Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Zweiundzwanzigste Betrachtung.

Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Zweiundzwanzigste Betrachtung.

Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben!

Über Jak. 5,10.11.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Jak. 5,10,11:
Nehmt, meine lieben Brüder! zum Exempel des Leidens und der Geduld die Propheten, die zu euch geredet haben in dem Namen des Herrn! Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben! Die Geduld Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen. Denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.

Mit erschütterndem Ernste hatte Jakobus das gottentfremdete, in Unglauben und Mammonsdienst versunkene Geschlecht auf die Zukunft des Herrn und das hereinbrechende göttliche Gericht gewiesen, um dann in linden, freundlich andringenden Worten seine an den Herrn Jesum gläubigen Brüder zur Geduld in ihrem Glaubenskampfe und ihrer Trübsal zu ermuntern. Noch einmal heute wendet er sich an sie, und weist sie hin auf das Exempel derer, die vor ihnen einen guten Kampf gekämpft, und Glauben gehalten, und ihren Lauf vollendet haben. „Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben!“ Trostreiches, freundliches Wort, das sich wie ein lindernder Balsam auf die verwundete Seele legt! Aber haben wir auch das Recht, es uns zuzueignen? Gehören wir zu den Leidenden, den Duldern, welchen die Seligpreisung des Jakobus gilt? So weise uns denn das Wort:

„Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben!“

  1. zuerst: hinein in das eigene Herz, zu ernster Selbstprüfung, ob wir zu den Duldern gehören, welche sich den Trost dieses Wortes zueignen dürfen,
  2. sodann aber: hinaus auf die Exempel des Leidens und der Geduld, welche auch uns zur Nachfolge ermuntern sollen, und
  3. endlich: hinauf zu dem Herrn, der allem Leiden und aller Geduld seiner Gläubigen ein seliges Ende zu machen bereit ist!

Gott der Gnade aber walte über solcher unserer Betrachtung mit seinem Geist und mit seinem Segen! Amen.

1.

Wir hören nicht selten über den Gräbern unserer Lieben die Klage, dass dieselben in den Tagen ihres Lebens so viel zu leiden, so viel Anfechtung zu erdulden gehabt haben. Aber wie verkehrt ist doch solche Klage im Lichte dieses apostolischen Wortes: „Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben!“ Nicht darüber dürfen wir klagen, dass unsere Entschlafenen so viel gelitten haben; Grund zur Klage haben wir vielmehr nur dann, wenn sie so viel umsonst, nicht zu ihrer Seligkeit, gelitten haben. Denn nicht über den Gräbern Aller, welche viel gelitten haben, dürfen wir sprechen: „Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben!“ Die Welt nennt Manchen einen Dulder, der es im Lichte des Wortes Gottes nicht ist. Man kann im Leben viel erlitten haben, und hat es doch Alles umsonst erlitten; oder umsonst freilich nicht; denn es ist nichts umsonst in den Führungen unseres Lebens, auch in den Trübsalen nicht, mit welchen uns Gott heimsucht. Führen sie uns nicht näher zu Gott, so führen sie uns weiter von ihm hinweg; machen sie das Herz nicht stiller, demütiger, geduldiger, fester im Glauben, so machen sie es verschlossener, trotziger, verbitterter; wir hadern wider Gott und Menschen, oder wir suchen das Leid im Taumel wilder Lust und weltlicher Zerstreuungen zu vergessen. Es sollte uns ein Führer zur Seligkeit werden, und es verführt uns, den Zorn Gottes über uns zu häufen auf den Tag des Gerichts. Das heißt nicht: „Erdulden“, dulden, was sich nicht ändern lässt, sich in das Unvermeidliche schicken, weil es so sein muss, und man doch nichts vermag gegen die allgewaltige Hand Gottes. Nein, tragen, was Gott uns auflegt, weil es sein Wille ist, ihm nicht entfliehen wollen, auch wenn man es könnte, weil man weiß, dass auch in den dunkelsten Trübsalsführungen sein gnädiger Rat über uns waltet; dem Herrn stille halten, damit er mit der Trübsalsfackel in das Herz hineinleuchte; in ihrem Lichte auch die demütigende Selbsterkenntnis und den heilsamen Schmerz der Buße nicht scheuen; sich um so geduldiger unter seinen Willen beugen, und es ihm bekennen, dass wir in allen seinen Züchtigungen nur empfangen, was unsere Taten wert sind, und nur um das Eine immer wieder bitten, dass er uns nicht von seinem Angesicht verwerfe, und seinen heiligen Geist nicht von uns nehme; so in allem währenden Leiden immer wieder seine Gnadenhand ergreifen, im Glauben aufs Neue gestärkt, und seiner Gnade versichert, immer achtsamer auf sein Wort merken, seinem Augenwinke immer williger folgen, immer freudiger jede Last des Lebens tragen; von seiner Liebe erquickt, der Welt Liebe gering achten; durch den Hass der Welt unentmutigt, auch die Feinde lieben, die segnen, die uns fluchen, für die bitten, die uns beleidigen und verfolgen, und also den heilsamen Kelch nehmen, und des Herrn Namen predigen; von allen eigenen Gedanken und sündlichen Begierden immer völliger gereinigt, und in das Bild des Herrn verklärt, sich auch der Trübsal rühmen, es eitel Freude achten, wenn wir in mancherlei Anfechtungen fallen; „als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich!“ (2 Kor. 6,9.10.) Das, o meine teuren Brüder! das heißt: „Erdulden“; und die also dulden, und ausharren und sich üben lassen in der Geduld ihrer Trübsal, von denen mögen wir sagen, dass sie erdulden, die Anfechtung erdulden. Von den Anderen aber, die nicht also dulden, nicht; die dulden wohl, aber sie erdulden nicht. So seht denn wohl zu, wie es um euch stehe, und prüft euch, ob ihr zu solchen Duldern gehört, an deren Herzen also unter der Geduld ihres Leidens die friedsame Frucht der Gerechtigkeit reift, und über denen wir einst, wenn sie ihren Lauf vollendet haben, sprechen können: „Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben!“

2.

Leicht ist es ja nicht, so zu dulden, die Anfechtung zu erdulden! Wer erführe das nicht je und je an sich selbst; und auch Jakobus weiß es, und will darum der Schwachheit seiner Brüder zu Hilfe kommen, indem er zu ihrer Stärkung im Glauben und in der Geduld des Leidens sie hinweist auf die Exempel des Leidens und der Geduld, welche vor ihnen gewesen sind. „Nehmt, meine lieben Brüder! zum Exempel des Leidens und der Geduld die Propheten, die zu euch geredet haben in dem Namen des Herrn!“

„Exempel des Leidens!“ Nun, um die zu finden, hätte Jakobus nicht nötig gehabt, seine Brüder in die Vergangenheit zu weisen; die haben wir allezeit um uns genug, vielleicht in unserer nächsten Nähe, im eigenen Hause; und wir tun gut, auch auf sie zu achten, und von ihnen zu lernen, dass wir, wenn es uns trifft, nicht meinen, es widerführe uns damit etwas Seltsames, sondern es wissen, dass eben dieselben Leiden über unsere Brüder in der Welt gehen!“ (1 Petri 5,9.)

„Exempel des Leidens“ allezeit und allenthalben die Fülle um uns; aber auch „Exempel des Leidens und der Geduld?“ Des Leidens und der Ungeduld jedenfalls viel mehr, wenn auch vielleicht die Exempel des geduldigen Leidens dir nicht fehlen. Sie sind ja noch unter uns zu finden, wenn auch seltener, als es sich unter Christen gebührte, und zu wünschen wäre, die tröstlichen, lehrreichen, demütigenden und ermutigenden Exempel des geduldigen Leidens. Sie fehlen nicht in den Hütten der Armut, auf Krankenlagern, in Sterbehäusern, die Leidenden, zu welchen wir hingehen, um Trost und Hilfe zu bringen, und von denen wir mehr Trost und Stärkung des Glaubens wieder hinwegnehmen, als wir zu bringen im Stande waren. Wenn es euch aber so gut nicht wird; wenn die um euch und mit euch leiden, schwach und weich sind, wie ihr selbst, und es droht euch die Gefahr, mit ihnen in Kleinmut und Unmut und Ungeduld zu geraten, dann nehmt zu den Exempeln der vergangenen Zeiten eure Zuflucht, und gedenkt an das Wort dieses Knechtes Gottes und des Herrn Jesu Christi: „Nehmt, meine lieben Brüder! zum Exempel des Leidens und der Geduld die Propheten, die zu euch geredet haben in dem Namen des Herrn!“ Nehmt zum Exempel einen Moses, der schon bei seiner Berufung das Los voraussah, welches ihm bevorstand: „Siehe“, sprach er, „sie werden mir nicht glauben, noch meine Stimme hören!“ (2 Mos. 4,1.) und von welchem dann gesagt wird: „Aber Moses war ein sehr geplagter Mensch,“ „er war ein sanftmütiger und geduldiger Mensch, über alle Menschen auf Erden.“ (4 Mos. 12,3.) Nehmt einen Elias, der unter der Last seiner Mühen und Drangsale erliegend seufzte: „Es ist genug, Herr! so nimm nun meine Seele!“ (1 Kön. 19,4.) Aber der Herr stärkte ihn, und lehrte ihn, von Neuem seinen Weg zu gehen, und in seinem Eifer für den Namen des Herrn der Barmherzigkeit und geduldigen Liebe nicht zu vergessen. Oder nehmt einen Jesaias, dem es schon bei seiner Berufung gesagt war, dass all sein Reden nur dazu dienen würde, das Volk in seinem Unglauben zu verstocken, und der es an sich selbst erfuhr, was er im Geist der Weissagung von dem Leiden und der Geduld des Knechtes Gottes verkündigte: „Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich, und brächte meine Kraft umsonst und unnützlich zu; wiewohl meine Sache des Herrn, und mein Amt meines Gottes ist!“ (Jes. 49,4.) Und dann blickt hin auf die anderen Alle, welche dem Stephanus, dem Ersten der Blutzeugen Christi, vor Augen standen, als er ausrief: „Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt und getötet!“ (Apgesch. 7,52.) Und zu solchen Exempeln der Propheten des alten Bundes nehmt, o, meine Lieben! die Exempel der Zeugen Christi, welche zu uns geredet haben in dem Namen des Herrn, und haben Geduld getragen und ihr Leben selbst nicht teuer gehalten; und stärkt durch solche Exempel des Leidens und der Geduld eure Herzen, auf dass auch ihr mit Geduld lauft in dem Kampf, der euch verordnet ist, und es euch, wenn es nun an euch kommt, nicht in eurem Leiden ergehe, wie es dem Dulder Hiob erging, da seine Freunde zu ihm sprachen: „Nun es an dich kommt, wirst du weich, und nun es dich trifft, erschrickst du!“ (Hiob 4,5.)

Es war ja gewiss ein Leiden, um weich zu werden und zu erschrecken, dies Leiden Hiobs, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn er uns als ein Exempel des Leidens vorgestellt wird. Aber auch als ein Exempel der Geduld? „Die Geduld Hiobs habt ihr gehört!“ Ja, im Anfange, da war er in seinem Leiden auch ein Exempel der Geduld, und widerstand seinem Weibe, da es sprach: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit?“ Aber im Fortgange desselben verfluchte er ja den Tag seiner Geburt, und versündigte sich in seiner Rede an Gott. Und doch war er auch da, in seiner Schwachheit, dem Herrn, dem Barmherzigen, wohlgefälliger, als seine unbarmherzigen Freunde. Denn er blieb in dem Allem aufrichtig vor Gott, und demütigte sich darum auch endlich vor ihm, und sprach: „Ich schuldige mich, und tue Buße in Staub und Asche!“ (Hiob 42,6.) und der Herr hatte Geduld mit ihm, und erbarmte sich seiner, und rechtfertigte ihn vor seinen unbarmherzigen Richtern, und machte seiner Trübsal ein gnädiges Ende. „Die Geduld Hiobs“, schreibt darum Jakobus, „habt ihr gehört, und das Ende des Herrn“ das Ende, welches der Herr seiner Trübsal machte, - „habt ihr gesehen. Denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.“

Freunde! Dem Leiden des Hiob hat der Herr schon hier ein Ende gemacht, und wer weiß, wie bald vielleicht er auch der Trübsal, die euch das Herz abdrücken will, schon hier eine Ende macht, und nach seiner Barmherzigkeit auf die Tage der Armut, der Krankheit, des Unglücks und des Misslingens eurer Arbeit Tage der Hilfe, der Genesung, des Glücks und des fröhlichen Gelingens, für euch folgen lässt! Aber gesetzt, es wäre nicht also; ihr müsstet hier bis ans Ende eurer irdischen Wallfahrt euch umsonst nach Hilfe sehnen, und immer wieder seufzen: „Ach Du, Herr, wie lange?“ (Ps. 6,4.) Christen wissen es ja, dass ihr Ziel über diese Spanne Zeit, über diese kurze Frist ihres irdischen Wirkens und Duldens hinausgeht. Es ist doch nur um ein Kleines, so werden wir es zu ewiger Freude erfahren, „dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert ist, die an uns soll offenbart werden!“ (Röm. 8,18.) Und unterdessen, wie versteht es der Herr, in aller währenden Trübsal und Angst der Welt die Seinen mit immer neuem Troste zu erquicken, zu immer neuer Geduld zu stärken, und es sie erfahren zu lassen, wie selig schon hier, in allem Kampfe, in aller Geduld ihres Leidens, die Alle sind, denen er hilft, die Anfechtung zu erdulden, und an deren Herzen in aller Geduld ihres Leidens die friedsame Frucht der Gerechtigkeit reift! Und die so dulden, die werden auch mit herrschen; sie sind es, die der Knecht des Herrn vor dem Stuhl und dem Lamme sieht mit weißen Kleidern angetan und Palmen in ihren Händen, und von welchen gesagt wird: „Diese sind es, die gekommen sind aus großer Trübsal, und haben ihre Kleider gewaschen, und haben ihre Kleider helle gemacht im Blut des Lammes!“ (Offb. 7,14.)

Mit dem Trost unseres Glaubens stärkt denn eure Herzen in euren Leiden, und mit ihm stärkt, wenn ihr jetzt von Trübsal verschont seid, die Herzen eurer leidenden Brüder, auf dass ihr bessere Tröster derselben werdet, als es die Freunde Hiobs ihm waren in seiner Trübsal! Der Herr selbst aber, der Barmherzige, helfe uns Allen nach dem Reichtum seiner Barmherzigkeit in aller Geduld unseres Leidens, dass wir einen guten Kampf kämpfen, und Glauben halten, und unseren Lauf vollenden mit Freuden! Denn: „Wer bis ans Ende beharrt, der wird selig!“ (Matth. 10,22.) Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben!“

„Die ihr Geduld getragen,
Und mit gestorben seid,
Sollt dann nach Kreuz und Klagen,
In Freude sonder Leid,
Mitleben und regieren,
Und vor des Lammes Thron
Mit Jauchzen triumphieren
In eurer Siegeskron!
Jesu, meine Wonne,
Komm bald, und mach Dich auf!
Geh auf, erwünschte Sonne,
Und fördre Deinen Lauf!
Jesu, mach ein Ende,
Und führ uns aus dem Streit;
Wir heben Herz und Hände
Nach der Erlösungszeit!“ Amen.

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