Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 10. Betrachtung

Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 10. Betrachtung

1. Mose 32,30

Und er segnete ihn daselbst.

Israel hatte sich den Segen ausgebeten, und zwar mit einer Inbrunst, mit einer Entschlossenheit, die sich nicht abweisen ließ: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Dies war des Herrn eigenes Werk in der Seele seines Dieners. Es war eine Bitte nach seinem Willen, und so wir etwas bitten nach seinem Willen, so erhört er uns. Diese Bitte floß aus einem tiefen und lebendigen Gefühl, aus einer großen Bedürftigkeit für eine höhere Mitteilung der Gnade. Es war ein Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, das Jesus wegen der darauffolgenden Sättigung selig preist, und dem diese Sättigung gewiß ist.

Was wollte Jakob wohl eigentlich, wenn er gesegnet zu werden verlangte? Irdischen Segen hatte er ja genug. Im Geistlichen hielt er sich doch wohl nicht für einen Menschen, der noch keinen Teil an dem Segen Gottes erlangt habe, der noch nicht ein Gegenstand seines Wohlgefallens und seiner Liebe sei? Nein, dafür hielt er sich nicht. Aber er begehrte eine Bestätigung des von seinem Vater erlangten Segens, kraft dessen er der Stammvater des verheißenen Weltheilandes sein sollte. Dies beweist seine große Hochachtung und Liebe gegen den Erlöser. Esau, sein Bruder, hätte wohl wegen seiner Erstgeburt die nächsten Ansprüche daran gehabt. Aber der machte sich so wenig aus dem Erlöser, daß er seine Erstgeburt mit allen ihren Vorrechten für ein Linsengericht verkaufte. Ein Bild aller derer, welche die zeitlichen Güter und die sinnlichen und sündlichen Ergötzlichkeiten höher achten als Gottes Gnade. Esau bekam auch, was er suchte, irdisches Glück, und tat es darin dem Jakob weit zuvor. Dieser hatte nur die notwendigsten Knechte, während sein Bruder Esau mit 400 Bewaffneten – welches damals sehr viel war – ins Feld ziehen konnte. Die Kinder Esaus heißen gleich (Kap. 36) Fürsten, und ihrer waren viele. Zwei derselben hießen Eliphas und Theman, und da diese Namen von Hiobs Freunden gebraucht werden, so erhellt daraus, daß dieselben Nachkommen Esaus waren. Da in den Reden, die sie bei Hiob führten, des Erlösers gar nicht erwähnt wird, von dem doch Hiob ein vortreffliches Zeugnis ablegt und dessen auch Elihu gedenkt, so schließen wir mit Recht daraus, daß Esau sich wenig darum bekümmert hat und daß eine Nachkommen in seine Fußstapfen getreten sind. Diese sahen auch bei Hiob nur irdische Güter für Zeichen der göttlichen Gunst an, ihre Beraubung aber als einen Beweis der göttlichen Ungnade und erklärten deswegen Hiob für einen Gottlosen Mann, womit sie zugleich ihre Eigengerechtigkeit bewiesen, nach welcher sie ihren zeitlichen Wohlstand als einen Lohn ihrer Tugend ansahen und aus Hiobs Trübsal schlossen: er besitze keine Tugend. Sie waren Lohndiener. Deswegen sagte auch der Herr zu Eliphas von Theman: Mein Zorn ist ergrimmt über dich und deine zwei Freunde, denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob. laßt meinen Knecht Hiob für euch bitten, denn ihn will ich ansehen, daß ich euch nicht sehen lasse, wie ihr Torheit begangen habt. Wollten sie nur von ihrer eigenen Gerechtigkeit und nicht von einem Mittler wissen, so mußten sie sich bequemen, die Vermittlung Hiobs anzunehmen, und mußten hören, des Herrn Zorn sei, ungeachtet ihrer großen Tugend und Weisheit, worin sie weit über Hiob erhaben zu sein glaubten, über sie ergrimmt, und es fehle wenig daran, daß sie die empfindlichsten Proben davon erfahren sollten. Gott achtete alle ihre prachtvolle Weisheit für lauter Torheit, wie viel Wahres und Vortreffliches sie auch gesagt haben mochten. Aber von seinem gedemütigten Knecht Hiob, dessen ganze Weisheit zuletzt in dem einen verfaßt war: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt – sagte er aller seiner Übereilungen ungeachtet: Ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob. Hoffentlich ist auf diese Weise ihre eigene Weisheit und Gerechtigkeit in Gnaden zuschanden gemacht worden, und sie haben gelernt, mit Hiob sich eines Erlösers zu getrösten und mit Elihu auf den Einen aus Tausenden zu schauen, der da sagt: „Er soll erlöst werden, daß er nicht hinunterfahre ins Verderben.“ Esau und seine Nachkommen bekamen alsbald feste Wohnsitze im Lande Seir und hatten schon Könige, als Israels Nachkommen noch in bedrängten Umständen sich befanden, zum Beweise, daß Gottes Gnade und zeitliche Trübsale nicht nur sehr wohl nebeneinander bestehen können, sondern daß das Kreuz gewöhnlich die Gnade begleitet, und daß diejenigen die lieben Kinder Gottes eben nicht seien, denen alles nach Wunsch geht. Jakob nannte sein Leben eine Wallfahrt und bewies damit, daß er sein Vaterland außerhalb der Grenzen der sichtbaren Welt suche. Gern wählte er Christus auch mit dem Kreuz, eine Gesinnung, welche sich nachgehends in dem recht israelitischen Moses her herrlich erwies, da er viel lieber erwählte, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, denn die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben.

Was mußte aber Esau wohl für Gedanken vom Segen Gottes bekommen, wenn er sich mit Jakob verglich! Jakob nannte ihn seinen Herrn und sich – seinen Knecht. So verhielt es sich auch nach dem äußerlichen Ansehen. Ach, mag Esau gedacht haben, was für ein abergläubischer Tor bin ich gewesen, daß ich auf den Segen meines Vaters einen solchen Wert legte, daß ich darum weinte, daß mein Bruder mir darin zuvorgekommen war. Wie so gar keine Ursache habe ich dazu gehabt! Wie geht mir alles nach Wunsch! Und meinem Bruder – wie geht es dem samt seinem Segen? Das ist nur Aberglaube. Und nach der Vernunft hatte er recht. Dachte Jakob auch so? Dachte er: was bin ich's gebessert, daß ich dem Esau vorgezogen wurde? Worin besteht denn mein Vorzug? Im Leiden, in Verfolgung, in Unglück? Dachte er: Es ist doch nichts mit dem Segen, und es war sehr überflüssig, daß deine Mutter es sich so ernstlich angelegen sein ließ, ihn dir zuzuwenden? O nein. Sein Erlöser war sein Gold, das er nicht vertauschen wollte. Alles, was er besaß, betrachtete er als ein Gnadengeschenk Gottes in seinem Wohlgefallen, und das machte ihm das wenige köstlicher, als das viele Gut, das Esau besaß, von dem es die Frage war, ob er's im Zorn oder in Gnaden hatte. Dem David war ein Tag in den Vorhöfen des Hauses Gottes besser als sonst tausend. Er wollte lieber der Torhüter in seines Gottes Hause sein, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten. Israel begehrte die Bestätigung des verheißenen Segens, wodurch nach der seinem Großvater Abraham gegebenen Zusicherung alle Völker auf Erden durch seine Nachkommen sollten gesegnet werden. Dies zog er allem andern vor, und mit Recht. Ich habe genug – sagte Esau; Jakob aber: ich habe alles genug; denn, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. Diese Bestätigung war das erste Begehren Israels. Das andere, wonach er begierig gemacht worden, war eine tiefere Gründung in der Gnade, eine weitere Ausbreitung in derselben, eine größere Geschicklichkeit, sich ihr getrost zu überlassen und anzuvertrauen, wodurch eine Menge von ängstlichen Sorgen wegfallen würden. Er hatte den Segen von seinem Vater. Er hatte wiederholte Bestätigungen desselben vom Herrn, er hatte herrliche Verheißungen und die auffallendsten Proben seiner freundlichen Fürsorge und Güte von ihm empfangen. Aber das alles hatte die erwünschte Wirkung auf seine Gemütsverfassung noch nicht, die solchen Gnadenbezeugungen angemessen war. Er war noch so ängstlich und voller Furcht vor Esau. Man sollte sagen, wie es möglich gewesen sei, bei solchen Gnadenbezeugungen und nach solchen Erfahrungen noch besorgen zu können, Esau möchte ihn samt allen seinen Kindern erschlagen, wodurch ja Gottes Verheißung zugleich mit vereitelt worden wäre. Jakob fühlte selbst das Beschwerliche und Ungeziemende davon sehr wohl, ohne es ändern zu können, und fand sich genötigt, sich im Gebet zu Gott zu wenden, damit er ihm neben den Verheißungen auch noch das Vermögen schenken möchte, gehörig damit wirksam sein zu können. So geht's ja noch oft im Christentum. Mit freudigem Vertrauen hat man schon so oft die Verheißung des Evangeliums und Jesum Christum selbst annehmen können, schon so oft schwören können: Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Hundertmal ist man aus der Dunkelheit ins Licht und aus dem Gedränge in Frieden versetzt, ist seiner Begnadigung aufs festeste versichert und oft ungemein mit Tröstungen überschüttet worden. Man hat's dem Herrn so oft zutrauen können, er werde es sicherlich tun. Nun schämt man sich gewissermaßen wohl, seine Begnadigung immer wieder in Zweifel zu ziehen, wie man anfänglich tat. Allein man hat doch keinen wahren Frieden und Ruhe für seine Seele. Man kann noch nicht so in kindlichem Vertrauen sich selbst und all sein Anliegen dem Herrn überlassen und hat bald die, bald jene Furcht und Bangigkeit. Da gibt's nun mache Seelen, welche dafür halten, es könne hienieden einmal nicht anders werden, und jeder müsse sich darin schicken, so gut er's wisse und vermöge. Es gibt aber auch andere, die eine höhere Vorstellung von der Gnade haben. Sie wissen unbezweifelt, daß die Gnade mächtiger sei als die Sünde, daß das Herz fest werden könne durch die Gnade, daß die Erkenntnis Jesu Christi überschwenglich werden könne, so daß man dagegen alles für Schaden und Dreck achtet, daß das Gesetz des Geistes, welcher lebendig macht in Christus Jesus, frei mache von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Sie wissen, daß man los werden könne vom bösen Gewissen und Ruhe finden für die Seele, daß auch einem Kinde ein Mann und Vater in Christus werden und daß das Herz zusammengefaßt werden könne in der Liebe zu allem Reichtum des gewissen Verstandes, zu erkennen das Geheimnis Gottes des Vaters und Christi, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Kurz, die Seele sieht sich genötigt, sich von einem wahrhaft evangelischen und neutestamentlichen Gnadenstande, inbetreff der Erleuchtung, des Friedens, der Heiligung und der Kraft keine geringe, sondern eine große Vorstellung zu machen, wie es auch recht und billig ist. Und das nicht nur, sondern sie spürt auch einen starken Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, nach dieser völligen Freimütigkeit, nach völligem Glauben, nach völliger Liebe und sieht sich genötigt, mit Jakob zu erklären: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Es sind nicht nur einzelne, vorübergehende Erleichterungen und Erquickungen, die sie begehrt, sondern ein Wohnen und Bleiben Christi im Herzen, ein Wandeln vor und in ihm, ein Gewurzeltsein in ihm. Mag sein, daß die Seele sich des nicht deutlich bewußt ist. Genug, es ist ein Trieb des Geistes Gottes in ihr, der mit David begehrt, aus der Enge in weiten Raum versetzt zu werden.

So zeigte es sich auch an den Jüngern: Herr, stärke uns den Glauben, baten sie; Herr, lehre uns beten, weil sie sich mit ihrer bisherigen Art, zu glauben und zu beten, nicht mehr begnügen konnten. Herr, zeige uns den Vater, so genügt uns, sprachen sie, und Jesus verhieß ihnen auch den heiligen Geist, der all ihr Verlangen stillen werde. Paulus war mit den begnadigten Korinthern noch nicht zufrieden, sondern nennt sie junge Kinder und fleischlich, und mit den hebräischen Christen nicht, weil sie billig schon Meister sein sollten, aber noch junge Kinder und Unerfahrene waren im Worte der Gerechtigkeit. Den Galatern sagt er, er müsse sie abermal mit Schmerzen gebären, bis Christus eine Gestalt in ihnen gewinne. Christus schalt seine Jünger wohl: Wie, daß ihr so unverständig seid! Und Petrus sagt: Wachset in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi! Jedoch kann niemand seiner Länge eine Elle zusetzen, noch ein Haar schwarz oder weiß machen. Ohne Jesus können die Gläubigen nichts tun, nicht einmal etwas Gutes denken. Gott ist es, der in uns wirkt das Wollen und Vollbringen des Guten. Auch ist unserer Natur nie zu trauen, wenn sie sich noch so fromm stellt, ja dann am wenigsten.

Sie kann auch aus purer Eigenliebe und Selbstgefälligkeit nach Wachstum, nach etwas Vorzüglichem trachten, weswegen es auch heißt: Trachtet nicht nach hohen Dingen! Wir sollen nicht Gefallen haben an uns selbst. Unsere Eigenliebe ist verschmitzt genug, um gern mit Gaben, Gnade und hohen Ständen zu prangen, sie als einen Raub anzusehen und sich von andern dafür ansehen zu lassen. Sie will gern mit Simon, dem Zauberer, für etwas Besonderes gelten. Diese Begierde, etwas zu werden, kann die Quelle vieler Bemühung, Anstrengung und Befleißigung in Dingen sein, die an sich heilig und gut sind, und es vergeht wirklich oft lange Zeit, ohne daß der Mensch selbst es merkt. Man kann in seinen eigenen und anderer Augen ein vorzüglicher Christ sein oder zu werden suchen, und es ist doch alles nichts; denn was groß ist bei den Menschen, ist vor Gott ein Greuel.

Gottes Gnadenweg ist aber immer der: zunichte zu machen, was etwas ist, damit er alles in allem sei.

Wann wurde Jakob gesegnet? Wann bekam er den herrlichen, neuen Namen? Wann wurde er gelebt? Erst nach einem wunderbaren Zweikampf. Und das geschah in demselben? Wurde er immer stärker und stärker? So stellen wir es uns von Natur vor. Nach unserer Meinung ist dies der Gang. Erst liegt der Mensch da unter der Gewalt seiner Feinde. Nun fängt er an zu kämpfen. Überdem wird er immer stärker. Endlich richtet er sich auf und tritt seinen Feind unter die Füße. Das ist Vorstellung unserer Vernunft. Aber mit Israel war es der umgekehrte Fall. Mit seiner ganzen Kraft begann er den Zweikampf. Seine Kraft nahm immer mehr ab. Zuletzt verschwand sie mit Verrenkung der Hüfte ganz. Da hörte das Kämpfen zwar nicht auf, verwandelte sich aber in ein ganz anderes Verhalten, welches darin bestand, daß er sich an den Hals seines Gegners warf, der nun seine einzige Stütze war. Und in dem nämlichen Augenblick, da seine Kraft ihn verlassen hatte, sah der Wunderbare, daß er den Jakob nicht übermochte, und erklärte sich für überwunden. Das ist höchst seltsam, aber die Wege des Herrn sind richtig. So macht der Herr noch immer bei seinen lieben Kindern zunichte, was etwas ist, damit er alles in allem sei.

Überhaupt müssen wir bedenken, daß ein wahres, rechtschaffenes Christentum in sehr wesentlicher Erfahrung von Sünde und Gnade, von eigenem Elend und Gottes Herrlichkeit, von eigener Ohnmacht und Gottes Kraft, von eigener Blindheit und Gottes Weisheit besteht, und daß wir von demselben eigentlich nichts mehr verstehen, als wir davon erfahren. Wir müssen wissen, daß Gott das Kreuz in alle seine Führungen genau verwebt hat, und daß sich an und unter demselben der alle Mensch nach und nach verblutet. Die Schrift redet von einem heilsamen Getötetwerden und Sterben samt Christus, sowie von Auferstehen und Lebendigmachen mit ihm. Sowie dieses etwas sehr Heiliges und Herrliches, so ist dagegen jenes, wie jedes Getötetwerden, etwas, das ebensowenig ohne Not und Angst hergeht, als der Kampf Jakobs ohne Schmerz und Tränen gerührt wurde. Bevor Israel aus Ägypten erlöst wurde, erstieg seine Not den höchsten Gipfel, und Paulus trug stets das Sterben Christi mit sich um, damit sich auch Christi Leben an ihm offenbarte. Als die Jünger Jesu zu einer höhern Stufe der Gnade, der Erleuchtung, des Glaubens und der Heiligung durchdringen sollten, gerieten ihre Seelen vorher bei dem Leiden und Sterben Jesu Christi in große, geistliche Geburtswehen, bei welchen sie weinten und Angst hatten. Vom Christentum und hohen Ständen reden ist das leichteste, und die Eigenliebe kann sich darin sehr gefallen. Wo aber wesentliche Gnade ist, da hört unfehlbar alle Prahlerei auf, weil aller Grund dazu benommen wird, und wenn man sich selbst rühmen wollte, so müßte man sich seiner Schwachheit rühmen. Ich danke dir, daß du mich treulich gedemütigt hast und hilfst mir. Das abhängige Leben im Glauben, wo man sich nur des Herrn rühmt, ist in Kraft und Wahrheit eine seltene Sache.

Hat nun der Herr in einer Seele einen innigen Hunger nach einem rechtschaffenen Gnadenstand gewirkt, so führt er sie auch auf dem ihm wohlgefälligen Wege und durch die Mittel, die seine mannigfaltige Weisheit dazu ersieht, dem Ziele zu, Mittel und Wege, welche der Vernunft meistens so wenig als zweckmäßig einleuchten, daß sie vielmehr das gerade Gegenteil zu sein scheinen, denn sie sind dem Spruch gemäß: Wenn du mich demütigst, so machst du mich groß. Die an den Wegen Gottes blinde Vernunft macht sich die Hoffnung, man werde immer reicher und stärker in sich selbst werden und je länger je weniger die Beihilfe des Herrn nötig haben. Aber gerade das Gegenteil! Christus wird je länger je mehr das Ein und Alles, das A und das O, der Erste und der Letzte, so daß man außer ihm weder glauben noch lieben, weder Gutes denken noch begehren, weder hoffen noch geduldig sein kann und doch dies alles und noch mehr kann durch den, der uns mächtig macht, Christus. So konnte auch Jakob am Ende ohne Ihn nicht gehen noch stehen und noch weniger von der Stelle kommen. Und hier, hier ist es, wo das Beten ohne Unterlaß recht in Gang kommt, wo also auch ohne Unterlaß gegeben wird, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, wo der Christ nichts und doch alles hat, schwach und doch stark ist, nichts und deswegen alles vermag.

Der Herr segnete den Jakob. Dies war eine tatsächliche Beantwortung der Frage Israels: Sage doch, wie heißest du! Der Erzvater erfuhr es in seinem Innern. Seine bisherige Furcht wich aus seiner Seele, wie der anbrechenden Morgenräte die Dunkelheit der Nacht. Wie sich bei ihrem lieblichen Schein der Tau erquickend aufs Gras herabsenkt, so ließ sich ein himmlischer Friede in die geängstete Seele des müden Patriarchen labend hernieder. Die wilden Tiere begaben sich wieder in ihre Höhlen, und statt ihres grausenerregenden Gebrülls erhoben die Vögel des Himmels ihren Frühgesang, und die ängstliche Vorstellung Jakobs von Untergang und Verderben löste sich in zuversichtliche Hoffnung auf. Der Gedanke an den drohenden Esau und seine vierhundert Mann schreckte ihn nicht mehr. Er war überwunden, und Jakob, wehrloser als gestern, war heute, obschon hinkend, getrost wie ein junger Löwe. Er brauchte nicht mehr auf das bewaffnete Heer zu sehen. Er wußte, an was für Einen er glaubte, Esau mochte mit vierhundert oder viertausend ihm entgegenziehen. Sein Herz war jetzt ausgebreitet in friedsamem Vertrauen zu seinem Gott.

So segnete ihn der Herr nicht mit Worten, sondern durch wesentliche Mitteilung seiner innerlichen Gnade, welche höher ist als alle Vernunft.

O eine köstliche Sache, köstlicher, als wenn das Gemüt seine Erquickungen durch Worte, durch wörtliche Verheißungen empfängt, welche selten von Dauer zu sein pflegen. Ach, welche Barmherzigkeit, wenn nicht so sehr einzelne Erleichterungen geschenkt werden, worauf bald wieder neue Beklemmungen folgen, sondern wenn der Seele gegeben wird, aus der Wüste heraufzufahren wie ein gerader Rauch und sich zu lehnen an ihren Freund, wo es dann heißt: wie schön ist dein Gang in deinen Schuhen, du Fürstentochter! Welche Barmherzigkeit, wenn es der Seele geschenkt wird, sich fortwährend gegen ihren Seelenfreund und Gnadenstuhl gehörig zu benehmen, in tiefster Armut des Geistes, in ungefärbter Aufrichtigkeit und völligem Glauben still fort zu wandeln, wenn ihr Stand dem apostolischen gleicht, der in den Worten beschrieben wird: Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir, denn, was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben! In diesem Segen ist alles begriffen, was zum Anfang und Fortgang, zur Erweckung und tieferen Gründung erforderlich ist. Mit einem Worte: die wesentliche Zueignung der durch Christus erworbenen Heilsgüter durch den heiligen Geist und der Heilige Geist selber. Als Jesus zum Beschluß seines Aufenthaltes auf Erden, als eine Vorbedeutung seines Geschäfts im Himmel, seine Hände segnend aufhob und die Jünger segnete, da versteckten sie sich nicht mehr hinter verriegelten Türen aus Furcht vor den Juden. Da fingen sie an zu loben und zu danken. Da waren sie stets frei, öffentlich einmütig im Tempel beieinander mit Beten und Flehen. So hatte der Herr hier erst das Gemüt des Erzvaters zu einem dringenden Hunger nach dem Segen erweckt, daß er erklären konnte: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Der Herr ließ ihn sodann eine Weile warten, damit er um so tiefer inne würde, daß es nicht liege an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes freiem Erbarmen; damit er um so völliger ausgeleert würde von allem eigenen Wirken, - und dann segnete er ihn daselbst, an dem nämlichen Orte, wo er hatte kämpfen müssen. Dadurch ward ihm diese Stätte höchst merkwürdig; und er nannte sie: Pniel (Gottes Angesicht).

Wohl war das der Mühe wert, denn der Segen macht es eben aus. Er tut's im Irdischen, daß die Saaten gedeihen, daß die Frucht des Weinstocks nicht lüge, daß Geschäfte gelingen, daß Schaden verhütet werde; denn zum Laufen hilft nicht schnell sein, zum Streit hilft stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klugsein. Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es hilft nichts, ob jemand früh aufsteht und hernach lange sitzt und sein Brot mit Sorgen ißt, denn seinen Freunden gibt er es schlafend. Umsonst zerarbeitest du dich in der Menge deiner Wege, umsonst versuchst du, deiner Länge eine Elle zuzusetzen; des Herrn Segen aber macht reich ohne Mühe, durch denselben macht sich alles von selbst. „Segne mich auch“, schrie Esau und bekam den Segen doch nicht, zum Beweis, daß selbst das erste, wahrhaftige Sehnen nach dem Segen des Herrn Werk in der Seele ist! Ach, Esau, der Ältere, will noch immer gesegnet sein, will etwas Großes, etwas Starkes werden, will Gott nötigen, den Heilsweg nach seinem Dünken einzurichten, will gerecht und vollkommen sein in sich selbst. Aber das gibt nichts, mag er auch heulen und murren, er bekommt den Segen nicht. Der kleinere, der jüngere, der neue Mensch bekommt ihn, bekommt ihn auf keinem andern Wege, als daß ihm das Gelenk der Hüfte der Eigenheit zerbrochen wird, da es denn endlich heißt: Ich habe dich erlöst, und du bist mein!

Ihm sei das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit bis in Ewigkeit! Amen.

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