Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 2. Betrachtung

Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 2. Betrachtung

1. Moses 32,26

Da er sah, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenkt.

„Da er sah, daß er ihn nicht übermochte“, so fährt die wunderbare Erzählung fort. Der Sieg entscheidet sich für Jakob, und der Sohn Gottes muß ihm das Feld einräumen! Kein Wunder auch, denn er hatte sich selbst die Hände gebunden durch sein Wort: „Ich will dir wohl tun“ und dadurch seiner Allmacht die Richtung angewiesen, die sie nehmen mußte. Sie konnte wohl Dinge wegräumen, die dem Jakob hinderlich waren, nicht aber sein Verderben befördern. Wohl konnte und sollte sie Wohltaten aber ihn ausschütten, nicht aber sie ihm entreißen. Die Allmacht war eine Dienerin der göttlichen Wahrheit und konnte nichts wider, sondern nur alles für dieselbe. Himmel und Erde hätte sie zusammen und durcheinander reißen können, aber sie hätte zugleich den Jakob unversehrt erhalten müssen.

Allmacht ist eine Eigenschaft Gottes, deren Anwendung von seinem Willen abhängt, die Gott also erweisen und zurückhalten kann, je nachdem er will. Mit seiner Wahrheit verhält es sich anders, denn die macht sein Wesen aus, und es ist unmöglich, daß er die verleugnet, dann müßte er aufhören, Jehova, das ist der zu sein, der er ist. Schon oft hat er seine Allmacht ganz und gar verleugnet, daß man nichts als Schwachheit an ihm sah. Wo war seine Allmacht, da er vor Herodes nach Ägypten floh? Ach, ist das der Mann, der sein Volk selig machen, der Mann, der als der Stärkere über den stark Gewappneten kommen und ihn binden will? Ist das das Kind, welches Kraft und Held ist? Wo war seine Allmacht, da man ihn band, da man ihn an Händen und Füßen an ein Kreuz nagelte, da er tot im Grabe lag? Sie war wohl da, aber er verleugnete sich selbst um der Wahrheit willen, wie er selbst sagt: Wie würde die Schrift erfüllt? Es muß also gehen. Denn gegen seine Wahrheit kann die Allmacht darum nicht, weil Gott sie nur zugunsten derselben anwenden will. Zu seinen Schafen hatte er aber gesagt: Niemand soll sie aus meiner Hand reißen; deswegen mußte Gottes Macht gleich bei der Hand sein, als es das Ansehen gewann, Jesu Zusage würde an dem verleugnenden Petrus und sah den ihn sichtenden Satan mit allmächtigem Blick an, da ward die Allmacht der Wahrheit Dienerin.

Das begriff niemand besser als Jakobs Großvater Abraham, was er an der göttlichen Wahrheit habe und was man wagen und hoffen dürfe, wenn man sein Wort für sich habe. In Isaak war ihm eine segenbringende und gesegnete Nachkommenschaft verheißen. Den sollte er schlachten. Getrost griff er zum Messer, aus festeste überzeugt: sein Wort muß Gott halten, weil er es kann, und so erwartete er, daß seine Allmacht, der Wahrheit dienstbar, eher den getöteten und verbrannten Isaak wieder von den Toten auferwecken, als Gott zum Lügner werden lassen würde, denn dies ist unmöglich, sonst aber alle Dinge bei Gott und durch ihn dem möglich, der da glaubt.

Das begreift Jakob auch. Ich will dir wohltut, hatte der Herr ihm versprochen. Also konnte er seine Allmacht nur insofern an ihm beweisen, als es diesem Wort gemäß war, und weil er sich daran hielt, vermochte der Allmächtige nicht, ihn von der Stelle zu verdrängen, sondern zog im Kämpfen den Kürzern.

Wo ist doch ein Gott wie er, und wie spielt die ewige Weisheit mit ihren Kindern! Wie mögen wir wohl mit David aus Psalm 119, V. 38 beten: laß deinen Knecht dein Gebot festiglich für dein Wort halten! Wie würden wir dann die Herrlichkeit Gottes sehen und finden, daß wir an derselben einen Trost haben, der uns nicht umkommen läßt im Elend. Hat er uns nicht alles versprochen, was zu unserer Seligkeit, Freude und Wohlfahrt erforderlich ist, und es gleichsam zum Überfluß noch mit Brief und Siegel, mit Taufe und Abendmahl befestigt? Was können wir mehr verlangen? Will er nicht Missetat und Übertretung vergeben? Was ängstigen wir uns denn? Der Teufel und unser eigen lügenhaftes Herz mag dagegen murren, was es will! Will er uns nicht ein neues Herz geben und selbst Leute aus uns machen, die in seinen Geboten wandeln, seine Rechte halten und darnach tun? Und wir sollten töricht genug sein, zu besorgen, wir müßten unser unartiges Herz deswegen behalten, weil wir es selbst nicht ändern können? Christus selbst sollte uns zur Weisheit gemacht sein, und wir doch immer töricht bleiben, er unsere Heiligung übernommen haben, und wir doch unrein bleiben?

Im Grunde muß man sich ja wohl mit Recht darüber verwundern, daß wir nicht vollkommene Heiligen sind, denn was mag die Ursache davon sein, daß wir es nicht sind? Ich denke, die Hauptursache liegt darin, daß wir zu hochmütig und zu werkheilig sind, um alles aus lauter Gnade und um seines Wortes willen zu erwarten, und noch zuviel durch uns selbst zwingen, so viel für uns selbst sein und werden wollen. Sagt uns nicht das wahrhaftige Wort: Der Herr sorgt für euch, darum werft alle eure Sorgen auf ihn? Aber wer glaubt solcher Predigt? So hat man Ruhe, so wird man stille, so erquickt man die Müden. Doch wollen sie solcher Predigt nicht und sorgen selbst, statt zu glauben, und deswegen erfahren wir auch so wenig von der Herrlichkeit Gottes und quälen uns vergeblich mit einer Last, der wir nicht gewachsen sind. Aufs Geschöpf zu vertrauen, halten wir für vernünftig, auf den lebendigen Schöpfer zu hoffen, für ungereimt. O wir Toren, da wir doch nicht einmal die Farbe eines Haares ändern können! Wie gut könnten wir es aber haben um des Wortes willen: Er sorgt für euch, darum werft alle eure Sorgen auf ihn, im Innern wie im Äußern, wenn wir zugleich demütig, biegsam, willenlos genug wären! Dann würde Jesus uns nicht mit den Vöglein beschämen, sondern wir würden, der Lerche im Gewitter ähnlich, auch mitten im Gedränge ein Loblied singen. Kurz, durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen. Und ist nicht sein gegebenes Wort, dessen Dienerin und Ausführerin seine Allmacht ist, gänzlich von der Art, daß es uns ganz still und ruhig machen kann? Denn wenn auch Berge weichen und Hügel hinfallen, so soll doch meine Gnade nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht hinfallen.

Allein, sollten nicht Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit solche Eigenschaften sein, die uns billig schüchtern machen müßten, seine Zusagen auf uns zu deuten, und wird die Bemerkung, daß wir Sünder sind, darin nicht eine große Abänderung machen? Wenn Jakob so hätte denken und demgemäß handeln wollen, so würde er bald vom Kampfplatz gewichen sein, denn was war er mehr als ein Sünder, und wenn er mehr war, hatte er das aus sich selbst oder aus der Gnade des Berufers? Ehe noch die beiden Zwillinge geboren waren, sagt Paulus, und weder Gutes noch Böses getan hatten, auf daß der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl, ward zu Rebekka gesagt, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers, als: der Größere soll dienstbar werden dem Kleinern. Freilich sind wir Sünder, da aber Jesus gekommen ist, Sünder selig zu machen, so wächst das ich so rede, das Recht an den Seligmacher in dem Maße, als wir unsere Sünderschaft gewahr werden. Das müssen wir wissen, daß Gott nicht nur dem Volk Israel Kanaan nicht gab um seiner Gerechtigkeit willen, „denn ich weiß,“ spricht er, „daß du ein halsstarriges und ungehorsames Volk bist,“ sondern daß überhaupt seine Zusagen ihren Grund in seiner freien Gnade haben und in dem Blute Jesu Christi. Wenn jemand um seiner guten Eigenschaft und um seines Wohlverhaltens willen an göttliche Zusagen Ansprüche zu haben glaubte, so würde er deswegen wenig oder nichts bekommen, weil er nicht verstände, umsonst zu kaufen. Gott weiß viel besser, was für elende Sünder wir sind, als wir selbst und hat uns in seinem Buche so signalisieren und bezeichnen lassen, daß wir Mühe haben, nicht höher von uns zu halten, als uns, dieser Beschreibung gemäß, geziemt Aber dessen ungeachtet hat er zum Ruhm seiner herrlichen Gnade eben diesen die teuersten und allergrößesten Verheißungen gegeben, und Christus hat durch seinen Gehorsam, Leiden und Sterben hinlänglich dafür gesorgt, daß die Gnade über uns walten kann, ohne daß sich die göttliche Gerechtigkeit und Heiligkeit derselben widersetzen könnte.

Jene, die Gnade, ist, so zu rechnen, auch älter wie diese. Des Baums des Lebens wird eher gedacht als des Baums der Erkenntnis des Guten Böden mit seiner Drohung. Die Verheißung ist nach der Lehre Pauli (Gal. 3,17) wenigstens 430 Jahre älter als das Gesetz, welches Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit offenbart, aber seine versprochene Gnade ebenso wenig schmälert als ein gültiges, durch den Tod bestätigtes Testament auch nicht einmal unter Menschen nachgehends wieder aufgehoben werden kann. Und das Testament, spricht der Apostel, das von Gott zuvor bestätigt ist auf Christus, wird nicht aufgehoben, daß die Verheißung sollte aufhören. So haben wir es nicht mit dem Gesetz, das da sagt: „Tue das“, sondern mit dem Evangelium zu tun, welches spricht: „Ich will dir geben, heische von mir!“ Sagt uns dort der Kämmerer: Was hindert es, daß ich mich taufen lasse?, so sollen wir ja nun billig sagen: Was hindert es, daß mein Gemüt lauter Glauben und Zuversicht werde und sich nicht anders betrachte, als sei alles schon überwunden, als seien wir schon so gut als wirklich im Himmel, zumal da, wenn wir einmal in das Glaubensschifflein eingetreten sind, nichts dasselbe an dem vollen Eingang in den Hafen hindern kann. Denn aus Gottes Macht werden die Gläubigen bewahrt zur Seligkeit.

O verständen wir dasjenige nur recht, was zu unserm Frieden dient, wir würden vor gutem Mut jauchzen, und der Arge würde es nicht wagen, uns anzutasten. Jakob verstand es vortrefflich, so vortrefflich, daß er überwand, da der Allmächtige sich selbst in einen Kampf mit ihm einließ, jedoch nicht eher einließ, bis er sich selbst mit den starken Seilen der Liebe und den festen Stricken seiner wahrhaftigen Verheißungen die Hände gebunden hatte; der Allmächtige, dessen Allmacht auf die Seite des Kämpfers getreten, um ihn durch alles durchzubringen. O gewiß, alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. gewiß, so du glauben würdest, solltest du die Herrlichkeit Gottes sehen. Hast du nur eine Verheißung auf deiner Seite, so ist dein herrlicher Sieg ganz gewiß, und schien er ebenso unmöglich, als es unmöglich schien, daß der gestorbene, schon in Verwesung übergegangene Lazarus seinen Schwestern wiedergegeben werden würde. So fürstlich betrug sich Jakob, wie Gott durch den Propheten Hosea von ihm rühmt, recht, wie es sich für einen geistlichen König geziemt, der im Streit nicht nachläßt, bis sich der Sieg entscheiden hat. Aber siehe, was ereignet sich? Da er sah, daß er ihn nicht übermochte, heißt es, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an, und das Gelenk seiner Hüfte ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Ein neues Wunder! Er verrenkt seine Hüfte. Dies muß merkwürdig sein, denn es wird zweimal gesagt. Die Ursache der Verrenkung wird in den Worten angegeben: Er rührte seine Hüfte an; und indem er dem Jakob alle Kraft zum weiteren Ringen benahm, bewies er seine gänzliche Überlegenheit, führte aber zugleich das Wunderbare ganz ins Unbegreifliche, indem er sich dennoch für überwunden erklärt, da er zum Erzvater spricht: Laß mich gehen!

Die Hüfte ist gleichsam das Fundament des Gebäudes unseres Körpers. Wird sie verrenkt, so fällt der Körper dahin. Eine Hüftverrenkung ist ein äußerst seltener Fall. Nur durch erstaunliche Gewalt ist sie möglich und bei derjenigen Stellung, die jemand dann einnehmen muß, wenn er gegen jemand ringt, der ihn von einem Orte verdrängen will, wie es beim Jakob der Fall war, fast undenkbar. Geschieht sie doch, geschieht sie durch bloßes Anrühren wie hier, so ist das ein seltsames Wunder. Eine solche Verrenkung ist natürlicher Weise mit sehr heftigen Schmerzen verknüpft. Ob der Sohn Gottes diese den Jakob auch hat empfinden lassen, wissen wir nicht. Es hing von seinem Willen ab, und die Wirkung war auf jeden Fall dieselbe. Ringen konnte der liebe Mann nicht mehr. Es blieb ihm also nichts anders übrig, als sich ganz und gar mit seinen Armen an seinem Gegner festzuhalten, ihn aus aller Macht zu umklammern. Und dies tat er auch, so daß er nicht von der Stelle kommen konnte, ohne ihn mitzuschleppen, weswegen er auch sagte: Laß mich gehen! Jakob konnte aber nicht mehr gehen noch stehen, viel weniger ringen, er mußte sich tragen lassen. Nun, das hat der Herr ja auch versprochen: „Ich will dich heben und tragen“, und dazu zwang ihn der Sohn Gottes selbst dadurch, daß er ihm alle Kraft benahm, ihm also nichts übrigließ, als sich an seinen Hals zu hängen, wenn er nicht allen wollte. Aber was sollte dies doch bedeuten? Warum verrenkte ihm doch der Sohn Gottes die Hüfte und das vielleicht unter heftigen Schmerzen? Was war doch der Zweck, die Absicht, die Ursache?

Vorerst müssen wir wissen, daß Gott durch den Propheten Jesaja die Antworte auf die Frage Jakobs an seinen Gegner: Wie heißt du? Auch dadurch hat beantworten lassen, daß er sagte: Er heißt Wunderbar. Es liegt ohne Zweifel aber soviel Demut als Weisheit darin, wenn wir auf die Frage: Warum tut Gott dies und jenes? Uns völlig mit der Antwort begnügen können: Weil es ihm so gefällig ist. Darüber bekommen wir auch wohl nachgehends befriedigende Aufschlüsse. In seiner Regierungsweise kommt vieles Unbegreifliche vor, und wir sollten uns unter seine gewaltige Hand demütigen lernen, dann erhöht er uns zu seiner Zeit.

So lange Hiob dabei bliebe: der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt, so lange hieß es: In dem allen versündigte sich Hiob nicht. Als er aber mit seinen Freunden über die Ursachen und Absichten seiner Schicksale disputierte, kamen sie in eine Verwirrung, woraus sie sich nicht zu wickeln wußten. Hiob wollte Gott der Ungerechtigkeit, sie ihn der Gottlosigkeit beschuldigen, und beide hatten unrecht, bis Gott ins Mittel trat und sprach: Wohlan, bist du so weise, alles ergründen zu können, so will ich dich fragen, lehre mich; worauf Hiob aber es umkehrte und sagte: ich habe unweislich geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe, so erhöre und laß mich reden, ich will dich fragen, lehre mich! Da hieß es: Mein Knecht Hiob hat recht geredet von mir.

Wenn Abraham erst die Zwecke und Absichten der verlangten Aufopferung seines Isaak hätten wissen wollen, so hätte er die Zwecke und Absichten vereitelt; aber nun glaubte er, Gott könne nichts tun, als was seinem gegebenen Worte gemäß sei, und so stieg er den Morija hinan und bekam das große Lob: Nun weiß ich, daß du Gott fürchtest. Als Christus anfing, seinen Jüngern die Füße zu waschen, wollte Petrus erst die Absicht dieser Handlung wissen, bevor er sich bequemte, seine Füße seinem Herrn hinzugeben. Es hieß aber: Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren. Und da dies noch nicht helfen wollte, sagte der Herr: Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Teil an mir. Zu Mose hieß es überhaupt: Von hintennach wirst du mich sehen.

Meine Schafe folgen mir, sagt Christus, aber er führt sie nicht selten so, als ob er nicht ein Hirt sei, sondern sie nur zur Schlachtbank führe. Sind das Gottes Kinder, hätte man fragen sollen, die nur da zu sein scheinen, um verfolgt, getötet, von Hunden und Löwen zerrissen zu werden und, mit Pech überzogen, die Straßen Roms durch die langsamen Flammen zu beleuchten, die ihr Leben aber nicht achteten und dazu bestimmt sind, im Himmel zu leuchten wie Sterne immer und ewiglich. Der Herr dieser Gemeinde trägt statt der Krone einen Dornenkranz, statt des Zepters ein schwaches Rohr, hängt an einem Kreuze, statt auf einem Throne zu sitzen. Welch ein Herr, welch eine Gemeinde! Wohl ist es eine törichte Predigt und sollte es auch dermaßen sein, daß der natürliche Mensch ganz töricht darüber werden möchte. Aber glaube du nur, harre du nur auf den Herrn im Wege seiner Gerichte. Das Ende wird Herrlichkeit sein, eine Herrlichkeit, die wohl kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist. Sein Name ist: Wunderbar, aber herrlich führt er es hinaus.

Könnten wir auch gar keine Weisheit in seinem Benehmen gegen Jakob entdecken, so müssen wir dennoch glauben, daß er aus sehr weisen und heilsamen Gründen so mit ihm umgegangen sei, wenn es ihm auch nicht gefallen haben sollte, uns etwas hierüber zu offenbaren. Jedoch ist es nicht schwer, etliche heilsame Absichten dieses Verfahrens zu entdecken. Die vornehmste ist die, wenn Gott uns durch Erfahrungen inne werden läßt, daß wir keine eigene Gerechtigkeit haben, noch uns erwerben können, und daß wir durch unsre eigne Weisheit nichts auszurichten vermögen, und wenn er uns so demütigt, so ist dies ein Weg, den er mit allen seinen Kindern einschlägt, wenngleich die Mittel verschieden sind, wodurch er diesen Zweck erreicht. Für den alten Menschen sind diese Wege schmerzhaft, wie bei Jakob die Verrenkung seiner Hüfte, aber dieser Schmerz wird durch die nachfolgende Frucht reichlich erstattet.

Im Anfang macht man sich seltsame und ungegründete Vorstellungen vom Christentum. Man bildet sich in demselben ein Wachstum ein, wie wir es an den Kindern wahrnehmen, welche der mütterlichen Pflege und Hilfeleistung immer weniger bedürfen, bis sie dieselbe endlich ganz entbehren können. Christus aber vergleicht die Seinigen lieber mit den Weinreben, welche nie aus sich selbst, sondern nur dadurch Frucht bringen, daß sie am Weinstock bleiben. So, sagt er, könnt auch ihr keine Frucht bringen von euch selber, ihr bleibt denn in mir, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Im Anfang hat man gemeiniglich Vorstellungen vom Christentum, welche diesem Bilde wenig entsprechen. Man denkt von alten Christen, die hätten es nun weit gebracht, und sie haben es auch wirklich so weit gebracht wie Jakob, der für sich selbst nicht mehr stehen noch gehen, geschweige gar ringen konnte, und dem nichts mehr übrig blieb, als sich an den Sohn Gottes anzuklammern und sich von ihm gleichsam tragen zu lassen, oder nach Pauli Ausdruck: im Glauben des Sohnes Gottes zu leben, der sie geliebt und sich selbst für sie dahingegeben hat. Wenn sie schwach sind, so ist er ihre Stärke; sie haben nichts inne und haben doch alles; können aus sich selbst auch nicht einmal etwas Gutes denken und vermögen doch alles, und was der seltsamen Beschreibungen vom innern Leben mehr sind, welches man mit Recht ein beständiges Rätsel nennen möchte, das ohne eigne Erfahrung nicht entziffert werden kann. Ein wahres Zunehmen, welches allerdings bei einem wahren Christentum stattfinden muß, besteht nicht darin, daß man aus und für sich selbst immer besser fertig werden kann mit den Pflichten der Gottseligkeit, sondern es ist vielmehr ein Zunehmen in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi, eine immer größere Fertigkeit, sich Christus so zunutze zu machen, wie und wozu er uns von Gott gemacht und gegeben ist, und dies kann natürlich nicht anders erlernt werden, als dadurch, daß unsere eigne Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung zerstört werde, wodurch wir abnehmen, Christus aber wächst. Die Hüfte, daß ich so rede, worauf der ganze Körper einer bloß natürlichen Gottseligkeit ruht, der Grund der sie trägt, ist nichts anders, als das Vertrauen zu sich selbst. Daher sind die Rechtschaffenen stolz auf ihre Rechtschaffenheit und haben Ursache dazu, weil sie eine Frucht ihres Fleißes ist. Sie verdanken sie ihrer Einsicht, ihrem eigenen Nachdenken, oder doch dem Verstande, den sie einmal hatten, und ihr löbliches Verhalten ist der Erfolg ihrer guten Vorsätze, welche sie gehabt, und sich auch stark genug gefunden haben, sie auszuführen. Das Schreien von menschlicher Ohnmacht halten sie für ein Gewäsch, womit man nichts anders beweise als seine Faulheit, oder für einen Kunstgriff, seine Schlechtigkeit damit zu bemänteln und ein pflichtgemäßes Verhalten auf eine heuchlerische Weise von sich zu weisen, und das Berufen auf Gnade ist in ihren Augen wenig mehr, als Gott die Schuld geben, daß man nicht besser ist. Beides ist in ihren Augen gleich abscheulich, und sie danken Gott, daß sie nicht sind, wie solche Leute, Maulchristen und Schwärmer. Diese Starken bedürfen des Arztes nicht. Natürliche Menschen, welche ein Gottloses Leben führen und sich also freilich nicht auf ihre Tugenden berufen können, behelfen sich stets damit, daß sie doch diese und jene Sünde nicht begangen haben; teils bilden sie sich ein, wenn sie es einmal nötig finden sollten, sich zu bessern, so wollten sie bald damit fertig sein. Dies hat aber immer noch Zeit. Mit dem wahren Christentum, dem sie diesen Namen nicht bewilligen, mögen beide Klassen nichts zu schaffen haben, sondern sind ihm Feind, so wie ihnen das meiste von demselben höchst ungereimt und läppisch vorkommt, daß sich ein vernünftiger Mensch dessen zu schämen Ursache hätte. Sie verlassen sich auf eigenen Verstand und eigene Kräfte und begreifen nicht, worauf man sich sonst sollte verlassen können. laßt sie fahren, denn sie sind blind!

Fängt aber der Herr an, mit einer Seele zu ringen, wir wollen sagen: Fängt er sein Gnadenwerk in einem Menschen an, so ringt er auch so mit ihm, daß er sicherlich früher oder später die Hüfte verrenkt, so verrenkt, daß ihm nichts übrig bleibt, als was dem Jakob übrig blieb, nämlich mit beiden Armen des Glaubens den Sohn Gottes zu umfassen, nichts übrig bleibt, als sich von ihm heben und tragen zu lassen. Er wird nach und nach von der alten Weise, zu bestehen und zu wirken, ganz abgebracht und in eine Weise übergeleitet, wovon er selbst gestehen muß, daß es ihm nicht von Fleisch und Blut geoffenbart sei, daß er es nicht aus Büchern, aus Predigten, von andern Menschen, durch eigene Klugheit erlernt habe, sondern daß eine wunderbare Gnade ihn erst unmündig gemacht und ihm sodann das Geheimnis des Reiches Gottes zu offenbaren angefangen habe. Jetzt lernt er recht von Herzen Schriftstellen glauben, wo es heißt: So liegt es nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen; Stellen, die ihm sonst ein heimliches Ärgernis waren und jetzt zu lauter Weisheit werden. Jetzt erfährt er an sich selbst, wie viel Ursache Petrus gehabt habe, das Licht, wozu das auserwählte Geschlecht von der Finsternis berufen ist, ein wunderbares zu nennen.

Wir hätten davon noch manches zu reden, wie der Herr die Zerstörung des falschen Grundes des Selbstvertrauens in der Buße beginnt und sodann durch allerlei Anfechtung und allerlei seltsame Weisen vollendet, bis sich der von allem entblößte Sünder glaubensvoll in die Arme eines gebenedeiten Herrn und Heilandes wirft. O wo bleibt unsere Weisheit nach dem Ausspruch des Christentums, da es dies als den Weg zur Weisheit angibt, daß wir Narren werden nach dem Grundsatze der Welt und derjenige noch nichts weiß, der da meint, er wisse etwas? Wo bleibt unsere Kraft, da Christus nur in Schwachen mächtig ist und wir ohne ihn nun einmal nichts tun können? Wo unsere Gerechtigkeit, da wir alle für Gottlose erklärt erden, unter denen kein Unterschied ist, als den die Gnade macht? Wo unsere Bemühung, da ihr aus Gnaden selig geworden seit? Herr, öffne uns die Augen, daß wir sehen die Wunder an deinem Gesetz!

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_g.d/jakobs_kampf_und_sieg/2._betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain