Monod, Adolphe - Abschiedsworte - Die Dreieinigkeit.

Monod, Adolphe - Abschiedsworte - Die Dreieinigkeit.

(Den 16. März 1856)

Röm. 8,12-17.
So sind wir nun, liebe Brüder, Schuldner, nicht dem Fleisch, dass wir nach dem Fleisch leben. Denn wo ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Derselbige Geist gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi; so wir anders mit leiden, auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

Die Heilige Schrift ist weise, selbst wenn sie schweigt. Ihr würdet vergebens suchen, wo in derselben das Wort „Dreieinigkeit“ steht, um die Lehre zu bezeichnen, über welche ich Euch gern, wenn mir Gott Kraft verleiht, einige Worte sagen möchte. Warum? Weil das Wort Dreieinigkeit in uns die Vorstellung von etwas Spekulativem hervorrufen würde, während diese Lehre, die erst später von der menschlichen Theologie und zwar sehr gut Dreieinigkeitslehre benannt wurde, mit am meisten auf unser Tun und unser Herz Bezug hat, denn sie ist der eigentliche Ausdruck der Liebe, die in Gott ist, sowohl in seinem Verhältnis zu der Menschheit, als im inneren Verhältnis seines Wesens. Der Grund unseres Heiles liegt in der Liebe Gottes. „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt;“ Gott ist die Liebe, und diese Liebe hat sich und in dem Werk unserer Erlösung geoffenbart; aber sie hat sich uns kund getan nicht bloß als die erlösende, sondern als eine von aller Ewigkeit her im Herzen Gottes vorhandene, die seine Seligkeit bewirkt, noch ehe sie die unsrige und die aller seiner gläubigen Geschöpfe bewirkt.

Will man sich Rechenschaft geben von der Art und Weise, wie die Liebe Gottes gegen seine armen verlorenen Geschöpfe verfährt, um ihnen das ewige Leben zu geben, das sie durch ihre Werke verloren haben, so hat man nur ganz einfach die geschichtliche Ordnung zu verfolgen, in welcher Gott und seine Offenbarungen geschenkt und die Heilige Schrift seinen Aposteln, wie zuvor den Propheten, eingegeben hat. So finden wir zuerst den Gott des Alten Testamentes, dann den Gott der Evangelien, den Gott der Episteln und der evangelischen Offenbarung.

Im alten Testamente lernen wir schon, was hinreichen müsste, unsere Herzen mit Freude zu erfüllen (o mein Gott! entfalte deine Stärke in meiner Schwäche!…) - wir lernen darin, was hinreichend sein müsste, um unsere Herzen mit Freude zu erfüllen: dass nämlich, so sehr wir uns auch seiner Liebe unwürdig gemacht haben, Gott uns doch immer geliebt hat. Wir hätten tausend und aber tausend Mal verdient, dass er sich als unser Feind erklärte: und wenn Jemand von diesem Gedanken nicht durchdrungen ist, so darf er nur die Propheten, besonders Hesekiel lesen; diese sind ganz voll von der schrecklichen Lehre der Gerichte Gottes, welche die Israeliten durch ihre Übeltaten auf sich herabgezogen haben, welche diese aber nicht mehr verdient hatten als die übrige Menschheit, für die ihre Geschichte gleichsam ein Spiegel ist. Doch seht nun, anstatt sich gegen uns zu erklären, erklärt sich Gott für uns und wir vernehmen, dass wir, wo wir nur ein volles Maß des Zorns erwarten durften, ein volles Maß der Barmherzigkeit finden. Der allmächtige Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, der Urheber der sichtbaren und unsichtbaren Welt, ist ganz und gar für uns; er verlangt nur uns zu retten; und wer auf seine Absichten eingehen, seine Sünden bekennen und sich seiner Gnade unterwerfen will, wird das ewige Leben haben, als wenn er gar nicht gesündigt hätte; oder er wird es vielmehr haben als einstmaliger, aber versöhnter Sünder, und wird von Neuem sich der Barmherzigkeit erfreuen, die in Gott ist. So offenbart sich uns Gott im Alten Testament und die schwere Last des göttlichen Zorns wird überall getragen und durchbrochen von der göttlichen Liebe; die nämlichen Propheten, welche die schrecklichen Gerichte Gottes ankündigen, können es selbst nicht ertragen, lange so zu reden, und endigen immer mit Worten der Barmherzigkeit. Dies könnt Ihr in besonders auffallender Weise bei Micha sehen, der, so kurz er ist, mit einer bewundernswürdigen Vollkommenheit den Ratschluss, der Verdammnis der Weissagung und des Heils entwickelt, in welchem er schließlich ausruht.

Nun kommen die geweissagten Evangelien. Gott tut nun einen Schritt weiter: er nähert sich uns, es ist ihm nicht genug, uns gleichsam von ferne zu erklären, dass er für uns sei; er kommt ganz nahe, um unter uns zu leben, wie einer von uns, als Menschensohn, aus der Zahl der Menschen genommen, so sehr er Gottessohn ist; und nachdem er für uns gewesen ist, ist er nun unter uns, ganz nahe bei uns, wie ein Freund und ein Bruder, mit dem wir nach dem Ausdruck des 55sten Psalms „freundlich sein können.“ Gott zeigt sich uns nun unter einer noch viel lieblicheren und tröstenderen Gestalt, als im Alten Testament, besonders nachdem uns dieser Freund und Bruder die Lehre von Gottes Gerechtigkeit und Gnade vollends geoffenbart hat, da er für uns am Kreuz starb und unsere Sünden tilgte. Aber während sich ein so zartes Verhältnis Gottes zu uns entwickelt, entwickelt sich ein anderes Verhältnis in Gott selbst: wir erfahren, dass der, welcher uns erkauft, der Sohn dessen ist, der uns erlösen will, und dass zwischen Gott, wie er sich in alten Testament gezeigt hat und wie er in den Evangelien erscheint, das zärtliche Verhältnis eines Vaters zu seinem Sohn herrscht: ein Verhältnis, das wir in Gott nicht bis auf den Grund erforschen, aber an dem wir wenigstens merken können, dass es etwas unaussprechlich Zartes und zugleich Geheimnisvolles ist. Achtet wohl darauf: keines dieser Verhältnisse ist möglich ohne das andere; wir werden nie begreifen, was Gott für uns in Jesu Christo ist, wenn wir nicht ahnen, was Christus für Gott ist, umso mehr da hierin etwas liegt, das uns nicht entgehen darf. Wir begreifen den Geist der Liebe in seiner Fülle nur als Geist des Opfers: in Gott nun kann es, wie es scheint, kein Opfer geben; denn was könnte man von einem einzigen Augenblick seiner ewigen Seligkeit wegnehmen? Aber siehe da in der Person seines Sohnes gibt uns der Herr der Herrn das Beispiel des Opfers; der Sohn des Vaters ist zugleich „Schmerzensmann“, und da wo „die ganze Fülle der Gottheit gewohnt hat leibhaftig,“1) entfaltet sich vor unserem dankbar gerührten Blick die unsägliche Menge der Schmerzen, deren die Menschheit fähig ist, deren sie aber nur in dieser Vereinigung mit der Gottheit fähig ist. Und seht Ihr nicht, dass diese so ergreifende Lehre sich spurlos auflöst, wenn der Sohn nicht Eins mit dem Vater ist und dass Alles, was unsere Liebe und Dankbarkeit gegen den Herrn Jesum Christum rege macht, nur daran hängt, dass er wirklich Sohn Gottes, d. h. Gott ist, wie er Menschensohn, d. h. Mensch ist?

Es folgen nun die Briefe und die evangelische Prophetie; und wie beginnen sie? Mit dem Herabsteigen des Heiligen Geistes, der die Kirche gründet, eben indem er sich über sie verbreitet. Das ist der dritte und letzte Schritt, denn es ist kein anderer denkbar, den Gott zu seiner gefallenen Kreatur hin tut. Er war mit ihr und kommt nun, in ihr Wohnung zu machen und sich so Eins mit uns zu machen, dass er aus diesen armen, aus Staub geborenen und zu Knechten der Sünde gewordenen Leibern Tempel seines Geistes macht, eine Wohnung Gottes bildet, wo er Lust hat zu ruhen. Der Heilige Geist, d. h. Gott kommt, um sich und zu schenken, nachdem er für uns gewesen war im Alten Testament, mit uns in den Evangelien: dies ist die letzte Überschwänglichkeit der göttlichen Liebe, die sich nicht damit befriedigen kann, Eins mit uns geworden zu sein, und in uns zu wohnen, „er in uns und wir in ihm.“ Und nun achtet noch einmal darauf, meine lieben Freunde: die ganze Kraft dieser Lehre des Lebens verschwindet, wenn der Heilige Geist, anstatt Gott selbst zu sein, nur ein Ausfluss Gottes, nur eine Handlung Gottes, nur eine Gabe Gottes wäre; denn das Alles wäre dann nur eine Erinnerung an das, was wir schon hinlänglich aus dem Alten Testament und aus den Evangelien über die Macht und Gnade wissen, welche uns Gott mitteilen kann und will; während der Heilige Geist, so wie er sich uns in den Briefen, am Schluss des neuen Testamentes und in den Verheißungen Jesu Christi an seine Jünger offenbart, Gott selbst ist, das heißt die Macht Gottes, die uns stärkt, der Friede Gottes, der uns tröstet, die Heiligkeit Gottes, die uns vom Bösen befreit, das Leben Gottes, welches der Pulsschlag unseres Herzens ist. - wer vermochte den unermesslichen Fortschritt vom letzten Kapitel des Evangeliums zum ersten Kapitel der Apostelgeschichte zu ermessen und zu begreifen, und sich Rechenschaft zu geben von dem bewunderungswürdigen Gang der Offenbarung und der göttlichen Gaben in den drei Teilen der Heiligen Schrift, welche wir, ach leider zu rasch für diesen Gegenstand, durcheilt haben, aber zu langsam für die geringen Kräfte dessen, der zu Euch redet! Eine wunderbare Erscheinung, welche ich nur andeuten kann! Das Verhältnis des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zum Menschen entspricht einem Verhältnis des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes in Gott selbst, und die Liebe, welche sich ergießt, um uns zu erlösen, ist der Ausdruck der von Ewigkeit in Gottes Herzen wohnenden Liebe. Ach! wie ergreifend und unergründlich wird nun die Lehre, welche wir betrachten; in ihr liegt die Grundfeste des Evangeliums, und wer sie als eine spekulative und rein theologische Lehre verwirft, hat nie etwas davon verstanden; sie ist die Kraft unseres Herzens, die Freude unserer Seele, das Leben unseres Lebens, ja der Grundstein der geoffenbarten Wahrheit.

Ich muss hier einhalten, und was ich noch gern hinzugefügt hätte, Eurer eigenen Betrachtung überlassen; ich erinnere Euch zum Schluss nur noch an ein Wort, welches ich oft auf der Kanzel angeführt habe, welches aber Einige von den hier Anwesenden vielleicht nicht gehört haben, ein Wort, das wunderbar schön diese ganze Lehre kurz zusammenfasst. Ein Kirchenvater sagte: „Wir haben im Alten Testament Gott für uns, in den Evangelien Gott mit uns, in der Apostelgeschichte und den Briefen Gott in uns.“ Diesen Gott für Euch, mit Euch und in Euch, den Vater, den Sohn und den heiligen Geist wünsche ich Euch wie mir selbst zum Leben und zum Sterben, aus der tiefsten Tiefe meines Herzens, das Euch in Jesu Christo liebt!

1)
Kol. 2,9
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