Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Der Schmerz um das Verlorene!

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Der Schmerz um das Verlorene!

Predigt am dritten Sonntag nach Trinitatis.

Gnade von Gott und Friede in dem Herrn Jesu Christo sei mit Euch! Amen.

In wie vielen herrlichen Aussprüchen und Gleichnisreden unser Heiland den Ratschluss und Endzweck seiner Sendung und den Geist, in welchem er hier wirkte, auch bezeichnet, es ist unter ihnen keine, die mein Herz mehr anspricht, als die: Ich bin gekommen zu suchen, was verloren ist! In ihr gibt sich die ganze Barmherzigkeit Gottes zu erkennen, der nicht will, dass auch nur eins von seinen Kindern verloren gehe, sondern dass sie Alle das ewige Leben haben; in ihr die ganze unendliche Liebe, die ganze Demut Jesu, der, ausgerüstet mit der Fülle der Gotteskraft, dennoch auf dieser Erde nicht ihrer Herrlichkeit nachstreben, nicht mit Reichen, Glücklichen, Mächtigen den Reiz dieses Daseins genießen wollte. Nein, zu den Unglücklichen und Elenden, zu den Mühseligen und Beladenen zog ihn sein Herz hin, sie zu erquicken; zu den Verlorenen, sie wieder zu gewinnen, ihr Herz umzuwandeln zu lebendiger Gottesliebe, zu ernstem Trachten nach der Heiligung; ihnen zu eröffnen das Reich des Friedens und der Seligkeit, das er hier gründen wollte durch sein Evangelium. Denselben erbarmungsvollen Zweck seiner Sendung spricht auch unser heutiges schönes Sonntagsevangelium aus. - Verachtete Zöllner, - Sünder nennen sie die Juden, - kommen zu ihm und laden ihn zu sich. Er nimmt sie auf und geht zu ihnen. Die hochmütigen Pharisäer, jede Gelegenheit gern ergreifend, die ihnen die Möglichkeit darbietet, des Herrn Wirken zu verdächtigen, sprechen verächtlich: „Dieser nimmt die Sünder auf und isst mit ihnen!“ Und Jesus ist weit entfernt davon, seine Gastfreunde gegen diese Bezeichnung zu verteidigen, - er ruft es ja den Menschen oft genug in das Gewissen, dass sie Alle Sünder seien; er zeigt ihnen in zwei herrlichen Gleichnissen, dass eben darum, weil jene Sünder seien, er sich ihrer annehmen, ja sogar sie suchen müsse, und dass mehr Freude im Himmel sei über einen Sünder, der Buße tue, als über 99 vermeintliche Gerechte, die in ihrer Selbstgefälligkeit der Buße nicht zu bedürfen glauben. - Ja, die Verlorenen will Gott wieder suchen durch das Evangelium von Jesu Christo. Ob sie auch das Zeugnis von ihm, das er in ihr Herz und in die sie umgebende Natur geschrieben, durch ihre Unachtsamkeit und Sünde verwischt haben, dass sie es nicht mehr erkennen; ob sie auch den Ruf, der aus dem Mund seiner Propheten an ihr Ohr schlug, überhörten oder gar verachteten, sich verirrten, sich selbstschuldig von ihm verloren, die göttliche Liebe will sie nicht aufgeben, will sie nicht als Verlorene betrachten, sie will sie wieder suchen. Gerade weil sie verloren sind, gehen sie der ewigen Erbarmung um so mehr zu Herzen. Das ermutige uns, geliebte Mitchristen, wenn in dem Kampf mit der Sünde wir unsere Schwäche, unsere Verantwortlichkeit fühlen. Gott nimmt unsere Buße an! Aber sparen sollen wir sie nicht, bis endlich des Todes Furcht und Schrecken das Gewissen gewaltsam erweckt. Nein, weil uns seine erbarmende Liebe verkündet ist durch Jesum, soll auch unsere Liebe uns um so herzlicher zu Gott hinziehen, und in dieser Liebe werden wir gleich sehr die Demut zur Buße, als die Kräftigung zum Kampf mit der Sünde finden. -

Die Gleichnisse unseres Evangeliums weisen uns aber auch auf einen verwandten Zug unseres eigenen Herzens hin. Auch dem Menschen wird gewöhnlich das am teuersten, was er verloren. Den Frieden der Gegenwart, das Glück des Besitzes wissen die wenigsten Menschen gehörig zu schätzen; ja die Sicherheit des Besitzes bringt wohl gar Gleichgültigkeit und Geringschätzung dagegen hervor. Ist aber die glückliche Stunde dahin, dann wird ihre flüchtige Eile beklagt, und tausend Seufzer rufen die Vergangenheit zurück, dass sie wieder Gegenwart werde. Ist das Gut, das wir besaßen - ohne es gehörig zu beachten - verloren, dann beklagen wir's als etwas Unschätzbares, und haben um so mehr Ursache, über seinen Verlust zu klagen, als unsere Schuld vielleicht ihn veranlasste. - Blickt auf eure Lebenserfahrungen hin, Geliebte, fragt euer eigenes Herz: es möge euch bezeugen, wie allgemein unter allen Menschen ist: die Sehnsucht nach dem Verlorenen. - Haben wir aber das allgemeine Vorhandensein derselben erkannt, so soll diese Erkenntnis auch nicht müßig und vergeblich in uns da sein; sie soll uns vielmehr eine Anleitung werden zu jener Weisheit, die diesem Schmerz entweder entgeht oder ihn heilt, indem sie das Verlorene wieder sucht und findet. - Lasst uns denn die jetzige Stunde der Andacht dieser Regung des menschlichen Herzens widmen. Der Schmerz um das Verlorene soll der Gegenstand unseres Nachdenkens sein.

(Gesang. Gebet.)

Evangelium Lukas 15,1-11.

Den Schmerz um das Verlorene, die Sehnsucht nach dem Verlorenen schildert der Heiland in dem vorgelesenen Evangelio. Bei dem Besitz von 100 Schafen, von 10 Groschen bildet das einzelne Tier, der einzelne Groschen nur einen verhältnismäßig kleinen Teil, und nimmt also auch nur eine verhältnismäßig geringe Teilnahme in Anspruch. Ganz anders aber wird es, wenn dieser eine Teil verloren geht; dann wendet sich ihm die Hauptsorge zu. Die übrigen 99 Schafe werden sich selbst überlassen, um nur das Verlorene wieder zu suchen. - Der Heiland will diese Eigentümlichkeit des menschlichen Herzens, nach welcher es an dem Verlorenen besonders hängt und nach ihm Sehnsucht empfindet, nicht als eine verwerfliche angesehen wissen; im Gegenteil schildert er sie uns als eine dadurch geheiligte, dass auch die göttliche Liebe sie teile, die auch mehr Freude habe über einen Sünder, der Buße tue, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. Aber es gibt auch hier gewiss eine rechte Grenze, über die hinausgehend das sonst natürliche Gefühl verwerflich wird. Es lässt überhaupt diese Eigentümlichkeit unseres Herzens einen tiefen Blick in unsere eigene Natur tun, der wohl geeignet ist, uns mancherlei Warnung, Belehrung und Ermunterung zu gewähren. Solche ist es, die wir heute suchen wollen.

Der Schmerz um das Verlorene mahnet uns vor Allem:

1) das Glück des Besitzes gehörig zu schätzen.

Man sollte meinen, dass in demselben Verhältnis, wie die Menschen das Glück des Besitzes hochgeachtet haben, auch ihre Sehnsucht nach dem Verlorenen sich steigern müsse. Aber das ist nicht der Fall. Vielmehr lehrt uns die Erfahrung an uns selbst und an Andern, dass der Schmerz um das Verlorene um so größer zu sein pflegt, je weniger das Glück des Besitzes recht gewürdigt worden ist, und das ist sehr leicht erklärlich, weil zu dem natürlichen Schmerz über den Verlust dann noch die Reue, es in seinem ganzen Wert nicht erkannt und genützt zu haben, hinzutritt, und daraus entspringt dann für uns die Warnung: Schätze und nütze recht, was dir Gott in seiner Gnade verliehen, denn du weißt nicht, wie lange es dein eigen ist. -

Die Wahrheit, dass die Menschen das Glück des Besitzes gewöhnlich nicht genug schätzen, beweist sich in jedem Lebensverhältnis. So lange wir Kinder sind, wissen wir das Glück der Kindheit nie recht zu würdigen. Die Ahnung einer höheren Bestimmung lässt keine Befriedigung zu; die Kinder sehnen sich, in die Reihe der Erwachsenen einzutreten, und eben so leicht, wie die Freude bei ihnen aufwallt, verschwindet sie auch wieder, und tausend Geringfügigkeiten bieten ihnen Anlass zum Schmerz und zu Tränen dar. Und später: mit welcher Sehnsucht blicken wir dann auf die glücklichen Jahre unserer Kindheit zurück? Da hatten wir noch keine ernsten Sorgen, damals drückte des Lebens Last uns noch nicht danieder; alle die bitteren Erfahrungen, welche das Leben uns zugeführt hat, hatten damals unser Herz noch nicht verstimmt und erkältet: ja, wir erkennen aus der Sehnsucht, mit welcher wir auf die Zeit unserer Kindheit, wie auf ein verlorenes Paradies, zurückblicken, dass wir ihr Glück zu seiner Zeit nicht nach seinem ganzen Wert zu schätzen gewusst haben. Damals lebten unsere Eltern noch, und wir meinten wohl mit ihrem Verhalten gegen uns nicht allezeit zufrieden sein zu dürfen. Oft traten sie unseren Wünschen entgegen, versagten uns ersehnte Freuden, trieben uns zu lästiger Arbeit an, straften unseren Eigenwillen, und wir glaubten oft Ursache zu haben, uns über sie zu beklagen, vergaßen oft darüber das Gute, was wir ihnen verschuldeten, die Dankbarkeit, auf die sie einen so gerechten Anspruch hatten, vergaßen, dass es ja nichts Anderes als die reinste Liebe war, die sie so und nicht anders gegen uns handeln ließ. Da kam der Tod, und ihre treuen Augen schlössen sich. - Siehe da, nun ist alles Andere vergessen, und nur ihre treue Liebe lebt in dem dankbaren Herzen guter Kinder; sie möchten sie mit tausend Tränen zurückrufen; sie erkennen: dass sie das Glück ihres Besitzes nicht gehörig gewürdigt haben. -

O, liebe Kinder, zu deren Ohr diese Worte dringen, schätzt das Glück, sorgsame Eltern zu besitzen, so lange Gott es euch schenkt, und lasst es nimmer an kindlicher Liebe, Ehrfurcht und Folgsamkeit fehlen! Dann wird das gute Bewusstsein eure Trauer um ihren Verlust einst mindern. -

So ists ja auch, wenn Eltern ihre Kinder betrauern. Aller Kummer, alle Sorge und Beschwerde, die sie ihnen gemacht haben, sind dann vergessen, nur die Sehnsucht nach ihnen bleibt. - Und wie oft findet dasselbe Verhältnis unter Ehegatten statt, die nicht selten nur durch kleinlichen Eigensinn, durch Mangel an Schonung und Fügsamkeit sich ihr Leben verbittern, die Liebe der Herzen erkalten ließen; und erst dann, wenn der Bruch unheilbar geworden, oder wenn der Tod sie geschieden, dann erkennen sie, was sie getan, dann seufzen sie: O hätte ich es wieder, mein verlorenes Glück! Wie wollte ich es hegen, wie so gern alle meine widerstrebenden Wünsche opfern! Vergebens; sie bedachten nicht zu ihrer Zeit, was zu ihrem Frieden diente, sie wussten das Glück des Besitzes nicht gehörig zu schätzen. -

Wie viel stärker ergeht diese Mahnung aber an uns in Betreff derjenigen Güter, die durch unsere Schuld verloren gehen können! - Minder schwer trägt der den Druck der Not, wer unter ihm erwachsen, an ihn gewöhnt ist. Wer aber die Glücksgüter, welche ein freundlich Geschick ihm gegeben, durch Unverstand oder in wüstem Leben verrinnen ließ, und dann plötzlich der Entbehrung sich gegenüber sieht, mit welchem Weh muss der auf sein verlorenes Glück zurückblicken, das ihn einst so wenig befriedigte, und nur seine Begier nach Mehrerem oder nach Genuss aufstachelte? - So lange der Mensch in Gesundheit und Kraft dasteht, - ob er sich dessen auch rühme, - er schätzt dies Glück nie genug. Erst wenn die Krankheit des Körpers Kräfte bricht, wenn ihre Schmerzen das Innere durchzucken, oder wenn des Körpers Fessel des Geistes Spannkraft aufhebt und ihn daniederdrückt, - o, dann wird er ganz empfunden, der Segen der Gesundheit, die einst so wenig geachtet, auf die wohl gar sündlich eingestürmt wurde. - Ach, auf Eins noch, Geliebte, lasst mich in dieser Reihe von Beispielen hinweisen, auf ein Glück, das nur so lange vollständig, als es ein unbewusstes ist, - auf das Glück, auf den Frieden der Unschuld. Wenn die Begier erwacht, wenn die Leidenschaften toben, dann wird sein nicht gedacht. Wenn aber die verbotene Frucht gebrochen wurde, dann fällt es wie Schuppen von den Augen, dann wird es zu spät erkannt, dass die Leidenschaft, dass die Sünde niemals Befriedigung gewährt, dann pocht die Reue an das Gewissen: die Krone deines Hauptes ist abgefallen, wehe dir, dass du so gesündigt hast! Aber die Reue, der Engel mit dem flammenden Schwert, steht vor der Pforte des verlassenen Paradieses; sie steht dem Gefallenen nimmer wieder offen!

Meine Teuren! Gottes Vatergüte hat so manchen schönen Freudenstrahl in ein jedes Leben fallen lassen, und doch wird seine Gnade so selten erkannt. Durch Unzufriedenheit und immer wachsende Begehrlichkeit wird das Bewusstsein dieser Gnade oft erstickt, und der Anblick des noch reicher Begabten erweckt den Neid und die Unzufriedenheit gegenüber dem, der doch der Herr ist, und tun kann mit dem Seinen gleich wie er will! - Soll denn immer erst der Verlust eines Glückes uns dasselbe als ein solches erkennen lassen? Nein, wir wollen weiser werden; die allgemeine Sehnsucht nach dem Verlorenen ruft uns die Warnung zu: Erkenne in der Zeit das Gute, das Gott dir sendet, und nütze es mit Dankbarkeit nach seinem heiligen Willen.

Aber der Schmerz um das Verlorene ruft mit dieser Warnung uns auch zugleich die Lehre zu:

2) Trachte vor Allem nach dem Unverlierbaren.

Die tägliche Erfahrung lehrt es uns ja, dass alles Irdische stetem Wechsel unterliegt, und dass keinem Gut dieser Welt die Dauer irgendwie verbürgt ist. Darum werden von dem Schmerze um das Verlorene auch vorzugsweise die Sinnlichen und irdisch Gesinnten heimgesucht, die kein anderes Gut und Glück kennen, als ein solches, das von dieser Welt ist, und in die Sinne fällt. Jesus warnt uns aber vor solchem eitlen Trachten nach dem Vergänglichen, nach den Schätzen, die Motten und Rost fressen, danach die Diebe graben und stehlen. Sammelt euch Schätze im Himmel, spricht er, denn sie sind unverlierbar, und sein Apostel ruft uns zu: Unser Wandel ist im Himmel. - Nicht auf der Erde, dort ist unser Ziel; dorthin soll auch des Herzens Sehnsucht sich richten. Wollt ihr einen solchen Schatz kennen lernen, der auch in dem Schmerz um das Verlorene seine segnende und heilende Kraft bewährt? Es ist das fromme, Gott vertrauende Herz! Wohl ist es köstlich in liebender Gemeinschaft mit Andern zu leben; aber sie sind gleich uns des Todes Beute, und je größer die Liebe, desto größer der Schmerz, wenn nicht der Glaube im Verlust Trost spendet und die Ergebung lehrt, welche spricht: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, gelobt sei der Name des Herrn! Wohl mag es ein herrliches Gefühl gewähren, sich im Besitz reicher Erdengüter zu sehen, von Sorgen um das tägliche Brot befreit zu sein, und bereite Mittel zu haben, um der Not der Brüder abzuhelfen und gemeinnützige Zwecke zu fördern. Aber der Menschen Glück ist wandelbar; töricht ist es zu trauen auf den ungewissen Reichtum. Wohl ist der Segen einer kräftigen Gesundheit an Leib und Seele nicht hoch genug zu preisen; aber wie zerbrechlich ist der Mensch, wie leicht ergreift ihn Schwachheit und Krankheit, und fehlt ihm dann der Glaube an die allwaltende Liebe Gottes, die keines seiner Kinder vergisst, aus der zugleich die Hoffnung entspringt auf die Hilfe in der Not, welcher Schutz bleibt ihm dann vor dem Unmut, vor der Verzweiflung, die die Last der Leiden nur noch erschweren? - Und wenn wohl gar uns die gelobte Treue von Andern gebrochen, unsere Liebe verraten, unsere Arglosigkeit missbraucht, unser redliches Streben verdächtigt wird, wenn unser Herz sich dann vereinsamt und an menschlicher Liebe verarmt fühlt: wohin soll es dann flüchten mit seinem Liebesdrang, wenn nicht zu seinem Vater im Himmel, der ja die ewige Liebe und der unverlierbare Zeuge ist, der uns kennt, und der einst den Rat der Herzen offenbaren wird? - Gewiss, meine Geliebten, es ist eine Lehre der Weisheit, die der Schmerz um das Verlorene, so oft wir ihn gewahren, immer neu uns wieder predigt: Trachte nach dem Unverlierbaren! und das nächste unverlierbare Gut, das uns lediglich durch die eigene Kraft zu gewinnen steht, es ist das eigene Gott liebende und Gott vertrauende Herz.

Ein solches führt dann immer zugleich einen andern unverlierbaren Segen mit sich: den Frieden des Gewissens und einen Reichtum an guten Werken. Denn das Herz, das Gott wahrhaft liebt und ihm vertraut, kann eben so wenig zugleich der Sünde dienen als in Untätigkeit bleiben. In dem Augenblick, wo es der Sünde Knecht würde, müsste es zugleich seinen besten Schatz, seinen Frieden mit Gott, sein Gottvertrauen verlieren, und seine Gottinnigkeit ist ihm auch ein steter Antrieb, zu tun den Willen seines Vaters im Himmel, von dem es ja alle seine Kraft ableiten, und dadurch zugleich seine Verpflichtung anerkennen muss, sie im Dienst des Herrn zu verwenden. - Und wenn dann auch alles Irdische vergeht, wer den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit! Seine Saat ist unverloren, seine Ernte reift für die Ewigkeit. Und diese Ewigkeit, sie ist endlich das für uns Alle Unverlierbare, das freilich den Bösen schreckt, weil er fühlt, dass mit ihr sein Gericht naht; auf die der Fromme aber mit einer seligen Freude hinschaut, und in aller Erdenpein sich ihrer getröstet. Mag dann der irdisch Gesinnte vergehen vor Bangigkeit und vor Warten der Dinge, die da kommen sollen, wenn sein letztes Stündlein naht; mag er dann erkennen, wie seine vermeintliche Weisheit zerstäubt, mit welcher er sich den Glauben an den richtenden Gott, und an die vergeltende Ewigkeit auszureden suchte, um nur in seinem flüchtigen Sinnengenuss, in seinem irdischen Treiben nicht gestört zu werden: der Fromme weiß, was da kommen wird. Für ihn hat das Scheiden von hier höchstens körperliche Schmerzen, aber keine geistigen Schrecken, denn sein Heiland ist ja auch zu ihm gekommen, den Verlorenen zu suchen, ist ja auch ihm vorangegangen, und er weiß, er folgt ihm nach, er geht zum Vater, zu dem Gott, der auch gnädig und barmherzig ist, Sünde vergibt und hilft in der Not. - O lasst uns weise werden, Christen, in der Zeit, dass wir das Unverlierbare uns zu eigen machen. Wir werden dann gewissenhafter sein in der Schätzung des uns hier schon zu Teil werdenden Glückes, und wenn wir es dann auch verlieren, der Schmerz darüber wird uns dann minder treffen.

Dieser Schmerz soll aber endlich nicht ein in Untätigkeit erduldeter bleiben, er soll eine Tätigkeit in uns erwecken. Jeder Schmerz ruft ja das Bestreben hervor, Heilung oder wenigstens Linderung zu suchen; auch für den Schmerz um das Verlorene ist Linderung und Heilung in den meisten Fällen zu finden; er muss uns nur ermuntern

3) auch unsererseits das Verlorene zu suchen.

Was wir von Gott tun sehen ist jederzeit eine Anweisung für uns, und in die Fußstapfen, die Jesus uns gelassen hat, sollen wir treten, dadurch werden wir Gott ähnlicher. Ist es nun der göttlichen Liebe Bestreben, das Verlorene wieder zu suchen, und hat sie zu dem Zweck uns, wie er es verkündet, Jesum Christum gesandt, so liegt darin auch zugleich für uns die Anweisung: das Verlorene wieder zu suchen. - Was uns in die andere Welt vorangegangen ist, das finden wir wieder. Gott führt uns dieselbe Bahn; es gilt nur den christlichen Glauben daran, die christliche Hoffnung darauf hier recht fest zu halten im treuen Herzen. Was Gott uns sonst entzog, das dient zu unserer Erziehung für das höhere Leben; da gilt es nur sich zu beugen unter die gewaltige Hand des Herrn, und die friedsame Frucht der Gerechtigkeit zu gewinnen, welche die Versuchung von Gott dem jedes Mal gewährt, der recht dadurch geübt wird. Aber was du verlorst durch eigene Schuld, das suche wieder! Du kannst es, du kannst dich selbst damit wiederfinden, und um deinetwillen Freude bereiten im Himmelreich. - Hast du das Vertrauen, hast du die Achtung anderer Menschen verloren, weil du dich ihrer unwert machtest, so lass dir das eine Mahnung sein zur Umkehr. Es wird dich vielleicht lange Mühe und Entsagung kosten, das Verlorene wieder zu gewinnen, denn für das Böse, das Andere taten, pflegen die Menschen ein sehr treues Gedächtnis zu haben. Allein unmöglich ist es nicht, wenn es mit Ernst gewollt wird, und darum ruft dir dein Heiland zu: Es wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, damit du den Mut gewinnst, dich zu erheben von deinem Fall. - Hat deines Herzens Härtigkeit den Frieden in deinem Haus gestört, ist dadurch in deinem und der Deinigen Herzen die Liebe erkaltet, dann freilich hast du alle Ursache zu trauern, denn du hast ein hohes Glück verloren. Allein lass es nicht bei der Trauer bewenden, sondern erweiche dein hartes Herz, entsage bösen Gewohnheiten, lass es dir eifrig angelegen sein, alle vorhandenen Missverständnisse aufzulösen, allen früheren Zwiespalt auszugleichen, alles etwa erlittene Unrecht nicht nur zu verzeihen, sondern auch zu vergessen, und du wirst auch anderer Herzen Härtigkeit überwinden; neue Liebe wird dir entgegenkommen, neuer Friede dich beglücken zum Segen für dich und für die Deinen. - Bist du in deinem Nahrungserwerb zurückgekommen, weil du entweder in deiner Geschicklichkeit hinter den Forderungen der Zeit zurückbliebst oder es an der nötigen Sorgfalt und Pünktlichkeit fehlen ließt, klage dann nicht die Zeit, nicht die Geschickteren und Fleißigeren deiner Genossen, sondern nur dich an, erkenne deine Mängel, hilf ihnen ab, und es wird ja wieder besser werden! Bist du den Versuchungen zur Sünde unterlegen, hast du den Frieden deines Gewissens verloren: o spare deine Buße dann nicht bis du krank werdest, verziehe mit der Besserung deines Lebens nicht bis in den Tod! Verachte nicht den Reichtum der göttlichen Langmut; werde nicht sicher, weil Gott mit dem Gericht noch verzieht, sondern bedenke, dass Gottes Gnade dich zur Buße leiten will, und bessere dich, dieweil du noch sündigen kannst. Ein anderes Opfer hast du nicht für deine Sünde, denn deine Sünde selbst. Ihr sollst du aus Liebe zu Gott entsagen. Nur wenn du dies zu tun eifrig beflissen bist, kann die Zuversicht der Vergebung der Sünden dich wieder beglücken, kannst du ohne inneren Vorwurf das freundliche Wort Jesu hören: Es wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Ist es aber ein Hauptzweck der Sendung Jesu, die Verlorenen wieder zu suchen, sie zur Buße und Gnade zu leiten, sind denn wir nicht dadurch auch zugleich aufgefordert, das Gleiche zu tun? Gehen nicht genug von denen in der Irre, die zu der Herde Christi gehören, und sind nicht Andere noch zu derselben hinzuführen? Würden wohl Viele von ihrem ersten Fehltritt an so unaufhaltsam und so tief sinken, wenn nicht sofort sich jede Hand von ihnen abzöge, wenn ihnen dann nicht jede Aufmunterung, jede tätige Hilfe von Außen fehlte, um sich wieder zu erheben? Wenn dann nicht ein unbesiegbares Misstrauen für immer ihnen so entgegenstände, dass sie nicht mehr wagen die Hoffnung zu fassen, als könne es mit ihnen noch besser werden? - Soll denn bloß im Himmel, soll nicht auch auf Erden schon Freude sein über einen Sünder, der Buße tut? Sollten wir es uns nicht mehr, als bis jetzt geschieht, angelegen sein lassen, die Gefallenen aufzurichten und ihnen zu völliger Erhebung unseren Beistand verleihen? - Seht, Geliebte, welch einen großen und schönen Wirkungskreis uns der Zuruf eröffnet: Sucht auch eurerseits das Verlorene wieder! Und wenn wirs tun, dann sind wir ja Mitarbeiter Jesu; welche Würde! dann haben wir ja auch Teil an seinem Lohn; welche Aussicht! - O, es fehlt auf Erden noch zu sehr an der Liebe, welche auch der Sünden Menge bedeckt, welche sich nicht erbittern lässt, wenn auch ihre Mühe einmal vergebens war, wenn auch ihr Vertrauen einmal getäuscht wurde. Wären wir nur so langmütig, so mild, so unverdrossen, wie Jesus es war, so würden viele Verlorene wiedergefunden werden, so würde viel Freude durch uns sein im Himmel, und: „Wie muss das das Herz erfreuen, der Retter einer Seele sein!“

Nun, Christen, so lasst uns denn danach streben, dass unser Schmerz um das Verlorene die Veranlassung werde, dass Freude sei vor den Engeln Gottes, und sie wird sein, wenn wir durch denselben angeleitet werden: das Glück des Besitzes gehörig zu schätzen, vorzugsweise nach dem Unverlierbaren zu trachten, und auch unsererseits das Verlorene wieder zu suchen. Solche Warnung, Lehre und Ermunterung zur rechten christlichen Weisheit ist mit keinem Schmerz zu teuer erkauft, und darum wollen wir auch im Schmerz den Gott preisen, dessen Güte es ist, dass wir nicht gar aus sind, dessen Barmherzigkeit alle Morgen neu und dessen Treue groß ist. Ja, sein heiliger Name sei gelobt ewiglich. Amen.

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