Luthardt, Christoph Ernst - Am ersten Adventssonntag

Luthardt, Christoph Ernst - Am ersten Adventssonntag

Wie soll ich dich empfangen
und wie begegn’ ich dir,
o aller Welt Verlangen,
o meiner Seelen Zier?
O Jesus, Jesus, setze
mir selbst die Fackel bei,
damit, was dich ergötze,
mir kund und wissend sei.

Dein Zion streut dir Palmen
und grüne Zweige hin,
und ich will dir in Psalmen
ermuntern meinen Sinn.
Mein Herze soll dir grünen
in stetem Lob und Preis
und deinem Namen dienen,
so gut es kann und weiß.1)

Wir begrüßen Dich, wir benedeien Dich, wir lobsingen Deinem Namen, Du Höchster! Du hast besucht und erlöst Dein Volk und lässt uns schauen das Licht Deines Heils. Wir waren verirrt von unserem Gott, wir waren verloren ohne Dich. Da bist Du uns begegnet auf unsren Wegen und bist herabgestiegen zu Deinen Menschenkindern. Wie teuer sind wir vor Dir geachtet, dass Du Dich unserer so angenommen hast! Wir begrüßen Dich, wir benedeien dich, wir lobsingen Deinem Namen, Du Höchster! Dass unsere Seelen Dir begegnen möchten auf Deinen Wegen! Richte sie zu, dass sie sich willig zu Dir schicken, und bereite Deine Steige in uns selber. Wir tun unsere Herzen weit auf gegen Dich. Schmücke sie zu Deinem Tempel; gib Du uns Deine Palmen in die Hände und sage Frieden zu Deinem Volk, dass wir mit Freuden Dir entgegenziehn. Wir begrüßen Dich, wir benedeien Dich, wir lobsingen Deinem Namen, Du Höchster! Amen.

Ev. Matth. 21,1-9.
Da sie nun nahe bei Jerusalem kamen gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zween, und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihr; löst sie auf, und führt sie zu mir. Und so euch Jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf, dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig, und reitet auf einem Esel, und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin, und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte; und brachten die Eselin, und das Füllen, und legten ihre Kleider darauf, und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die anderen hieben Zweige von den Bäumen, und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohne Davids; gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

In dem Herrn Jesu Christo Geliebte! Es feiert die Kirche heute einen festlichen Tag. Sie beginnt die Zeit, darin sie der Ankunft des Herrn im Fleisch gedenkt und sich rüstet, ihn würdig zu empfangen. Da der Herr kam, ist, die Welt neu geworden; darum beginnt sie mit Advent ein neues Jahr. An den letzten Sonntagen des Kirchenjahrs heißt sie uns denken an das Ende. Ihre Texte alle reden vom Ende. Wir denken an das Ende der Welt, wir denken an unser eigenes Ende und feiern das Gedächtnis unserer Toten. Mit ihnen begraben wir alle irdische Freude und Lust. Aber nicht als Solche, die keine Hoffnung haben. Wir stehen auf vom Staub und unsere Seele erhebt sich von den Todesgedanken und begrüßet den, welcher Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat. Es ist nicht bloß, wie wenn im gewöhnlichen Weltlauf Jahr an Jahr sich reiht, wie die Glieder einer langen Kette der Vergänglichkeit. Hier ist offenbar geworden die Macht wahrhaftigen Lebens und die Morgenröte eines neuen Tages angebrochen, da die Sonne der anderen Welt uns ewig leuchtet. Das ist geschehen mit der Ankunft Christi im Fleische. Als die Welt dem Tod verfallen war, ist Christus gekommen. Wenn sie völlig dem Tod anheimfallen wird, dann wird er wieder kommen. Und wenn der innere Mensch sich in den Tod der Buße gibt, dann will Christus kommen im Geist. Unser Text predigt lieblich und mächtig vom Kommen des Herrn. Er ist gekommen; Er kommt; Er wird kommen.

1. Er ist gekommen.

So triumphiert der Glaube. Es ist ein eigentümlicher Hauch über das heutige Festevangelium gebreitet; es weht der Geist des Friedens daraus uns an. Wie so ganz anderen Eindruck macht es doch heute auf uns als am Palmsonntag! Dort in der Zeit der Passion schwebt uns auch in der Freude des Einzugs das Kreuz vor Augen und wir können die Tränen nicht vergessen, die Jesus um Jerusalem geweint hat. Heute stimmt unsere Seele mit ein in die Freudenrufe, und höher hebt sich unser Herz ihm entgegen.

Wer möchte nicht dabei gewesen sein? Dort von Bethanien her kommen sie, ihn geleitend; hier aus den Toren Jerusalems ziehen sie hinaus, ihn zu begrüßen. Denn

Was der alten Väter Schar
Höchster Wunsch und Sehnung war,
Und was sie geprophezeit,
Ist erfüllt nach Herrlichkeit.

Von Anfang der Welt her hat man auf ihn gewartet. Als Eva ihren ersten Sohn gebar, begrüßte sie in ihm den Anfang des Heils; und als Noah geboren wurde, der zehnte in der Reihe der Väter der Urzeit, hoffte von ihm Lamech, sein Vater, dass er Ruhe bringen werde vom Leid dieses Lebens. In den Tagen Mosis, des Knechtes Gottes, schaute Bileam im Geist den Stern aufgehen aus Jakob; und Josua brachte das Volk in das Land, darin es zu seiner Ruhe kommen sollte. David hat geeifert um das Haus Jehovas, dass er Israel zum rechten Gottesvolk mache; und in Salomo sah man den Anbruch der Friedenszeit. Jesaja schaute die Herrlichkeit des Zukünftigen und alle Propheten weissagten von seinem Tag. Daniel sah den Menschensohn auf den Wolken; und Maleachi schloss die Stimme der Weissagung mit der Verheißung vom Kommen des Herrn. Aber der Mund der Propheten verstummte, und das Heil verzog; vierhundert Jahre lang wartete man vergebens, und noch heute wartet Israel, der Zeuge der Gottesweissagungen, auf ihre Erfüllung. Da trat der Täufer auf, ein Prophet, die Stimme des Herolds. Neue Hoffnung, Erwartung, Verlangen ward rege. Aber wie still war der Wandel Jesu des Sohnes Davids! Selbst der Täufer ward irre an seinem Tun. Ist das der König des Himmelsreichs? Wo bleibt das Reich, das verheißene? Da endlich, endlich zieht er ein am hohen Fest, in die Hauptstadt seines Volks und lässt sich begrüßen als König. Wie schlugen die Herzen der Jünger vor Freude, vor Hoffnung! Wie erregte sich das ganze Volk! Schon oftmals, Jahrhunderte lang, hatte man die Festpilger mit dem 118. Psalm begrüßt: „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn. Wir segnen euch, die ihr vom Haus des Herrn seid.“ Es war immer eine Weissagung geblieben; jetzt ist es Wahrheit geworden. Jetzt kommt der Herr zu seinem Tempel. Und der Geist Gottes ergreift die Jünger, ergreift das Volk, dass sie ihn begrüßen mit dem Gruße, dessen reicher Inhalt bis auf die Wiederkunft Christi hinausschaut. Wer möchte nicht dabei gewesen sein?

Aber das Bild hat noch eine andere Seite. Was ist das für ein König, der einzieht! Auf einem entlehnten Eselsfüllen reitet er, auf einem unberittenen; es ist so jung noch, dass man die alte Eselin vor ihm her führen muss, damit es weiter gehe. Nur einige Kleider breitet man schnell darüber zum Sitz; ohne Bequemlichkeit, nur zur Notdurft. Arme Galiläer sind sein Geleite. Das ist sein Königseinzug. Arm und demütig kommt er zur Tochter Zion.

Und wohin geht der Zug? Ist es nicht das Jerusalem, das da tötet die Propheten und steinigt die zu ihm gesandt sind? Sind nicht zur Seite des Weges die Gräber der Propheten? Ja, so ist es. Zum Tode zieht er ein in Jerusalem. Ich dachte, es sei der Weg zum Throne; nun ists der Weg zum Kreuz, den er geht. Wohl führt er auch zum Königsthron. Aber welchen Leidensweg hat er erst noch zurückzulegen, welch dunkles Tal!

Und warum Geliebte? Auf, dass wir sein eigen würden. Es ist der König, der kommt; aber er muss uns erst ihm zu eigen machen, erobern, erkaufen. Und mit welchem Lösegeld! Sein teures Blut, sein heiliges Leben, seine selige Gottesgemeinschaft ist der Preis. So erkauft er uns von den Tyrannen, denen wir sonst untergeben sind: Welt, Sünde, Tod und Teufel. Was sollte aus uns werden, wenn Er uns nicht befreite? wer sollte uns helfen, wenn Er sich nicht zum Helfer stellte? was sollte uns retten vom Verderben, wenn Er nicht einträte an unserer Statt? Aber getrost! Er ist gekommen.

Ich lag in schweren Banden,
Du kommst und machst mich los;
Ich stund in Spott und Schanden,
Du kommst und machst mich groß
Und hebst mich hoch zu Ehren
Und schenkst mir großes Gut,
Das sich nicht lässt verzehren,
Wie irdisch Reichtum tut.

„Er ist gekommen“ triumphiert der Glaube.

Und zu wem? Die Erde ist wie ein Punkt im Weltall; und was ist vollends auf ihr der Mensch! Aber der Psalmist schon singt verwundert: was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und das Menschenkind, dass du dich sein annimmst, und hast ihn nur wenig lassen unter Gott sein? Wenn er vollends gewusst hätte, was wir wissen!

Und was hat ihn getrieben, dass er zu uns kam und unsers Gleichen ward, ja für uns in Tod und in Gericht ging? Haben wir ihn geliebt? Wir waren seine Feinde. Haben wir ihn gesucht? Wir gingen Alle in der Irre und sah ein Jeglicher auf seinen Weg. Haben wir ihn gerufen? Da war Keiner, der nach Gott fragte, auch nicht Einer.

Nichts, nichts hat Dich getrieben
Zu mir vom Himmelszelt,
Als das geliebte Lieben,
Damit Du alle Welt
In ihren tausend Plagen
Und großen Jammerslast,
Die kein Mund kann aussagen,
So fest umfangen hast.

So lasst uns freuen und fröhlich darin sein! Ich will dich preisen, mein Gott und König; ich will dich loben immer und ewiglich!

2. Er kommt.

Aber Geliebte! Ist es nur eine vergangene Geschichte, von der wir reden? Vielmehr, wir leben von dieser Geschichte. Aber Er selbst, der gekommen und dann wieder dahin gegangen ist, von wannen er gekommen - ist er uns nun ferne? Nein, allezeit gegenwärtig im Geist. Und nicht sein Geist bloß ist gegenwärtig, Er selbst ists, der Er selbst ists, der Gottmensch; persönlich, leibhaftig ist er gegenwärtig im Geist. Und seine Gegenwart lässt er uns inne werden - mannigfaltiger Weise. Das ist sein stetes Kommen im Geist. Er ist nicht bloß gekommen; Er kommt allezeit.

Wie sollten wir auch, Geliebte, fröhlich und selig sein, wenn wir der Gegenwart dessen nicht gewiss wären, der uns geliebt hat, den wir lieben ohne ihn zu sehen. Nein, er ist gegenwärtig und wir erfahren seine Gegenwart, sein Kommen im Geist. Was wären wir auch ohne ihn und seine allezeit gegenwärtige Gnade? Wir sind in der Irre; aber Er ist unser Hirte. Wir sind in der Tiefe; aber Er ist der Weg zum Licht; er trägt uns selber, wie das Wasser das Schifflein trägt. Wir sind umgeben von Sünden und bedeckt mit Schuld; Er ist der Heiland und unser Friede. Wir liegen im Tod; Er ist das Leben. So tut er seine Gegenwart uns kund, und erfüllt unsre Gegenwart mit seiner Fülle.

Das predigt Advent aller Welt; predigt dem Fleisch, das seinen Arm für Stärke achtet, und dem selbstgenugsamen Sinn, welcher des eigenen Vermögens sich rühmt; predigt es vor Allem unserer Zeit.

Geliebte! Es geht das Gefühl durch unsere Zeit, dass ihr eine Verjüngung, eine Neugeburt Not tue, wenn wir nicht der traurigsten Nacht und unabsehbarem Leid anheimfallen sollen. Die sind blind, welche nicht sehen, dass unserem gesamten öffentlichen Leben und Wesen ein tiefes Verderben einwohnt. Es hilft nichts, das Flickwerk mit äußeren Mitteln, im Leben des Staats und des Volkes. Denn es sitzt das Übel nicht außen, sondern innen. Es ist der Geist der Selbstsucht, der uns verderbt hat und immer mehr verderbt. Auch hat zu allen Zeiten das Elend und der Ruin der Völker und Staaten im Innern begonnen. „Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben“: das ist die Politik des Alten Testaments, und bis auf diesen Tag lernt man an dieser alten Weisheit. Es hilft nichts, als der Geist der Buße und des Glaubens. Dieser schließt den Quell des Lebens auf. Wir wissen, wo es zu finden ist. Jesus Christus heißt der, welcher sich selbst das Leben nennen darf. Und sollte in diesem Namen nicht Hilfe möglich sein für unser öffentliches Leben, für unser ganzes Volk? Sind sie nicht alle getauft, die Regierenden und die Regierten? Ist ihnen Christus nicht nahe gekommen, nahe geblieben, und will Einkehr halten? O, dass man ihm Zutritt geben möchte in den Kabinetten und in den Amtsstuben!, dass es Advent werden möchte für unser Volk! O du mein deutsches Volk und Land, die gepriesene einst unter den Nationen der Erde, an Tugenden und an Ehren reich, du fromme vordem und getreue - wie ist dein Schmuck zu Boden gefallen und deine Ehre dahin! Es ist die Sünde, die dich so geschändet, der Geist des Widerchristentums, welcher dich verderbt und vergiftet hat.

Was soll helfen? Die Weisheit, welche sich jetzt auf allen Gassen breit macht, Gott leugnet und das Fleisch predigt und vom Zeugnis des Gewissens dafür stündlich Lügen gestraft wird? Die selbst der Buße und Bekehrung bedarf, wie soll sie Buße und Bekehrung bringen? Der Weg des Herrn aber ist der Weg der Buße. Sie ists, die seine Steige richtig macht. Sollten wir nicht hoffen dürfen, dass auf diesem Wege die auswendige Christlichkeit unseres Volkes, welches ein christliches mehr heißt als ist, zur wahrhaften werden könne? Am Tage der Pfingsten, am ersten Tage der Kirche ist das Evangelium in den Sprachen der Völker verkündigt worden, zum Zeichen, dass es für alle Völker, dass es für die ganzen Völker bestimmt ist. Wenn wir uns auch gestehen müssen, dass für gar Manches im Leben des Staates wohl keine Buße zu hoffen ist, und so denn auch kein Heil, so bleibt doch gewiss, dass das Christentum nicht bloß für die Einzelnen, sondern auch für die Völker bestimmt ist. Auch diesen ist Christus ins Fleisch gekommen; auch für diese gibt es Advent. Dass unser Volk dies doch vernehmen möchte und hören auf des Herrn Wort! Dass es seine Ohren verschließen möchte vor den Verführern und dem Herrn glauben, wenn er auch ihm zuruft: „ich, ich bin dein Erlöser“! Dass es in Buße sich zu ihm bekehren möchte, auf, dass es Advent würde für unser Volk!

Und für unsere Kirche, unsere teure, arme Kirche! Wohl, das waren schöne Tage, als die Morgenröte über Wittenberg aufging und ihre Strahlen sich weithin über die Lande breiteten. Aber es folgte eine trauervolle Zeit. Und als die schweren Drangsale vorüber waren, da haben sich über die Fluren der Kirche die trüben Wasser der Aufklärung ergossen und haben sie voll unfruchtbaren Sandes geschwemmt. Der schützende Zaun ist zerrissen und die Tiere des Feldes zerwühlen den Weinberg. Weithin ist Hunger und keine Speise; und wäre nur rechter Hunger, Gott schickte auch die Speise und gäbe gesunde Speise. Vordem erquickte man sich am reichen Quell der Lieder man hat sie verpfuscht; erfreute man sich an der Fülle der Gottesdienste man hat sie verödet. Und du vor Allem, geliebte Kirche, die du auf Erden lutherisch heißt - zerrissen, geschmäht, verwüstet - wir trauern auf deinen Trümmern, Jerusalem! Was soll helfen? Zeichen und Wunder, Zungenreden und Weissagen? Eitle Gedanken eines krankhaften Sinns! Der Geist der Buße und des Glaubens - sonst nichts, aber dies sicher. Die Buße ist es, die dem Herrn den Weg bereitet; der Glaube, welcher seine Hand ergreift. Und, Geliebte, der Herr ist nahe und will kommen. Es ist ja sein Advent. Dass unsere Kirche den Advent des Herrn feiern dürfte!

Aber zuerst muss der Herr ins Haus einziehen und in der Familie Wohnung machen. Ehe es Staaten und Völker gegeben hat, ehe die Kirche aus dem Geist geboren worden, war die Familie. Sie ist die Grundlage für Staat und Kirche; das ist die Ordnung Gottes noch jetzt. Wohnt der Herr im Haus? Oder ist es nicht natürlich, dass die Staaten wanken und die Mauern der Kirche stürzen, wenn die Grundlage alles Bestehenden, wenn Haus und Familie in ihrem Innersten gebrochen sind? Lasst mich einen Schleier darüber werfen. Soll ich doch nicht eine Bußtagspredigt heute halten, sondern Adventfest feiern helfen und heißen. Der heute Einzug hält in Jerusalem, er kommt aus der frommen Familie der Geschwister von Bethanien und hat vor kurzem erst das Haus des bußfertigen Zöllners Zachäus gesegnet, und sein erstes Segenswunder hat er getan, als man ein Haus baute, zu Cana auf der Hochzeit. Das soll uns trösten und fröhliche Gewissheit geben; denn er ist derselbe noch heute.

Aber ehe dem Mann das Weib geschaffen ward, war der Mensch allein. Zum Zeichen: das Erste ist die Gemeinschaft des Menschen mit Gott; und die Gemeinschaft von Mensch und Mensch erst das Zweite. Es kann der Herr im Haus nicht wohnen, wenn er zuvor nicht im Herzen lebt. Im Herzen! Wohnt er darin? Es wohnt im Herzen der Hunger des Unendlichen; kein irdisches Gut stillt den Hunger. Es wohnt darin unendliche Leere; kein irdisches Gut füllt die Leere. Es wohnt darin Unruhe allezeit; kein irdisches Gut gibt seligen Frieden. Gott allein, Gott in Christo. Und er ist uns nahe, der Herr. Dass unser Herz sich ihm doch öffnen möchte und unsere Seele ihm stille harren, verlangend ihn begrüßen möchte!

Mein Herze soll Dir grünen
Mit stetem Lob und Preis,
Und Deinem Namen dienen,
So gut es kann und weiß.

Wie kommt er aber, wie kommt er zu uns, in uns? Ihr wisst es. Gebet, Wort, Sakrament bringen uns zu ihm, ihn zu uns. Im Gebet nahen wir ihm, in Wort und Sakrament nahet er uns. Sie sind die Leiter zwischen Himmel und Erde, da Gott und Mensch sich begegnen, da Gott und Mensch selige Zwiesprache halten, selige Gemeinschaft pflegen.

Israel begrüßte seinen Herrn, seinen König, als er zu ihm kam. Uns ist er allezeit nahe im Geist und will stets geistliche Einkehr bei uns halten. Begrüßen wir ihn? Mit dem Gruß des Herzens, mit dem Gebet des Hauses alltäglich, mit dem Gebet der Gemeinde an den Herrentagen? Im Wort und Sakrament segnet er uns. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: erinnert deshalb der Apostel. Und das Sakrament ermahnt uns, uns zu schmücken ihm entgegen.

Denn der Herr voll Heil und Gnaden.
Will uns selbst zu Gaste laden.
Der den Himmel kann verwalten,
Will jetzt Herberg in uns halten.

Geliebte! Er kommt, Er kommt zu uns; nicht wir zu ihm. Was sollte auch aus uns werden, wenn wir zuerst zu ihm kommen sollten? Nimmermehr würden wir seiner Gnade teilhaftig. Er verlangt nichts von uns, als ein offenes Herz, ein stilles, ein bereites Herz. Wollen wirs ihm weigern? Dringt nicht aus Gottes Wort der Überredung goldene Zunge unwiderstehlich auf uns ein? Seht nicht auf uns Menschen, die wir zu euch reden. Wer sind wir, dass ihr uns folgen solltet? Arme Sünder, die nicht wert sind, dass sie Gottes Wort auf ihre Lippen nehmen. Aber sein Wort ists, das eure Herzen gewinnen, erstürmen will. In der heidnischen Stadt Corinth hatte Christus ein großes Volk - sollte er in einer christlichen Stadt ungehört und unbegrüßt von dannen gehen? Geliebte, es ist Advent heute. Wollen wir nicht auch Advent feiern? So wollen wir uns denn aufmachen und dem Ankommenden entgegenziehn, ihm Herberge zu geben in unserer Mitte. Er kommt - des freut sich die Liebe.

3. Er wird kommen.

Aber zu Glaube und Liebe gesellt sich freundlich die Hoffnung. Er wird kommen - des tröstet sich diese. Ja: tröstet sie sich. Denn, Geliebte, wir wollen uns nicht täuschen. So lange wir leben, bleiben wir im Fleisch, und so lange die Welt steht, bleibt sie im Argen. Darum wird die Trauer nie aus den Herzen der Christen weichen. Aber wir haben eine Hoffnung. Das ist eben der Ruhm des Christentums. Die außerchristliche Welt hat nur eine Vergangenheit; das Christentum hat ihr eine Zukunft gegeben. Seitdem sind die Augen der Gemeinde vorwärts gerichtet, und in allem Leid singt sie das Lied der Sehnsucht und des Triumphes vom Kommen des Herrn. Ja, er wird kommen, seine Gemeinde zu erretten und zu verklären, und alle feindliche Macht zu Schanden zu machen. Wann wird er kommen? Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Ob er wohl noch in unserer Zeit kommen wird? Töricht und vermessen wäre es, es bejahen zu wollen. Niemand weiß es. Aber das weiß ich aus Gottes Wort, dass viel noch vorher geschehen muss, ehe er kommt, und das weiß ich gewiss, dass viele und schwere Trübsale noch über die Erde hingehen werden, womit die Trübsal dieser Zeit weit nicht zu vergleichen. Nicht ein eitler Wunsch der Begehrlichkeit ist das Wort der Sehnsucht: o komm Herr Jesu! Und nicht eine leichtsinnige Freude ist die Freude der Hoffnung. Denn, Geliebte, wir wollen wohl mit Ernst bedenken, was das heißt: der Herr wird kommen. Er ist der Herzenskündiger, vor dessen Augen das Innere bloß und entdeckt ist. Wer wird den Tag seiner Zukunft erleiden mögen? Und wer wird bestehen, wenn er erscheinen wird? „Denn er ist wie das Feuer des Goldschmieds und wie die Seife der Wäscher.“ Schwere Drangsale aber werden vorhergehen und eine große Versuchung über den ganzen Erdkreis, in welcher Vieler Glaube zu Schanden werden und Vieler Liebe erkalten wird. „Und wo diese Tage nicht würden verkürzt, würde Niemand selig.“ Wer wird dann bestehen? Zu wem schon in der Zeit Christus gekommen ist im Geist. Wer Christus den Herrn im aufrichtigen Herzen tragen wird, der wird bewahrt bleiben. So lasst uns aufstehen und ihm entgegen gehen mit den Palmen der Lobpreisung und mit dem Zweige der Bitte:

Herr komm in mir wohnen!
Lass mein'n Geist auf Erden
Dir ein Heiligtum noch werden!
Komm du treuer Heiland,
Dich in mir verkläre,
Dass ich Dich stets lieb' und ehre.
Wo ich geh, wo ich steh,
Lass mich Dich erblicken
Und vor Dir mich bücken!

Amen.

1)
Paul Gerhardt
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