Ohlhues, Johann Matthias Peter - Acht Betrachtungen über das fünfzehnte Kapitel des Evangeliums Lucas - Sechste Betrachtung - Der verlorene Sohn (3)

Ohlhues, Johann Matthias Peter - Acht Betrachtungen über das fünfzehnte Kapitel des Evangeliums Lucas - Sechste Betrachtung - Der verlorene Sohn (3)

Lukas 15,17-20.

Des verlorenen Sohnes Umkehr oder Buße: Er schlägt in sich und besinnt sich auf seinen Vater; er entschließt sich, zum Vater sich aufzumachen, und setzt den Entschluss in's Werk. V. 17. Da schlug er in sich und sprach: Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger.

Da schlug er in sich! Seliges Da! Es kommt freilich spät, aber noch nicht zu spät; noch ist für ihn Gnadenfrist; denn noch kann er zu sich selber kommen. Da schlug er in sich! oder: Da kam er zu sich selber! Wann denn? Nicht, so lange er vollauf hatte; da schaffte er sich mit seinen Gütern ein Leben seiner Hand, und fand Befriedigung darin; auch nicht, da er nun alle das Seine verzehrt hatte, und eine große Teuerung ward durch dasselbige ganze Land, und er anfing zu darben; auch da schlug er noch nicht in sich, sondern suchte und fand falsche Hilfe bei einem Bürger desselbigen Landes, der ihn auf seinen Acker schickte, die Säue zu hüten. Aber als er nun da bei den Träbern saß, da kam endlich für ihn die Stunde des seligen „Da“ der Umkehr; da schlug er in sich. Du aber, so lange du noch in dem Leben deiner Hand Befriedigung findest, sei es nun in Hab und Gut, oder in Arbeit und Sorge, oder in deiner Ehrbarkeit und Gerechtigkeit, - so lange schlägst du nicht in dich! Erst dann, wenn alle Stützen deiner Hand durch die gewaltige Hand Gottes dir also zerbrochen sind, dass du erkennst: Alles, Alles, was die Welt mir bietet, kann meine unruhige Seele nicht stillen! erst dann schlägst du in dich. Dieses Dann ist das Da des verlorenen Sohnes, von dem wir lesen: Da schlug er in sich; oder: Da kam er zu sich selbst. Bisher war er nicht zu sich selbst gekommen; er war sich selber fremd und feindselig; mochte mit sich selbst nichts zu schaffen haben; deshalb ging er stets an seiner eigenen Tür vorbei, und richtete seine Schritte anderswohin. Da ging er zu seinem Geldkasten und klopfte an und langte Gold und Silber heraus. Da ging er hinein in die Häuser der Lust, und brachte sein Gut um mit Prassen. Und als nun am Ende seine Kisten und Kasten leer und Nichts mehr herauszuklopfen war, da ging er hin, und hängte sich an einen Bürger desselbigen Landes; und als der ihn nun auf seinen Acker schickte, die Säue zu hüten, da ging er zum Träberkasten, und langte so lange hinein und heraus, bis er endlich erkannte, dass Träber für die Säue, und nicht für die Menschen sind. Erst als er so vor fremden Türen vergeblich sein Glück versucht, kam er denn nun zuletzt zu sich selber. Das ist des verlorenen Sünders Weg! Er kommt nicht gerne vor seine eigene Tür; denn mit seiner Herzenshaushaltung ist es schlecht bestellt; da ist Mangel; deshalb meidet er sich selbst, und lagert und lungert lieber vor fremden Türen, bettelnd um den leidigen Trost und das zerbrechliche Glück der Welt. O, bis zu welchen elenden Träberkasten geht es nicht da oft! Und Viele bleiben an den Träbern, und essen sich zu Tode daran. Aber Manche kommen doch auch mit dem verlorenen Sohn zu sich selber. Gelobt sei der Vater und der Sohn und der Heilige Geist, dass wir so von Manchen sagen dürfen: Haben sie an den Träbern der Welt sich die Zähne stumpf gebissen, dass sie ihnen leid geworden sind; ist ihnen das Glas des Weltglücks ein Mal über das andere in den Händen zersprungen, und hat ihnen die Hände, mit denen sie danach griffen und es hielten, zerschnitten, dass ihnen der Schmerz auch bis in die Seele gedrungen; - da werden sie am Ende so klug, zu sich selber zu kommen. Und wenn nun ein Mensch so zum ersten Mal recht zu sich kommt, was findet er denn da? Ja, wie außer sich, so in sich Leere. Aber es ist die Leere der Wüste, die doch nicht ganz leer ist; sondern hier und dort eine Quelle, ein grünes Plätzchen, ein Schatten unter einem Felsen, Baum oder Strauch laden den müden Wanderer zum Lagern. So die Leere in dem Sünder, der zu sich selber kommt; hier und dort durch Gottes Gnade ein Punkt, der zum besinnenden Stillstehen lädt. Solcher Punkte gibt es viele und verschiedene; nennen wir nur einige! Als nun der verlorene Sohn so da saß in sich gekehrt, woran mögen seine Gedanken sich wohl geheftet haben? Nicht wahr? Ohne Frage, an die Erinnerungen aus der Jugendzeit! Die tauchen jetzt in ihm auf, die Erinnerungen an den Vater und das Vaterhaus! Da heißt es denn in ihm: Wie gut hattest du es da! Alle Tage fandest du den Tisch gedeckt, und von keinem Mangel und keiner Sorge wusstest du! Und wie lieblich klingt es ihm jetzt in der Erinnerung, wenn der Vater ihn rief: Mein Sohn! und er antworten durfte: Mein Vater! Wie erregt sich unter solcher Erinnerung die Sehnsucht: Ach, dass es noch so wäre! Dass es wieder so würde! Und als nun diese Sehnsucht die Mutter der Frage wird: Aber sollte es nicht wieder so werden können? - da werden ihm alsbald trostreiche Antwort gegeben haben die Gedanken, die von dem Vater zeugen: Er ist ja so gut! Mit wie schwerem Herzen hat er dich entlassen! Sein Herz wird noch für dich schlagen! Wieder annehmen wird er dich, wenn du nur kommst! Seht da den Sünder, wenn er zu sich kommt! In dir hast du einen leeren Herzensschrein; doch liegt Etwas dort ganz im Winkel; ein Blättchen ist es; nimm es nur heraus! Es sieht sehr unansehnlich aus, denn es ist ganz beschmutzt; aber es ist doch noch geblieben, was es ist, ein Zeugnis, ein seliges Zeugnis aus frühster Kindheit. Sieh es nur mal an! Was liest du aus der kaum leserlichen Schrift heraus? Lass mich es dir vorbuchstabieren! „N. N. - getauft im Namen des Vaters, und des Sohnes, - und des Heiligen Geistes.“ Du bist in der Taufe dem dreieinigen Gott übergeben, aufgenommen als Kind in das Haus des Vaters. Das ist eine selige Erinnerung, die dich aber mit Wehmut erfüllt; denn du bist dem Vater entfremdet. Und was für Erinnerungen tauchen noch weiter in dir auf, wenn du in deine Kindheit zurückgehst! Nicht wahr? Es gab eine Zeit, da es anders mit dir stand, als jetzt; wenn du deine Hände in einander legtest und sprachst: „Mein Vater!“ „Unser Vater!“ So klang es wieder in deinem Herzen; nun aber schweigt dein Herz dazu, wenn dein Mund auch etwa vielleicht noch „Vater“ sagt; dein Gebet ist eitles Lippenwerk geworden. Und weiter tritt da die Schule mit ihren köstlichen Geschichten aus Gottes Wort vor deine Seele, und mit ihrer Unterweisung die Kinderlehre; es ließ dich dies Alles damals nicht unberührt; denn der Vater, der zum Sohn zieht, war mit Seiner Gnadenarbeit in dir geschäftig; und von Seiner Vaternähe hast du dich zu Zeiten umschwebt gefühlt. Oder wüsstest du von allen solchen Erinnerungen und Gnadenzügen nichts? Undenkbar! Denn du bist doch von Kindheit auf unterwiesen in dem Wort, das nicht leer zurückkommt; da muss doch irgendwie die Gnade deinem Herzen nahe gewesen sein. Ja, sie ist es gewesen, und wenn die Erinnerung daran deinem Gedächtnis auch ganz entschwunden wäre. Aber, wenn sie nun entschwunden, was findest du denn in dir? Auch dann doch aus den früheren und späteren Gnadenzügen göttliche Gnadenwirkungen in deiner Seele; nämlich ein Sehnen nach dem Vater, von dem du getrennt bist; ein Zeugnis, dass du zu Ihm kommen kannst; eine Mahnung, dich zu Ihm aufzumachen. Das Alles findet sich bei dem noch nicht verstockten Sünder in der Christenheit, der getauft ist und in dem Bereich des Wortes lebt, das da mahnend bittet: „Kehre wieder, du abtrünnige Israel!“ Und er merkt es auch, wenn er nun aus dem Traum und Taumel aufwacht, und zu sich kommt, wie der verlorene Sohn, den wir aus der Erinnerung an das Vaterhaus sprechen hören: „Wie viel Taglöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger.“ Der verlorene Sohn ist ein Taglöhner, ein Lohnknecht geworden, aber ohne Lohn, selbst nicht mal ordentliche Speise verdient er sich. Da fallen denn nun seine Gedanken auf die Taglöhner im Hause des Vaters; die haben es so viel besser, als er in der Fremde, selbst die Taglöhner im Hause des Vaters; „sie haben Brot die Fülle, und ich, spricht er, verderbe im Hunger.“

Die Taglöhner, welche sind das denn nun in der Deutung? Sie sind ähnlich dem älteren Sohn, der auch nur um Lohn dient; es sind alle Lohnknechte im Reich Gottes, die für das Reich Gottes arbeiten, aber nicht als Kinder, sondern als Taglöhner; die nur so mitlaufen unter dem Schein, aber ohne die Kraft der Gottseligkeit; sie sehen, dass sie es so viel besser haben, als wenn sie äußerlich und offenbar mit der Welt laufen; denn kein Dienst, dem Reich Gottes erwiesen, bleibt dem Menschen, der ihn tut, unbelohnt, auch wenn er nicht innerlich im Reich Gottes steht; Gott bleibt Niemandem Etwas schuldig; ein jeder Arbeiter bekommt richtig seinen Groschen. Also die Arbeiter im Weinberg des Herrn, die mit ihm um Einen Groschen eins geworden sind, aber bei der Abrechnung, unzufrieden mit dem Groschen, murren, das sind die Taglöhner. Und wie viele gibt es Solcher! Auf die Taglöhner nun wendet der verlorene Sohn seinen Blick, vergleicht ihr Wohlsein mit seinem Elend und spricht: „Und ich verderbe im Hunger!“ Wir haben die Erkenntnis, zu der der Sünder kommt, wenn er in sich schlägt, schon besprochen; er findet nichts in sich, damit er seine hungernde und dürstende Seele zum Leben speisen und tränken könnte. Bisher hat er seine Seele übermocht und ihr den Mund zugehalten, wenn sie schrie nach dem lebendigen Gott; aber nun ist ihm zum Widerstand die Kraft ausgegangen; er fühlt seiner Seele Hungern und dürsten nicht nur, sondern auch, dass es gestillt werden muss; denn sonst werde er im Hunger verderben. Werde verderben? Ja, werde! Doch nicht nur das; das Verderben ist nicht allein ein zukünftiges, sondern schon gegenwärtiges. Deshalb spricht auch der verlorene Sohn: Ich verderbe! Also schon jetzt. Denn der alte Mensch verderbet sich durch Lüste in Irrtum, ist geistlich tot durch Übertretung und Sünden; und aus dem geistlichen Tod geht es unrettbar in den ewigen Tod, wenn nicht der Hunger der Seele bei Zeiten durch das Brot des Lebens gestillt wird. (Ephes. 2,1. 4,22.) Da gilt es also, sich nicht lange zu besinnen, sondern rasch sich zu entschließen, wie der verlorene Sohn, von dem wir nun weiter lesen: V. 18-20. Ich will mich aufmachen, und zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir, und bin fort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich als einen deiner Taglöhner. Und machte sich auf und kam zu seinem Vater.

Der Entschluss, wieder umzukehren zu seinem Vater, ist reif in seiner Seele; „zu meinem Vater gehen,“ spricht er; „er doch noch mein Vater! ich doch noch ein Sohn!“ so lautet das Zeugnis in dem Herzen des von dem Vater abtrünnigen Sohnes; und daraus wagt er denn die Hoffnung zu fassen: Der Vater kann mich, den Sohn, nicht lassen; er wird mich wieder annehmen; darum will ich zu ihm geben und sagen: „Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir!“ Nachdem er seine Sünde erkannt hat, will er nun auch bekennen: „Ich habe gesündigt!“ Will er denn auch sagen, worin und wodurch er gesündigt? Ach, das Alles kann er ja nicht sagen; wollte er es herrechnen, wo sollte er anfangen und enden? Sein ganzes Leben liegt als Ein großer Abfall, Eine große Sünde vor ihm. Gesündigt vor dir! Entsetzlich! Der Sohn gegen den Vater! Nicht gegen einen Fremden als ein Fremder, der von der Liebe des Vaters nichts wusste; nein, er lebte ja in dem Haus und unter dem Segen des Vaters; und gegen diesen Vater voll Liebe hat er eben als Sohn gesündigt! Das ist denn freilich eine Sünde in den Himmel, himmelschreiend, fordert den Zorn und die Rache Dessen heraus, der im Himmel wohnt; denn indem er gegen den Vater auf der Erde gesündigt hat, hat er gesündigt gegen den Vater im Himmel, der geboten: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ Aber dennoch, weil er das Herz des Vaters kennt, wagt er Vergebung zu hoffen; an das Vaterherz will er sich deshalb wenden mit der bittenden Anrede: „Vater!“ Das lautet ja denn freilich: Nimm mich wieder an als Sohn! Doch wagt er nicht, diese große Bitte unumwunden auszusprechen; das Gefühl seiner Unwürdigkeit drängt ihn zu dem andern Wort: „Ich bin fort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße!“ Nicht auf Kindeswert und Kindeswürdigkeit baut er seine Hoffnung; soll nach seinem Verdienst mit ihm verfahren werden, so weiß er wohl, dass er verdient hat, fortgestoßen zu werden für immer von dem Angesicht des Vaters. Aber obgleich er es nicht wert ist, Sohn zu heißen, so wagt er dennoch zu hoffen und zu bitten: - was denn? etwa: Nimm mich wieder an als Sohn? Solche Bitte zu erwarten, hätten wir wohl ein Recht nach der Anrede: „Vater!“ Sein Herz wird auch gewiss so gebeten haben; aber sein Mund wagt es nicht; er erschrickt vor der Größe solcher Hoffnung, da er sie bittend aussprechen soll; deshalb stimmt er sich herab zu dem Geringeren: „Mache mich als einen deiner Tagelöhner!“ Was sollen wir denn nun davon sagen? Heißt das gut oder übel gebeten? Lasst uns sehen! Dass er mit dem Los eines Taglöhners schon zufrieden ist, spricht für ihn; wir sehen daraus, dass er durch sein Elend gedemütigt ist; er, dem es vorher zu wenig war, Sohn im Haus des Vaters zu sein, hält es jetzt schon für Gnade, ein Tagelöhner des Vaters sein zu dürfen. Das heißen wir billig gut. Aber dass er an der ganz und gar vergebenden Liebe des Vaters zweifelt, ist sehr von Übel. Und wir werden des Übeln alsbald mehr in seinem bittenden Wort finden, wenn wir es weiter erwägen. Er begehrt Gnade, aber nicht Gnade allein; der Vater soll ihn nicht umsonst wieder aufnehmen in sein Haus; er will's ihm mit Arbeit bezahlen; im Schweiß seines Angesichts denkt er sich sein Brot zu verdienen als Tagelöhner. Und dabei immer nur Tagelöhner bleiben? Bei allem Fleiß, den er zu beweisen vorhat? Wir verfehlen gewiss seines Herzens Gedanken nicht, wenn wir behaupten, dass das nicht seine Meinung gewesen. Er wird gedacht haben: Für's Erste nur Tagelöhner; und dann als Tagelöhner ausnehmend fleißig; und so dir nicht nur dein Brot, sondern auch die Kindschaft verdienen! Also was er als Gabe der Gnade sich nicht zu erbitten wagt, das hofft er als Verdienst seiner Arbeit. Nun merken wir doch gewiss, wie bedenklich die scheinbar nur von Demut zeugende Bitte: „Mache mich als einen deiner Tagelöhner!“

Wenden wir nun das Ausgelegte an! Da sitzt der Sünder im Verderben der Sünde; er hat die Hilfe der Welt erprobt und falsch befunden; da lenken sich denn nun seines Herzens Gedanken auf das, was er von der Liebe des Vaters in Seinem Sohn gehört hat; diese bisher verachtete Liebe fängt an, ihm liebenswürdig und tröstlich zu erscheinen; er steht still vor ihr, bewegt sie in sich; und je mehr er sie in seinem Herzen bewegt, desto mehr wird sie ihm eine Kraft, die ihn zum Vater zieht; überwältigt spricht er am Ende: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen!“ Aber was will er denn zum Vater sagen? Ja, die Sünde gegen den Vater hat ihn vom Vater getrennt; dass weiß er nun; was also natürlicher, als zuerst zu bekennen: „Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir!“ Gewaltiges Bekenntnis im Munde eines Menschen, der das Verderben der Sünde erkannt hat, der da weiß, dass die Sünde dem Gericht des lebendigen Gottes überantwortet, in dessen Hände zu fallen schrecklich ist. „Ich habe gesündigt!“ Das heißt da: Ich habe den Zorn, den Fluch, die Verdammnis, das ewige Verderben von dem Angesicht dieses Gottes über mich gerufen, durch meine Sünde. In solcher Buße handelt es sich nicht um die einzelnen Sünden; die sind ja nur Ausbrüche des von Gott abtrünnigen Herzens, in dessen Erkenntnis sie leiten, nachdem sie erkannt sind. Da bezeichnet denn in dem Bekenntnis: „Ich habe gesündigt!“ der ganze Mensch, wie er liebt und lebt, in seinem ganzen Sinn und Tun sich als abtrünnig, gottentfremdet durch Sünde. Und diese Sünde, die auf der Erde geschieht, ist doch Sünde in den, gegen den Himmel, auch wenn sie sich nicht geradezu in Lästerung gegen den Schöpfer im Himmel wendet, sondern in Ungerechtigkeit gegen das Geschöpf auf Erden. Denn allemal geht sie gegen Ordnungen an, die freilich von Menschen gehandhabt als menschliche erscheinen, und gegen Gebote, die wohl für Menschen auf Erden gegeben sind, aber wahrlich nicht von der Erde stammen, sondern von dem Himmel, von dem Gott, dessen Stuhl der Himmel, und dessen Fußbank die Erde, der vom Himmel schaut und sieht aller Menschen Kinder, der von seinem festen Throne sieht auf Alle, die auf Erden wohnen, und auf alle ihre Werke merkt. (Jes. 66,1. Ps. 33,13-15.) Vor diesem Gott ist gesündigt, das heißt denn nicht nur: vor Seinem allsehenden Auge, sondern gegen Ihn. Und was gewinnt das: „Vor dir gesündigt!“ für einen besonderen Nachdruck in dem Mund eines Getauften! Du hast nicht wie ein Heide, der von Gott nichts weiß, gegen Ihn gesündigt; nein, du weißt von Ihm als dem von Ewigkeit zu Ewigkeit dreimal heilig Gepriesenen, der gesprochen auch zu dir in Seinen heiligen Geboten: „Du sollst heilig sein, denn ich bin heilig!“ Ja, nicht allein das! Du hast Ihn nicht allein gelernt als den heiligen und gerechten Gott, sondern auch als den in Seinem Sohn sich erbarmenden Vater, dem du in der Taufe als Sein Kind übergeben bist, und der dich als Vater angenommen hat. Gegen diesen dir bekannten Gott und Vater hast du gesündigt, Seine erbarmende Liebe und zuvorkommende Gnade mit Füßen getreten, und mit der Sünde deiner Abtrünnigkeit Ihm in das Angesicht geschlagen. Das ist denn gewiss himmelschreiend, ruft um Rache gen Himmel, wie Abels Blut. Da lässt sich nicht leugnen: „Ich bin fort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße!“ Und wenn nun der Sünder zum ersten Mal sich aufmacht, innerlich aus dem geistlichen Tod aufsteht zu dem Entschluss solches Bekenntnisses, welche Bitte fügt er dann diesem Bekennen bei? Etwa die: „Nimm mich wieder an zum Kinde!?“ So wäre es der rechten Buße gemäß, der Buße, die nicht ohne Glauben ist, die im gläubigen Hinzutreten zu dem Gnadenstuhl schon Versicherungen der erbarmenden Vaterliebe an dem Herzen empfangen hat. Aber bis zur rechten Buße ist es hier noch nicht gekommen, sondern hier haben wir erst nach langer Bereitung dazu das erste, anfängliche sich-Aufmachen zu der rechten Buße, das noch ohne Vorschmack der vergebenden Gnade ist. Da glaubt denn der Mensch wohl an die Möglichkeit der Vergebung, der Wiederannahme in die Kindschaft für die Sünder im Allgemeinen, aber auch nur an die Möglichkeit im Allgemeinen; es steht ihm noch nicht unerschütterlich fest in gläubiger Buße, und bußfertigem Glauben, dass diese allgemeine Möglichkeit für ihn zur Wirklichkeit werden werde; es ist in diesem anfänglichen sich Aufmachen noch Zweifel, und der bleibt, bis er aus des Herrn Mund persönlich die Versicherung erhält: „Ich will dir gnädig sein!“ Das geschieht aber nicht vor dem ersten sich Aufmachen, sondern erst nach dem der Mensch sich aufgemacht hat und mit erstem Kommen zum Vater gekommen ist. Bis das geschehen ist, kann er es nimmer recht fassen, was das heißt, dass die Gnade mächtiger, als die Sünde. Das ist also der Stand Derjenigen, die nicht volle Gnade hoffen, weil sie sie nicht verdient haben; - als ob Gnade noch Gnade wäre, wenn wir sie verdienen könnten! Da findet sich also noch, wenn auch verborgen und unbewusst, ein Rest von Selbstgerechtigkeit, die weder glauben kann noch will: Allein aus Gnaden gerecht, umsonst, ohne Verdienst, durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist! Diese anhaftende Selbstgerechtigkeit muss der Mensch durch die Gnadenkraft des Heiligen Geistes sich nehmen lassen; denn hätte der jüngere Sohn die festgehalten, so wäre er entweder wieder in seinen früheren offenbaren Trotz, oder auch in den verborgenen des älteren Sohns, der freilich später auch offenbar wird, und offenbar werden muss, hinein geraten. Deshalb muss dies, wenn auch noch so geheime, Hinsehen auf Verdienst fort; die Gnade wird es auch nehmen, wenn der Mensch hier nur nicht stecken bleibt. Viele bleiben leider in diesen Bedenklichkeiten des selbstgerechten Zweifels stecken und kehren wieder um in den Trotz des jüngeren oder älteren Sohnes. Aber nicht also du, sondern vorwärts mit dem jüngeren Sohn! Er machte sich auf und kam zu seinem Vater.. Er gehörte nicht zu den faulen Sündern, die auch wohl möchten und wollten, aber doch nicht mögen und wollen; nein, er setzte seinen Entschluss in's Werk; er ließ sich nicht im fremden Land halten, obgleich er gewiss viele Versuchungen dazu zu bestehen hatte; sein Herz wird ihm noch oft entfallen sein bei dem Gedanken an seine Sünde in den Himmel und vor dem Vater; Widerwille gegen die begehrte Tagelöhnerei im Haus des Vaters hat ihn gewiss zu Zeiten angefochten; und unter diesen und anderen Versuchungen ist dann natürlich die Stimme in ihm laut geworden: „Bleib! Versuch's mal mit einem andern Bürger; sie werden ja nicht alle so hart sein!“ Dazu werden seine Genossen im fremden Land ihn nicht ruhig haben ziehen lassen, sondern das Ihre an ihm versucht haben mit Bitten und Spotten, um ihn von der Umkehr abzuhalten. Aber er blieb in allen Anfechtungen Sieger; er machte sich auf und kam zu seinem Vater. So auch du! Sind die Gedanken an die Umkehr in deiner Seele lebendig geworden, so mache dich auf! Wache und bete, dass es dir nicht gehe, wie Vielen, denen nach den ersten Gedanken an die Umkehr die Umkehr selbst alsbald. leid wird, wenn sie sehen, dass es schon beim ersten sich Aufmachen ein entschiedenes sich Lossagen und Scheiden von der Welt und ihrer Kinder Gemeinschaft gilt! Lass dich nicht halten durch die Lockung der Welt, deren Freuden du als Träber geschmeckt, nicht schrecken durch das Höhnen und Lästern der Kinder der Welt, deren Gemeinschaft du als Verderben bringend erkannt hast! Schrick nicht zurück vor dem Dienst im Haus des Vaters, denn du sollst Ihm nicht als Knecht um Tagelohn, sondern als Kind dienen, dem das ewige Erbe gewiss ist! Ja, dem Kind gewiss durch das Erbarmen des Vaters, in dem Er Seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern für dich dahingegeben hat! Darauf siehe, wenn der Fürst dieser Welt dich aus der göttlichen in die weltliche Traurigkeit reißen will, und komm getrost und unverzagt zum Vater! Natürlich musst Ihn suchen, wo er allein zu finden ist, in Seinem Sohn; der ist der lebendige Weg, der die bußfertigen Sünder aufnimmt und zum Vater führt; ja, Er allein; denn Niemand kommt zum Vater, denn nur durch den Sohn. Er ist die Tür zum Hause und Herzen des Vaters; wer durch Ihn eingeht, wird ein seliges Kind des Vaters werden.

So komme denn, wer Sünder heißt,
Und wen sein Sündengreul betrübet,
Zu dem, der Keinen von sich weist,
Der sich gebeugt zu ihm begibet.
Wie? willst du dir im Lichte stehn
Und ohne Not verloren gehn?
Willst du der Sünde länger dienen,
Da, dich zu retten, er erschienen?
O nein, verlass die Sündenbahn! Mein Heiland nimmt die Sünder an.

Du aber, o barmherziger Vater unsers Herrn Jesu Christi, wollest Deine Gnadenzüge zum Sohne an den Herzen der Verlorenen kräftig sein lassen! Und wenn sie sich nicht durch Güte wollen ziehen lassen, so vermache ihnen ihren Weg mit Dornen, und ziehe eine Wand davor, auf dass, wenn sie ihren Steig nicht finden können, sie in sich schlagen und sprechen lernen: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen!“ Und wo denn nun ein Sünder zu sich selbst gekommen ist, seine Sünde und ihr Verderben erkannt hat, auf Deine Barmherzigkeit zu hoffen beginnt, und zu Dir will, da kräftige Du wider sein eigenes verzagtes und trotziges Herz, wider das Gelüsten seines Fleisches, wider die Verlockungen der Welt, wider die Anläufe des Satans ihm das Wollen zum seligen Vollbringen, dass es von ihm heißen könne: „Er machte sich auf und kam zu seinem Vater!“ Amen!

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