Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Zeit zwischen dem Alten und Neuen Testament.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Zeit zwischen dem Alten und Neuen Testament.

Der Zwischenraum zwischen dem Alten und Neuen Testament war für Israel nicht unfruchtbar. Zunächst wuchs es in dieser Zeit nochmals zu einem großen Volk heran. Während Jerusalem unter Nehemia erst spärlich bevölkert war, war es in Jesu Tagen von Menschen überfüllt, und nicht bloß Judäa, sondern auch Galiläa war wieder ausschließlich von Juden besetzt. Und doch war dies erst die kleinere Hälfte des Volks. Der größere Teil desselben wohnte zerstreut von Persien bis nach Rom. In den Euphratländern lebte eine sehr zahlreiche Judenschaft, ebenso in Ägypten, dessen glänzendste Stadt Alexandrien große Judenviertel besaß, und in Syrien, Kleinasien und Griechenland gab es kaum eine bedeutendere Stadt, in der nicht auch eine jüdische Gemeinde sich befand. Diese auswärtigen Teile des Volks hielten sich von ihren heidnischen Nachbarn streng gesondert und standen mit Jerusalem in reger Verbindung. Überall wurde dem Gesetz mit gleichem Eifer in derselben Weise gedient.

Das war die Frucht einer Einrichtung, die wir im Alten Testament noch nicht finden, die aber zur Zeit des Neuen Testaments überall vorhanden und mit dem gesamten Leben Israels verflochten war. Es war inzwischen die Synagoge, die „Schule“ entstanden. Sie ist der augenscheinliche Beweis für die Bedeutung, welche die Bibel in Israel erlangt hatte. Denn die Schulen wurden der Bibel und des Gesetzes wegen gebaut. Sollte jeder Jude dem Gesetz treu und gehorsam sein, so mußte zuvörderst jedermann die Schrift kennen. Dazu mußte man sie aber den Leuten vorlesen, auslegen und einschärfen, und dies war der Zweck der Schule. In ihr sammelten sich die Gemeinden vollzählig an jedem Sabbath, um einen Abschnitt aus dem Gesetz und den Propheten anzuhören. Derselbe wurde übersetzt und erklärt, worauf man gemeinsam erörterte, was der Sinn des Gesetzes in allen zweifelhaften Fällen sei.

So gab die Bibel dem Volke an allen Orten einen geregelten, gemeinsamen Gottesdienst. Der Tempel, das Opfer und das Priestertum bestanden nur in Jerusalem. Es wurde zwar auch in Ägypten der Versuch gemacht, den dortigen Juden einen Tempel zu verschaffen, und die Bewohner Samariens bauten sich auf dem Garizim bei Sichem einen eigenen Tempel mit ähnlichem Gottesdienst wie in Jerusalem, da die alte Feindschaft die Vereinigung der beiden Gemeinden hinderte. Allein diese Nachahmungen des Tempels waren von geringer Bedeutung. Der Judenschaft stand es fest, daß der einzige rechte Altar auf dem Zion stehe und daß jeder, der Gott ein Opfer bringen wolle, dorthin zu pilgern habe. Dafür sammelten sich nun die Gemeinden allerorts in den Schulen und durch dieselben wurde Gottes Name unter ihnen lebendig erhalten und die Bibel in ihr Gedächtnis und Herz hineingelegt und der Eifer für Israels besondern Beruf und eigenartige Pflicht stets neu erweckt.

Mit der Schule entstund ein neuer Lehrstand, die Schriftgelehrten. Sie waren die Kenner der Schrift; darauf beruhte ihre Autorität. Man konnte in der Bibel nicht ohne Fleiß und Arbeit heimisch werden. Schon ihre Sprache brachte dies mit sich, weil man sie ausdrücklich lernen und studieren mußte. Das alte Hebräisch war nirgends mehr die Muttersprache der Juden, sondern überall waren die Verkehrssprachen, in den östlichen Ländern das Aramäische, in den westlichen das Griechische im täglichen Leben an dessen Stelle getreten. Die nächste Aufgabe der Schriftgelehrten bestund deshalb darin, die richtige Aussprache und Wortbedeutung der heiligen Texte festzustellen und den spätern Geschlechtern zu überliefern.1)

Aber man mußte das Gesetz auch auslegen. Kein Gesetz kann für alles, was im Leben vorkommt, eine Regel geben. Zudem schaute das mosaische Gesetz auf ganz andere Verhältnisse hin, als wie sie jetzt im Volk bestunden. So ergab sich fortwährend die Frage, was denn für diese oder jene Umstände nach der Anleitung des Gesetzes als heilige Satzung aufzustellen sei, und jede Antwort schuf den Anlaß zu neuen Fragen. Hier breitete sich die Arbeit der Schriftgelehrten aus. Sie suchten durch scharfsinnige Schlüsse und durch Vergleichung der einander berührenden Schriftworte festzustellen, was als Gottes Gebot zu betrachten sei, auch da wo die Schrift nicht ausdrücklich eine Vorschrift gab.

Diese Satzungen wurden nicht aufgeschrieben und in Bücher zusammengestellt. Die Bibel allein sollte „die Schrift“ bleiben; alles andere galt nur als deren Auslegung und sollte nicht zur Bibel hinzugefügt werden und sie nicht verdrängen. Die Schriftgelehrten hielten vielmehr darauf, den Unterschied zwischen der Bibel und allen andern Büchern dem Volke recht deutlich zu machen und fest einzuprägen. Sie haben deshalb einen Kanon aufgestellt, d. h. ein Verzeichnis vereinbart über die Zahl der Bücher, welche die Gemeinde als Gottes Wort gehorsam zu ehren hat. Seit dem zweiten Jahrhundert vor Christo besteht diese Grenze mit fester Sicherheit. In Jerusalem rechnete man diejenigen Bücher zur Bibel, die auch unser Altes Testament bilden mit Ausschluß der Apokryphen. Natürlich konnten deshalb auch später noch einzelne Bücher, wie das Hohelied, der Prediger oder Esther, Erörterungen unter den Lehrern veranlassen, ob ihre Zuzählung zur Bibel richtig und heilsam sei. Die Grenze beruht auf der Überzeugung, daß Mose und die Propheten nebst den übrigen Männern der alten Zeit Gottes Wahrheit und Erkenntnis in besonderer Weise gegeben worden sei, so daß die späteren an sie gewiesen seien und aus ihnen zu schöpfen und zu lernen hätten. In der Bibel fand der Schriftgelehrte Gottes Geist, ganz anders als in seinen eignen frommen Gedanken oder in den sonstigen Büchern erbaulicher Art.

Allein obgleich die Schriftgelehrten ihre Auslegungen des Gesetzes nicht aufzeichneten, so wurden dieselben doch fixiert und als unverletzlich geheiligt. Nach der Weisung des Rabbi sollte das Volk handeln und Gott so dienen, wie jener das Gesetz auslegte. Nun kann eine Vorschrift niemals bei einem Volke Gehorsam finden, wenn sie beständig wechselt und stets neu der Erörterung und Veränderung unterworfen wird. Deshalb schlossen sich die Schriftgelehrten zu einer festen Korporation zusammen und hielten, was die Alten gesprochen hatten, unumstößlich für alle Zeiten fest. Kein Rabbi rüttelte an den Entscheidungen der ältern Lehrer. Mit angespannter Anstrengung des Gedächtnisses wurden die Aussprüche der Alten von den spätern Geschlechtern erhalten und durch die Jahrhunderte hindurch fortgepflanzt, bis endlich lange nach der christlichen Zeit, als die Überlieferung zu massenhaft wurde, in mehrfachen Ansätzen die Aufzeichnung derselben stattgefunden hat, die jetzt den Talmud bildet. Dieses vereinte Zusammenwirken der Rabbinen durch viele Geschlechter hindurch zeigt wiederum, wie ernst man in Israel dem Gesetze diente. Der einzelne Lehrer stellte seine Meinungen und seinen eignen Ruhm völlig in den Hintergrund. Auch ihre Namen verschwanden, so daß wir von den zahlreichen vorchristlichen Schriftgelehrten so gut wie nichts mehr wissen. Daß das Gesetz Gottes völlig und allein in Israel herrsche, nur das war ihr Ziel.

Und gerade dadurch haben sie Israel zu seinem tiefen Fall geführt. Sie haben es erlebt, daß das Gesetz uns Gott nicht unterthan macht, daß wir etwas anderes bedürfen, um fromm zu werden, als Satzungen. Was sie zustande brachten, war doch nur eine gottlose Frömmigkeit. Ein knechtischer Geist der Furcht, der ruhelos und ungläubig macht und im Grunde mit Gott hadert, und in enger Verbindung damit im selben Atemzug ein hochfahrender Übermut, der sich stolz vor Gott aufbläht und ihn zum Diener des Menschen macht, gehn durch die ganze Schriftgelehrsamkeit. Ihr Fall war, daß sie immer ausschließlicher in der Bibel nur Gesetze suchten und sahn.

So blieb ihr Blick gefangen in dem, was der Mensch ist und thut, und Gott trat in die verborgene Ferne. Daher wurde aus der Frömmigkeit eine peinliche Ängstlichkeit, die sich nie genug that, sondern die Anstrengungen und Opfer ohne Ende häufte und die Forderungen immer höher spannte. Den Sabbath korrekt zu halten, den Zehnten richtig zu erstatten, die Reinigkeit unverletzt zu bewahren, dergleichen wurde eine schwere Kunst, die das ganze Leben in Anspruch nahm, und bei der man doch niemals Gottes und seiner Gnade gewiß wurde. Denn den Glauben, der Gottes gewiß ist und in seinem Frieden steht, preßt der Mensch niemals aus sich und seinem frommen Werk heraus; er entsteht nur aus dem Blick auf das, was Gott uns nach seiner Gnade schenkt. Und gleichzeitig erfüllte sich der Schriftgelehrte seiner Anstrengungen wegen mit einem krankhaft überspannten Selbstbewußtsein. Er erschien sich in seinem Fleiß, womit er das Gesetz übte, unendlich groß. Immer mehr richtete sich sein Blick nur auf die äußerlichen Ordnungen der Schrift, auf das, was man gesetzlich formulieren und polizeilich überwachen konnte. Mit dem Eifer, den man auf diese Dinge legte, prunkte man vor Gott und Menschen. So ward der Mensch groß und Gott klein und die Frömmigkeit Israels dorrte ab und ward, statt Anbetung Gottes zu sein, Bewunderung und Verehrung für das, was der Jude war und that. Es blieb schließlich nichts übrig als ein zäher, leidenschaftlicher Eifer für die Größe und Ehre der Judenschaft.

Mit der Ausbildung der Satzung trat das Volk in Parteien auseinander. Die gewöhnlichen Leute blieben hinter den fein ausgebildeten und verwickelten Regeln der Schriftgelehrsamkeit zurück und konnten die schwere Kunst, fromm zu sein, nicht in ihrem ganzen Umfang üben. Darum schieden sich von der Masse des Volks die Pharisäer ab, als diejenigen Männer, die im festen Anschluß an die Schriftgelehrten die Satzung praktisch machten und in der vollständigen Übung des Gesetzes ihre wichtigste Lebensaufgabe sahen. Der Pharisäer ist der nach der Vorschrift der Satzung fromme Mann, welcher in der Beobachtung des Gesetzes sein tägliches Hauptanliegen hat. In ihren Händen lag die geistige Leitung des Volkes; es ehrte sie als die Muster reiner, völliger Gottesdienstlichkeit. Nur unter den vornehmen Priesterfamilien gab es Männer, die der pharisäischen Strömung zu widersprechen wagten. Ihnen fiel der Parteiname Sadducäer zu. Aber ihr Widerspruch ruhte nicht auf einer höhern Wahrheit und einem frischen, innerlichen Trieb der Frömmigkeit. Sie protestierten gegen das Übermaß der pharisäischen Ansprüche, gegen die Überspanntheit ihres Eifers, unter dem das Leben schwer und der Gottesdienst mühevoll wurde. Im übrigen hatten auch sie dieselbe gesetzliche Art, wie die Pharisäer. Man stritt nur um ein Mehr oder Minder von Satzungen und unterschied sich nur durch die größere oder geringere Konsequenz in deren Ausbildung. Darum ließ das Volk die Sadducäer auf der Seite stehen. Es hielt sich nicht an die lauen, halben Männer, sondern an die ganzen, entschlossenen Eiferer für Gott und sein Gesetz.

Auch zur Hoffnung Israels verhielten sich beide Parteien verschieden. Der Pharisäer ergriff mit Eifer die Israel gegebene Weissagung, betete um das Kommen des gesalbten Königs und legte besonders Gewicht darauf, daß das Himmelreich mit der Auferweckung der Toten anheben werde. Dadurch erhielt seine Hoffnung ihre Kraft. Wenn der kommende Christus die Toten aufweckt, dann umfaßt sein Reich alle Glieder der Gemeinde; dann konnte man sich ohne Zweifel seiner freuen und getrost sterben, auch ohne seine Ankunft erlebt zu haben. Man verlor ja die Güter der Heilszeit nicht, da auch die Toten ihrer teilhaft werden. Den Sadducäern war diese Gestalt der Hoffnung, die kühn über alle Grenzen der irdischen Verhältnisse hinwegflog, anstößig. Sie achteten es für gefährlich, in solcher Weise mit Gottes Wundermacht zu rechnen, und fanden auch die Auferstehung nicht ausdrücklich in der Schrift bezeugt. Dadurch wurde aber ihre Hoffnung kühl und für ihr gegenwärtiges Leben bedeutungslos.

Eigenartige Bewegungen haben sich unter den Juden in den griechischen Ländern angebahnt. Die wichtigste und fruchtbarste That derselben war, daß sie's wagten, die Bibel in's Griechische zu übersetzen. Die große Judenschaft Ägyptens, die nur noch griechisch sprach, wollte sich die Bibel erhalten, und aus den mündlichen Übersetzungen in den Schulen erwuchs nach und nach ein griechischer Bibeltext. Das Werk, das wahrscheinlich im dritten Jahrhundert v. Chr. begonnen wurde, ist freilich nicht sehr gelungen, weil den Übersetzern teilweise das nötige sprachliche Verständnis der Bibel fehlte und weil sie mit sklavischer Peinlichkeit die griechischen Worte dem hebräischen Ausdruck nachbildeten. Doch auch so war es von großer Bedeutung, daß die Bibel nun in derjenigen Sprache existierte, die damals allen, die überhaupt Bücher lasen, verständlich war. Die apostolische Predigt unter den Griechen wurde hiedurch wesentlich unterstützt.2)

Mit der Sprache wurde auch im Denken und Leben der griechischen Juden manches neu. Sie fanden bei den heidnischen Griechen ein reiches Wissen und manche tiefblickende Erkenntnis, eine große, bewunderungswürdige Literatur, eine glänzende Kunst und Verfeinerung des Lebens. Das griff auch den Juden an's Herz. Sie konnten sich hiegegen nicht einfach abschließen als gegen ein bösartiges, verdorbenes Heidentum. Sie mußten ihr heimisches Erbe und das neue, was ihnen hier entgegenströmte, innerlich zusammenschmelzen und einigen, und sich Klarheit darüber verschaffen, wie das Bekenntnis zum Gott Abrahams und Moses zu den Erkenntnissen der Griechen sich verhalte. Das gab den griechischen Juden nicht nur eine formelle, äußerliche Bildung, sondern trieb manchen unter ihnen innerlich in's Nachdenken, und lehrte ihn aufmerken auf den Kern des göttlichen Worts, auf die Größe der Gabe Gottes, die in seiner Erkenntnis uns verliehen ist, so daß er von den Äußerlichkeiten des pharisäischen Gesetzesdienstes frei und für das Evangelium empfänglich ward. Freilich war mit dieser Verbindung griechischer und biblischer Gedanken auch die Gefahr gegeben, daß das heilige Erbe Israels nicht unverletzt blieb und an die Stelle des Gottes, der sich in Thaten voll Gnade und Gericht Israel kundgethan hatte, ein blasses, allgemeines Gedankending gesetzt wurde.

Unter den griechischen Juden waren neben der Bibel auch noch andere fromme Bücher in Gebrauch, die zum Teil aus Jerusalem kamen und übersetzt wurden, zum Teil von griechischen Juden verfaßt worden sind. Mehrere derselben sind später von den christlichen Gemeinden aus der griechischen Synagoge hinübergenommen und den alttestamentlichen Büchern zugesellt worden. Das ergab die sog. Apokryphen, die „verborgenen Bücher“, wie man schon unter den Juden diejenigen Schriften nannte, die man vom öffentlichen Gebrauch im Gottesdienste fern hielt. Keines dieser Büchlein leitet die Erkenntnis Gottes über das empor, was in den alttestamentlichen Büchern enthalten ist. Die bessern unter ihnen lehnen sich nachahmend an biblische Schriften an. Alle tragen aber auch die Spuren der kranken Gedanken und verkehrten Bestrebungen, welche die Verderbnis des Judentums herbeiführten.

Das gehaltvollste unter ihnen ist das Spruchbuch, das ein schriftgelehrter Mann Jerusalems, Jesus der Sohn des Sirach, verfaßt, und dessen Enkel, der nach Ägypten auswanderte, um's Jahr 130 v. Chr. für die dortigen Juden in's Griechische übersetzt hat. Der Großvater wird somit in den ersten Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts gelebt und geschrieben haben. Er preist die Weisheit als die kostbare Gabe, die Gott Israel geschenkt hat, und versteht darunter die Durchbringung des ganzen Lebens mit dem Blick auf Gott, wodurch alles nach seinem richtigen Wert bemessen und zu seinem rechten Zweck gebraucht werden kann. Hiefür gibt er manche treffende Beobachtung und allerlei fruchtbaren Rat, ist aber um vieles breiter, redseliger, auch in manchem Wort flacher als das Spruchbuch Salomo's.

Auch in Alexandrien hat ein Jude seinen Volksgenossen die Weisheit gepriesen, die ihnen durch die Kenntnis Gottes verliehen sei. Derselbe hat seine Mahnung Salomo in den Mund gelegt. Er mahnt zuerst, daß wir uns durch das Glück der Gottlosen und das Leiben der Frommen nicht daran irre machen lassen, daß in der Verbundenheit mit Gott die wahre Weisheit liege. Mit Gott wandelt sich das Unglück in Glück, ohne Gott das Glück in Untergang, 1-5. Dann zeigt er an Salomo, wie man die Weisheit finden kann, 6-9, und beweist darauf an den Erzvätern und an der Geschichte des Auszugs aus Ägypten, wie verschieden sich das Los derer gestaltet, die Gott kennen, und derer, die ihm widerstreben, 10-19. Auch wenn wir von einigen gewagten Gedanken absehen, die unter dem Einfluß der griechischen Spekulation aufgenommen sind, so fehlt dem Büchlein vor allem der reine, zarte Ernst der Schrift, der den Menschen vor Gott demütigt und Gott allein die Ehre gibt. Mit eitler Selbstbespiegelung erhebt sich der Jude über die Ägypter, als der, der allein Gott kennt und die Weisheit hat.

Unter dem Namen Baruchs, des Gehilfen Jeremia's, hat ein hebräischer Mann die Gemeinde an die Ereignisse zu Jeremia's Zeit erinnert, um sie zur Bußfertigkeit anzuleiten. Zuerst fordern die babylonischen Juden die Leute von Jerusalem auf, ihre Sünden vor Gott reuig zu bekennen, 1,1-3,9. Dann folgt eine prophetische Rede, welche den Untergang der Stadt daraus ableitet, das Israel die Weisheit verlassen habe, die Gott ihm offenbarte, und hernach die Hoffnung auf die Verherrlichung Jerusalems neu erweckt, 3,9-5,9. Hieran ist ein nachgemachter Brief Jeremia's angehängt, in welchem der Götzendienst verspottet wird.

An das Buch Hiob schließt sich die Erzählung von Tobias an, an dem zunächst Gottes Verheißung trotz seiner redlichen Frömmigkeit sich nicht zu erfüllen scheint, bis Raphael, der Engel Gottes, alles herrlich zum Ende bringt. Ein Absenker von Esther ist Judith, die durch ihre Schönheit den Feind ihres Volkes bezaubert und hernach ermordet. Geschichtlichen Wert besitzt die Erzählung offenbar nicht. Völlig wertlos sind die Legenden, mit denen die Geschichte Daniels erweitert wurde, und die ausschmückenden Zusätze, die in das Buch Esther eingefügt sind.

Dagegen gibt das erste Makkabäerbuch einen für unsere Geschichtskunde wichtigen Bericht über die Kämpfe, welche die Judenschaft seit ihrer Verfolgung durch Antiochus Epiphanes gegen die Syrer a. 175-135 bestanden hat. Die Kriegsthaten der drei Söhne des Mattathias, Judas, Jonathan und Simon, werden ausführlich erzählt, bis zu der Zeit, da der Sohn Simons Johannes zur Herrschaft gelangte. Der Bericht ist von einem hebräischen Juden am Ende des zweiten oder Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. verfaßt, mit frommem Sinn und herzlichem Eifer für Gott und sein Gesetz. Aber es fehlt ihm das Unterscheidungsvermögen zwischen dem, was nebensächlich war, und dem, was in den Gang Israels fruchtbar und wirksam eingriff. Er vermag die inneren Kräfte, die jene Ereignisse hervorbrachten, nicht deutlich zu machen. So wird aus seinem Bericht eine politische Geschichte, die anschaulich zeigt, wie rasch der Sinn und die Haltung des makkabäischen Fürstengeschlechts einem gewöhnlichen, heidnischen Herrscherhause ähnlich ward. Darum wurde in den Gemeinden neben diesem Bericht noch eine andre Darstellung gerne gelesen, die einen Auszug aus einem größern Buch eines Juden aus Cyrene, Namens Jason bildet, das sog. 2. Makkabäerbuch. Dasselbe erzählte nur die ersten Kämpfe gegen die Syrer, gab aber ausführliche Märtyrergeschichten aus der makkabäischen Verfolgungszeit. Die Genauigkeit seiner Angaben ist weniger zuverlässig als die des ersten Buchs. .

Das Urteil der Schriftgelehrten Jerusalems, die diese Bücher von ihrem Kanon fern hielten, war somit innerlich begründet, und unsre Kirchen haben es den Reformatoren zu danken, daß sie die Absonderung derselben von der Bibel wieder erneuerten.

1)
Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden zuletzt in der Form kleiner Zeichen, welche die Aussprache und Verbindung der Wörter angeben, in den Bibeltext hineingeschrieben. Zugleich hob man alle Verschiedenheiten in den Bibeltexten dadurch auf, daß man eine Musterhandschrift aus. wählte, die von nun an mit Beseitigung aller abweichenden Texte aufs genaueste samt ihren Schreibfehlern kopiert worden ist.
2)
Die Juden sind hernach über ihre eigene Kühnheit erschrocken und haben dieselbe durch eine Legende gerechtfertigt, nach welcher sich der ägyptische König Ptolemäus Philadelphus 70 Übersetzer vom Hohenpriester in Jerusalem kommen ließ, denen die Übersetzung wunderbar eingegeben worden sei. Daher rührt der Name für diese Übersetzung: „die Siebenzig“.
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