Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Das Evangelium in der Welt

Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Das Evangelium in der Welt

Jetzt noch, wie immer, ist der Kampf zwischen Glaube und Unglaube das eigentliche Problem der Weltgeschichte. Ist Christus Wahrheit und das Christentum der rechte Ausweg aus dem Labyrinth der Zeit? Das ist die große Frage. Sie wird für einmal nicht beantwortet durch einen jedermann zwingenden mathematischen Beweis. Wohl gibt es auch einen Beweis für das Christentum; aber es ist der Beweis des Geistes und der Kraft, für welchen nicht jedermann einen offenen Sinn hat. Das daher ist der Glaube nicht jedermann's Ding und soll es auch nicht sein (vgl. Jes. 6). Der gottlose, stolze, verdrehte Sinn soll nicht glauben können. Daher ist Christus nicht als Herrlicher, als großartige Manifestation der Wahrheit in die Welt eingetreten, sondern verhüllt in Niedrigkeit; und auch jetzt noch kommt man zu Christo nur als dem Erniedrigten, des Ärgernisses Zeichen und des Glaubens Gegenstand. Christus, sagt S. Kierkegaard, ist das Paradox, das die Geschichte nie verdauen kann. Christus ist nicht etwa durch Seine Geburt und Sein Auftreten in das Examen der Geschichte eingetreten; nein, Er ist der Examinator; Sein Leben ist die Prüfung, nicht allein für Sein Zeitgeschlecht, sondern für das Menschengeschlecht. Was man am meisten bei Christus preist, darüber würde man sich am meisten ärgern, lebte man gleichzeitig mit Ihn. Gott will von dem Menschen nicht umgeschaffen werden, sondern Er will die Menschen umschaffen. - So soll das Christentum dargestellt werden, dass es dem sinnlichen Menschen als Unsinn erscheinen muss. Mit Beweisen kann man niemals Christ werden, höchstens auf Christus aufmerksam gemacht und auf den Punkt gebracht werden, wo man glauben will oder sich stoßen. Die Entscheidung liegt also im Innern, im Willen und Herzen des Menschen. „Ihr habt nicht gewollt“, sagt der Herr zu denen, die Ihn verwarfen. Es kommt darauf an, in welchem Prinzip der Mensch steht, welches Prinzip überwiegt; danach bestimmt sich sein ganzes Denken und Wollen, sein Leben, wie seine wissenschaftliche und religiöse Richtung. Dem sinnlichen Menschen ist das Christentum ein Kreuz, wie es denn in der Tat Leiden gibt, denen man entgehen kann, wenn man unterlässt, Christ zu sein. Die Orthodoxie oder der christliche Glaube ist darum dem freien Sinne verhasst, weil es eine Orthodoxie der Zehn Gebote ist, die dem Fleisch und dem stolzen Selbstverlass nimmermehr gefallen kann. Wem Gott nicht eine Lust ist, dem ist Er eine Last. Dem vermeintlichen Nichtglaubenkönnen liegt ein verstelltes Nichtwollen zu Grunde, und dieses ist wiederum das Resultat teils einer falschen Liebe, des Weltsinns, teils einer falschen Freiheit, des Eigensinns. - Die vielen dunklen Stellen im Herzen bewirken es, dass es für uns so viele dunkle Stellen in der Schrift und in Gottes Wegen gibt. Welt und Christus werden nie zusammengehen. Wenn der liberale Protestantismus Christentum und Kultur in Einklang bringen will, so wird dies nur insoweit möglich sein, als die Kultur wahre Kultur ist; richtiger ist es, wahre Kultur schaffen mit dem Evangelium. Die Stimme der wahren Natur streckt sich aus nach Christus. Die Wahrheit des Wortes: „Was kein Verstand der Verständigen sieht, das fasst in Einfalt ein kindlich Gemüt,“ und des andern: „Was den Weisen und Klugen verborgen ist, das hat Gott den Unmündigen geoffenbart,“ beruht darauf, dass der zweiseligen Vernunft und Reflexion gegenüber die Stimme der unterdrückten Natur im allgemeinen Wahrheitssinn schlichter Menschen oft kräftig reagiert und das Richtige trifft. So ist denn das helle göttliche Licht in den Augen des unlauteren, von Leidenschaften getrübten, Menschen lauter Finsternis, ähnlich wie die Wolkensäule zwischen Israel und Ägypten teils Licht, teils Finsternis war. (2. Mose 14,20). Allerdings liegt das Dunkel nicht nur innen auf der Seele des Menschen, sondern auch tatsächlich auf der wirklichen Welt. Es kann der Mensch vieles nicht reimen mit der Liebe Gottes; das hängt eben mit dem Fluch zusammen, der um der Sünde willen auf der Erde liegt. Im Ganzen aber ist richtig, dass die Offenbarung Gottes in Christo den tiefsten Bedürfnissen unseres Herzens und unserer besseren Natur, den Verheißungen des alten Bundes und der Sehnsucht der Heidenwelt wunderbar entspricht. Der Mensch mit all seinem Elend und seinem Idealismus, der wohl ein Zeugnis gegen jenes, aber keine Rettung aus demselben ist, ist sozusagen die Frage, und Christus ist die Antwort, ist der Schlüssel der dunklen, widerspruchsvollen Rätsel des Daseins. Wer daher vom Schein und der Zerstreuung der Äußerlichkeit zu sich selber in die wahre Innenwelt kommt, wird dadurch weiter zu Christus und durch Christus zu Gott geführt. Wie die Weltgeschichte nur eine große Tatsache ist, die zum Himmel schreit, so ist das Christentum nur eine große Tatsache, die von Himmel schreit und den im Glauben gefangen nimmt, der nicht dagegen verhärtet oder verblendet ist. Der Ernst des Lebens und des Todes ist es, der manchen zu sich selber bringt und den Selbsttäuschungen der Eitelkeit entreißt. Daher werden die Ungläubigen beim Sterben oft wieder gläubig, wie schon Plinius und Plato bemerkt haben, und damit übereinstimmend sagt Shakespeare: „Die Wahrheit atmet, wer schwer atmend spricht.“ Für die Wahrheit des Christentums spricht besonders auch der Umstand, dass, während alles Böse die Natur mit Furcht erfüllt hat, kein Christ über seinen Glauben Reue empfindet. Eine innere Ruhe und Freudigkeit, sowie eine gewisse Konformität und Harmonie mit allen wirklichen Lebensordnungen kehrt mit dem christlichen Glauben beim Christen ein. Dieser innere Halt und die Taten der Christen finden mehr Schüler, als die Worte der gegnerischen Weisen. Und was das Wort der ersten und aller wahren Zeugen des Christentums betrifft, so findet darauf der schöne Ausspruch Fenelons seine Anwendung: „Der allein verdient gehört zu werden, dessen Wort nur dem Gedanken, dessen Gedanke nur der Wahrheit und der Tugend, unserem Heil und nicht Seiner eitlen Glorie dient.“

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