Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 7. Betrachtung

Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 7. Betrachtung

1. Mose 32,29

Er sprach: du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bis obgelegen.

Unlängst betrachteten wir die Frage des Herrn: Wie heißest du? Und die gerade Antwort des Erzvaters: Ich heiße Jakob. Jetzt gibt der Herr ihm einen neuen Namen: du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, und gibt den Grund davon an: denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen.

Durch Namen bezeichnen wir Personen und Sachen, um sie von andern zu unterscheiden. Verändert sich die Sache, so bekommt sie auch einen andern Namen.

Wasser, wenn es gefroren ist, nennen wir Eis, Schnee, Hagel; wenn es vom Himmel herabfällt, Regen; wenn es sich nachts auf die Pflanzen niederläßt, Tau; wenn es sich in kleine Teile auflöst, Nebel.

Der Mensch bekommt nach seinem Alter die Namen eines Kindes, eines Jünglings, Mannes, Greises. Nach seiner Stellung zu Gott und seinem Reiche heißt er entweder ein Sünder, ein Gottloser oder gar ein Kind des Teufels und Feind Gottes; oder ein Erweckter, ein Bußfertiger, Gläubiger, Gerechter, Heiliger, Vollkommener, ein Kind und Erbe Gottes.

Einige wahre Christen werden Kinder, andere Jünglinge und noch andere Väter genannt. Einige heißen Fleischliche, andere Geistliche. Die Jünger, solange Jesus bei ihnen war, konnten vieles noch nicht tragen, wofür sie nachgehends empfänglich wurden. Bis dahin schwieg Jesus, sagte ihnen jedoch ihren eingeschränkten Stand. Zu den Korinthern sagt Paulus: Ihr konntet ehemals nicht und könnt auch jetzt noch nicht, und ich muß mit euch umgehen wie mit kleinen Kindern, denen man Milch reicht. Bisher hieß der Erzvater Jakob ein Untertreter oder Fersenhalter, und dieser Name entsprach seinem bisherigen, mangelhaften Gnadenstand mehr als demjenigen, in den er jetzt hinübergeführt worden war. Er hielt seinen Fein gleichsam an der Ferse, aber überwunden hatte er ihn noch nicht. Er hatte herrliche Verheißungen, aber er konnte sich doch nicht recht dabei beruhigen. Er sah noch zu viel auf das Sichtbare, auf seinen Bruder, auf dessen vierhundert Mann, auf das Unglück, das ihn möglicherweise treffen konnte, auf seine Wehrlosigkeit. Er war noch allzu vernünftig und blieb zu sehr bei natürlichen Ursachen und Wirkungen stehen und hielt es deswegen für möglich, daß er samt seinen Kindern erschlagen würde, obschon Gott ihm versichert hatte: durch ihn und seine Nachkommen sollten alle Völker auf Erden gesegnet sein. Er empfang viel Furcht, und Johannes sagt: Wer sich fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe. Doch war er ein wahrhaftiges Kind Gottes und würde also selig geworden sein, wenn er auch nicht zu einem höheren Stande gelangt wäre, zu dem ihn aber Gottes Vorsatz verordnet hatte, zu dem er in also auch berief und vorbereitete. Der Apostel sagt zu den Korinthern: „Ihr seid satt geworden“, und er sagt tadeln. gewiß gibt es auch diesseits der Ewigkeit ein seliges Sattsein, das denen verheißen ist, welche nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Was will ich mehr als diesen Himmelsfürsten?

Ich wird’ hinfort in Ewigkeit nicht dürsten,
Weil er mich tränkt, der selbst das Leben ist.
Kein Hunger wird die Seele jemals pressen,
Da mir ein Teil von Manna zugemessen,
Das du allein, o süßer Jesus, bist.

Keinen Hunger wird die Seele des Gerechten leiden. Mir wird nichts mangeln. Ich habe alles genug, sagte Israel. Aber ein schädliches Sattsein ist es, wenn ein Christ mit seinem Gnadenstande so zufrieden ist, daß er meint, all die Erfahrungen gemacht zu haben, die gemacht werden müssen und können, und nach diesen seinen Erfahrungen alles beurteilt, und zwar mit einer solchen Eigenliebe, als ob alles, was darüber hinaus und weiter geht, Einbildung wäre. Das ist sehr übel, und der Armut am Geiste ganz zuwider. Paulus sagt deswegen auch: Wer da meint, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Sind wir wirklich nichts, so müssen wir uns auch so kennen lernen, und gerade das ist das Höchste. Wer da meint, er wisse etwas, der weiß noch nichts, und so geht es auch mit den übrigen Dingen. „Wenn du mich demütigst, machst du mich groß.“ Man sehe doch nur den Jakob an! Auf welchem Wege wird er ein Israel? Auf dem der Demut. Alle Stütze wird ihm entzogen, seine Hüfte verrenkt. Es bleibt ihm statt aller sonstigen Stützen nur der Sohn Gottes allein übrig, und will er seinem Feinde nicht in die Hände fallen, so muß er sich dem Engel des Bundes in die Arme werfen. Und gerade in dem Augenblick, wo alles aus ist, siegt er. Nun paßte auch sein bisheriger Name nicht mehr für ihn. Der Herr hatte ihm eine höhere Gnade mitgeteilt. Das Gold seines Glaubens war von den ihm anklebenden Schlacken mehr gereinigt, und so bekam er einen neuen Namen. „Du sollst nicht mehr Jakob heißen!“ Künftig soll sich die Furcht nie wieder in dem Maße deines Herzens bemeistern können, weil deine Seele mir anhangen und so meiner belebenden Friedenseinflüsse teilhaftig werden wird. Die großen Abwechslungen von Furcht und Hoffnung, von Angst und Freude sollen nicht mehr bei dir stattfinden; du wirst mehr vollkommen sein in Eins! Man verrechnet sich oft in seinem Christenstande. Ist man einmal glücklich aus einem dunkeln Tal herausgekommen, wird man seines Gnadenstandes einmal wieder recht froh, verschwinden die Nebel des Zweifels vor den lieblichen Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit, so meint man oft, nun habe man es erreicht, und glaubt, nun wolle man auch künftig so zaghaft nicht mehr sein. Allein, liegt in solchen Gedanken nicht wieder eine eigene Anmaßung, als wenn man selbst noch dies und das könne? Und Jesus, der gesagt hat: Ohne mich könnt ihr nichts tun, ist in der Tat zu eifersüchtig auf seine Ehre und auf die Aufrechterhaltung seiner Aussage, auf seinen Jesus-Namen, als daß er bei seinen Lieblingen solche Anmaßung und an seinem Golde solche Schlacken duldete. Er wird also sitzen und schmelzen und die Kinder Levi reinigen und läutern wie Gold und Silber, bis sein Gold die Lauterkeit erlangt, die er ihm verordnet hat. Vielleicht zerreißt er ihnen die Hüfte und bringt sie so in die Enge, daß sie sich nicht mehr irgendeinem großen oder kleinen Zweifel ohne ihn gewachsen fühlen, daß sie ihm sein „nichts“ buchstäblich müssen gelten lassen. Was aber alsdann? „Nun sollst du nicht mehr Jakob heißen!“ Israel, dies ist der prächtige Titel, den außer Jakob niemals jemand geführt hat. Er heißt: Fürst Gottes! – Gott prangt gleichsam mit dem Jakob und tut groß mit ihm, weil er durch denselben so viel ausgerichtet hat. So tut Gott auch groß mit seinem Volke, wenn er Jes. 41,14 sagt: Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob, ich helfe dir. Berge sollst du zerdreschen und zermalmen und die Hügel wie Spreu machen.

Zermalmt ein Würmlein Berge, so ist das nicht anders möglich als durch Gott; der empfängt alle Ehre davon. So prangt auch Jesus mit seinen Schafen: sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Das erregt die Welt samt den Pforten der Hölle. Die schwersten Irrtümer, die schlimmsten Versuchungen, Feuer, Schwert, Marter, Gefängnis und Tod werden aufgeboten, zu sehen, ob wehrlose Schafe nicht zu vertilgen seien. Ganze Heere von Wölfe fallen sie an, und was richten sie aus? Nichts anders, als daß sie Jesu Wahrhaftigkeit beweisen und seinen Ruhm vermehren. Und hier streitet gar Gott mit einem schwachen, sündigen Menschen und kann ihn nicht überwinden. „In dem allen überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat!“

„Israel sollst du heißen.“ Was sind alle, auch noch so hochtönende Titel, die Menschen führen, auf die Dauer? Sie lösen sich zuletzt in Dunst und Nebel auf. Die Geschichte hat es genugsam bewiesen. An sich schützen sie vor nichts, gegen Gottes Zorn am allerwenigsten, dem das, was unter Menschen groß, ein Greuel ist, und der am liebsten das erwählt, was schwach, unweise, verachtet, nichts ist, damit er das, was weise, geehrt und stark, ja was etwas ist, zuschanden mache, auf daß sich kein Fleisch rühme und die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns. Welche törichte Richtung bekommt die uns vom Schöpfer eingepflanzte Ehrbegierde, wenn wir Ehre bei Menschen suchen und die Ehre bei Gott nicht achten; wenn wir dieser Welt Güter suchen und nicht reich in Gott sind. Ein zerstoßenes Rohr im Reiche Gottes ist mehr als die, welche in der Welt als Eichbäume prangen, und ein glimmender Docht im Tempel Jesu Christi mehr als die brennenden Fackeln außer demselben. Esau übertraf den Jakob an Glücksgütern sehr weit. Er konnte mit vierhundert Mann ins Feld ziehen, und seine Söhne waren Fürsten.

Aber Gott hatte den Jakob lieb, den Esau nicht. Was half es denn nun? Man betrüge also nicht sich selbst! Soviel wird der Mensch nur taugen, als er gilt in Gottes Augen. „Israel sollst du heißen!“ Ohne Zweifel bekam der Erzvater diesen Namen mit Hinsicht auf die merkwürdige Person, deren Stammvater er sein und von welcher sich Segen über alle Völker des Erdbodens verbreiten sollte, Jesus Christus, dem der Name: Fürst Gottes, ganz eigentlich gebührt. Es heißt ja auch Jerem. 30,21: „Ihr Fürst soll aus ihnen hervorkommen und ihr Herrscher von ihnen ausgehen, und er soll zu mir nahen.“ – „König, Fürst des Lebens, Herr der Herrlichkeit“ sind seine Namen, und er trägt auf seinen Hüften den Titel geschrieben: „König der Könige“. Wohl mußte derselbe mit Gott, mit Menschen und mit dem Teufel kämpfen und ist obgelegen und hat einen amen empfangen, der über alle Namen ist. Ohne seinen Kampf wäre all unser Kämpfen verlorne Arbeit. Durch ihn aber überwinden wir weit.

Der wunderbare Mann gibt auch den Grund an, warum er den Namen Jakob in Israel verwandle, denn, sagte er, du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bis obgelegen. Der Name Jakob, Untertreter, war auch ein sehr lehrreicher und aufmunternder Name. Allein der Erzvater hatte aus Mangel an Licht nicht viel Aufmunterung darin gefunden. Deswegen gibt ihm der Herr über seinen neuen Namen die erforderliche Belehrung. „In deinem Licht sehen wir das Licht,“ sagt David und betet: „Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz!“ Auch wir bedürfen des Heiligen Geistes, der uns in alle Wahrheit leitet, nicht weniger als die Jünger des Herr, die doch seinen eigenen Unterricht genossen. Ohne sein Licht sehen wir höchstens Menschen wie Bäume wandeln, also undeutlich und verworren. Deswegen lehrte Paulus nicht nur, sondern betete auch, daß die gläubigen begreifen möchten, welches da sei die Breite und die Länge und die tiefe und die Höhe. Gott gibt dem Jakob das Zeugnis: er habe gekämpft, und wir haben ja auch seinem Kampf zugesehen. Man wollte ihn von der Stätte verdrängen, aber er ließ sich nicht verdrängen, sondern widersetzte sich, und zwar aus allen Kräften, wie Hosea 12,4 sagt. Er setzte alle seine Macht daran, äußerlich seines Körpers, innerlich seines Willens. So ist es ganz recht. Der Faule stirbt über seinen Wünschen, und seine Hände wollen nichts tun. Er gehe zur Ameise und lerne von diesem kleinen Tierlein, wenn er es an Jakob nicht sehen kann, alle Kräfte aufbieten, alle Mittel anwenden! Er versuche, was er vermag, und lege sich nicht zu früh schlafen auf dem Kissen einer menschlichen Ohnmacht, von der er nur vom Hörensagen weiß. gewißlich hätte Jakob den neuen Namen nicht empfangen, wenn er alsbald geflohen wäre in der Meinung: zum Widerstand hast du ja keine Kraft. Aber er mußte schon kämpfen, weil es hier ums Leben ging. Wie mancher mag es Jesu nachsagen: ohne ihn können wir nichts tun, ohne es zu glauben, weil er noch keine Versuche gemacht hat, wie weit seine Kräfte reichen. gewiß stehen die Aufforderungen zum Kämpfen und Streiten, zum Fürchten und Fleißtun, zum Schaffen und Gewalttun und Ansichreißen nicht umsonst in der Schrift und sind ebenso wahr, wie daß man durch Stillesein und Hoffen stark wird. „Ich schreibe euch Jünglingen, daß ihr stark seid und das Wort Gottes bei euch bleibt, denn ihr habt den Bösewicht überwunden. Indessen, alles hat seine Zeit. Das Gesagte bezieht sich auf die erste Station, daß ich so rede, auf der Reise nach Jerusalem. „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun, aber am siebenten Tage, dem Sabbat des Herrn, da sollst du ruhen.“ -

Dem Jakob ging es auch so. Er rang und rang. Aber endlich war das ringen vorbei, indem die Hüfte, deren Unverletztheit zum Ringen durchaus erforderlich war, verrenkt wurde. Nun war das Ringen am Ende, weil keine Kraft mehr dazu vorhanden war. Nun fiel er seinem Gott in die Arme, und siehe, nun siegte er und nicht eher. Nun ward er gesegnet und nicht früher. Kämpfe deswegen, o Mensch, der du selig werden willst!

Kämpfe aus aller Macht! Weiche kein Haar breit! Wache, bete, höre, lies! Denn siehe, Esau zieht dir entgegen mit vierhundert Mann. Mit vierhundert Mann! Und Jakob war allein. Gefährlicher Stand! Seine Weiber, seine Kindlein, seine Hirten – was für Hilfe gaben die ihm? Er mußte aber mit Menschen kämpfen. Zurück nach Mesopotamien dürfte er nicht; Gott wollte es nicht haben. Vorwärts konnte er nicht. Welche Tollkühnheit, allein vierhundert Mann entgegenzuziehen! Also heulen und klagen, jammern und verzweifeln?

Nein, das nicht! Er glaubte an einen allmächtigen und barmherzigen Gott. Er glaubte an seine Verheißung: ich will dir wohl tun. Doch war sein Glaube damals noch nicht so stark, daß er hätte sagen können: Ob Tausende wider mich sind, so fürchte ich mich doch nicht, daß er mit Ruhe hätte denken können: Der Gott, der dem Laban gebot, nicht anders denn freundlich mit mir zu reden, ist noch derselbe und kann und wird das Herz Esaus auch lenken, daß er nicht grausam gegen mich handeln kann, da ja Gott mir verheißen hat, daß durch meine Nachkommen alle Völker der Erde gesegnet sein sollen. Hätte er sich so verhalten können, wie herrlich wäre das gewesen! Allein das war seiner bisherigen Gnade noch nicht gemäß. Er fürchtete sich, weil seine Vernunft noch zu sehr überlegte und mehr auf das Sichtbare sah als auf das Unsichtbare. Aber sein Glaube war der Sieg, der die Welt überwunden hat. Dieser Glaube erweichte sein Herz, daß er weinte, wie Hosea sagt, und da hat man schon viel gewonnen, wenn man einen zerbrochenen Geist bekommt und das harte Herz schmilzt. Sein Glaube öffnete seinen Mund und Herz, daß er beten konnte, wie Hosea auch von ihm sagt. Sein Glaube nahm seine Zuflucht zu Gott. Wie? Sollte Gott denn ein Wunder tun? Was für ein armes Werk, vierhundert Bewaffneten nur das Gebet entgegensetzen zu können! Freilich, vernünftig ist das nicht, aber gläubig. Und dem Gläubigen sind alle Verheißungen eines lebendigen Gottes gegeben, der alle natürlichen und zufälligen Begebenheiten lenkt nach seinem Wohlgefallen. So kämpfte er mit Menschen auf die allerklügste Weise, indem er Gott wider sie zu Hilfe nahm, denn: ist Gott für uns, wer mag dann wider uns sein? Und o wie evangelisch klug verfahren wir alle, wenn wir unsern geistlichen Streit bei Leibe nicht auf eigene Klugheit und Kraft beginnen, sondern den Herrn selbst durch Glauben und Gebet mit in unsern Streit ziehen.

Dann wird er für uns streiten, während wir still sind: Ziehen wir ohne Gott in den Streit, meinen wir durch eigene Klugheit und Kraft genug gerüstet zu sein, so ist das ebenso töricht, als wenn Jakob geglaubt hätte, allein vierhundert Mann begegnen zu können, und dasjenige, was wir ausgerichtet zu haben meinen, ist nur Selbstbetrug. Mit Gott konnte es aber dem Jakob einerlei sein, ob sein Bruder mit vierhundert oder mit viertausend gegen ihn daherzog. Denn wer ohne Christus nichts kann, vermag durch ihn alles, und es ist dem Herrn einerlei, zu helfen durch viel oder durch wenig. So kämpfte Jakob fürstlich, wie es eigentlich heißt, gegen Menschen. Er verzagte nicht im Blick auf die Menge und Macht derer, die wider ihn waren, und sah nicht an seine Wenigkeit und Ohnmacht. Er vertraute aber auch nicht auf den zerbrechlichen Stab eigener Kraft und konnte es freilich nicht, denn der war zerbrochen. Die Vernunft zeigte ihm nichts als Untergang und Tod, und die Natur fürchtete sich, aber der Glaube half ihm durch. Durch denselben ehrte er Gott als denjenigen, der da helfen könne, wo andere Hilfe aus ist, und obschon er nicht verstand, durch welches Mittel ihm geholfen werden könne, so stellte er das Gottes allumfassender Weisheit anheim. Er fragt: Wirst du es nicht tun, Her? Ich weiß nichts mehr und kann nichts mehr und sehe mich genötigt, mich dir und deinem Wohlgefallen mit all den Meinigen und dem, was du mir sonst geschenkt hast, zu übergeben. Tu denn, was dir wohlgefällt!

Freilich erzittert da die Natur, wenn sie sich genötigt sieht, bei Gott die Hilfe zu suchen, weil sie sonst nirgendmehr zu finden ist, und ist geneigter, ihren gänzlichen Untergang zu besorgen, als Rettung und Hilfe zu erwarten. Doch gibt der Heilige Geist hier den Ausschlag. Er hält die Seele fest, daß sie erklärt: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Dies sind die eigentlichen, innern Kämpfe und Geburtswehen, während welcher die Seele aus der Tiefe ihrer Not zu Gott schreit und sodann in die Höhe emporsteigt, wenn die Zeit gekommen ist. Es ist dies in der Tat kein Scherz, und man kann da mit Salomo fragen: Einen niedergeschlagenen Geist – wer will den aufrichten? Es sind dies aber auch zugleich Wege, die auf das Ziel hinauslaufen: Der Herr hat Großes an mir getan, des bin ich fröhlich.

Du hast mit Menschen gekämpft und bist obgelegen, sagte der Herr zu Israel. Bei Laban war er leichter davongekommen. Er floh und benutzte klüglich die Abwesenheit seines Schwiegervaters als den geeignetsten Zeitpunkt zur Flucht. Damit er jedoch nicht allen Erfolg seiner Klugheit zuschreiben konnte, erfuhr Laban seine Flucht früh genug, um ihm nachzueilen. Er tat es, indem er seine Verwandten zu sich nahm, welches aber nicht die freundlichsten Absichten verriet, und ereilte ihn am siebenten Tage. Doch half Gott dem Jakob dadurch, daß er dem Laban durch einen Traum das Herz so lenkte, daß er ihm nichts zu Leide tun durfte, sondern ihn nur hart anfuhr und zuletzt nach freundlichem Abschied zurückzog. Hier kam Jakob noch leicht und mit einem kleinen Schrecken davon; denn Gott pflegt die Seinen stufenweise zu leiten und diejenigen, welche er zu schwereren Kämpfen berufen hat, vorher in leichteren zu üben. Eine Zeitlang können sie durch eigene Kraft und Überlegung noch vieles ausrichten; endlich aber geht beides zugrunde. Wellen bedecken das Schifflein, und es erhebt sich das Geschrei: Meister, wir verderben, und dann ist die Hilfe am nächsten.

So ging es auch dem Jakob. Nach der Abreise Labans bekam er einen großen Trost und eine mächtige Stärkung des Glaubens, denn es begegneten ihm die Engel Gottes. Diese Begebenheit war ihm höchst merkwürdig und ermunternd. Und weil man damals die Schreibkunst noch nicht verstand, so nannte er die Stätte, wo dies geschah: Mahanaim, des Herrn Heere. Denn da er die Engel Gottes sah, sprach er: es sind Gottes Heere. Dies half ihm nachher kämpfen. Ist jemand aus sechs Trübsalen errettet, so hegt er die Hoffnung, in der siebenten nicht stecken zu bleiben: Erfahrung bringt Hoffnung, und Hoffnung läßt nicht zuschanden werden. Christus fragte den Petrus: Meinst du nicht, wenn ich den Vater bäte, er könnte mir nicht mehr denn zwölf Legionen Engel zuschicken? So sah Jakob, daß Gott ihm allenfalls zwei Heere Engel zu Hilfe senden könne. Aber in dem Gedränge schwinden nach und nach alle sinnlichen Stützen, und Jakob bleibt mit Gott allein.

Mit Esau hat es weit mehr zu bedeuten als mit Laban. Aber auch den übermochte der wehrlose Israel, nicht durch Wehr und Waffen, nicht durch die demütigen Gesandtschaften, nicht durch seine Geschenke, und das sonst seine Klugheit für dienlich achtete, sondern durch sein demütiges und gläubiges Gebet oder vielmehr durch Gott. Gott erweichte das Herz des grimmigen Esau, der seinem Bruder den Tod geschworen hatte, dermaßen, daß, als er seines Bruder ansichtig war, er ihm entgegenlief, ihn mit den freundlichsten Gebärden herzte, ihm um den Hals fiel und weinte. Jakob sah aber seines Bruders Angesicht als Gottes Angesicht. Er erkannte in seinem ganzen Benehmen die wunderbar lenkende Kraft Gottes, der ihn gesegnet hatte. Er sah mit seinen Augen auf die auffallendste Art, wie des Menschen Tun nicht stehe in seiner Gewalt, wie sich der Mensch vornehmen kann, etwas zu sagen, und es doch darauf ankommt, ob der Herr ihm zuläßt, es auszusprechen Jakob selbst maßte sich nichts davon an als eine Wirkung seiner Klugheit und konnte es auch nicht. Er gab Gott allein die Ehre und sah in dem ganzen Benehmen Esaus nur Gottes Macht und Treue. Darum bückte er sich siebenmal zur Erde, mehr vor Gott als vor seinem Bruder. Darum nannte er ihn seinen Herrn, wie er es auch wirklich war. Denn natürlicherweise konnte Esau mit seinen vierhundert Mann mit Jakob machen, was er wollte, jedoch nichts anders, als was Gott wollte. Von Furcht wußte Jakob nichts mehr, denn er sah auf das Unsichtbare, nicht auf das Sichtbare. So übermochte er mit seiner zerbrochenen Hüfte durch Gott den Esau mit vierhundert Mann. Das heißt so kämpfen, daß man siegt. Der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. Da geschieht es nicht in eigener Kraft und auch nicht zum eigenen Ruhm. Gott empfängt alle Ehre. Ob jemand auch kämpft, wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht. Seht zu, wie ihr allein stehen wollt gegen vierhundert, oder ob ihr mit zehntausend dem entgegenziehen dürft, der mit zwanzigtausend wider euch kommt! So euch aber der Sohn frei macht, seid ihr recht frei.

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