Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - VII. Von der Ankunft und dem Empfang der gläubigen Seele bei den Pforten des Paradieses.

Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - VII. Von der Ankunft und dem Empfang der gläubigen Seele bei den Pforten des Paradieses.

Der ewige Vater wartet auf die Auserwählten wie auf seine Kinder; der Sohn wie auf seine Brüder; der heilige Geist wie auf seine lieblichen Tempel. (Cyrillus.).

Aus dem ersten Buche der Könige im 10. Kap. ist offenbar, dass alle Herrscher im Morgenlande die Macht des Salomo gefürchtet, seine Weisheit geehrt, seinen Reichtum gepriesen haben. Die Pracht des Palastes aber, die Ordnung der Diener, den Schmuck der Kleider, die Geschäftigkeit der Schenken, die Lieblichkeit der Sänger und die Menge der Brandopfer im Hause des Herrn haben sie mit besonderer Verwunderung angeschaut.

Diese Herrlichkeit hat die Königin aus dem Reiche vom Mittag bewogen, dass sie mit stattlichem Volke und köstlichen Geschenken sich aufmacht und der Stadt Jerusalem zueilt. Diese Stadt war damals ein Ebenbild des Paradieses, die Residenz des Königs, die Schule der Weisen, ein Tempel des Gottesdienstes, die Königin aller Länder. Sie hatte eine Menge glücklicher Bürger, reichgesegnete Äcker und Weinberge, wohlgebaute Paläste und Häuser, starke Mauern und Türme und einen unermesslichen Reichtum an Gold und Silber. Zu diesem irdischen Jerusalem wallt die Königin von Saba. Sie übersteigt hohe Berge und durchzieht tiefe Täler. Sie überschifft große Gewässer und durchwandert weite Felder. Es werden ihr die Tage zu Monaten und Jahren, so sehnt sie sich, den mächtigen und weisen König Salomo und seine Herrlichkeit zu schauen.

Das hat getan eine heidnische Königin um einen irdischen König: welch heilige Begierde und unaussprechliches Verlangen wird nun die auserwählte Seele ergreifen, ihren himmlischen König und die heilige Stadt zu sehen. Obwohl sie in heiliger, holdseliger Gesellschaft eilend dahin fährt, will sie doch die Geschwindigkeit ein Verzug und der Flug des himmlischen Triumphwagens fast ein Stillstehen bedünken, ehe sie anlangt. Und ihre Sehnsucht und Freude wird um so größer, je näher sie dem Paradiese kommt. Denn gleichwie eine große Stadt, aus weiter Ferne erblickt, klein erscheint, aber ihre Größe und Schönheit dem Auge immer mehr entfaltet, je näher man kommt: so schaut auch die auserwählte Seele je näher je deutlicher eine immer zunehmende Herrlichkeit des Paradieses. O ihr Pilgrimme dieser Welt, gedenkt doch dieser seligen Freude! Wenn Abraham mit inniglicher Herzenslust die Worte Gottes gehört, da Er sprach: „Hebe deine Augen auf und siehe von der Stätte an, da du wohnst, gegen Mitternacht, gegen Mittag, gegen Morgen und gegen Abend; alles Land, das du siehst, will ich dir geben und deinem Samen ewiglich;“ wenn Abraham mit inniglicher Herzensfreude beschaut hat die Schatten der Wälder, die Früchte der Felder, die Gipfel der Berge, die Menge der Städte: mit welch seliger Freude wird nun die Seele die Stadt der Ewigkeit beschauen! Was dem Abraham verheißen, hat sie ererbt. Sie kann sich nicht enthalten; sie muss ausbrechen und rufen: „Das ist der glückselige Hafen, in welchen die mühseligen Wellen des zeitlichen Jammers mich geworfen! Das ist das Vaterland, in welches mich die Verfolger und Feinde verwiesen! Das ist das Erbe, welches mir die Abgünstigen gelassen! Das ist das Wohlleben, zu welchem mich die Geizigen durch ihre Kargheit geladen! Das ist die Wohnung, in welche mich die Tyrannen durch ihre Grausamkeit gejagt! Das ist der Garten Eden, den mir Gott der Vater geschenkt, Gott der Sohn erworben, Gott der Heilige Geist kräftig zugeeignet hat! Er hat alles wohlgemacht. Er hat mir meinen Sack ausgezogen und mich mit Freuden gegürtet. Er hat mir meine Klagen verwandelt in einen Reigen, auf dass Ihm lobsinge meine Ehre und nicht still wäre. Herr, mein Gott, ich will Dir singen in Ewigkeit (Ps. 30,12.13.). O du bleibende Stätte! dich grüße ich! du himmlisch Jerusalem! tue auf Deine Tore! Öffne die Pforten deiner Bürgerin, welche nach dir in Traurigkeit geweint und in Fröhlichkeit geseufzt hat!“

In solch seligem Entzücken langt die Seele bei den Pforten des Paradieses an. Und nun kommen herabgefahren die Engel des Himmels mit großem Jubel und schwingen sich um den feurigen Wagen, die auserwählte Seele Jesu Christi ganz holdselig zu empfangen.

Mit Verwunderung denke ich diesen Dingen nach, ich rede mit meinem Herzen und mein Geist muss forschen, wie groß diese Ehre zu schätzen sei, und kann es nicht ergründen. Wenn der mächtigste König der Erde einen armen Bettler, der um Missetat willen in einem Turm gefangen liegt, aus lauter Gnade und großer Liebe an Kindes Statt annimmt und ihm das Reich anbietet; schickt darauf eine angesehene Botschaft aus den vornehmsten Fürsten, Grafen und Herren seines Hofes mit prächtig geschmückten Wagen, wohlgerüsteten Reisigen, schön gezäumten Rossen nach dem Gefängnis, den armen Bettler abzuholen und mit allen Ehrenbezeugungen in die königliche Burg zu bringen; und der arme Lazarus käme hervor aus der finstern Nacht, aus dem verschlossenen Turme an den hellen Tag, auf die freie Straße; die Fürsten, Grafen und Herren ehren ihn mehr als königlich; verkünden ihm in freudiger Rede des Königs Gnade, wünschen Glück zu solcher Erhöhung und sehen ihn endlich in fröhlichem Triumph auf einen güldenen Wagen und fahren unter dem Schall der Trommeten, unter Jauchzen und Frohlocken der ganzen Menge nach der Burg, um da den neuen Gast vorzustellen und einzuführen; wenn, sage ich, ein mächtiger König einen Bettler also ehrte - wie hoch wäre diese Ehre zu schätzen! Ja wenn ein König den ganzen Erdkreis beherrschte und die Könige der Erde sendete, den armen Lazarus abzuholen: wie hoch wäre diese Ehre zu schätzen! Es mag sie aber achten, wer da will: es ist doch gegen das, was der himmlische Vater der auserwählten Seele tut, alles nur ein Schein und Schatten. Die auserwählte Seele wird aus dem Kerker des Leibes abgeholt von Engeln und Erzengeln, mit unaussprechlichem Triumph gen Himmel geführt und aufs holdseligste empfangen.

Tun das die Engel, so werden auch andere Bewohner der ewigen Stadt nicht säumig sein, vornehmlich Blutsverwandte und Freunde der ankommenden Seele. Wenn eine Mutter ihrem Sohn, der von einer gefährlichen Reise nach langen Jahren endlich zurückkehrt, mit großer Freude entgegeneilt und mit Frohlocken alle Hausgenossen herbeiruft: wie vielmehr wird solches von den seligen Bürgern des himmlischen Jerusalems geschehen, wann die auserwählte Seele, die sie viel inbrünstiger lieben, als eine Mutter ihren Sohn, von der viel gefährlicheren Reise der irdischen Pilgrimschaft im Hafen des ewigen Vaterlandes anlandet! In der Fülle ihrer Freude werden sie herzueilen und die neue Himmelsbürgerin begrüßen. Da wird es heißen: „Das ist der Prediger, der mich gelehrt; und das der Zuhörer, der mir gefolgt. Das ist der Lehrer, der mich unterrichtet; und das der Schüler, der fleißig gelernt. Das ist der Landesherr, der mich geschützt; und das der Untertan, der mich geehrt. Das ist der Herr, der mich ernährt; und das der Knecht, der mir gedient. Das ist der Vater, der mich erzogen; und das die Mutter, die mich gesäugt. Das ist das fromme Kind, das uns gehorcht; und das der Bruder, der uns geliebt. Und das ist der Freund und das der Barmherzige, der mich Hungrigen gespeist, mich Durstigen getränkt, mich Nackenden bekleidet, mich Traurigen getröstet, mich Vertriebenen beherbergt, mich Gefangenen besucht, mich Kranken gepflegt hat.“

Dass nämlich die Auserwählten sich unter einander in dem ewigen Leben kennen und erkennen werden, hat der heilige Mann Gottes Lutherus wenige Stunden vor seinem seligen Hintritt mit stattlichem Grunde erwiesen. Er sagt: „Da Adam die Eva alsbald erkannte, die er doch nie gesehen hatte: wie vielmehr werden die Auserwählten diejenigen erkennen, welche sie in diesem Leben gesehen und gekannt haben.“- Erkannte doch der reiche Mann (Luk. 16.) mitten in der Hölle und in der Qual den armen Lazarus und den Patriarchen Abraham, obwohl sie im Himmel waren. Erkannte doch Maria Magdalena den Herrn Christus im Garten, wiewohl Er eine andere Gestalt angenommen hatte. Erkannte doch Stephanus den Herrn Christus im Himmel zur Rechten des Vaters, wiewohl er noch auf Erden war. Erkannte doch der Apostel Petrus bei der Verklärung des Herrn die zwei Wundermänner Moses und Elias, die er zuvor nie gesehen hatte, obschon er nur ein wenig in die Herrlichkeit des ewigen Lebens blickte. Wie viel mehr werden die Auserwählten im Paradiese einander kennen, wo sie zum Stande der Vollkommenheit gelangt sind, wo sie in das ewige Leben nicht bloß ein wenig blicken, sondern vollständig eingegangen sind und es mit offenem Verstande und freien Sinnen schauen!

Darum darf sich die gläubige Seele bei ihrer Himmelfahrt durchaus keine Besorgnis machen, als ob sie unter ein fremdes, unbekanntes Volk gebracht werde. Die ganze Schar wird die ankommende erkennen und die ankommende wird die ganze Schar erkennen. Da ist keine Nachfrage vonnöten; woher dieser, von wem jene sei; sondern da heißt es: jetzt zeucht ein mein Vater; jetzt fährt daher meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester, mein Bräutigam, meine Braut, mein Sohn, meine Tochter, mein Mann, mein Weib; Gott sei gelobt! Der Name des Allerhöchsten sei gebenedeit, dass er die Welt verlassen, und nicht von Jerusalem nach Jericho unter die Teufel, sondern von Jericho gen Jerusalem unter die Engel gelangt ist. Gleich wie man nach getaner Arbeit schlafen geht und nach der Nacht Ruhe seine Mitgesellen nicht vergisst, sondern am frühen Morgen noch kennt: so wird auch durch den Todesschlaf das Gedächtnis und die Erkenntnis in den Auserwählten nicht nur nicht ausgelöscht, sondern bleibt fest und wird noch reichlich vermehrt.

Die Gottlosen achten diese helle Wahrheit für eine Fabel; und die Lästerer machen aus dieser Herrlichkeit einen Spott. Wir aber frohlocken:,, was wird das für ein Tag sein, wann uns die heilige Mutter des Herrn entgegen kommt, umgeben von den Chören der heiligen Jungfrauen; wann sie, wie Mirjam, am roten Meere das Siegeslied anhebt und singt: „Lasst uns dem Herrn singen, denn Er hat eine herrliche Tat getan.“ Alsdann wird das Weib dem Manne, der Mann dem Weibe, der Vater dem Kinde, das Kind dem Vater, der Bräutigam der Braut, die Braut dem Bräutigam in die Arme laufen. Die Engel werden sich verwundern und ausrufen: „Wer ist, die hervorbricht, wie die Morgenröte, schön wie der Mond, auserwählt wie die Sonne, schrecklich, wie Heeresspitzen? Dann werden die Töchter dich sehen und selig preisen; die Königinnen und Fürstinnen werden dich loben (Hohel, 6,8-9.). Dann werden heilige Kinder die Palmen des Sieges in den Händen tragen, sie emporheben und mit vollem Munde singen: Hosianna in der Höh! Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höh!“

Herr Jesu, Du hast zu Deinen Jüngern, die ob Deines Abschiedes mit großer Traurigkeit umfangen waren, gesagt: den Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch! Herr Jesu, an diesem teuren Geschenk lassen wir uns sehr wohl begnügen und nehmen es an mit danksagendem Munde und demütigem Herzen. Die unendliche Ehre, die allmächtige Heiligkeit, die ewige Majestät behalte für Dich; schenke mir nur Deinen Frieden, dass ich ihn mit allen Auserwählten besitzen möge. Amen.

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