Krummacher, Gottfried Daniel - Briefe an einen Freund - 3. Brief

Krummacher, Gottfried Daniel - Briefe an einen Freund - 3. Brief

Baerl, Oktober 1799

Lieber Bruder in dem Herrn!

Ein paar Zeilen müssen bei dieser Gelegenheit doch auch mit an Dich gehen, mein Bruder, obgleich ich nicht weiß, was ich schreiben soll. Schon verschiedene male hat der Herr Jesus nichts von mir verlangt als dieses Geständnis und mir dann so viel gegeben, daß ich vor ihm in tiefe Demut sinken mußte. O, wie praktisch führt und lehrt uns, unser ganzes Vertrauen auf ihn zu setzen und unsern ganzen Weg auf ihn zu wälzen! Nichts ist ihm zu schlecht, nichts zu gering, nichts zu schwer, wenn man sich selbst nur davon lossagt und es auf seine Löwenschultern legt. O, des verdammlichen Unglaubens, daß man sich oft lieber mit seiner Last zu Tode schleppt als dem Herrn, seinem Befehl, ja seinen Bitten Gehör zu geben und sich ihm zu überlassen! Ach ja, wie oft müssen wir all' unser Vermögen bei den Ärzten verschwenden, die uns doch nur sehr quälen, immer ans Lager fesseln und uns hilflos liegen lassen, daß wir noch kaum so viel Besinnung behalten, um an die Salbe Gileads denken zu können!

Den guten, lieben Arzt dagegen, der uns so gern umsonst hilft und nichts verspricht, ohne es zu halten, den lassen wir so lange stehen und anklopfen, gerade als ob er ein Pfuscher wäre, der nur dann helfen könnte, wenn die Kur beinahe zu Ende ist. O des lieben Heilandes, daß er so gut ist und uns fühlen läßt, daß keine Arznei hilft, als die er uns mühsam bereitet hat aus seinem Fleische und Blute! Aber freilich muß er selbst uns Eßlust geben, sonst ist diese unvergleichliche Speise unserm verdorbenen Geschmack nur ekelhaft. Ich habe kürzlich viel von ihm genossen, und besonders ist mir das unermeßliche Wort: „Ich bin von Herzen demütig“ eine rechte Eliasspeise geworden. O könnte ich etwas davon sagen! aber ich vermag es nicht. Der liebe Herr Jesus lasse es Dich, lieber Bruder, auch also fühlen! Jesus demütig?! Und auch gegen mich, mich Höllenkind?! Nicht gebieterisch, sondern lockend und befehlend mit Tränen der Liebe! Lockend, aber wie die Henne ihre Küchlein, züchtigend, aber wie eine Mutter ihren Säugling, zwingend, aber mit Seilen der Zärtlichkeit. O beuge dich denn, o Seele! Beuge dich tief bis an den Fuß des Kreuzes deines Gottes, werde nichts, damit Christus alles in dir sei! „Ich bin von Herzen demütig,“ sagt mein Herr und mein Gott. Und was bin ich? O, ich bin auch demütig, wenn du, Herr, mich demütig machst, ich bin auch Liebe, wenn du mich entzündest, ich bin auch arm, wenn du mich reich machst; ja ich bin nichts, wenn du nur alles in mir sein willst. „Ich bin demütig,“ in dieser Gestalt erscheinst du, Jehova, dem frechsten und elendsten aller Sünder! O diese Speise ist stärkend, ich labe mich oft daran; sie ist köstliches Manna! O, lieber Bruder, die Betrachtung dieses Wortes „demütig“ zerknirschte meine Seele, daß sie ward wie Wachs. O, ich dachte und fühle: Der Dienst bei einem solchen Monarchen ist wie ein Meer von Wollust. Und ich empfand: Unter ihm ist man frei; denn man darf tun, was man will. O, welch' erhabene Freiheit, die Jesus, mein König, mir bereitet: ich, der Knecht, der Brüder einer, bin frei! O, wäre ich nichts, und Jesus alles in mir! Amen.

Wie ist es möglich, daß man noch ein Wort von Jesu reden oder schreiben kann! Schweigen und Weinen preist ihn würdiger. Ich stelle mir oft vor, als würde im Himmel eine tiefe Stille sein und dann auch ein allgemeines Halleluja, und ich kann mir nicht denken, daß man doch noch mit einander sollte reden können, weil ich dann nicht begreife, daß unser Leib und unsre Seele Christo selbst gleichförmig, also göttlich stark sein werden. Vater, verkläre den Namen deines Sohnes in, durch und unter uns und stärke unsern Glauben! Amen. Nicht wahr? lieber Jonathan, um die Seligkeit bekümmern wir uns nicht so sehr, wenn wir doch nur stets die Gnade haben möchten, zur Ehre unsere Jesu zu leben. Aber ach! . . . . . Gott sei Dank, daß er unsere Gerechtigkeit ist, die Gerechtigkeit für Gottlose! Herr, lehre uns dies verstehen!

Dein Traum, lieber Bruder, wird bei mir auch leider fast stündlich wahr. Da halten es z.B. meine Hausgenossen sämtlich mit dem fremden Gesinde und wollen es wie Blutsverwandte behandelt wissen, so daß mir oft die Hände und Füße gebunden werden und man mich in eine Ecke wirft, und das scheint mir oft gar zu meinem großen Verdruß und Schaden noch zu gefallen. Doch, Gott Lob, sie fegen das Haus nur und lehren mich viel, oft aber auch nichts. Aber ich muß lernen Gnadenbrocken lesen und sorgfältig sammeln. O, wie kann ich oft danken für einen Seufzer, für einen guten Gedanken, für einen Strahl Lichts, wenn nicht mir Worten, so doch mit Seufzen! Und nun, Bruder, nun fällt mir ein, daß ich nichts wußte, und doch schon bis hierher geschrieben habe. O Herr, wenn wir wüßten, was alles Gnade ist, so würden wir vergehen vor Scham und Demut! Im Himmel wird uns das einst noch klar werden. O, hätten wir doch stets eine lebendige Erkenntnis! Aber wie tot und unverdaut liegt oft die Wahrheit bei mir! „Ohne mich könnt ihr nichts tun,“ sagt der Herr, und wir sind auch wirklich von uns selber nicht einmal tüchtig, etwas Gutes zu denken; wie deutlich ist dieses nicht, und dennoch, wie wenig verstehen wir oft davon! Man will selbst wirken, sich selbst zerarbeiten und geht rückwärts. O, das Ruhen in dem Herrn ist eine wichtige Sache! Der Prophet spricht: „Wenn ihr stille wäret, so würde euch geholfen.“ Wie wohl ist man daran, wenn man dem Herrn nichts bringt, sondern nur nimmt und bei sich selbst allen Rat und alle Hilfe aufgibt; wie wohl, sage ich, ist man dann daran!

Ich habe viele Freude an fünf Jünglingen von 16 - 24 Jahren, die heilsbegierig sind. Samstags und Sonntags Abends kommen sie zu mir, und der Herr gibt mir oft viel Licht und Gnade, um sie auf eine sehr einfältige und deutliche Weise zu belehren, zu ermahnen, zu trösten und zu leiten. Der Herr sei mit ihnen und verleihe mir die Gnade, ihm allein die Ehre zu geben! Er befestige uns nur immer mehr im Glauben, in der Liebe, im Harren, im Mut, in der Geduld und Männlichkeit!

Ich danke Dir, lieber Bruder, für die Briefe Newton's. Den ersten Band hatte ich mir geliehen, und die beiden mir von Deiner lieben Gattin angewiesenen Briefe mit vielem Segen gelesen, wofür ich dem Herrn danke. ich habe die Gnade gehabt, für sie beten zu können, und fühle mich gedrungen, Dir zu sagen: Sei gutes Mutes! Doch, es schadet nicht, wenn Not uns schreien lehrt; laß uns nur nicht vergessen, das alles uns zum Besten dienen muß! O, das alles ist mir oft so deutlich, daß ich nicht weiß, was ich sagen soll: Ja alles ohne Ausnahme! O, dann kann ich auch oft so ganz alles auf den Herrn Jesum werfen. Der Held aus Juda gebe Dir und Deinem Weibe viel Gnade, Friede und Kraft zum Ausharren! Er macht's wohl. Lieber Bruder, denke einmal, Du müßtest Dich nun an die morschen Krücken der Philosophie und Moral halten: Du willst Brot haben, und sie bietet Dir einen Stein. Gott sei gelobt, der uns zu Narren gemacht hat! O, die göttliche Torheit werde uns immer süßer, heller und lebendiger!

Lieber Bruder, ich soll etwas über Herrn ** geurteilt haben, und ich weiß nichts, als daß ich bekannte, ich wäre des Morgens wenig erbaut worden. Ach, ich kann davon nicht viel sagen; aber ich meinte es ja nicht böse. O, schweig, schweig! das muß ich noch lernen. ich bin noch zu ungehobelt und kenne die Welt noch nicht; aber das Wort: „Wer nicht ganz mit mir ist, der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet,“ ach, das ist mir oft so klar und verleitet mich zu einem törichten Richten. Gott vergebe es mir und helfe mir und leite mich recht und mache mich sanft und stille! Aber verleumdet, getadelt, belächelt und gescholten werden, das lerne ich und schäme mich dessen nicht, bin aber oft traurig, ob ich's wohl wert bin.

Nun, der Brief muß abgegeben werden. Der Herr Jesus, der überschwenglich mehr tut, als wir bitten und verstehen, sei Dir, Deiner lieben Gattin, mir und allen Heilsbegierigen nahe mit seiner Gnade und seinem Geiste! Er wirke alles Gute in uns nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke und lasse unsere Liebe zu ihm zu einer Feuerflamme des Herrn werden und vereinige unsere Herzen durch das vollkommenste Bank der Liebe immer mehr und inniger! Amen.

Grüße den lieben Br. R. und Frau N. und danke ihr für das mir geschenkte Buch, welches mir und andern sehr zum Segen geworden ist. Grüße auch Deine liebe Mutter und Frau v. d. H. und den lieben Br. D., dessen köstlichen Brief ich erhalten, sowie alle, die sich meiner erinnern! Gedenke meiner, lieber Bruder, im Gebet! Gott sei mit uns! Amen.

Dein …

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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