Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Der Gruß der Elisabeth an Maria.

Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Der Gruß der Elisabeth an Maria.

Marias Lobgesang.

Predigt am dritten Advent-Sonntag, den 17. Dez. 1843,

über Evang. Lukas 1,39-56.

Wir haben an den beiden vorigen Sonntagen die zwei göttlichen Botschaften vernommen, beide durch den Engel Gabriel vom Himmel herabgebracht, die erste an den Priester Zacharias im Tempel, dass sein Weib in ihrem Alter noch Mutter werden und den Sohn gebären solle, der von den Propheten schon als der berufene Vorbote des Erlösers angekündigt worden war, - die zweite, im sechsten Monat nachher an die Jungfrau Maria in Nazareth aus Davids Geschlechte, dass sie die Begnadigte, die Erwählte sei, von welcher der Heiland selbst solle Mensch geboren werden, und dass sie schwanger werden solle durch übernatürliche Wirkung des Heiligen Geistes. Maria empfing mit dieser Botschaft zugleich vom Engel die Nachricht von dem, was mit Elisabeth, ihrer Freundin, geschehen. Damit war der Maria der Weg gewiesen, wohin, zu welchen Personen sie sich zu begeben hatte, mit dem heiligen Geheimnisse, welches der Engel ihr kund getan. Davon hören wir den Bericht in demselben ersten Kapitel des Evangeliums Luk. 1, Vers 39-56.

Text. Evang. Luk. 1,39-56.
Maria aber stand auf in den Tagen, und ging auf das Gebirge eilends, zu der Stadt Juda. Und kam in das Haus Zachariä, und grüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Maria hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Und Elisabeth ward des Heiligen Geistes voll; und rief laut, und sprach: Gebenedeit bist du unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Und woher kommt mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Siehe, da ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte mit Freuden das Kind in meinem Leib. Und, o selig bist du, die du geglaubt hast; denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dein Herrn. Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes. Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist, und des Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt immer für und für, bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm, und zerstreut die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen von Stuhl, und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern, und lässt die Reichen leer. Er denkt der Barmherzigkeit, und hilft seinem Diener Israel auf; wie er geredet hat unsern Vätern, Abraham und seinem Samen ewiglich. Und Maria blieb bei ihr bei drei Monden; danach kehrte sie wiederum heim.

So weit dieser Bericht vom seligen Zusammentreffen der beiden auserkorenen Mütter, und von den Worten des Segens und von den Worten des Lobes, wovon ihr Mund bei der ersten Begrüßung aus dem Glauben und der Freude ihrer Herzen überfloss. Der Geist des Herrn, durch den sie geredet, was wir hier hören, segne den Inhalt ihrer Worte an uns zu unserer. Erbauung!

I.

Wir hören zuerst, (V. 39.) dass Maria nach der Offenbarung, die sie durch den Engel empfangen, eilig sich aufgemacht, von Nazareth in Galiläa, wo sie wohnte, nach dem Gebirge zu der Stadt Juda, d. h. zu der Priesterstadt im gebirgigen Teile des Stammes Juda, in welcher Zacharias und Elisabeth wohnten. Diese vom Evangelisten hier nicht namentlich genannte Stadt war ohne Zweifel die Stadt Hebron, von der wir im 21. Kap. des Buches Josua (21,9-11.13. 14,14. 15,13.) dies alles zusammen bemerkt finden, dass sie eine Priesterstadt war und zum Stamme Juda gehörte, und im Gebirge Juda lag, - so dass sie als die vornehmste Priesterstadt in diesem Stamme und überhaupt als eine der vornehmsten Städte des Stammes Juda durch den vom Evangelisten Lukas hier gebrauchten Ausdruck: „die Stadt Juda im Gebirge Juda,“ hinlänglich deutlich bezeichnet war. Eine Stadt, an die sich teure Erinnerungen aus der heiligen Geschichte anknüpften. Hier in der Gegend dieser Stadt hatte Abraham gewohnt, und war der gnädigen Heimsuchungen des Herrn gewürdigt worden, im Haine Mamre, der bei Hebron lag (1 Mos. 13,18. Kap. 18.). In demselben Hebron hatte David nach göttlicher Weisung (2 Sam. 2,1.) die ersten 7 Jahre seiner Regierung gewohnt, so lange er bloß über den Stamm Juda König war (2 Sam. 2,11. 5,5.). Hierhin, wo Zacharias und Elisabeth wohnten, machte sich Maria auf in Eile. Wie hätte sie es auch tragen können, das hohe Geheimnis ganz in sich zu verschließen? Dass sie aber sonst Niemanden es entdecken durfte, das fühlte sie wohl. Eine sehr freundliche Führung also, die sich auch in andern Beziehungen noch als eine von der göttlichen Weisheit vorgesehene Führung auswies, war es, die sie für einige Monate in das befreundete priesterliche Haus nach Hebron leitete.

Und da sie in das Haus Zachariä kam V. 40., grüßte sie Elisabeth. „Und siehe, als Elisabeth den Gruß Mariä hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Und Elisabeth ward des Heiligen Geistes voll; und rief laut, und sprach: Gebenedeit bist du unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Und woher kommt mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ (V. 41 - 43.) Deutlich geht aus dieser Erzählung hervor, dass der Elisabeth in dem Augenblick, wo sie die hereintretende Maria ansichtig wurde, und ihren Gruß hörte, sogleich alles klar war, dass ihr noch ehe Maria ihr irgend etwas davon gesagt, die hohe Bestimmung derselbigen, die Mutter des Erlösers zu werden, sogleich und in großer Gewissheit und Klarheit aufgeschlossen ward. Solche plötzliche Aufschlüsse setzen ein vorbereitetes Gemüt voraus, und ein solches war das Gemüt der Elisabeth. Sie war nun schon im 6ten Monate mit dem Sohn schwanger, von dem sie wusste, dass er zum Vorboten, zum unmittelbaren Vorläufer des verheißenen Erlösers bestimmt sei. Demnach wusste sie, dass die Erscheinung des Erlösers selbst nun ganz nahe war, und hatte sich wohl auch in ihren Gedanken damit beschäftigt, wer nun die Mutter des Herrn selbst sein werde. Das Letztere war ihr nun noch zur Stunde verborgen. Kaum aber hat sie Maria erblickt, die ihr befreundete und in ihres Herzens Frömmigkeit ihr wohlbekannte Jungfrau Maria aus Nazareth, und hat ihren Gruß gehört und gewiss hat Maria sie diesmal in eigentümlich freudiger und feierlicher Stimmung gegrüßt, und die Gnade, die ihr widerfahren, hat sich gewiss auch in eigentümlicher Verklärung ihres Angesichts und ganzen Wesens zu erkennen gegeben, so wurde der Elisabeth auf einmal licht; der Heilige Geist vertraute ihr in demselben Augenblick das hohe Geheimnis, und sie empfing einen Eindruck von heiliger Freude, die ihr Innerstes bewegte, und dem Kinde unter ihrem Herzen sich mitteilte, dass auch dieses sich mit einem freudigen Hüpfen in ihrem Leib bewegte. Der Heilige Geist kam über sie, und überschüttete sie mit Licht und Freudigkeit und großer Gewissheit, und öffnete ihr den Mund zur Erwiderung des Grußes der Maria in Worten der Weissagung sie zu segnen und selig zu preisen. Sie ward voll des Heiligen Geistes, und rief laut und sprach: „Gebenedeit bist du unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Und woher kommt mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Siehe, da ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte mit Freuden das Kind in meinem Leib.“ Nur durch Eingebung des Heiligen Geistes konnte Elisabeth das wissen, dass Maria schwanger sei und die ausersehene Mutter des Erlösers sei. Auch das Hüpfen des Kindes in ihrem Leib in dem Augenblick des Grußes der Maria gehörte mit zu dem Außerordentlichen, wodurch der Heilige Geist sie in diesen Augenblicken gewiss machte. Lasst uns dabei nicht übersehen, was von der ordentlichen, der gewöhnlichen Wirksamkeit des Heiligen Geistes in dem Herzen der Elisabeth hier in ihren Worten sich kund gibt, die Glaubenskraft der Elisabeth und ihre herzliche Demut. „Die Mutter meines Herrn“ so nennt sie die Maria. Das war viel gesagt, und Ausdruck eines starken Glaubens. Sie hat die Worte der Botschaft des Engels an ihren Mann Zacharias genau gemerkt, und sie tief in ihrem Herzen erwägt und bewegt. „Er wird“ so hatte der Engel von dem ihr verkündigten Sohn Johannes gesagt, „er wird vor ihm, dem Herrn, hergehen.“ Darum nennt sie den Erlöser, der nun Mensch geboren werden soll, mit demselben göttlichen Namen, Herr, Jehova, den ihm der Engel schon in seiner Botschaft gegeben hat. Sie wusste auch, dass die Propheten allesamt Ihn unter demselbigen Namen verkündigt hatten. Hatte doch auch David dieserhalb den ihm verheißenen leiblichen Sohn im Glauben seinen Herrn genannt, in den Anfangsworten des 110. Psalmes: „Der Herr sprach zu meinem Herrn.“ (zu vgl. Ps. 110, 5.) In demselben bellen Gnadenlicht zeugte auch Elisabeth hier von der Gottheit dessen, den Maria unter ihrem Herzen trug. Daher nun auch ihre Ehrfurcht vor der Maria, der begnadigten Jungfrau. Sie stand den äußeren Verhältnissen nach, als betagte und angesehene Priestersfrau ja sonst nicht so zu dieser Jungfrau, einem armen Mädchen aus Nazareth, dass sie einen Besuch von ihr sich hätte zur Ehre rechnen müssen. Nun sie in ihr aber die ersehene Mutter des Herrn erkannte, gestaltet sich in ihren Augen das Verhältnis anders, und mit Rührung und Beugung ihres Herzens erkennt sie es als eine neue Gnade und Ehre, die ihr damit wird, dass die Mutter des Herrn zu ihr kommt. Sie setzte hinzu V. 45.: „Und o selig bist du, die du geglaubt hast.“ Sie siehts im Lichte des Geistes und durch Wahrnehmung an dem Wesen der Maria, dass dieselbe der ihr gewordenen göttlichen Eröffnung geglaubt hat, und preist sie selig dieserhalb ihrem Mann Zacharias hatte sein Kleinglaube ja eine sehr demütigende Züchtigung zugezogen, - „selig bist du, die du geglaubt hast; denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn“ (V. 45.). Sie hatte es in ihrer Schwangerschaft an sich selbst nun schon vor Augen, dass es geschehen und wahr geworden, was der Engel ihrem Mann verkündigt hatte,

Für Maria war das eine unerwartete Freude und eine ungemeine Glaubensstärkung, von der ehrwürdigen Elisabeth, noch ehe sie ihr etwas gesagt hat, so empfangen und begrüßt zu werden in Worten des Segens, im Geist der Weissagung. Der Heilige Geist, der Elisabeths Herz erfüllt, und ihren Mund geöffnet hatte zum Segnen und Weissagen mit lauter Stimme, kam nun auch über Maria und öffnete auch ihr den Mund zu dem Psalm, zu dem Lobgesang, der in unsern Textesworten zuletzt verzeichnet ist, und in dem sich das demütige und sehr reine Herz der Maria, und die Einfalt und Kraft ihres Glaubens wie auch ihr Verständnis am göttlichen Wort so ausspricht, dass jeder aufmerksame und empfängliche Leser und Hörer viel daraus lernen, und zu seiner Beschämung, wie zu seiner Ermunterung viel daraus nehmen kann. Nur auf die Hauptpunkte lasst uns unsere Aufmerksamkeit hinrichten.

„Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.“ (V. 46. 47.) Maria hat außerordentliche Gnade und Ehre empfangen. Was sie empfangen hat, gibt sie dem, von dem sie es empfangen, wieder, durch das Lob, das sie Ihm dafür gibt, durch die Lobpreisung, womit sie Ihn und seine freie Macht und Gnade, die Er an ihr darin bewiesen, erhebt. Sie sagt: „Meine Seele erhebt den Herrn.“ - In außerordentlichen Gnadenerweisungen liegen für den, der sie erfährt, schwere Versuchungen, die Versuchung, das, was man empfangen hat, als sein eigen anzusehen, und Wohlgefallen darin an sich selber zu haben, die Versuchung zur sündlichen Selbsterhebung. So fällt der alte Mensch der Eigenliebe in uns über alles Empfangene der, und auch die Kinder Gottes alle haben dieser Versuchung halber Ursache, auf das sorgfältigste und schärfste fortwährend sich selbst zu bewachen. Bekannte doch der Apostel Paulus, dass jenes schmerzliche Leiden, worüber er klagt, jener Pfahl ins Fleisch ihm dazu gegeben war, dass er sich nicht der hohen Offenbarungen überhübe, die er empfangen. Der Maria war durch die ihr gewordene Bestimmung eine ganz außerordentliche Gnade widerfahren. Ihr Gemüt konnte nicht anders als aufs tiefste davon ergriffen und durchdrungen werden. Hätte sie dieses ihr gewordenen Vorzugs nun irgend als ihres Eigentumes sich angenommen, und sich darin in eigner Größe und Ehre gefallen, hätte sie unter dem Gewicht solcher Gnade und Ehre, um deren willen nun auch Elisabeth sie selig pries, ihr Herz nicht alsbald lauterlich aufwärts zu dem Herrn, ihrem Gott, aufgeschwungen, Ihm gläubig und dankbar die Ehre dafür wiederzugeben, die Ihm allein und seiner freien Gnade allein das für gebührte, so würde sie Schaden darüber genommen haben an ihrer Seele, und es wäre ohne Befleckung ihres Geistes nicht abgegangen. Nun sie sichs aber nicht annahm als ihres Eigentums, nicht sich darin bespiegelte, und sich selbst darin wohlgefiel, - und nicht sich, sondern den Herrn darüber erhob, und seine freie Gnade darin betrachtete und lobpries, da nahm es mit der Ehre und Freude, mit der ihr Herz überfüllt worden und mit der Bewegung ihres Herzens den rechten Weg in die Unendlichkeit zu Gott hinauf, zu Ihm zurück, von dem es gekommen, und dem Dank und Lob und Ehre und Ruhm für alles, was Er an uns tut, für alle Gnade, die Er an uns den sündigen Menschenkindern erweist, ohne Ende gebührt. So behielt sie ihre Seele rein und frei durch Danksagung und Lob des Herrn, und so blieb sie auch selig. Sie bewahrte sich damit ihre Seligkeit in der ihr gewordenen Gnade, denn die Lauterkeit und die Seligkeit des Herzens gehen zusammen. Mein Geist, sagt sie, freut sich Gottes meines Heilands, meines Erlösers. „Denn“, sagt sie, und redet nun auch von sich selbst, - aber wie tut sie es? V. 48. „Denn Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“ - Keine Spur hier, dass sie hohe Gedanken von sich selbst gehabt; sie weiß und fühlt und spricht es hier aus, dass sie nicht die geringste Würdigkeit vor Gott geltend zu machen gehabt hätte dieser ihr gewordenen überschwänglichen Ehre halber. Diese Niedrigkeit aber, welche Maria in ihren Augen hatte und behielt, hinderte sie nicht, sich des ganz außerordentlichen Maßes der ihr widerfahrenen Gnade und Ehre bewusst zu sein. „Siehe“ -, setzte sie hinzu. V. 48. „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.“ Sie sah es im Geist voraus, dass man sie selig preisen werde, als die begnadigtste aller Mütter, durch alle Zeiten der Zukunft, weil sie im Geist erkannte, wer der sei, den sie gebären sollte, der Sohn Gottes, der dem David verheißene göttliche Thronfolger und ewige König, der Heiland Israels in der Welt. Das wusste sie, darum wusste sie auch, dass sie werde selig gepriesen werden durch alle Zeiten der kommenden Geschlechter von Kind zu Kindeskinder. Indessen reicht nur einige Aufmerksamkeit und Einsicht hin, zu erkennen, wie wenig übereinstimmend mit Marias Sinn und Geist, und wie widersprechend demselbigen es ist, sie abgöttisch zu verehren und anzurufen, und das nicht allein, sondern auch als eine Mittlerin, deren Fürsprache bei Christo vom höchsten Gewichte sein soll, sie anzurufen, und sie so Christo dem Herrn, dem einigen Mittler zwischen Gott und uns, an die Seite zu setzen, und so die Leute vor der seligmachenden Kraft des Vertrauens auf Ihn allein vorbeizuführen, und sie zu lehren, ihr Vertrauen auf Kreaturen zu gründen. Maria wusste, dass der, den sie gebären sollte, ihr und der Welt einiger Heiland sei. Nicht zu ihrer, sondern zu seiner Ehre bezeugte und bekannte sie, wie hoch sie als seine leibliche Mutter begnadigt sei.

V. 49. „Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist, und des Name heilig ist.“ V. 50.: „Und seine Barmherzigkeit währt immer für und für, bei denen, die Ihn fürchten.“ Sie preist die Wundermacht Gottes, die Er an ihr verherrlicht, und dass der das tut, des Name heilig ist, der, weil Er heilig ist und in der Höhe und im Heiligtum wohnet, auch nur hinuntersehen kann auf das Niedrige, d. i. auf die, die gedemütigten Geistes sind, und vor seinem Angesicht sich fürchten (Jes. 57,13.). Seine Barmherzigkeit aber ist von jeher der göttliche Grund der Zuversicht seines Volks gewesen, und wird es bleiben für und für, denn auf diese heißt Er selbst uns in den Verheißungen seines Wortes und gründen. „Seine Barmherzigkeit währt immer für und für, bei denen, die Ihn fürchten.“

Und nun preist Maria auch das Tun und Walten der freien Macht und Gnade des Herrn mit Hindeutungen auf die heilige Geschichte und mit Aussprüchen des göttlichen Wortes, aus denen erhellt, wie ihre Seele auf den fruchtbaren Auen des göttlichen Wortes genährt und wie sie mit den Wegen Gottes vertraut war. Sie sagt V. 51.: „Er übt Gewalt mit seinem Arm, und zerstreut die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.“ V. 52-53.: „Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt Er mit Gütern, und lässt die Reichen leer.“ Sie erkennt in dem, was an ihr geschehen und was sich neu nun anbahnt, die alten Wunderwege des Herrn, und seine Gerichte. Die Worte dieses ihres Psalmes weisen auf die Worte des Lobgesanges der Hanna, der Mutter des Samuel, und auf die Worte der Psalmen ihres Vaters David zurück, den Gott auch aus der Niedrigkeit erhoben, und von den Schafhürden weggenommen und ihn zum Fürsten seines Volks bestellt hatte. Sie endet ihr Lied mit dem Lob der Wahrhaftigkeit und Treue des Herrn in der Erfüllung seiner Verheißungen. V. 54.55.: „Er denkt der Barmherzigkeit, und hilft seinem Diener Israel auf; wie Er geredet hat unsern Vätern, Abraham und seinem Samen ewiglich. Sie kennt die Verheißungen, welche die Väter der Vorzeit empfangen hatten, sie kennt den Bund, den Gott in Verheißungen freier Gnade mit Abraham aufgerichtet, und seinem Samen ewiglich. Auf die Erfüllung dieser Verheißungen hat auch sie mit allen Gläubigen in Israel gewartet; dass sie die Mutter des Verheißenen werden solle, das war ihr unerwartet und wunderbar vor ihren Augen, aber die Sache selbst, das Kommen des Erlösers in die Welt, das war ihr nicht fremd, und dass es zu seiner Zeit zur Wirklichkeit damit kommen werde, das war ihr gewiss. Wohl hatte es eine längere Zeit her äußerlich das Ansehen gehabt, als habe der Herr der dem Abraham und seinem Samen verheißenen Barmherzigkeit und seines Knechtes Israel vergessen; um so freudiger, da sie die Zeit der Erfüllung nun anbrechen sah, lobte sie ihn über der Wahrhaftigkeit seiner Verheißungen, über seiner Treue.

V. 57. „Und Maria blieb bei ihr bei drei Monden.“ In aller Weise freundlich war mit diesem dreimonatlichen Aufenthalt der Maria bei der Elisabeth im Hause des Priesters Zacharias für das beiderseitige Bedürfnis ihrer Herzen und für die Ehre der Maria gesorgt. Nach Ablauf dieser drei Monate, also kurz vor der Niederkunft der Elisabeth, kehrte sie nach Nazareth wieder heim.

II.

Geliebte in dem Herrn! Soll ich es in wenig Worte zusammenfassen, was vor allem Andern aus unsern heutigen Textesworten herausleuchtet, und wovon ich wünsche, dass ihr das Bild in euern Herzen mitnehmt und den Eindruck bewahrt, so ist es die seligmachende und die reinigende Kraft des Glaubens an die freie Gnade. Die Gnade Gottes ist das Gut der Güter, das wir bedürfen, um selig zu sein. Nur in ihr finden und haben und bewahren wir Frieden! Sie aber ist auch tägliches Wohlleben. Nach dem Reichtum der Gnade, die bei Gott ist in Christo Jesu unserem Herrn, nimmt Er uns, wo wir durch den Glauben vor Ihm gerecht werden, auch zu seinen Kindern und Miterben Christi an, eine Gnade und Ehre, die in ihrem Wert größer ist, als die Auszeichnung, die der Maria damit zu Teil wurde, dass sie zur leiblichen Mutter des Herrn ausersehen war, wie Jesus nachher auch selber gesagt hat; da ein Weib unter dem Volk, während Er lehrte, die Stimme erhob und sprach: Selig ist der Leib, der Dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast, erwiderte Er: Ja, selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Und ein andermal, da, während Er lehrte, seine Mutter und Brüder nach Ihm schickten und Ihn rufen ließen, redete Er seine Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, derselbige ist mein Bruder, Schwester und Mutter. - Selig, sprach Elisabeth zu Maria, selig bist du, die du geglaubt hast.

Derselbige Glaube aber, der das Herz selig macht, reinigt es auch. Er wurzelt in der Demut, und seine Frucht ist die dankbare und neidlose Liebe. War etwas an der Maria, was der Herr ansah, da Er sie wählte, die Mutter des Erlösers zu werden, so war es vor Allem dies, dass sie in ihren eigenen Augen niedrig und vor dem Angesicht Gottes demütig war. Darum musste der Engel Gabriel vor vielen hohen, vornehmen und stattlichen Jungfrauen in Jerusalem und in den Städten des jüdischen Landes vorübergehen, und wurde von Gott zur Niedrigkeit seiner Magd Maria in Nazareth gesendet, denn des Herrn Augen sehen auf das Niedere. Weil Er allein groß und hoch ist, und Niemanden über sich hat, noch seines Gleichen Jemanden neben sich, wie kann er da auch anders, als hinunter aufs Niedrige sehen, und in Gnaden Andere ansehen, als solche, die seiner Gnade begehren, und wo sie ihnen wird, in Demut und Dankbarkeit ihrer Herzen Ihn auch dafür erkennen, und die Ehre nicht für sich behalten, sondern Ihm wiedergeben? Wie kann Er Barmherzigkeit erweisen denen, die schon ohne Ihn groß und hoch sind in ihren Augen und weise bei sich selbst, und in ihren Augen gerecht sind, und der Barmherzigkeit nicht bedürfen? Wie kann Er es sich bieten lassen, Er der allein hoch ist, dass die Kreatur, zumal die sündige Kreatur, der keine andere Zuflucht als zu seiner Barmherzigkeit übrig ist, sich vor ihm hoch stelle, auf einen Standpunkt, wo er sie nicht sehen, nämlich in Gnaden sie nicht ansehen kann? Gleichwohl ist, wie lässt sichs leugnen? auch in unsern Tagen und auch, unter uns nichts gemeiner als das bei sich selbst weise sein, und in seinen eigenen Augen gerecht sein, und das Geringachten des Evangeliums von der in Christo erschienenen Gnade und Barmherzigkeit, weil man in den eigenen Augen zu hoch steht, um als Gnade bedürftiger Sünder zu Christo zu kommen? Was Wunder, dass diese nun auch von Gott nicht angesehen werden, und ihrem ganzen Wesen und Leben auch leicht abzumerken ist, dass sie, wenn auch teilweise vom Reich Gottes nicht fern, doch nicht darinnen, nicht begnadigt, nicht selig sind, und nicht loben können: „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren?“

Der seligmachende Glaube wurzelt in der Demut und seine Frucht ist die dankbare und neidlose Liebe. Der Begnadigte weiß, wofür er dem Herrn zu danken und Ihn zu loben hat. Der Begnadigte ist reich und auch in Trübsal nicht verlassen, nicht ohne mächtigen Halt göttlichen Trostes. Gewiss ist, dass, wenn uns Alles genommen würde, und nur die Gnade Gottes uns bleibet, dass wir an ihr genug haben, wie auch der Apostel in seinem Leiden damit aufgerichtet wurde, dass es zu ihm hieß: „Lass dir an meiner Gnade genügen.“ Gewiss aber auch, dass, wenn Gott diejenigen, die Er zu Gnaden angenommen hat, auszeichnen will mit Gaben und Ehren und Vorzügen nach seiner freien Gnade und Macht, dass auch die höchsten Auszeichnungen dem nicht schaden, der in der Demut bleibt, und in dem, was er empfangen hat, nicht Gefallen an sich selber hat, sondern es Gott dem Herrn, von dem er es empfangen, in dankbarem Lob zurückgibt. In demselben seligmachenden Glauben an die freie Gnade empfangen wir auch Licht und Kraft, da wo wir Andere gesegnet und hochbegnadigt und vorgezogen sehen, unser Herz zu bewahren, wie vor dem Neid darüber und Stolz, der sich in der Herabsetzung der Gaben Anderer wohlgefällt, so auch vor der abgöttischen Hochstellung derer, die Gott begabt und vorgezogen hat, wie wir es am Beispiele der Elisabeth gegenüber der Maria hier sehen. Der Herr segne Euch und mir, was Er uns hier vorhält in seinem Worte. Er erfreue unser Herz, und reinige unser Herz durch den Glauben, und heilige uns in seiner Wahrheit, sein Wort ist die Wahrheit. Amen.

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autoren/k/krafft_j/predigten/krafft-3_advent.txt · Zuletzt geändert: von aj
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