Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 1. Betrachtung

Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 1. Betrachtung

1. Mose 32, 25 – 31

Jakob blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sah, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft, und bist obgelegen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragest du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob hieß die Stätte Pniel; denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Und als er an Pniel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.

Wir haben hier eine der wundervollsten Geschichten vor uns, welche in der gesamten heiligen Schrift erzählt werden, und die wir etwas näher zu erwägen gedenken. Durch die Verheißung: ich will dir wohl tun, gestärkt und erquickt, war der Erzvater Jakob auf ausdrücklichen Befehl seines Gottes aus Haran von seinem Oheim Laban weggezogen, um wieder in seiner Väter Lande zu wohnen. Dies gefiel dem Laban so übel, daß er seinem Schwiegersohn nachsetzte, ihn auch auf dem Gebirge Gilead einholte. Sein Unwille und Zorn waren so heftig, daß er dem fliehenden Erzvater gewiß ein großes Unglück angetan haben würde, wozu er, wie er sich rühmt, mit der Hilfe Gottes wohl Macht genug gehabt hätte, wenn Gott diesem Syrer nicht im Traum geboten hätte, sich zu hüten, daß er nicht anders, als freundlich mit ihm rede, wiewohl Rahel doch in Lebensgefahr geriet. Alles nahm zuletzt einen erwünschten Ausgang. Sie kamen friedlich und freundlich auseinander. Laban zog wieder zurück, und indem Jakob seine Reise fortsetzte, begegneten ihm zu seinem guten Trost die Engel Gottes. So lieblich löste sich dies Gedränge auf.

Kaum aber aus der Not errettet, geriet er in eine noch viel bedenklichere. Der Grimm seines Bruders Esau, seine Drohung: es wird die Zeit bald kommen, daß mein Vater wird Leid tragen müssen um seinen Sohn Jakob, denn ich will ihn erwürgen, hatte den lieben Mann genötigt, seine Sicherheit durch die Flucht zu suchen. Bei seiner Rückkehr in die Nähe Esaus hatte er denn nichts Angelegentlicheres zu tun, als ihn für sich zu gewinnen. Dies versuchte er durch eine Gesandtschaft an ihn, welche ihn in den demütigsten Ausdrücken um seine Wohlgewogenheit ersuchen sollte. Die Boten gingen ab und kehrten bald mit der Nachricht zurück: dein Bruder Esau zieht dir mit vierhundert Mann entgegen. Da fürchtete sich Jakob sehr, und ihm ward bange. Und mit recht. Denn was hatte Esau anders als feindselige Absichten? Und was konnte Jakob diesem Heer entgegensetzten? Nichts, nicht einmal die Flucht. Beängstigende, ratlose Lage! O Gott, in was für Umstände läßt du zuweilen deine Lieblinge geraten! Doch nur zu den gesegnetsten Zwecken. Doch ist Jakobs Angst nicht so groß, daß sie ihm die Besinnung geraubt hätte, wenngleich sein Vertrauen zu Gott nicht so lebendig war, daß es ihn getrost gemacht hätte, wie ein junger Löwe. Der Klugheit gemäß richtete er alles so ein, daß dem einen Teil die Möglichkeit der Rettung übrigblieb, wenn der andre von Esau zugrunde gerichtet werden sollte. Auch versäumte er sonst nichts von dem, was geeignet schien, Esau zu versöhnen und sein Herz dem Jakob zu gewinnen, wozu mehrere ansehnliche Geschenke mit helfen sollten, die er in Bereitschaft setzte.

Dabei ließ es aber dieser gottselige Mann nicht bewenden, darauf gründete er sein Vertrauen nicht, sondern auf Gott. Zu ihm wendet er sich mitten in seinen ängstlichen Vorkehrungen durch ein ernstliches Gebet aus der Tiefe seiner Not. Offen erscheint er vor seinem Bundesgott. Er bekennt ihm unumwunden: ich fürchte mich, und hat also seines Elends vor Gott kein Hehl; er dankt für alle bisherigen, unverdienten Wohltaten; er beugt sich in dieser Demut; er klammert sich im Glauben an den Befehl und an die gnädige Zusage des Herrn: du hast ja gesagt, ich will dir wohl tun; er klammert sich an die Macht und Güte seines Gottes und fleht: errette mich. So brachte er die Nacht schlaflos und ordnend zu. Er führte seine Herden, seine Familie und seine Leute über den Bach Jabbok. Jetzt blieb er allein. Er zog die gänzliche Einsamkeit vor. Sie reimt sich am besten zu seiner damaligen Gemütsstimmung. Hier wollte er sein Herz noch ausführlicher vor dem Herrn ausschütten, noch inbrünstiger flehen, ungehindert von außen sich zu dem Gnadenstuhl drängen zur Zeit, da ihm Hilfe nötig war. Die über ihm waltende, gute Hand Gottes zog ihn in diese Stille, weil sie etwas Großes, Besonderes mit ihm vorhatte.

Es war Nacht, an sich geeignet, Schauer zu erregen. Der Himmel über ihm mit seinen zahllosen Sternen erinnerte ihn an die seinem heiligen Großvater gegebene, auch ihm versiegelte Verheißung: also soll dein Same sein. Die finstere Erde war für ihn jetzt voller Schrecken und Esau nicht fern, vielleicht ganz nahe. Seine Hilfe stand lediglich im Namen des Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat. Welche selige Nacht hatte er schon einmal erlebt, wo er in einer Wüste, einen Stein unter dem Haupte, schlief, der Himmel über sich über ihm öffnete. Dieses aber war eine Nacht der Angst. Nacht war es nicht nur um den heiligen Patriarchen her, sondern in seiner Seele war es auch dunkel geworden. Er fürchtet sich.

Diese Furcht schien durch die Umstände sehr gerechtfertigt. Allein sie hatte ihre Wurzel doch in dem Kleinglauben; und tadelte Christus seine Jünger wegen ihrer kleingläubigen Furcht, die sie in der augenscheinlichsten Todesgefahr blicken ließen, so ist auch Jakob wegen gleicher Unart eines gleichen Verweises wert, wenngleich es ein ungemeines Vertrauen sein muß, das in solchen furchterregenden Umständen vor Furcht sichern soll. Offenbar war Jakob, nach des Apostels Ausdruck, nicht völlig in der Liebe, denn sie treibt die Furcht aus. Hauptsächlich aber hat die Furcht ihre Wurzel in einem bösen, befleckten Gewissen. Sobald Adam dasselbe durch seinen Ungehorsam sich zugezogen hatte, fürchtete er sich und floh vor Gott. Dies ist wie ein böses, giftiges Geschwür im Menschen, das endlich ihm die Flammen der Hölle bereitet, wofern es nicht durch das einzige Genesungsmittel, das Blut Christi, geheilt worden ist. Dies allein, in Kraft des Heiligen Geistes zugeeignet, bringt Frieden.

Wer wüßte nicht, daß Jakob ein Gegenstand der Liebe Gottes und also auch dieses Friedens teilhaftig geworden war! Aber wie die Erneuerung der Kinder Gottes hier auf Erden überhaupt unvollkommen ist: so ist es auch dieser Teile derselben insbesondere, und dies zeigt sich das eine Mal, bei vorkommenden Gelegenheiten und Versuchungen, klarer als das andere Mal. Außerdem stellt Gott, wie Mose Ps. 90 sagt, in Zeiten der Heimsuchung unsere Missetat vor sich und unsere unerkannte Sünde ins Licht vor seinem Angesichte. Er fängt wohl hintennach an, mit seinen Knechten zu rechnen und ihnen unter die Augen zu stellen, was sie getan, wo es dann nach den Worten des 99. Psalms geht: du erhörtest sie, du vergabst ihnen und straftest sie. Sie haben etwa die Größe ihrer Verschuldung, die Abscheulichkeit und Strafbarkeit derselben, ihre erschwerenden Umstände und Begleitungen nicht genugsam erkannt. Sie sind etwa darüber nicht genugsam zerknirscht, gedemütigt und zerschlagen: sie haben sich nicht genugsam vor Gott darüber angeklagt, haben sich noch einigermaßen selbst, wo nicht rechtfertigen, doch entschuldigen wollen, ihr Haß wider dieselbe ist etwa noch nicht glühend genug, ihr Verlangen nach Errettung und ihre Dankbarkeit für die Erlösung noch nicht inbrünstig genug. Sie sollen höher hinaus- und tiefer hinuntergeführt werden. Ihre Selbsterkenntnis soll einen Zuwachs bekommen, sowie die Einsicht in die wahre Beschaffenheit, den Umfang die Unentbehrlichkeit und die Kostbarkeit der Gnade heller werden. Ihr Gewissen soll zarter, ihr Wandel vorsichtiger, ihr Aussehen auf den Herrn unverwandter, ihr Bleiben in ihm und sein Bleiben in ihnen inniger und sie überhaupt tüchtiger gemacht werden zu jeglichem guten Werk durch den Glauben an Christus Jesus. Der Töpfer nimmt den Ton in seine schaffende Hand, und er verwandelt sich von einer Klarheit in eine andere, noch edlere. Es geht aus Glauben in Glauben, aus Kraft in Kraft. Die dreißigfältige Fruchtbarkeit wird eine sechzigfältige, und diese eine hundertfache. Aus dem Grase gestaltet sich eine Ähre, diese tritt lieblich aus ihren Windeln hervor und füllt sich mit Körnern, und diese reifen in Sonnenschein und Sturm. Das Kind entwickelt sich zum Jüngling, der Jüngling zum Mann und Vater in Christus, in welchem, der das Haupt ist, sie insgesamt wachsen in allen Stücken.

So ist des Vaters Weg mit seinen Auserwählten, welche er durch Christus erwählt hat vor Grundlegung der Welt, daß sie sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe. So war des Vaters Weg mit Jakob, den er lieb hatte.

In dem Leben dieses Erzvaters war etwas vorgekommen, das nicht in der Ordnung war, nämlich der Segen seines Vaters. Isaak wollte denselben dem Esau erteilen, unter dem Beistande seiner Mutter aber, welche den Jakob, wie Isaak seltsamerweise den Esau, vorzog, hatte er den ihm nicht zugedachten Segen dem Esau zu entziehen und auf sich zu leiten gewußt. Es ist uns bekannt, auf welche hinterlistige Weise dies zuging, und wie der alte, blinde Vater, hinters Licht geführt, den Jakob für den Esau hielt und ihn statt dessen segnete.

Wahr ist es, daß der Segen gerade über denjenigen kam, dem Gott ihn zugedacht. Denn ehe noch die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, ward zu der Rebekka gesagt: der Größere soll dienstbar werden dem Kleineren, damit der Vorsatz bestände nach der Wahl, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers, wie denn geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehaßt. Wahr ist es auch, das Isaak, als er hernach den eigentlichen Hergang der Sache erfuhr, seinen Segen so wenig widerrief, daß er ihn vielmehr bestätigte und auch kein mißbilligendes Wort über die trügerische Art fallen ließ, wie man ihn getäuscht und geleitet hatte. Aber Betrug ist und bleibt Betrug und folglich sündlich, mithin nicht zu entschuldigen, sondern zu schelten, er mag sich äußern, in welcher Sache er will.

Zwar haben einige, unter welchen der ehrwürdige Luther obenan steht, die Handlungsweise der Rebekka und ihres Sohnes nicht nur entschuldigen, sondern sie sogar rechtfertigen und als eine Frucht eines edlen Glaubens verteidigen wollen. Jakob selbst sah sie doch nicht so an, sondern besorgte, sich durch dies Benehmen eher den Fluch, als den Segen seines Vaters zu erwerben; und wenn seine Mutter ihn damit beruhigen will, daß sie sagt: der Fluch sei auf mir, so war das doch nur ein Gerede und ein Beweis, daß sie eigentlich nichts Rechtes zu antworten wußte. Jene Verteidigung ist im Grunde nur die Behauptung des abscheulichen Satzes: der Zweck heilige die Mittel. Das ist aber gewiß, daß Gott seines Zwecks nie verfehlt, und daß selbst die Unarten der Menschen dessen Ausführung befördern müssen. Aber diese Unarten selbst werden damit nicht gerechtfertigt, sonst würde der Fluch wegen der Kreuzigung Christi mit Unrecht auf den Juden haften bis auf den heutigen Tag. Sollen wir Böses tun, damit Gutes daraus komme? Das sei ferne. Solcher Verdammnis ist ganz recht.

Es geht oft nach jenen Worten des 50. Psalms: das tust du, und ich schweige. Aber ich werde dich strafen und werde es dir unter die Augen stellen! Jene Handlungsweise mochte sich wohl jetzt erst an ihm rächen, und er jetzt hintennach den Fluch wieder fürchten, über welchen er sich ehemals durch die gehaltlosen Worte seiner zärtelnden Mutter so leichtlich hatte beruhigen lassen.

Wie nahe lagen ihm Gedanken, wie diese: dein Vater hat doch eigentlich nicht dich, sondern seinen Erstgeborenen, den Esau, gesegnet, für den du dich ausgabst. Dich geht der Segen nichts an. Du bist ein Betrüger, das bist du und wohl ein Betrüger, schändlichster Art. Hast du gleich deinen ehrwürdigen Vater getäuscht und seine mitleidswürdige Blindheit, welche dich gerade hätte zu der größten Aufrichtigkeit bewegen müssen, mißbraucht: so hat dich Gottes Auge desto schärfer erschaut. Ihn hast du nicht täuschen können. Du bist ein Betrüger; du bist des Todes wert! Und siehe, Esau, der doch eigentlich in deiner Person gesegnete Esau, kommt mit vierhundert Mann, dies Todesurteil als ein Diener der Gerechtigkeit Gottes zu vollziehen. Du hättest dein Vergehen eher erkennen, bereuen, gutmachen sollen. Jetzt erwacht der lang verhaltene Zorn über dich.

Nun ist es zu spät. Wie hast du, wie hat ein Mensch, wie du bist, sich erkühnen dürfen, zu meinen, als hätte Gott zu dir gesagt: ich will dir wohl tun. Ja, dir wohltun! das hätte ich gedacht. Willst du wohl gar Gott zu einem Sündendiener machen, indem du elender meinst, er werde solchen gnädig sein? Der Teufel muß dir aus gerechtem Gericht solche angenehme Gedanken eingegeben haben, um dich desto sicherer zu verderben. Statt mit der Buße den Anfang zu machen, hast du dir verderblicherweise eingebildet, du seist schon im Stande der Gnaden. Jetzt, jetzt wird es sich ausweisen! Esau – ja was ist das für ein edler Mann, gegen dich zu rechnen. Er hat dir den Tod gedroht. Und was hast du denn anders an ihm verdient? Hast du ihn nicht auf die allerärgste Weise berauben und totschlagen wollen, indem du ihm den ihm zugedachten, eigentlich über ihn ausgesprochenen Segen listiger Weise stehlen wolltest. „Sei ein Herr über deinen Bruder!“ heiß es in dem Segen, den du widerrechtlicher Weise an dich reißen wolltest. Siehst du nun mit Augen, an wem er in Erfüllung gegangen ist! Du ein armer Knecht: er ein Herr mit vierhundert Mann, und du ganz in seiner Hand! O, du armer, betrogener Jakob. Wo ist ein ärmerer Mann als du! Und er hob seine Stimme auf und weinte bitterlich (Hos. 12,5).

Sind euch ähnliche Anfechtungen ganz unbekannt, ihr Christen? Schwerlich, wofern ihr nicht ganz Neulinge seid. Angelegt habt ihr den Harnisch. Bis ihr ihn ablegen könnt, mag sich vielerlei ereignen, wovon jetzt besonders zu reden nicht not tut. Genug; seid ihr Kinder, so ruft ihr den als Vater an, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeglichen Werk. Führt derhalben euren Wandel, so lange wie ihr hier wallet, mit Fürchten. Seid ihr Kinder: so bleibt ihr nicht ohne Züchtigung, und je lieberes Kind, desto genauere Zucht. David sprach auch einst, da es ihm wohlging: nimmermehr werde ich darniederliegen; denn durch sein Erbarmen hatte der Herr seinen Berg fest gemacht. Aber als er sein Angesicht verbarg, erschrak er. Sei ja nicht stolz, sondern demütig. Sei nicht sicher, sondern sieh zu, daß du nicht fällst, der du zu stehen meinst. Rühme dich des morgenden Tages nicht, denn du weißt nicht, was sich vielleicht heute noch begeben mag. Baue dein Haus auf den Felsen und sieh zu, daß du nicht etwas für den Felsen ansiehst, was er nicht ist. Und ist er’s so baust du leichtlich Stroh und Holz drauf, was verbrennt. Hast du echtes Gold: so wird’s dennoch ins Feuer müssen. Denn eines jeglichen Werk wird durch das Feuer offenbar werden, welcherlei es sei. Deine Unreinigkeit ist so greulich, heißt es Hes. 24,13, daß, obschon ich dich gereinigt habe, du doch nicht rein geworden bist. Darum kannst du hinfort nicht rein werden, bis sich mein Grimm an dir gekühlt hat.

Der heilige Patriarch ging gegen die angedeuteten Anfechtungen im Glauben kämpfend an und betete, wollte es wenigstens tun und mit dem Herrn reden. Bist du denn – so wollte er etwa sagen und fragen, bist du denn wirklich mein Gott und Vater noch oder nicht mehr? Sollte ich mich denn getäuscht haben, wenn ich festiglich glaubte, daß du mich, aller meiner Unwürdigkeit ungeachtet, zu einem desto größern Lobe deiner herrlichen Gnade, lieb habest, wenn ich solches sah und schmeckte und dich lobte und pries und liebte? Es kann – ach, es kann ja nicht möglich sein. Aber es ist mir jetzt so verdunkelt, es wird mir so bestritten, ich kann des nun so nicht froh werden, und das jetzt nicht, in dieser meiner Not nicht, wo ich des doch so sonderlich bedürftig wäre. Ach, so siehe doch drein. Ach, so laß doch dein Angesicht leuchten. Wirf mir doch einen freundlichen Blick zu in diese meine Nacht. So etwa wollte er beten. Da rang ein Mann mit ihm. Wunderbares Ereignis! Welcher Schrecken! Jakob glaubt mit Recht, hier ganz allein zu sein. Mit einem Male aber fühlte er sich von jemand angegriffen. Wer ist es, weiß er nicht, nur so viel merkt er, daß es kein wildes Tier ist, das ihn etwa zerreißen will, sondern ein Mann. Dieser Mann scheint nicht sein Freund, sondern sein Feind, vielleicht einer von jenen vierhundert. Wer es auch sein mag – er ringt mit ihm. Er faßt den geängsteten Jakob so an, als wolle er ihn entweder von dieser Stätte wegdrängen oder ihn zu Boden werfen. Jakob wehrt sich. Er faßt seinen Gegner, den er noch nicht kennt. Er will sich weder verdrängen, noch zu Boden werden lassen. Er bietet alle seine Kräfte, auf und der Kampf dauert lange, bis daß die Morgenröte anbrach.

Wer war dieser Mann? Anfangs wußte Jakob es nicht, es klärte sich ihm aber nach und nach auf, wer es war. Beurteilen wir diesen Mann darnach, daß er sah, daß er den Erzvater nicht übermochte: so ist unsere Meinung eine ganz andere von ihm, als wenn uns gleich darauf gemeldet wird: Er rührte das Gelenk seiner Hüfte, und es war über dem Ringen verrenkt; denn dazu gehört eine übermenschliche Kraft. Spricht er: Laß mich gehen, so erscheint er geringer als Jakob und abhängig von ihm. Wenn ihn aber Jakob um Segen bittet, so erhebt er ihn weit über sich, ja über seinen Vater Isaak, der ihn schon im Namen Gottes gesegnet hatte. Gibt ihm dieser Mann den Namen Israel, erklärt er ihm die Bedeutung dieses Namens selbst, indem er ihm sagt, mit wem er gerungen, wem er obgelegen, nämlich mit Gott und mit Menschen, und sagt uns Hosea schlechthin, er habe mit Gott gekämpft: so fallen alle Schleier weg, und der Man steht in seiner wahren Gestalt da. Lehnt er es gleich ab, dem einfältig genug fragenden Jakob seinen Namen zu nennen: so offenbart er denselben desto deutlicher durch die Tat, da er ihn daselbst segnete. Als aber dem Erzvater selbst die Sonne über das Ganze aufging, nannte er die Stätte Pniel; denn, sagte er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen.

Unerhörte Begebenheit! Wer mag es ergründen? Wie, dünkt euch das so sonderbar? Wie, wenn ihr des Menschen Sohn dann noch unter ganz andern Umständen sehen werdet? Und er heißt: Wunderbar.

Dieser Mann rang mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Dieser Mann hatte für eine Zeitlang einen menschlichen Körper an sich genommen, um körperlich mit Jakob zu ringen. Er faßte ihn mit seinen Händen und umklammerte ihn mit seinen Armen, um ihn von der Stätte zu verdrängen oder auch zu Boden zu werfen. Sollte das so stillschweigend hergegangen und dabei nichts mehr und nichts anders gesprochen sein, als uns davon gemeldet wird? Schwerlich!

Aber werden wir es wagen dürfen, durch unsere, wenn auch christliche, wenn auch in dem Worte Gottes gegründete, dem Glauben und der Erfahrung ähnliche Vermutungen die Lücke zu ergänzen, die Mose hier laßt? Ich sollte denken, warum nicht? Wenigstens ist es gewiß, daß, wenn bei dem Ringen eines geredet worden ist, es von Seiten des Gott- Engels nichts Tröstliches und Ermutigendes, sondern dem Ringen, was kein Zeichen der Freundschaft ist, Entsprechendes war. Was ist es aber, was der Geist den Seelen aufdeckt, vorrückt? Ist es nicht ihre Sünde? Und hatte Jakob deren nicht? Konnte es nicht von ihm heißen: weg mit dir von dieser heiligen Stätte, wo Engel verweilten? Konnte ihm nicht sein ganzes Schuldregister Stück vor Stück offengelegt und ihm so aufs deutlichste nachgewiesen werden, daß in ihm selbst der geringste Grund zu der Liebe, die Gott zu ihm habe, nicht anzutreffen sei, sondern daß derselbe ganz anderswo gesucht und gefunden werden? So wurde ihm auch geistlicher Weise die Hüfte verrenkt und der letzte Gedanke von eigner Würdigkeit u. dgl. zerstört.

Rückt der Satan einer Seele ihre Sünden vor, tritt er einem Josua in unreinen Kleidern zur Rechten, ihn zu verklagen: so wissen wir wohl, was für Absichten er hat, nämlich zu ängsten, in übermäßige Traurigkeit zu versenken, in Verzweiflung zu stürzen und gänzlich zu verderben. Nicht aber also der Sohn Gottes. Er tut es, um zu demütigen und an sich zu locken und hernach desto mehr zu trösten. Wie machte er es mit Saulus? Rief er ihm nicht zu: du verfolgst mich? Wie mit Petrus? Fragte er ihn nicht dreimal: hast du mich lieb? Wie ging er mit dem kananäischen Weiblein um? Schien es nicht, als wolle er nichts mit ihr zu tun haben; nannte er sie nicht beinahe einen Hund? Und bekamen die Engel jener sieben Gemeinen nicht fast ein jeglicher einen besonderen und nachdrücklichen Verweis? Wir wissen, zu welchem Zweck. Sobald Paulus merkte, daß der Satan seine Hand mit einmenge, riet er den Korinthern, ihren Sünder desto mehr zu trösten und ihm zu vergeben, auf daß er nicht in allzu große Traurigkeit versinke und sie vom Satan übervorteilt würden.

Rang der Gott-Engel mit Jakob, Jakob kämpfte auch mit allen Kräften mit Gott oder benahm sich fürstlich gegen ihn. Er wollte sich durchaus nicht von seiner Stelle verdrängen lassen, er widersetzte sich aus aller Macht körperlich und geistig. Tränen und Gebet waren die kräftigen und siegreichen Waffen, womit er den Sohn Gottes bestritt und überwand. Rücke mir nur – so wird er unter Bächlein von Tränen gebetet haben – rücke mir nur alle meine Sünden vor, entfalte und enthülle sie in ihrer ganzen Abscheulichkeit, entdecke mit jeden erschwerenden Umstand derselben, zeigen mir meinen ganzen Lohn – ich gebe alles zu, ich entschuldige, ich bemäntele, ich verkleinere nichts. Aber das sage ich dir auch, ich stehe und liege hier nicht auf meine Gerechtigkeit, der ich keine habe, sondern eben auf deine Barmherzigkeit. Bist du, ja bist du nicht selber – magst du dich auch noch so feindlich gegen mich stellen – bis nicht eben du Jehova Zidkenu, meine Gerechtigkeit? Ist daran der geringste Flecken, Runzel oder Tadel? Ist denn mein Großvater Abraham durch seine Werke gerecht geworden, ist er es nicht aus deiner Gnade? Nein, nein, du verstößest den armen Sünder nicht, der zu dir flieht. Hast du nicht dein Wort darauf gegeben, du seist gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten? Solltest du bei mir anheben, den Wort selber ungültig zu machen? Das leidet deine Wahrhaftigkeit nicht. Wider deine Gerechtigkeit reicht mir deine große Barmherzigkeit selbst die Waffen.

Auf solche und ähnliche Art wird der Glaubenskampf geführt. Heimlich und unmerklich werden dem Streiter allerlei schickliche Waffen zugedient, wie dem kananäischen Weiblein die geschickte Entgegnung: Ja, Herr; aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihres Herrn Tisch abfallen, wodurch sie Jesus gleichsam festsetzte, daß er ihr den Sieg zuerkennen mußte.

Der Streit war heftig und dauerte lange, bis die Morgenröte anbrach. Je länger er dauerte, desto tiefere Blicke bekam der ringende Erzvater teils in sein Verderben, teils in die Grüne seines Glaubens. Je länger er dauerte, desto demütiger, desto schwächlicher wurde er, desto mehr genötigt, alles auf lauteres Erbarmen zu bauen und gänzlich an sich selbst zu verzagen, wozu vollends ein Umstand, nämlich die Verrenkung seiner Hüfte, beitrug, den wir später betrachten werden.

Seht denn wohl zu, daß ihr das Haus eurer Hoffnung recht auf den Felsen baut, damit es standhalte, wenn es angefochten wird. So viel ist gewiß, das Jakob zu viel wagte, wenn er auf das Wort seiner Mutter hin: der Fluch sei auf mir, sich der Gefahr aussetzte. Dazu mußte er viel andere Gründe haben! Rebekka war freilich ihrer Sache gewiß. Darum war es aber ihr Sohn doch noch nicht. Man schwätze andern nicht nach, man sei in anderer Licht nicht fröhlich. In uns selbst, in uns selbst muß es ausgeboren, erfahren, versiegelt werden, und überhaupt besteht die Gottseligkeit nicht in Worten, sondern in der Kraft.

Mögen denn auch unangefochtene Seelen aus Jakobs Kampf ein angemessenes Verhalten in den Anfällen auf ihr Vertrauen, auf ihre Hoffnung lernen. Erwartet sie, aber flüchtet nicht, flüchtet wenigstens nirgends anders hin als zu Jesus! Bettelt kühne, wenn es auch schiene, daß er euch von dannen trieb. Greift die Verheißung an, bestreitet damit die Drohungen, weint und bittet ihn, auch dann noch, wenn er selbst wider euch wäre. Er aber stärke uns! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_g.d/jakobs_kampf_und_sieg/1._betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain