Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 6. Betrachtung

Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 6. Betrachtung

Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob.

Die Absicht des Herrn ging dahin, dem Erzvater einen höheren Segen mitzuteilen, als er bisher gehabt. Aber man sehe doch, welch einen seltsamen Weg er dazu einschlägt! Es scheint auf seinen gänzlichen Ruin abgesehen zu sein. Ja, es scheint nicht nur, es ist wirklich so. Jakob wird immer enger und enger in die Klemme gesetzt. Er fürchtet sich vor Esau, und die empfangenen Verheißungen tun ihm die gehofften Dienste nicht mehr, daß sie sein Gemüt beruhigten. So verrechnet sich manche Seele bei den Verheißungen, welche ihr besonders lebhaft eingeprägt worden sind. Sie betrachtet sie als ein Kapital, wovon sie einmal in der Not Vorteil ziehen können, und merkt sie sich sorgfältig, um sich dann, wenn sie es bedarf, einmal daran erquicken und aufmuntern zu können. Aber siehe, das ersparte Manna will seine Dienste nicht tun. Das Wort ist wohl dasselbe, aber da der Geist nicht dabei ist, so haftet es so wenig bei Jakob, der sich dennoch fürchtete. Und das hat auch seinen Nutzen.

Während Esau noch fern ist, und er sich durch Gebet stärken will, fällt ihn feindselig ein Mann an und ringt mit ihm. Er zerreißt seine Seele durch Vorrückung seiner Sünden und seinen Leib durch Verrenkung der Hüfte. Und seine Absicht – ist die, durch das Erstere ihn zu nötigen, den Herrn als seine Gerechtigkeit, durch das Andere aber, ihn als seine Stärke zu ergreifen. Jakob begriff das sehr wohl. Deswegen ließ er sich nicht von der Stätte verdrängen, sondern setzte sich zur Wehr, und da er sich nicht mehr wehren konnte, warf er sich in die Arme des Herrn und ließ sich tragen. Und so eben wollte der Herr es gern haben. – So sehen wir selbst die Seelen, die es für etwas Böses ansehen, wenn ihre eigene Gerechtigkeit durch Sündengefühl und die eigene Kraft durch Ohnmacht zerstört wird. Beides leitet doch zuletzt zu einem Glauben, der da schwört: In dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Aber nun meint man, es gehe nur dann gut mit uns, wenn unser Vornehmen überall gelingt, da es uns doch oft weit nützlicher ist, wenn uns unser Vornehmen überall mißlingt, damit es hernach recht gelingen möge.

In der jämmerlichen Lage, am Halse seines Gegners hangend, wird innerlich die Begierde des Erzvaters nach einem höheren Segen heftig vermehrt und ihm sodann zugemutet, den loszulassen, der ihm denselben allein erteilen kann. So kann's scheinen, als bekümmere sich Jesus um den Jammer der Seele nicht, als wenn sie darin stets bleiben müsse. Aber die Absicht des Herrn ist nur die, den Menschen gründlich die eigentliche Quelle kennen zu lehren, aus der alles Gute quillt, und ihn so tief von der Unzulänglichkeit alles Selbstbessern zu überzeugen und davon zu heilen.

Jetzt bittet Jakob um Segen. Aber er bekommt ihn nicht augenblicklich, sondern der Herr läßt sich erst in ein Gespräch mit ihm ein, welches noch einen Aufschub verursacht. Das müssen christliche Seelen sich auch gefallen lassen. Sie meinen leichtlich, wenn sie ein oder etliche Mal mit Ernst und Drang um ein Heil, eine Gnadenwohltat gebeten haben, so müßte sie nun auch alsbald erfolgen, oder sie besorgen, ihr Gebet sei nicht rechter Art und ihr Gnadenstand ungewiß, wenn es nicht geschieht. Aber, lieber Mensch, ohne dein Wissen magst du vielleicht noch nicht arm genug, noch nicht genug gedemütigt sein. Siehe den Jakob an. Wann siegt er? Wann wird er gesegnet? Erst dann, wenn ihm seine Hüfte verrenkt und ihm gar keine Kraft mehr übrig gelassen ist. Vermutlich hat der Herr es mit dir dahin angelegt, daß du dich schämen und vor Scham deinen Mund zu keinem Prahlen mehr auftun sollst, wenn er dir alles vergeben wird, was du getan hast. Da wirst du dich also schicken müssen, du magst wollen oder nicht.

Und er sprach: wie heißest du? Wer fragte das? Es ist merkwürdig, daß 1. Kön. 18,31 gesagt wird: Das Wort des Herrn habe dies geredet. Merkwürdig nennen wir dies deswegen, weil bekanntlich Johannes den Sohn Gottes, unsern Herrn Jesus Christus, auch so nennt. Sonst kennen wir den Fragenden freilich schon.

Er fragt nach dem Namen des Erzvaters. Er tat das nicht aus Unwissenheit, als ob er seinen Namen nicht gewußt hätte. Den hatte er schon von Ewigkeit gekannt und geliebt. Durch seine Vorsehung hatte er es veranstaltet, daß ihm der Name gegeben worden war. Er tat diese Frage um Jakobs willen, um ihn anzuleiten, über die Bedeutung seines Namens und über die Veranlassung nachzudenken, wodurch er ihn bekommen.

Die Veranlassung war die gewesen, daß er bei seiner Geburt seinen Zwillingsbruder Esau an der Ferse hielt. Seine Geburt erinnerte ihn an das Wort des Herrn, was seiner Mutter über ihn gesagt worden war: „Der Größere wird dem Kleineren dienen“. Rebekka hatte ihm dies gewiß nicht verschwiegen, sondern hatte ihn wohl vorzüglich dadurch vermocht, sich in die nicht ganz geeignete Weise zu fügen, den Segen von seinem Bruder Esau gleichsam zu erschleichen. War denn auch Jakob, so war doch nicht auch der Herr seines Wortes vergessen. Konnte Jakob sich nicht sonderlich daran halten, so hielt sich doch der Herr daran gebunden. Denn, „es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen“. Auch die Bedeutung dieses Namens sollte den Erzvater aufmuntern. Er heißt auch deutsch: Untervertreter. Darum sagte auch sein Bruder, als er ihm im Segen seines Vaters zuvorgekommen war: er heißt mit Recht Jakob; denn er hat mich nun zweimal untergetreten; meine Erstgeburt hat er dahin, und nun nimmt er mich auch meinen Segen (Kap. 27,36). Dieser Name hätte also dem Erzvater auch Mut und getrosten Sinn einflößen sollen, daß Esau ihn nicht überwältigen werde. Allein daran dachte er nicht. Und freilich, woran denkt man, wenn man in dem Gedränge, in der Dunkelheit ist? Meistenteils nur an dasjenige, was sie noch vermehren kann, an das Gesetz, seine Forderungen und Drohungen. Und denkt man auch an die Verheißungen, sie haften nicht, und wenn sie vormals noch so süß waren.

Jakob konnte auch denken: wie kann dein Name dir Mut machen, den dir der Zufall, den dir menschliches Gutfinden gegeben hat? Hätte Gott selbst befohlen, dich so zu heißen, dann wäre es etwas anders.

So macht es auch mancher mit den Verheißungen. Er denkt: sie fallen dir nur so ein, du hast sie irgendwo gelesen, gehört oder auswendig gelernt. Allein, das wäre doch eine seltsame und für fleißige Leser der heiligen Schrift üble Sache, wenn man sich solcher Verheißungen nicht getrösten dürfte, die man schon weiß. David erfuhr es anders. Er hielt dem Herrn sein Wort vor und erwartete sodann betend die Erfüllung desselben. Indessen, was hilft es, ob uns Verheißungen einfallen, wenn uns nicht zugleich gegeben wird, damit gehörig wirksam zu sein?

Vielleicht dachte Jakob auch: du magst wohl Untertreter heißen; du wirst aber tüchtig unter die Füße getreten. Esau kommt daher mit vierhundert Mann; was willst du ausrichten? Gott selbst ist dir zuwider und nimmt dir das Vermögen, auch nur die Flucht zu ergreifen, geschweige, dich zu wehren. Nichts anders bleibt dir übrig als Gebet und Tränen. So sind Seelen manchmal geneigt zu fragen: Ist der Herr mit uns, dann müßte es uns ja ganz anders gehen. Und doch irren sie sich. Eben weil der Herr mit ihnen ist, muß es so gehen. Weil der Herr mit Jakob war, mußte ihm jede Stütze genommen werden und ihm nichts anders übrig bleiben als der Herr und sein Wort: „Ich will dir wohl tun!“

Vielleicht dachte Jakob auch: Wozu noch diese Frage? Ich bitte um Segen, und er fragt, wie ich heiße. Hielte er mich damit doch nicht auf, sondern erfüllte meines Herzens Verlangen! Allein er mußte sich diesen Aufschub gefallen lassen. Gott tut alles fein zu seiner Zeit, und die muß ausgeharrt werden, wenn es auch noch so unbequem wäre. Maria sagt: sie haben nicht Wein, und bekommt zur Antwort: meine Stunde ist noch nicht gekommen. Jetzt werden seltsame Anstalten gemacht, man bedarf Wein und füllt große Gefäße mit Wasser, aber am Ende gibt es doch Wein von der besten Beschaffenheit. Oft wird es erst sehr arg, ehe es sehr gut wird. Jairi krankes Töchterlein stirbt erst, bevor Jesus hilft. Der kranke Lazarus geht in Verwesung über, ehe es sich beweist, daß seine Krankheit nicht zum Tode war. Die Seele meint, nun sei ihr geholfen, und stimmt Loblieder an! Aber siehe, da sie meint, es gehe rechts, so wendet sich ihr Führer links, bis sie endlich lernt, sich führen zu lassen, ohne voraus zusehen und zu sorgen, wie die Wolken- und Feuersäule sich wendet oder ruht.

Wie heißt du? wußte der Herr es nicht? Und wenn er es wußte, warum fragt er und stellt sich, als wüßte er es nicht? Jawohl, warum verleugnet der Herrn, wie es scheint, manchmal seine Eigenschaften, läßt uns beten und schreien, als hörte er es nicht, wie das kananäische Weiblein lang schrie, ehe ihr ein Laut zur Antwort ward. Wie reimt sich das mit seiner Zusage (Ps. 50,15): „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten“, und (Jes. 65,24): „ehe sie rufen, will ich antworten“. Ist er so voll Mitleiden und Erbarmen, warum übt er denn so manchen durch die härtesten Leiden und achtet weder Seufzer noch Tränen? Ist sein Vermögen so groß und seine Kraft so unerschöpflich: warum findet dann seine Kirche noch Anlaß zu Klagen, wie die sind (Jerem. 14,18): „Du bist der Trost Israels und ihr Nothelfer; warum stellst du dich denn, als wärest du ein Gast im Lande, und als ein Fremdling, der nur eine Nacht darin bleibt? Warum stellst du dich denn als ein Held, der verzagt ist, und als ein Riese, der nicht helfen kann? Du bist ja unser Herr, und wir heißen nach deinem Namen.“ – Sieh doch an meinen Jammer, betet David, - als ob der Herr sich desselben nicht annähme. Solche Umstände können empfindliche Schmerzen verursachen, und doch sind sie nicht selten, aber auch gewiß nicht ohne vortreffliche Früchte, wenn auch die Aussaat nicht ohne Tränen geschieht. Ob sich auch der Herr eine Weile fremd stellt, so muß man sich das nicht befremden lassen, denn es ist gut gemeint. „Ich heiße Jakob“, antwortete der Erzvater in der Einfalt seines Herzens. – Wie einfältig und kindlich dürfen wir doch mit unserm Herrn und Freunde Jesus Christus umgehen, besonders unter dem neuen Testament, wo nicht ein knechtischer, sondern ein kindlicher Geist herrscht, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Was dürfen wir ihm nicht alles sagen, klagen, erzählen! Es braucht nicht immer wichtige Sachen zu sein. – Es dürfen auch kleine sein. Wie schön, wenn wir uns überall an ihn wenden und ihm mit vielen oder wenigen Worten sagen: Ich stecke in der Verlegenheit; hier bedürfte ich wohl Rat; wie fange ich es denn an? Wie verhalte ich mich dabei am besten? Und was dergleichen mehr ist. Das hieße ja wohl, mit dem Herrn umgehen, sich an ihn gewöhnen.

„Ich heiße Jakob“. wußte doch der Herr den Namen des heidnischen Königs Kores und nannte ihn 150 Jahre vorher. Wie viel mehr können wir es ihm glauben, daß er seine Kinder nach ihrem Namen, Wohnort, ihrer Lage, ihren Bedürfnissen und Umständen kennt. Hat er ihre Haare gezählt und sollte Wichtigeres außer acht lassen?

Indem Jakob seinen Namen nannte, mag ihm ein neues Licht aufgegangen sein, das ihm dessen Bedeutung auf eine liebliche Weise klar machte. Es bedarf oft nur eines kleines Wörtleins, um Licht und Frieden in der Seele zu verbreiten, und ganze Predigten können gehört, ganze Bücher gelesen werden, und man bleibt dabei unerbaut, wie es dem Herrn gefällt. Da ist mancher kindisch genug zu denken. Hättest du das doch eher gehört! Wäre dir jenes doch früher eingefallen! Allein wenn die Zeit erst da ist, kommt auch wohl Rat, den man früher vergebens suchte. Jetzt fand Jakob in seinem Namen selbst eine Aufmunterung, die er früher nicht darin sah. Hieraus erkannte auch er, wie uns in dunkeln Stunden alles so verborgen bleibt, was Mut macht und was uns sonst wohl so klar war, als hätten wir es mit Händen greifen können. Dann bildet man sich wohl törichter Weise ein, man wolle nun auch nie wieder zweifeln und zagen. Aber was bleibt das Meine, wenn du entzeuchst das Deine? Die Lampe unserer Seele brennt nicht länger, als der himmlische Haushalter ihr Öl zugießt. Man kann sich selbst nichts anmaßen. Alles Gute bleibt des Herrn Eigentum, worüber er sich das Verwaltungsrecht vorbehält. Er ist nach Hebr. 8 der Pfleger der himmlischen Güter.

Niemand kann sich etwas nehmen, es werde ihm denn vom Himmel gegeben. Da fuhr Gott auf von Jakob, heißt es Kap. 35, und ließ sich nicht länger halten. Daran gewöhnt man sich nach und nach und freut sich darüber allein, daß der Herr stets ist, der er ist, wenn es auch in uns wechselt. Ja, am Ende erkennt man, daß man auf jeden Fall nichts mehr ist, wenn er uns mit seinen Gaben ziert, und nicht weniger, wenn er sie uns entzieht.

„Ich heiße Jakob“, sagt der Erzvater. Diesen Namen hatten ihm seine Eltern bei der Beschneidung gegeben, und er mochte bedeuten, was er wollte, so erinnerte ihn derselbe doch an den Gnadenbund, wovon die Beschneidung das Siegel war, und dessen Hauptinhalt die Verheißung war: Ich bin dein Gott. In dieser Hinsicht genießen wir mit Jakob dasselbe Vorrecht. Unsere Namen sind uns bei der heiligen Taufe, diesem Siegel des neuen Bundes, der auf weit vortrefflicheren Verheißungen beruht, gegeben worden. Ein Botschafter an Christi Statt hat uns mit Namen genannt und uns im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes den neuen Bund versiegelt. Was wollen, was brauchen wir doch mehr? Welche freimütigen Ansprüche an Gott dürfen wir selbst auf unsern Namen gründen, d er uns an den Bund erinnert, den Gott um Christi willen mit uns errichtet hat! Wir sind Sünder, das ist wahr; allein wahr ist es auch, daß Christus uns mit seinem Blut und Geist von allen unsern Sünden waschen und unsere Natur wieder nach seinem Ebenbilde erneuern will. Das ist aber freilich ein großer Schimpf, wenn jemand den Namen führt und den Bund nicht achtet. Wohl dem, den Gott in solche Schrauben setzt und ihn dermaßen in die Enge treibt, daß er gern zu dem Gnadenbunde seine Zuflucht nimmt und die wirkliche Mitteilung der herrlichen Güter sucht, die ihm da versprochen sind. Siehe, Gott will dein Vater, und du sollst sein Kind sein. Alles, was der Sohn Gottes durch Leiden und Tod erworben hat, soll dein eigen sein. Der Heilige Geist soll dein Lehrer und Tröster sein. Wie sollte also aus deinem Heil nicht etwas Vollkommenes werden können, da solche drei Personen es auszurichten übernommen haben? Schäme dich deines Unglaubens!

Ohne Zweifel wird Jakob auch eine heilige Scham empfunden haben; teils wenn er an die ungemeine Herablassung Gottes dachte, sich mit einem solchen Wurm in ein so herrliches Bündnis einzulassen, in welchem er doch eigentlich nichts fordern, wenn es auch wohl so scheint, sondern alles geben will; und wenn er sagt: wandle vor mir und sei fromm, erst den Glaubensblick dahin lenkt, daß er der allgenugsame Gott ist. Er will sorgen, er will abwaschen unsere Sünden, er will lehren und trösten. Also dürfen wir nur still sein. Und können wir nicht still sein, so will er auch das geben. Alle unsere Sorgen dürfen wir auf ihn werfen. Und können wir des Sorgens nicht los werden, so dürfen wir fragen: Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Fein über mich erheben? (Ps. 13,3). – Heische nur von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum (Ps. 2, 8). Was ist das doch für ein Bündnis, in dem alles versprochen wird! Wohl mag es da heißen: Ich bin zu gering aller Warmherzigkeit und aller Treue, die du an mir getan hast!

Wer sollte nicht Lust zu einem solchen allerliebsten Bündnis bekommen, wo es heißt: „Selig sind die Armen, denn das Himmelreich ist ihr! Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden“, und woran nur die Satten, die Reichen, die Weisen und Frommen keinen Teil nehmen können. Dies recht eingesehen, versetzt in die süßeste Scham und in eine Dankbarkeit von ganz eigener Art: „Denn ich sah dich in deinem Blute liegen und sprach: Du sollst leben!“ Wunderbare Barmherzigkeit! Teils mußte Jakob sich heiliglich schämen über seine Furchtsamkeit. Wie? mußte er denken: Ist Gott für uns, wer mag dann wider uns sein? laß Esau viertausend statt vierhundert Mann bei sich haben, was kann er mit tun? Hat doch Gott selbst mich nicht übermocht, weil seine Allmacht mich nicht anders behandeln konnte, als es seiner Zusage gemäß war: „ich will dir wohl tun“. O, mußte er denken, wie wenig kenne ich ihn noch, wie wenig fasse ich ihn noch! Was bin ich ohne sein Licht anders als der Unverstand selbst, ohne seine Gnade anders als die Ohnmacht selbst? Und was bin ich in ihm? Ich habe alles genug. Wie wurde ihm vollends zumute, wenn er sich besann: Wer gab dir den Mut in dem Kampfe, wer Mut zum Aushalten? Wie weise war die ganze Behandlungsart! Wohl mochte er die Stätte ein Pniel nennen. Ähnliche Erfahrungen machen gedemütigte Seelen noch.

„Ich heiße Jakob“, sagte der Erzvater. Und wie heißen wir? Unsere Namen lauten zum Teil sehr übel, zum Teil sehr tröstlich, zum Teil sehr herrlich.

Sehr übel lauten unsere Namen, und weil das wahrhaftige Wort sie uns gibt, so können wir uns derselben nicht weigern, ohne den wahrhaftigen Gott zum Lügner zu machen, welches eine entsetzliche Sünde wäre. Und wie heißen wir denn? O, es ließe sich ein langes Register solcher bösen Namen anführen: Ungerechte, Sünder, Gottlose, Abtrünnige, Ungehorsame werden wir gescholten und mit andern bösen Namen mehr belegt.

Was sollen wir damit anfangen? Sie ableugnen, hieße, sie noch schwärzer machen. Sich nicht daran stören geht auch nicht an; denn diese Namen sind lauter Urteilssprüche. Nicht gleichgültig dürfen wir dagegen sein, sondern sie müssen uns so lange einen geängsteten Geist machen und sollen unser Herz zerknirschen und zerschlagen, bis wir dahin kommen, dem Herrn unsere Missetat zu bekennen, ihm wider uns Recht geben und gestehen: Was diese Namen sagen, das bin ich und nichts anderes. Dann ist er treu und wird uns stärken und bewahren vor dem Argen. Aber ach, was gehört dazu, ehe es dahin kommt? Wie lange pflegt man manchmal alle Versuche zu machen, um zu bewirken, daß man den Namen eines Frommen verdient, und welchen Kummer und welche Not verursacht es, wenn dies alles mißlingt. Man will sich von seiner Sünde losbeten, losängstigen und – kämpfen. Und solche Versuche sind auch um so nützlicher, je ernstlicher sie sind, denn über denselben lernt der Mensch desto gründlicher an sich selbst verzagen, desto gründlicher sein Heil bei Christus allein suchen und mit desto größerem Erstaunen an den glauben, der die Gottlosen gerecht spricht. Allein gewiß ist es: Will man den Namen Jesus verstehen lernen, so geschieht es auf keinem andern Wege, als daß man zuvor seinen eigenen Namen: Sünder wohl einsehe. Je völliger wir den gelten lassen, desto mehr wird auch der Name Jesus bei uns gelten, der nur Sünder selig macht.

Können wir das recht bei uns gelten lassen, so werden die tröstlichen Namen uns auch erquicken. Und was für welche sind das? Auch hier steht der Sündername mit obenan als ein sehr tröstlicher Name. Wie das denn? Nennt Gott selbst uns so, so beweist er damit, daß er von uns als von uns selbst auch anders nichts erwarte, als was diesem Namen gemäß ist, und macht uns dadurch Mut, uns ihm denn auch in unserer Armut und Blöße darzustellen. Und welche Verheißungen sind daran geknüpft? So daß ich wirklich nichts als ein Sünder zu sein brauche, um mich der herrlichsten Dinge zu getrösten, denn der Name Jesus steht ihm mit der Verheißung gegenüber, daß er solche selig machen wolle.

Und das ist je gewißlich wahr. Leuchtet dies einem bekümmerten Gemüt ein, so wird gerade das im Mut einflößen, was es sonst beängstigte, und es wird in Jesus alles finden, was es bei sich selbst vergeblich suchte. Macht er Sünder selig, so werden sie auch gewißlich selig werden, oder Jesus müßte kein vollkommener Seligmacher sein. Je mehr sich also jemand als Sünder fühlt und erkennt, desto mehr mag er vertrauen: Jesus werde ihn von allen seinen Sünden und seinem Elend selig machen.

Wie tröstlich ist der Name der Gottlosen, denn Gott spricht sie gerecht; der Verlornen, denn Jesus sucht sie; der elenden, denn er leitet sie recht; der Betrübten, denn er tröstet sie; der Gefangenen, denn er macht sie frei! Kurz, können wir nur Jesus dabei fassen, so wandeln sich alle jene Namen in lauten Mutgebungen um. Fragt Jesus uns also: wie heißest du? Und wir können in Einfalt, mit gründlicher Zustimmung antworten: Sünder, so wird es uns wie dem Jakob ergehen, dem bei Nennung seines Namens ein liebliches Licht aufging. Sollten wir uns aber sträuben, sollten wir das Seligmachen noch mit verwalten und Jesus nicht allein anvertrauen wollen, so ist lauter Unfall und Herzeleid in unserm Wege. Aber die Übung hiervon ist so leicht nicht, wie es sich ansieht. Man versuche es nur! Wir sind dazu viel zu eigenweise, stolz und eigengerecht, und es gehört mancher Schlag mit dem Hammer des Gesetzes dazu, ehe der Fels unsers Herzens zertrümmert ist.

Diejenigen, die nun aber auf Eigenes zu verzichten, alles in Jesus suchen, führen auch die herrlichsten Namen von der Welt, welche im Himmel angeschrieben sind. Einer der vortrefflichsten Namen, die sie führen und der alle sonstige Herrlichkeit in sich faßt, der auch ganz schriftgemäß ist, ist der: Christen. Wir lesen, daß Gott den Namen des Abraham und der Sarah verändert, indem er denselben einen Buchstaben aus seinem Namen „Jehova“ beifügte, wodurch er sie in eine gewisse Gemeinschaft seiner Herrlich aufnahm.

Indem wir aber Christen genannt werden, werden wir dadurch in Gemeinschaft und Beziehung auf Christus gesetzt. Und das will viel bedeuten,. Für uns sind wir Sünder, allein in Christus sind wir Gerechte Gottes. Für uns sind wir schwach, mit Christus verbunden aber stark und unüberwindlich. Für uns sind wir elend, in ihm selig und herrlich. Doch können Einbildungen hier nichts helfen, es muß Wahrheit und Wesen sein. Wie heißest du denn? Aber bist du auch, was du heißest? Welch ein Glück ist dann dein! Christus muß dann eher gestürzt werden, ehe dir etwas zuleide geschieht. Ist der Herr dein Hirt, dann wir dir nichts mangeln.

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