19,1-9.

Der Weinstock Israel in gutem Land wurde ausgerissen und verdorrte. Nun ist er in dürres Land gepflanzt, in die Verbannung, und auch dort wird er vom Feuer verzehrt. 19,10-14.

Den götzendienerischen Juden, die dennoch den Herrn fragen, wird die ganze Bundbrüchigkeit Israels seit den Tagen Ägyptens vorgehalten und die Antwort versagt. Der götzendienerische Teil des Volks wird abgesondert und gerichtet, und hernach ein reines Israel, das Gott dient, in Kanaan hergestellt. 20.

Den Wald im Süden zündet Gott an, und da die Hörer den Spruch nicht verstehen, erläutert ihn der Prophet: Gott zieht sein Schwert wider Jerusalem und rottet alles aus. Nebukadnezar wird dorthin geschickt und erst hernach gegen Ammon, das freilich nicht ungestraft die Schwäche Jerusalems benützt, um sein Land an sich zu bringen. 21.

Es werden Israel seine Sünden aufgezählt als Grund seines Verderbens. 22.

Zwei unzüchtige Weiber sind das Bild Jerusalems und Samariens. Ihr Treiben ist dasselbe, darum auch ihr Los.2) 23.

Am Tage, da Nebukadnezar die Belagerung beginnt, vergleicht der Prophet die Stadt einem Topf, der ohne Schonung ins Feuer gesetzt wird. 24, 1-14.

Seine Frau stirbt plötzlich, aber er darf sie mit keinem Zeichen der Trauer beklagen, als ein Gleichnis für das Volk, das ohne Trauerzeichen den verschuldeten Fall des Tempels und der Stadt über sich ergehen lassen muß. 24,15-24.

Die nun die Entronnenen kommen mit der Nachricht, daß Jerusalem wirklich zerstört ist, soll der Prophet stumm bleiben. Er hat seine Botschaft ausgerichtet. Was kommen wird und weshalb es kommt, ist verkündigt. 24,25-27. In diese Pause fallen nur

Sprüche über die heidnischen Völker. 25-32.

Durch den Fall Jerusalems wird Gottes Ehre bei den Völkern verdunkelt, denn sie messen seine Wahrheit und Macht am Schicksal der Stadt. Das ist die bittere Folge, die aus dem Gericht über Jerusalem entsteht. Aber dem Frohlocken der Völker über den Fall Jerusalems antwortet das prophetische Wort: Ammon, Moab, Edom, die Philister, die über den Fall Judas triumphieren, gehen eben deshalb dem Gericht Gottes entgegen. 25.

Auch Cyrus hofft durch den Fall Jerusalems zu gewinnen, aber Nebukadnezar wird es zerstören. Der Prophet beklagt die herrliche Handelsstadt und ihren stolzen König, der sich wie ein Gott erschien. Auch über Sidon wird ein Gerichtswort gesprochen, und Israel die Ruhe zugesichert, wenn über seine Feinde das Verderben kommt. 26-28.

Der Pharao, auf dessen Hilfe sich Jerusalem verließ, wird vernichtet und Ägypten verödet. Erst nach 40 Jahren wird es in bescheidenem Maße wieder hergestellt. Zu diesem Worte, das noch während der Belagerung Jerusalems gesprochen ist, wird 16 Jahre später ein anderes gefügt. 13 Jahre hatte Tyrus, das auf einer Insel lag, und große Festigkeit besaß, der Belagerung der Babylonier widerstanden, und nun war erst noch die Beute gering. Der Prophet verspricht dem Heere Nebukadnezars Ersatz dafür in Ägypten. Darauf folgen wieder in mehrfacher Wiederholung Sprüche aus der Zeit der Belagerung Jerusalems, da es fraglich schien, ob nicht doch die Babylonier vor den Ägyptern zurückweichen müßten. Ezechiel verkündigt den Sieg Babels und teilt Ägypten alles Elend eines unterworfenen Landes zu. 29-32.

Die neue Reihe prophetischer Sprüche beschreibt

Israels Wiederherstellung. 33-48.

Sie beginnt damit, daß dem Propheten auf's neue die Verantwortlichkeit seines Wächteramtes eingeschärft und sodann die Grundregel der göttlichen Regierung, die auch dem Bösen den Rückweg frei hält, und auch den Gerechten, wenn er seine Gerechtigkeit fahren läßt, straft, nochmals ausgesprochen wird. 33,1-20. Vgl. 3,16-21 und 18,21-32.

Am Abend, ehe die Boten aus Jerusalem mit der Nachricht vom Fall der Stadt anlangten, erhält Ezechiel die Rede wieder. Seine ersten Worte sind Bußworte. Das Volk gibt sich noch immer trüglicher Hoffnung hin. Es tröstet sich mit Abraham, der ja auch allein war und dennoch das Land erbte, und vergißt seine Sünden. Ihretwegen wird das Land wüste und ihre Hoffnung täuscht sie. 33,21-29.

Auch über die Gemeinde, die ihn umringt, muß er klagen. Sie drängen sich wohl zu ihm, um das Wort des Herrn zu hören; aber sie thun es nicht. 33, 30-33.

Doch nun kommt der Trost. Die Hirten Israels haben ihre Herde versäumt, so daß sie verkommen und zerstreut ist. Nun ahndet Gott an ihnen ihre Untreue und handelt selbst an seinem Volk als Hirte. Er sammelt sie, schafft den Schwachen Recht und gibt ihnen einen einzigen Hirten im neuen David, mit dem sie Sicherheit und Segen umringt. 34.

Zur Wiederherstellung Israels ist die Verwüstung Edoms das Gegenbild. 35.

Israels Land wird wieder erneuert, das Volk gereinigt und mit neuem Geist erfüllt, nicht Israels wegen, sondern um des göttlichen Namens willen, der wegen der Verödung des Landes gelästert wird. 36.

Am Gesicht von den vertrockneten Gebeinen, die sich auf das weissagende Wort des Propheten wieder zusammenfinden, wird die Sammlung der Gemeinde dargestellt. 37, 1-14.

Mit zwei Stäben in seiner Hand, die Juda's und Ephraims Namen tragen, weissagt er deren Einigung unter dem verheißnen König. 37, 15-28.

Aber dieses Friedensbild ist nicht das letzte Wort des Propheten. Ähnlich wie Joel und Micha das erneuerte Jerusalem nochmals in große Bedrängnis fallen sehen, weil alle Völker sich um dasselbe sammeln, so stellt Ezechiel mit ausdrücklicher Berufung auf die frühern Propheten hinter die Erlösung aus der Knechtschaft Babels einen neuen Kriegssturm, der nochmals den Frieden der Gemeinde unterbrechen wird. Derselbe kommt aus dem hohen Norden, von den Völkerstämmen, welche bisher noch nicht in die Geschichte eingegriffen haben. Auch sie werden nach ihrem raubgierigen wilden Sinn ähnliches thun und erleben, wie Assur und Babylon, aber auch in derselben Weise zur Verherrlichung des göttlichen Namens dienen wie sie.3) 38-39.

Im Gesicht wird Ezechiel nach Kanaan gebracht und sieht auf einem hohen Berg den neuen Tempel. Ein Mann mißt vor seinen Augen alle Maße der Thore und Höfe, des Tempelhauses und der in die Höfe hineingebauten Säle und des weiten freien Platzes, der nunmehr das Heiligtum vom übrigen Boden trennen soll, im Unterschied vom frühern Zustand, wo die Königsburg und der Tempel dicht nebeneinander standen. Dann sieht er die Herrlichkeit des Herrn in derselben Weise, wie in den früheren Gesichten, ins Haus einziehen. Dieselbe macht es nun für immer zu ihrem unentweihten Thron. Schließlich folgen noch die Maße für den Altar und die Einweihungsopfer. 40-43.

Wie sollen wir diese Beschreibung fassen? Ezechiel genießt im Geiste zum voraus schon die Freude der spätern Gemeinde, die ein neues Heiligtum mit Augen sieht. Und wie einer, der aus der Fremde heimkehrt, alle Maße desselben mit unermüdlichem Interesse beschaut, eben dies wird Ezechiel im Gesicht zu teil. Denn die Größe und Höhe und Symmetrie des Baues sind hier nicht nebensächlich. Am Hause Gottes erhalten diese Maße heilige Wichtigkeit. Und zwar zeichnet er den Tempel größer und regelmäßiger, als ihn die heimkehrende Exulantengemeinde bauen konnte, ja als überhaupt der Zion Raum hatte. Darin spricht sich die prophetische Gewißheit aus, daß nun erst das wahre Heiligtum kommen und der neue Tempel mit seiner Heiligkeit und Gottesnähe alles hinter sich zurücklassen wird, was mit dem Untergang der Stadt verloren war. 40-43.

Was hilft aber das Heiligtum, wenn es nicht vor Entweihung behütet wird zum neuen Tempel gehört auch ein neues Gesetz. Das alte Gesetz hat manche Unordnung und Antastung des Heiligtums nicht verhindert. Darum stellt der Prophet in neuen Ordnungen die Sorgfalt dar, die dem Heiligtum wiederfahren soll. Das Thor, durch das Gott einzog, bleibt geschlossen. Keine Heiden werden zugelassen, zum priesterlichen Dienst auch keine Leviten, weil sie mit Götzendienst sich befleckt haben, sondern nur die Nachkommen Zadoks. Die Kleidung, Ehe und Speise der Priester soll ihrem heiligen Dienst entsprechen, und der Unterhalt wird ihnen aus den Opfergaben dargereicht. 44.

Um den Tempel her wird ein Teil des Landes heiliger Boden, da die Priester und Leviten nicht mehr zerstreut im Lande wohnen sollen. Auch der König erhält einen abgegrenzten Teil des Landes, damit er niemand bedrücke. Maß und Gewicht werden geregelt und der Betrag der Opfergabe für Volk und Fürst bestimmt. Für die beiden Hauptfeste, Passa und Laubhütten, werden die Opfer verordnet, so auch für Sabbath und Neumond, und das tägliche Morgenopfer. Dem Fürsten wird zwar ein Ehrenplatz im Tempel eingeräumt, doch soll er seines Unterschieds von den Priestern eingedenk sein. Diesem Zweck, das Heilige abzusondern und vor Entweihung zu sichern, dienen auch die getrennten Küchen für die den Priestern zufallenden Opferteile und für die Opfer des Volks. 45. 46.

Eine Quelle mit rasch anschwellenden Fluten ergießt sich aus dem Tempel in das tote Meer und verwandelt dasselbe in gesundes Wasser. 47,1-12.

Darauf werden die Grenzen des Landes, die Reihenfolge der Stämme, von denen jeder ein gleich großes Stück des Landes erhält, mit dem heiligen Bezirk in der Mitte, die Maße der neuen Stadt und ihre Thore bestimmt. Mit dem neuen Namen derselben: Der Herr ist daselbst! schließt das Bild. 47,13-48,35.

Ezechiels letzter Abschnitt läßt uns bereits erkennen, wie das Exil das Volk mit starkem Antrieb zum Gesetz hinführt. Läßt Gott durch große unverdiente Gnade Israel neu auferstehen, dann sollen die alten Unordnungen nicht wiederkehren, Dann soll ihm reiner Gottesdienst dargebracht werden nach heiligem Gesetz. Ezechiel ist ein Mittelglied zwischen den alten Propheten und den Männern, die das neue Jerusalem leiteten in Esra's und Nehemia's Art. Nur hat er als selbst von prophetischem Geist erfüllt nicht bloß die alten mosaischen Ordnungen wiederholt und eingeschärft, sondern er schreitet über sie hinaus im Blick auf die schlimmen Erfahrungen der ältern Zeit und im Blick auf die neue höhere Heiligkeit und Herrlichkeit der künftigen Gemeinde. Wie sein Tempel zwar an die Stiftshütte und den Salomonischen Tempel sich anlehnt, aber doch in manchen Stücken nach einem neuen Plan entworfen ist, so schließt sich auch sein Gesetz im wesentlichen an die alten Ordnungen an, verläßt sie aber in anderen Punkten, weil ihm ein Zustand der Gemeinde vor Augen schwebt, auf den das alte Gewand nicht mehr in allen Stücken paßt. Die Abweichungen sind teils Vereinfachungen der gottesdienstlichen Gebräuche, wie er z. B. den Zehnten, das tägliche Abendopfer, das Pfingstfest nicht erwähnt, teils aber Verschärfungen in all dem, was die Scheidewand zwischen Gott und Mensch und darum auch zwischen dem Heiligtum und dem gemeinen Land zum Ausdruck bringt.

Diese prophetischen Vorschriften sind einerseits ganz auf die damaligen Verhältnisse Israel's aufgebaut, andrerseits überschreiten sie gleichzeitig die Schranken seiner natürlichen Existenz. Der Tempel ist wieder ein Heiligtum in der Art des Salomonischen mit Opfer und Priesterdienst wie bisher. Aber der hohe Berg in der Mitte des Landes und die lebendige Quelle, die ihm entströmt, und das gleiche Ebenmaß der Landlose für alle Stämme, das sind Dinge, für die das natürliche Kanaan keinen Raum besitzt. Das macht die merkwürdige Art der prophetischen Zeichensprache aus. Wie uns Ezechiel nicht verbürgt, daß wir bei Gott vierköpfige Wesen schauen werden, so sollen wir auch seinem Tempelbild nicht das entnehmen, daß einst ein heiliger Bau mit diesen Maßen auf einem neu geschaffenen Berge Palästina's stehen wird. Aber wie das Gesicht Ezechiels mit seinen vierköpfigen Trägern des göttlichen Thrones uns davon eine Ahnung geben will und soll, daß Gottes lebensvolle Herrlichkeit in wunderbarer Fülle weit über das hinausreicht, was wir jetzt sehen, so soll uns sein Tempelbild bezeugen, wie reich, hoch und heilig Gottes Gegenwart und Anbetung sich noch entfalten wird auf Erden, wie im Himmel.

Merkwürdig ist Ezechiels Verhältnis zu Jeremia. Sie sind in ihrer Weissagung überaus übereinstimmend,4) und doch besteht zwischen ihrer ganzen geistigen Art ein sehr bestimmter Unterschied. Jeremias Sorge und Ziel ist, daß ein Volk Gottes erwachse, welches in Gerechtigkeit und Frieden unter Gottes Güte gedeihe. Für Ezechiel ist Israels höchstes Kleinod der Tempel, und sein Ziel ist, daß es mit priesterlichem Dienst in Reinigkeit Gott die seiner Herrlichkeit gebührende Anbetung erweise. Das höchste in Gottes Verheißung drückt Jeremia so aus: Gott macht einen neuen Bund, bei dem man der Bundeslade nicht mehr gedenkt, auch keines Priester- und Prophetenstandes mehr bedarf, weil jeder den Herrn kennt und sein Gesetz lebendig in den Herzen aller wohnt. Ezechiels höchste Verheißung geht dahin: Gott macht einen neuen Tempel und sein Volk wohnt um ihn herum als ein Königreich von reinen, ihm geweihten Priestern. Das ist kein Widerspruch, wohl aber ein Unterschied, derselbe Unterschied, den wir im Gesetz treffen und in der Geschichtsschreibung stetig bemerken. Hier treffen wir ihn in zwei charaktervollen Priester- und Prophetengestalten gleichzeitig nebeneinander ausgeprägt. Erst der weitere Gang der Dinge und Gottes neue Offenbarung konnte zeigen, wie beide Verheißungen sich einigen und zusammen Wahrheit und Erfüllung werden können.

1)
Nach anderer Lesart 230 Tage; dies scheint die richtigere Zahl
2)
Oholiba: „mein Zelt ist in ihr“: ist der Würdename Jerusalems, der auf Gottes Wohnung in seiner Mitte zeigt. Darnach ist Samarien Ohola „ihr eigenes Zelt“ benannt, weil der Name an den ihrer Schwester anklingen soll, doch so, daß Samarien als von Gottes Zelt abseits im eigenen Zelte wohnend bezeichnet wird.
3)
Das Volk wird Magog genannt, vgl. Gen. 10,2. Es werden dem Propheten zunächst Heereszüge vorschweben, wie die, welche die Griechen Skythen nennen, die damals zeitweise durch ganz Asien schwärmten. Den Fürsten nennt er Gog, teils anklingend an den Namen des Volks, teils an denjenigen eines weit weg wohnenden, wegen seiner Macht berühmten Fürsten: Gugu (Gyges).
4)
Ezechiel kennt die Reden Jeremia's und es ist leicht möglich, daß er Jeremia's Buch, das dieser unter Jojakim geschrieben hat, besaß. Die beiden Schwestern, Samarien und Jerusalem, Ezech. 23, die bösen Hirten, die Gott schlägt, worauf er nun selbst seine Herde weidet, Ezech. 34, die Erläuterung des Sprichworts von den stumpfen Zähnen der Söhne, weil die Väter saure Trauben aßen, Ezech. 18, erweitern Abschnitte aus Jeremia, vgl. Jer. 3,6 ff. 23,1 ff. 31,29.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/schlatter_a/einleitung_in_die_bibel/schlatter_eidb_ezechiel.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain