Luther, Martin - Sichtbare und unsichtbare Kirche

Luther, Martin - Sichtbare und unsichtbare Kirche

Aus der Schrift „Vom Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig“, 1520. Zitiert nach Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1887 ff. 6, 295ff.

Der heilige Paulus sagt Kol. 2, daß unser Leben nicht auf Erden, sondern mit Christus in Gott verborgen ist. Denn wenn die Christenheit eine leibliche Versammlung wäre, so könnte man einem jeden an seinem Leibe ansehen, ob er ein Christ, ein Türke oder ein Jude sei, so wie ich einem an seinem Leibe ansehen kann, ob er Mann, Weib oder Kind, ob er schwarz oder weiß sei. Ebenso kann ich in einer weltlichen Versammlung sehen, ob da ein Mensch in Leipzig oder in Wittenberg, hier oder da mit anderen versammelt ist, aber gar nicht, ob er glaubt oder nicht. Darum muß man, wenn man nicht irren will, das festhalten, daß die Christenheit eine geistliche Versammlung der Seelen in einem Glauben ist und daß niemand um seines Leibes willen für einen Christen zu halten ist, damit man wisse, daß die eigentliche, rechte, wesentliche Christenheit im Geiste bestehe und in keinem äußerlichen Ding, wie es auch heißen mag. Denn alle anderen Dinge kann ein Unchrist haben, ohne durch sie zu einem Christen zu werden, ausgenommen den rechten Glauben, der allein zum Christen macht.

In diesem Sinne und in keinem anderen redet die heilige Schrift von der heiligen Kirche und der Christenheit. Daneben aber gibt es einen anderen Sinn, in dem man von Christenheit reden kann. Nach ihm nennt man „Christenheit“ eine Versammlung in einem Hause, einer Pfarre, einem Bistum oder Erzbistum oder unter dem Papsttum. In solch einer Versammlung haben die äußerlichen Gebärden wie Singen, Lesen und Meßgewänder ihre Stelle. Und vor allen Dingen nennt man hier „geistlichen Stand“ die Bischöfe, Priester und Ordensleute. Man nennt sie so nicht um ihres Glaubens willen - den sie vielleicht gar nicht haben - sondern weil sie äußerlich gesalbt sind, Kronen und besondere Kleider tragen usw. Es wird zwar den Worten „geistlich“ oder „Kirche“ Gewalt angetan, wenn mit ihnen solch äußerliches Wesen bezeichnet wird, während sie doch allein den Glauben betreffen, der in der Seele wahrhaftig geistliche Menschen und Christen schafft. Aber der Brauch hat überhand genommen und hat viele Seelen verführt und in Irrtum verstrickt, so daß sie meinen, solch äußerliches Glänzen sei der geistliche und wahrhafte Stand der Christenheit oder der Kirche.

Darum wollen wir zu besserem Verständnis um der Kürze willen die zwei Kirchen mit verschiedenen Namen nennen. Die erste, die aus der Sache herauswächst, im Tiefsten gegründet, wesentlich und wahrhaftig ist, wollen wir „geistliche, innerliche Christenheit“ heißen. Die andere, gemachte und äußerliche wollen wir „leibliche, äußerliche Christenheit“ nennen. Nicht als wollten wir sie voneinander trennen, sondern sie gehören zusammen, wie wenn ich von einem Menschen rede und ihn nach seiner Seele einen geistlichen, nach seinem Leibe einen leiblichen Menschen nenne. So ist es auch mit der Versammlung der Christen: Nach ihrer Seele ist sie eine Gemein de, einträchtig in einem Glauben; nach dem Leibe kann sie sich zwar nicht an einem Ort versammeln, aber jede Gruppe versammelt sich an ihrem Ort.

Diese (leibliche) Christenheit wird durch das geistliche Recht und durch Prälaten regiert. Zu ihr gehören alle Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Prälaten, Priester, Mönche, Nonnen und alle, die nach ihrem äußerlichen Wesen für Christen gehalten werden, mögen sie von Grund aus wahrhaftige Christen sein oder nicht. Denn obwohl die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinde nicht zum wahren Christen macht, weil alle die genannten Stände auch ohne den Glauben bestehen können, so bleibt diese Gemeinde doch niemals ohne einige, die daneben auch wahrhaftige Christen sind; ebenso wie der Leib zwar nicht schafft, daß die Seele lebt, und doch die Seele im Leibe, aber auch ohne den Leib lebt.

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