Piper, Ferdinand - Christus der gute Hirte.

Piper, Ferdinand - Christus der gute Hirte.

Unter den Gleichnissen, mit denen der Herr sich selbst gezeichnet hat, ist eine der reichsten das Bild vom guten Hirten, - einfach und schön, aber tiefbedeutend; unmittelbar aus dem Leben genommen und hat doch eine große Geschichte.

Denn es stammt von den Vätern des Alten Bundes, von Moses und David und den Propheten, von denen es in dreifacher Bedeutung gebraucht wird. Zuerst sind es die Führer des Volks, die Richter und Könige in Israel, auf die es Anwendung findet. Vor allen heißt Moses aus prophetischem Munde (Jes. 63,11.) der „Hirt der Herde des Herrn“, - wie er selbst zuerst den Namen gebraucht, als er einen Führer an seiner Stelle, den Josua, von Gott erbat: „der Herr wolle einen Mann setzen über die Gemeine, der vor ihnen her aus- und eingebe, dass die Gemeine des Herrn nicht sei wie die Schafe ohne Hirten“ (4 Mos. 27,16.17.). Weiter geht der Name auf David über, den der Herr von den säugenden Schafen holte, „dass er sein Volk Jakob weiden sollte und sein Erbe Israel“ - wie ein Psalm Assaphs dessen Erwählung besingt. Wiederum mit dem Worte Mosis warnte Micha den König Ahab, als dieser den Zug gegen die Syrer unternahm, der ihm den Untergang brachte: „ich sah ganz Israel zerstreut auf den Bergen, wie die Schafe, die keinen Hirten haben“ (1 Kön. 22,17.). Sodann wird der Herr selbst und dessen Vorsehung über Einzelne wie über das ganze Volk unter diesem Namen gepriesen, zumal von David in dem herrlichen 23. Psalm (V. 1.2.): „der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln: er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser;“ reich auch ein Lied im höheren Chor die Zuversicht zur Hilfe des Herrn darauf gründet: „Siehe der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht“ (Ps. 121,4.). So wird denn auch für das ganze Volk unter demselben Bilde seine Hilfe erbeten von David (Ps. 28, 9.) und von Assaph (Ps. 80,2.3.); so wie in anderen Psalmen Anbetung und Dank ihm geweiht: „er hat uns gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide“ (Ps. 100,3. Ps. 95,7.).

Unter seiner Obhut und Führung sollten wie die Könige so die Priester und Propheten Hirten des Volkes sein. Als diese es aber verlassen hatten oder in die Irre geführt, ergingen die Strafgerichte über das Volk. So straft das Wort des Herrn beim Propheten Jeremias die untreuen Hirten, als die Zerstörung Jerusalems nahe bevorstand (Jer. 23,2.), und schildert nach derselben die Zerstreuung des Volks (50,6.17.): „Mein Volk ist wie eine verlorene Herde; ihre Hirten haben sie verführt … Israel hat müssen sein eine zerstreute Herde, die die Löwen verscheucht haben. Am ersten fraß sie der König zu Assyrien; danach überwältigte sie Nebukadnezar der König zu Babel.“ Und in gleichem Sinn erging das Wort des Herrn an Ezechiel (Ezech. 34,1-10.). Daran knüpft er aber die Verheißung (V. 11. 12.): „Siehe ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen, wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind.“ Das gilt zunächst von der Zurückführung aus der Verbannung, wie es deutlich bei Jeremias heißt (50,19): „Israel aber will ich wieder heimbringen, dass sie auf Karmel und Basan weiden und ihre Seele auf dem Gebirge Ephraim und Gilead gesättigt werden soll“ (vergl. Mich. 7,14.). Es ist in weit höherem, allumfassenden Sinn in Erfüllung gegangen im Neuen Bunde durch die Sendung des Sohnes Gottes, von dem an derselben Stelle des Ezechiel (V. 23.) geweissagt wird: „Und ich will ihnen einen einigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David: der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein.“ Unter demselben Bild hatte schon Micha (5,3.) die Zukunft Christi verkündet: „Er aber wird auftreten und weihen in Kraft des Herrn.“ Und so schildert ihn auch Jesaias (40,11.): „Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte; er wird die Lämmer in seinen Armen sammeln und in seinem Busen tragen und die Schafmütter führen.“

Diese Verheißungen sind es, zu denen der Erlöser sich bekennt, wenn er den Pharisäern und allem Volk verkündet: Ich bin ei guter Hirte (Joh. 10,12.) und wenn er auf das Murren der Pharisäer und Schriftgelehrten, dass er die Sünder annehme, mit der Erzählung antwortet von dem verlorenen und wiedergefundenen Schaf (Luk. 15,3-7. vergl. Matth. 18,12.13.).

Der große Inhalt dieser beiden Gleichnisse und anderer neutestamentlichen Aussprüche, wodurch sie ergänzt werden, enthält die zweifache Beziehung: einesteils auf die Person Christi, sein irdisches wie sein ewiges Leben, - andernteils auf sein Werk. Bei dem letzteren aber sind noch solche Züge des Gleichnisses zu unterscheiden, die nur auf den Herrn nach seiner göttlichen Würde Anwendung finden, und solche, worin er Nachfolge verlangt.

Was die Person Christi betrifft und die Hauptstücke seines irdischen Lebens, die unter diesem Bild geschildert werden; so wollen wir zuvor uns erinnern, dass schon bei seiner Geburt zwar nicht das Bild, aber die entsprechende Wirklichkeit bedeutsam vorangeht: Hirten waren es, die die Botschaft von dem neugeborenen Heiland der Welt zuerst empfingen; als sie Nachts ihrer Herde hüteten, trat zu ihnen der Engel des Herrn, wie er einst Moses erschienen war, als dieser die Schafe in der Wüste am Berg Horeb hütete, - ein Zeichen, dass sie vor allen empfänglich waren, die Botschaft zu vernehmen und zu den Gläubigen in Israel gehörten, die auf die Erlösung warteten. Christus selbst nun verkündet in Gleichnissen von dem Hirten vornehmlich sein Leiden und Sterben. Er bezeichnet im engeren Sinn die Jünger als die Schafe seiner Herde und weissagt, wie die beiden ersten Evangelien berichten, dass sie ihn verlassen würden bei seiner Gefangennahme nach dem Wort der Schrift (Sach. 13,7): „ich werde den Hirten schlagen und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen“ (Matth. 26,31. Mark. 14,27.). Aber seine Herde ist größer und Er verlässt sie nicht bis in den Tod, von dem seine Gleichnisrede bei Johannes weissagt: „ein guter Hirte aber lässt sein Leben für die Schafe, - ich bin ein guter Hirte und ich lasse mein Leben für die Schafe“ (V. 12.15.). So hatte einst im wirklichen Hirtenstand David das Leben wenigstens gewagt, als er die Schafe seines Vaters hütete und ein Löwe und ein Bär kam und ein Schaf weg von der Herde trug, worauf er ihnen nachlief und beide erschlug (1 Sam. 17,34.).

Wie aber der Herr durch den Tod hindurchgegangen und der Erstling geworden ist unter denen, die schlafen; so knüpft sich auch an seine Auferstehung dies Gleichnis, da er nun die Macht hat, desselben Weges die Seinen sicher zu geleiten: „der Gott des Friedens“, so lautet das apostolische Wort (Hebr. 13,20.), der einst aus dem Meere sein Volk führte, samt dem Hirten seiner Herde (dem Moses) (Jes. 63,11.), „hat von den Toten ausgeführt den großen Hirten der Schafe durch das Blut des ewigen Testaments, unsern Herrn Jesum.“

Von da reicht sein Hirtenamt bis zur Vollendung des Reiches Gottes am jüngsten Tag, wo es zuletzt in Herrlichkeit und Schrecken offenbar wird. Denn so hat er selbst von der Zukunft des Menschen Sohnes verkündet: „Wenn er kommen wird in seiner Herrlichkeit, so werden vor ihm alle Völker versammelt werden: und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet“ (Matth. 25,31.). Und so ermahnt der Apostel die Ältesten, eingedenk dieser Zukunft die Herde Christi zu weiden von Herzensgrunde, als ihre Vorbilder: „so werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Ehren empfangen“ (1 Petr. 5,4.).

Eine Schilderung aber dieses Hirtenamtes, wie es der Herr in der Regierung der ganzen Kirche verwaltet, gibt ferner jene Gleichnisrede bei Johannes: nachdem Christus alles in dem Wort zusammengefasst, dass er als ein guter Hirte sein Leben lasse für die Schafe, zeichnet er in drei großen Zügen sein Werk. „Ich gebe ihnen, spricht er, das ewige Leben und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“ (Joh. 10,27.). So viel hat das Volk des Neuen Bundes vor dem des Alten Bundes voraus, welchem der Herr auch Hirten verhieß (Jer. 3,15.): „ich will euch Hirten geben nach meinem Herzen, die euch weiden sollen mit Lehre und Weisheit“; - aber der große Hirte des Neuen Bundes gibt den Seinen nicht bloß Lehre und Weisheit, sondern sich selbst, sein Fleisch und Blut (Joh. 6,51.), und damit das ewige Leben. Der Herr sagt zweitens (V. 16.): „und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; und dieselben muss ich herführen und sie werden meine Stimme hören“; denn zwar während seines Wandels auf Erden war er nur gesandt zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel, wie er dem kananäischen Weib erklärte (Matth. 15,24.); und dieselbe Anweisung mit dem Verbot „nicht auf der Heiden Straße zu gehen“, hatte er den Zwölf bei ihrer ersten Aussendung gegeben (Matth. 10,6.); - das letzte Gebot aber an die Apostel, „in alle Welt zu gehen“, umfasst auch jene anderen Schafe: das Evangelium sollte alsbald zu den beiden übergehen (Apostelgesch. 13,46.47.). Drittens verkündet der Herr als die Vollendung: „und wird Eine Herde und Ein Hirte werden.“

In allem diesem ist die Würde des Herrn unteilbar, wie er der einige Hohepriester und König seines Reiches ist. Aber in der Ausübung des Hirtenamtes, welches der einzelnen Seele sich zuwendet, hat er Gehilfen seiner Seelsorge sich ersehen: sowohl im Allgemeinen wie er die Schafe aus dem Stall auf die Weide führt, als insbesondere, wie er das verlorene Schaf zurückbringt. Diese beiden Stücke in ihrer engeren Begrenzung und bildlichen Anschaulichkeit sind auch von der altchristlichen Kunst, die an jene überschwänglichen Bilder sich nicht wagen mochte, dargestellt, das erste jedoch nur einmal, das andere ganz gewöhnlich.

Das erste sagt der Herr in dem Gleichnis bei Johannes, wo er sich als die Tür des Schafstalls bezeichnet, von einem rechten Hirten aus, der durch ihn eingegangen: „die Schafe hören seine Stimme“. (Joh. 10,3.4.), - wie er nach seiner Auferstehung den Petrus auffordert, seine Schafe zu weiden (Joh. 21,16.17.), und wie ferner Petrus die Ältesten ermahnt, die Herde Christi zu weiden (1 Petr. 5,2.). Doch bleibt er selber der Erzhirte, von dem im höchsten Sinn das Zeugnis gilt, „dass seine Schafe seine Stimme hören und er sie kennt und sie ihm folgen“ (Joh. 10,26. vergl. Ps. 95,7.). Und so ist er einmal abgebildet auf einem steinernen Sarg des christlichen Altertums, der zu Rom bei Ausgrabung der Fundamente der Peterskirche gefunden ist und gegenwärtig im vatikanischen Museum aufbewahrt wird.

Es ist der Hirte mit dem Hirtenstab in der Hand, der seinen Schafen vorangeht und sie auf die Weide führt: zwei derselben sind im Begriff aus dem Stall herauszusteigen. Dies Bild an dieser Stelle hat offenbar noch eine besondere Bedeutung. Wenn der Herr von den Schafen seiner Weide sagt: „Ich gebe ihnen das ewige Leben und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“; so gilt das zwar zunächst von dem ewigen Leben, welches die Gläubigen schon in dieser Zeitlichkeit empfangen (Joh. 5,25.); dies Leben aber bleibt ihnen auch im Tod: auch Tod und Hölle sollen die Seinen ihm nicht entreißen (vergl. Joh. 5,28.29. 8,51. 11,25.26.). Wenn also hier am Grab der Herr vorgestellt ist, wie er die Schafe ausführt auf die Weide; so liegt darin die tröstliche Hoffnung, dass er, der große Hirte, die abgeschiedenen Glieder der Gemeinde von den Toten ausführt und jenseits auf den Auen des ewigen Lebens viele weidet.

Neben dieser Hütung her und ihr selbst voran geht das andere Stück, die Sorge um die Schafe, die die Stimme des Hirten nicht gehört oder nicht befolgt haben, das Suchen und Zurückbringen des verlorenen, - wie es schon im Alten Bund durch die Propheten den untreuen Hirten nachdrücklich vorgehalten ist. So spricht der Herr (Ezech. 34,2.4.): „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden; der Schwachen wartet ihr nicht und die Kranken heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holet ihr nicht, und das Verlorene sucht ihr nicht.“ Das ist im höchsten Sinn aber gerade Christi Hirtenberuf, der zu keinem anderen Zweck in die Welt gekommen ist, als um „selig zu machen, das verloren ist“, wie er selbst in unmittelbarer Verbindung mit diesem Gleichnis es ausspricht (Matth. 18,11. vergl. Luk. 19,10.). So ist denn der Hirt, der das Schaf auf seinen Schultern trägt, ein Bild des Erlösers, der der verlorenen Seele nachgegangen ist und sie sich zu eigen gemacht hat und mit seiner Liebe viele trägt: und es spricht sich darin das Verhältnis der Gläubigen überhaupt und jedes einzelnen zu ihrem Heiland aus. Weil es also die Grundtatsache des Evangeliums vor Augen stellt in einer rührenden Gestalt, jedem Christen lieb und verständlich, den draußen Stehenden aber, namentlich den Heiden, die auf Verfolgung lauerten, rätselhaft und verborgen; so ist es die älteste und verbreitetste Vorstellung auf christlichen Denkmälern. Schon aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts hören wir, dass dies Bild auf Bechern beliebt war. Auch sind noch manche Glasgefäße mit demselben vorhanden. Eine Statue des guten Hirten in Erz gegossen ließ Kaiser Konstantin der Große auf dem Markt in Konstantinopel errichten; und noch werden zwei schöne Marmorbilder desselben auch aus dem christlichen Altertum zu Rom in der vatikanischen Bibliothek aufbewahrt. Am häufigsten erscheint das Bild in Relief auf den Särgen der alten Christen so wie in Wandmalereien ihrer Grüfte. Da ragt es gleichfalls in das Jenseits hinein und lässt auf den Verstorbenen hinblicken, wie er dort „leben und volle Genüge hat“ (Joh. 10,11.), - in demselben Sinn, wie es im Buch der Weisheit (3,1.) heißt: „der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rührt sie an.“ So ist der gute Hirte vielmals abgebildet in den Wandmalereien der Gruft, die unweit Rom an der Via Labicana beim Mausoleum der Helena gelegen, den Namen des Markellinus und Petrus führt. Er ist daselbst mit einer aufgeschürzten Tunica angetan und hat die Hirtenflöte in der Rechten: das wiedergefundene Schaf trägt er auf den Schultern und hält es mit der Linken an den Beinen fest: zu seinen Füßen sind zwei Schafe gelagert, zum Zeichen, dass er bei seiner Herde wieder angekommen; die Bäume, zwischen denen er steht, deuten den Wald als Schauplatz der Weide an.

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autoren/p/piper/piper-christus_der_gute_hirte.txt · Zuletzt geändert: von aj
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