Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Die Salbung Jesu durch Maria, die Schwester des Lazarus.

Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Die Salbung Jesu durch Maria, die Schwester des Lazarus.

Text: Ev. Joh. 12, 1 - 8.

Sechs Tage vor den Ostern kam Jesus gen Bethanien, da Lazarus war, der Verstorbene, welchen Jesus auferwecket hatte von den Todten. Daselbst machten sie ihm ein Abendmahl, und Martha dienete, Lazarus aber war deren einer, die mit ihm zu Tische saßen. Da nahm Maria ein Pfund Salbe von ungefälschter köstlicher Narde, und salbte die Füße Jesu, und trocknete mit ihren Haaren seine Füße; das Haus aber ward voll vom Geruch der Salbe. Da sprach seiner Jünger einer, Judas, Simonis Sohn, Ischariothes, der ihn hernach verrieth: Warum ist diese Salbe nicht verkauft um dreihundert Groschen, und den Armen gegeben? Das sagte er aber nicht, daß er nach den Armen fragte; sondern er war ein Dieb, und hatte den Beutel, und trug, was gegeben ward. Da sprach Jesus: Laßt sie mit Frieden, solches hat sie behalten zum Tage meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.

Wir hören in den vorgelesenen Worten einen der merkwürdigsten Auftritte aus den letzten Tagen des Wandels Jesu auf Erden, eine Geschichte, die unser Erlöser selbst der besondern Aufmerksamkeit seiner Bekenner für alle Zeiten der Zukunft empfohlen hat. - Wahrlich, ich sage Euch, sprach Er, wie die beiden Evangelisten Matthäus und Markus bei der Erzählung derselben Geschichte hinzufügen: „Wo dies Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtniß, was sie gethan hat.“ Johannes übergeht auch hier, was die übrigen Evangelisten berichtet haben, und nimmt diese Erzählung nur darum in sein Evangelium auf, weil er noch mehrere wichtige Umstände hinzuzufügen fand. So erfahren wir nur von ihm, daß das Weib, welches hier Jesum salbte, die Maria, die Schwester der Martha und des Lazarus gewesen, sowie den Tag dieser Begebenheit und den Umstand, daß es Judas Ischarioth gewesen, der zuerst diese Handlung tadelte, und aus welchem Beweggrunde bei ihm dieser Tadel hervorging. Laßt uns denn das Gedächtniß dieser Geschichte heute auch in unserer Mitte erneuern. Der Herr verleihe uns die Gnade, daß es im Segen für uns und Ihm zum Wohlgefallen geschehe!

I.

V. 1. Es war sechs Tage vor Ostern, also wenige Tage vor dem Tode des Herrn, in Bethanien einem Flecken unweit Jerusalem, demselben Ort, wo Jesus eben vorher den gestorbenen Lazarus wieder auferweckt hatte, wo diese Geschichte sich zutrug, und zwar wie die andern Evangelisten berichten, in dem Hause eines Mannes Namens Simon, mit dem Beinamen des Aussätzigen, ohne Zweifel, weil er einmal mit dieser Krankheit behaftet gewesen.

V. 2. In diesem Hause bereiteten sie Ihm am Abend jenes Tages ein Mahl, und Martha dienete, sie besorgte das Mahl und wartete auf, Lazarus aber war der einer, die mit Ihm zu Tische saßen. Da saß dieser vom Tode Auferweckte, derselbe Lazarus, den seine Schwestern auf seinem Krankenlager hatten leiden und sterben sehen, dessen Tod sie beweinten, der schon vier Tage im Grabe gelegen, und dessen Leib schon den Geruch der Verwesung verbreitet hatte; da saß er, nicht nur lebendig, sondern auch lebenskräftig und gesund, mit Jesu zu Tische, ein lebendiger Zeuge der Wundermacht und Herrlichkeit Jesu. So hatte der Herr der Herrlichkeit es angemessen gefunden, ehe er sich in Leiden des Todes und in den Tod selbst hingab, sich kurz vorab noch auf eine glänzende Weise als den Fürsten des Lebens zu offenbaren. Diese That Jesu machte einen tiefen und allgemeinen Eindruck. Lazarus war ein Wunder Gottes in den Augen Aller, die ihn sahen, besonders aber für die Schwestern, denen der geliebte Bruder wiedergeschenkt war, ein herzerhebender und glaubenstärkender Anblick. Es war vor ihren Augen in Erfüllung gegangen, was Jesus der Martha auf ihre kleingläubige Aeußerung über den Verwesungsgeruch des Verstorbenen erwiederte: ,Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du solltest die Herrlichkeit Gottes sehn.„ Er hatte es mit der That bewahrheitet, sein Wort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Beide Schwestern waren überschwänglich erfreut und im Glauben gestärkt worden. Martha fühlte sich glücklich, auch außerhalb ihres Hauses, in dem Hause Simons dem Herrn zu dienen. - Auf andre Weise, innerlicher, war Maria bewegt. Ihrem sinnigen Gemüthe mag in dieser That Jesu, in dieser Auferweckung ihres Bruders, viel aufgegangen und aufgeschlossen worden sein. Sie hatte schon länger dem Unterricht Jesu mit besonderer Aufmerksamkeit zugehört, und ihn tief in ihrem Innern bewegt. Ihre tiefe Ehrfurcht vor Jesu und ihre Liebe zu Ihm erleichterte ihr das Verständniß, und was der Herr nun so oft schon von seinem bevorstehenden Leiden und Sterben angedeutet, und seinen Jüngern in der letztern Zeit so deutlich und wiederholt vorhergesagt hatte, das hatte in ihrem Gemüthe gehaftet. Denn daraus, daß die Jünger damals diese Vorhersagung Jesu so gar nicht faßten, und dabei so wenig auf das prophetische Wort achteten, weniger fast damals als im Anfang ihrer Jüngerschaft, - daraus folgt nicht, daß es bei allen Angehörigen Jesu ebenso gewesen. - Maria wenigstens, nach dem Zeugniß, das ihr Jesus in unserem Texte gibt, hatte eine Ahndung von dem was bevorstand, eine Ahndung, daß die Zeit nahe sei, wo sie ihn nicht mehr persönlich würden unter sich haben, wo Er sie verlassen werde. - Um so stärker aber fühlte sie sich nun auch in ihrem Herzen gezogen und gedrungen, Ihm ihre Ehrfurcht und ihre Dankbarkeit zu erkennen zu geben, und sie fand auch bald ein Mittel, ein Zeichen hiezu, wie ihr Herz es bedurfte.

Sie besaß eine Pfund Salbe von ungefälschter, köstlicher Narde, von ganz echtem Nardenöl, welches aus der Blüthe der Nardenpflanze gewonnen wurde, und überaus hoch im Preise stand, eine Salbe ähnlicher Art, wie das köllnische Wasser bereitet und gebraucht wird, nur viel kostbarer, und ungleich theurer. Sie hatte diese köstliche Salbe schon eine Zeitlang gehabt und aufgehoben; jetzt an dem Abend dieses Tages wurde ihr klar, wie sie dieselbe verwenden müsse, und daß sie nicht säumen dürfe zu thun, was ihr Herz ihr eingab. Sie trat, wie die übrigen Evangelisten erzählen, hinein, während man zu Tische saß, und eilte zu Jesu hin. Das alabasterne Gefäß, worin das Nardenöl aufbehalten war, zerbrach sie, und goß den Balsam aus zuerst über das Haupt Jesu, dann salbte sie auch seine Füße, und mit ihrem Haupthaar rieb sie die Salbe ein; sie trocknete, heißt es, mit ihrem Haar seine Füße, und das ganze Haus ward vom Wohlgeruch der Salbe erfüllet.

Diese Handlung der Maria war ein natürlicher Ausdruck und unwillkührlicher Erguß der innersten Gesinnungen ihres Herzens, beredter als alle Worte. Sie that in Einfalt und Liebe, was die innerste Stimme des Herzens sie hieß, ohne vorab Rücksichten zu nehmen und Ueberlegungen anzustellen, wie es von andern würde angesehen und beurtheilt werden. Es kam ihr nicht in den Sinn zu denken, daß sie hier was außerordentliches thue; sie folgte ihrem innern Drange, dem sie nicht widerstehen konnte; sie konnte gar nicht anders, als sie that, und erwartete eben darum auch für das, was sie that, gewiß kein Lob. Eben so wenig aber auch war es ihr in den Sinn gekommen, daß diese Huldigung, die sie dem Herrn darbrachte, sollte mißfallen oder getadelt werden. Das Letztere indessen, wie wir in unserm Texte weiter hören, geschah:

V. 4-6. Da sprach seiner Jünger einer, Judas, Simonis Sohn, Ischariothes, der Ihn nachher verrieth: Warum ist diese Salbe nicht verkauft um 300 Groschen, nach unserem Gelde etwa 100 Gulden (so viel also ungefähr kostete das Pfund von achtem ungefälschtem Nardenöl) warum ist diese Salbe nicht zu Geld gemacht, und den Armen gegeben worden? Das sagte er aber nicht, bemerkt unser Evangelist, daß er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb, und hatte den Beutel, und trug, was gegeben, was eingelegt wurde; er verwaltete die gemeinschaftliche Kasse, woraus vorkommende Auslagen bestritten und Gaben für die Armen abgereicht wurden, und alles, was in diese Kasse gelegt wurde, hatte Judas in Verwahrung. Eine Bereicherung dieser Kasse also mit einer so ansehnlichen Summe, als aus dem Verkauf der Salbe hätte gelöst werden können, wäre dem Judas für seine diebischen Unterschleife willkommen gewesen. Aus diesem Grunde, bemerkt der Evangelist in unserm Texte rührt der Tadel her, den er über die Handlung der Maria laut werden ließ. So war denn freilich das, was hier das Herz der Maria bewegte, von dem, was im Innern dieses Jüngers vorging, himmelweit von einander verschieden, verschieden, wie Licht und Finsterniß verschieden sind. - Sie, hingenommen von Ehrfurcht und Liebe zu dem, in dem sie im Glauben den verheißenen Heiland erkannt hat, und dessen bevorstehende Hingebung und Leiden des Todes sie ahndet. Er, vom Geize eingenommen, beherrscht von einer Leidenschaft, die nicht nur alle besseren Regungen in ihm selbst erstickt, und ihn untüchtig zum Glauben gemacht hat, sondern ihn nun auch hindert, das Gute an andern anzuerkennen, und ihn daran Aergerniß nehmen läßt. Und wie zeigt sich auch hier an dem Beispiel dieses unglückseligen Jüngers, wie die Herrschaft der Sünde immer mit der Lüge zusammenhängt. - Der Geiz des Jüngers nimmt die heuchlerische Gestalt der menschenfreundlichen Fürsorge für die Armen an. Denn das durfte er ja nicht sagen: Warum ist diese Salbe nicht lieber verkauft worden, auf daß ich das Geld bekommen hätte, obwohl das seines Herzens eigentliche Meinung war; darum hängt er seinem Geiz einen Mantel um, und schützt die Theilnahme an dem Bedürfniß der Armen vor, und straft Maria der Verschwendung, denn so hatte die Sache einen Schein. Durch diesen Schein wurden nun auch mehrere der übrigen Jünger, die nichts Arges hinter den Worten des Judas vermutheten, veranlaßt mit einzustimmen, wie Matthäus und Markus erzählen, daß mehrere Jünger unwillig wurden und sprachen: Was soll doch dieser Unrath, diese Verschwendung? Man könnte das Wasser um mehr denn 300 Groschen verkauft haben, und dasselbe den Armen geben, und murreten über sie. Sie hielten sich wohl um so mehr zu solchem Tadel berechtigt, da sie wohl wußten, daß Jesus viel Aufwand und äußeres Gepränge nicht liebte. Nun läßt sich denken, daß Maria, durch diese Mißbilligung der Jünger eingeschüchtert, wohl einen Augenblick irre wurde, ob sie auch recht gethan, und in Verlegenheit gerieth. Aber es war hier der anwesend, der in's Innere sieht, und der Sinn und Gedanken der Herzen kennet, und ein rechtes Gericht richtet, und der urtheilte anders. Was Jesus zuerst entgegnete, hören wir im Evangelium Marei, im 6. Vers des 14. Kapitels: „Jesus aber sprach: Lasset sie mit Frieden, was bekümmert ihr sie? sie hat ein gut Werk an mir gethan.“ Der innere Grund ihrer That war ihr Glaube, und der Drang ihres Herzens, dem, den sie im Glauben als ihren Erlöser und Herrn erkannt hatte, ihre Ehrfurcht und Liebe zu beweisen. Und was aus dieser Quelle fließt ist ein gutes Werk, es sei, welches es sei, und kann nur in voreiliger, einseitiger Betrachtungweise verkannt und gemißbilligt werden; bei der tiefern und genaueren Prüfung im Licht der Wahrheit wird, was aus Glaube und Liebe hervorgegangen, sich rechtfertigen und erweisen als das, was es ist, als ein gutes und schönes Werk, wofür der Herr hier die That der Maria erklärt. Schon hierin lag eine Zurechtweisung für die Jünger, die auf ihr Murren über die vermeinte Verschwendung, und ihre Aeußerung, daß dafür gute Werke hätten geschehen können und sollen, hier vom Herrn die Antwort erhielten, Maria habe ein gutes Werk damit gethan, solches sei wirklich von ihr hier geschehen. Einen weiteren bedeutsamen Wink gibt Jesus, indem er sagt: sie hat ein gutes Werk an mir gethan. Darüber erklärt er sich näher, indem er hinzufügt: „solches hat sie behalten zum Tage meines Begräbniß.“ Und wie es bei den andern Evangelisten weiter heißt: (Matth. V. 12.) daß sie dies Wasser hat auf meinen Leib gegossen, hat sie gethan, daß man mich begraben wird; (Marc. V. 8.) sie ist zuvorkommen meinen Leichnam zu salben zu meinem Begräbniß. - Jesus ist hier selbst der Dollmetscher der wahren Gesinnung der Maria, und spricht sie klarer aus, als Maria selbst sich derselben bewußt gewesen war. Er erklärt das, was sie gethan, nicht nur für ein gutes Werk, sondern auch für eine prophetische Handlung; sie habe nicht den Tag seines Todes und seines Begräbniß abgewartet, um seinen Leichnam zu salben, sie sei damit zuvorgekommen, und habe solches hier an ihm dem Lebenden gethan, und ihn zu seinem Tode und Begräbnisse damit eingeweiht. Das war, wenn sie sichs auch in der Vorstellung nicht in solcher Klarheit bewußt gewesen, der wahre Sinn ihres Herzens bei dieser Handlung. Aus Jesu Unterricht, verbunden mit dem prophetischen Wort, aus den Erklärungen Jesu an seine Jünger, welchem Leiden und welchem Ende er entgegen gehe, als er damals sein Angesicht gewendet hatte nach Jerusalem zu gehen, zusammengehalten mit dem, was sie von der Gesinnung der Obersten des Volkes wußte: aus dem allen ahndete und erschloß sie, was bevorstand, und sah in ihm, im Glauben zwar, aber auch mit Wehmuth, das Lamm Gottes, das nun bald geopfert werden sollte. Er hatte bei der Vorhersagung seiner letzten Leiden genugsam erklärt, bei allen Widerreden seiner Jünger, daß er nicht davon abzubringen; das versuchte auch Maria nicht, aber mit ihrer Salbe eilte sie, ihn zu ehren vor seinem Ende, da es noch Zeit war, - es war eine Glaubensthat nicht minder, womit sie ihre Hingebung ausdrückte in das, was unabwendbar war nach seiner Erklärung, als es eine Handlung der Ehrfurcht und Liebe war.

Aber der Herr ist mit dem Lobe des angefochtenen Werkes noch nicht zu Ende. Als Werk der Liebe bezeichnet er das, was sie gethan, noch näher, indem er hinzusetzt, wie wir im 8. Verse des angeführten Kapitels im Evangelium Marei hören, sie hat gethan, was sie konnte, wörtlich, was sie hatte, das Kostbarste, was sie besaß, hat sie ohne Rückhalt, ohne Vorbehalt dargebracht. Ein hohes Lob, geliebte Zuhörer: sie hat gethan, was sie konnte! ein ähnliches Lob, wie das, welches er der Wittwe gab, die zwei Scherflein einlegte in den Gotteskasten, indem er sprach: (Luc. 21, 2. 4.) Wahrlich, ich sage euch, diese Wittwe hat mehr, denn sie alle eingelegt, denn diese alle haben aus ihrem Ueberflusse eingelegt zu dem Opfer Gottes, sie aber hat von ihrer Armuth alle ihre Nahrung, die sie hatte eingelegt. - Der Herr fährt fort

V. 8., „denn Arme habt ihr allezeit bei euch, und (wie es bei Marcus noch weiter heißt) und wenn ihr wollt, könnet ihr ihnen Gutes thun, mich aber habt ihr nicht allezeit.“ Mit diesen Worten empfing nun insbesondere noch Judas eine Zurechtweisung, und die übrigen Jünger, sofern sie ihm beigepflichtet des Wohlthuns halber. Der Herr sagt ihnen: ihr braucht darum, daß dieses gute Werk an mir geschehen, nicht weniger zu thun an den Armen; die guten Werke an den Armen können deßhalb ihren ungehinderten Fortgang haben, den Armen könnet ihr Gutes thun, wenn ihr wollt. Judas konnte, auch ohne daß die dreihundert Groschen in seinen Beutel flossen, den Armen Gutes thun, wenn er wollte. Damit öffnet Jesus ihm und allen ihm gleichgesinnten Heuchlern einen Blick in ihr Herz, in die Ungültigkeit und Unredlichkeit der Ausreden, womit sie ihres Herzens Unlust und Unwillen zum Wohlthun beschönigen. Er tadelt auch alle die, welche alle falschen Urtheile der Heuchler nachsprechen; er lobt dagegen die Maria, daß sie die Gelegenheit, an ihm ein gutes Werk zu thun, ergriffen, indem er sagt: Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit. Zuletzt fügt der Herr die merkwürdige Erklärung bei, die wir bei den Evangelisten Matthäus und Marcus finden: Wahrlich, ich sage euch, wo dies Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen, zu ihrem Gedächtniß, das sie jetzt gethan hat. Auch aus dieser Erklärung geht hervor, daß es eine hohe Gesinnung des Glaubens und der Liebe gewesen, in der Maria solches dem Herrn gethan, indem er also hoch sie ehrt, und sie nicht nur gegen den Tadel der Jünger in Schutz nimmt, und sie und ihre That lobt, sondern ihr auch ein solches Ehrengedächtniß neben ihm stiftet. Auch dieses Wort des Herrn ist erfüllt. Drei Evangelisten haben in ihren für die Kirche aller Zeiten bestimmten heiligen Schriften aufgezeichnet, was sie gethan hat. So weit das Evangelium auf Erden verkündet worden, und weiter verkündet wird, wurde und wird ihrer That gedacht, wie es auch heute in unsrer Mitte geschieht. - Ihre That ist bis heute, wie eine ausgeschüttete Salbe, wie ein süßer Geruch, der die Kirche Christi erfüllet, und allen denen, die den Herrn lieb haben, erwecklich und erquicklich. Der Herr gebe, daß sie auch uns erbaulich sei.

II.

Zu diesem Endzwecke laßt uns noch einige kurze Erinnerungen hinzufügen:

1. Wir erneuern in dieser Woche das Gedächtniß der Leiden unseres Erlösers, und feiern die Liebe, in der er sein Leben für uns gelassen. Wir werden mehr als sonst daran erinnert, wieviel ihn das Werk unserer Erlösung gekostet. Der Herr richtet durch die Feier dieser Wochen an einen jeden unter uns die Frage: Das that ich für dich, was thatst du für mich? Was wollen diejenigen unter uns auf diese Frage ihm antworten, die ihm ihr Herz noch nie gegeben, oder es ihm wieder entwendet haben? - Wessen Herz noch nicht durch den Glauben und die Liebe mit ihm verbunden und in ihm gewurzelt, der dient ihm auch mit dem Leben nicht, und vergilt ihm, statt etwas für ihn gethan zu haben, mit Undank und mit Verachtung: wie will der hoffen, als sein Jünger von ihm erkannt und dereinst von ihm vor seinem Vater bekannt zu werden? Ach wer mit uns sich anklagen muß, daß seines Herzens Gedanken und Wünsche von Morgen bis Abend auf andere Dinge gerichtet sind, als darauf, daß er dem Herrn gefalle und diene, der lasse sich warnen und zur Buße erwecken, so lange die angenehme Zeit, die Zeit der Gnade noch nicht abgelaufen ist. Oder sollte jenes halbe und laue Wesen, bei welchem man zwar der Wahrheit nicht widerspricht, aber demohnerachtet ihr mit dem Herzen und im Wandel nicht wahrhaft gehorsam wird, sollte das der Weg sein können, auf welchem man hoffen dürfte, von dem Herrn das Zeugniß der Treue, das Zeugniß des Lebens zu empfangen, und hinzugelangen dorthin, wo er ist? Er hat Alles, was er hatte, für uns dahingegeben, und sich nichts vorbehalten, da er hinging, für uns zu sterben. Auch jetzt in der Herrlichkeit ist er nicht anders gesinnt, und wendet fortwährend bis zu seiner Wiederkunft zum Gericht alle seine Macht uns Sündern zu Gute, zu unserer Erlösung und Seligmachung, uns zum Dienste an. Seine Herrschaft besteht dermalen ganz eigentlich fortwährend darin, daß er uns dient, uns zu sich zieht und gewinnt, und die Gewonnenen behütet und leitet und stärkt und über sie wacht und sie schützt, und im oberen Heiligthum in Kraft feines einmal dargebrachten Opfers mit seiner Fürbitte uns vertritt. So war und ist er gegen uns gesinnt, das that und thut er für uns. Sagt, geliebte Zuhörer, ob es sich nun damit verträgt, wenn man will so sein Jünger sein, daß man zwischen ihm und der Welt doch immer noch theilt, ihm nur theilweise mit Kräften, Gaben, Beruf, Zeit und Vermögen angehören und dienen, übrigens aber auch fortfahren will, dies und jenes noch vorzubehalten, und in diesem und jenem, wo man wohl weiß, daß es nicht nach seinem Gefallen ist, doch zu bleiben, wie man ist.

Was hilft das Mögen ein Christ sein, wo doch der Wille nicht da ist? Sind nicht viele, die darin hangen bleiben, daß sie ihr Mögen für Wollen ansehen? Sie möchten sich wohl zu Christo bekehren, und mit ganzem und rechtschaffenen Herzen Christen sein, und doch ist der Wille nicht vorhanden. Aber wer da meint mit dem bloßen Mögen das Reich Gottes zu erwerben, der wird nicht hineinkommen. Das Mögen ist ein laues und ohnmächtiges Wesen, mit welchem man nicht abkommt von jener breiten Straße, die zum Verderben führt.

Aber auch unter denen, die das Zeugniß haben in ihrem Herzen und Gewissen, daß sie durch den Glauben ein seliges Eigenthum Christi geworden und ihm leben und dienen, - wird Niemand sein, für den die Frage des Herrn: Was thatst du für mich? nicht viel Demüthigendes enthielte. Es will viel sagen, das Zeugniß des Herrn, das Maria hier von ihm empfing: sie hat gethan, was sie konnte. - Vor dem Herrn gilt die Treue, nicht wie viel Kräfte oder Gaben oder Vermögen man hat, sondern wie man's in seinem Dienste anlegt, daß man nicht mehr, aber auch nicht weniger thut, als man kann. So dem Herrn eigen werden und anhangen, daß man mit allem, was man hat, mit Kräften Leibes und der Seele und mit ganzem Herzen, mit dem täglichen Beruf und dem täglichen Gebrauch der Zeit ihm dient, diese Ganzheit, diese Treue hat der Herr von jeher an seinen Knechten und Mägden hoch geehrt, und sie gesegnet. Wer mich ehrt, hat er gesagt, den will ich wieder ehren, und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Laßt uns allesammt wohl erwägen, was wir thun konnten und sollten, und doch nicht gethan haben, noch thun.

2. Und was insbesondere das Wohlthun angeht, und das Reichwerden an guten Werken, so laßt uns da ja nicht überhören, was der Herr uns hier sagt, daß wir können nach dem Maaße, als wir wollen. Indem der Herr die Maria rechtfertigt mit den Worten: Mich habt ihr nicht allezeit, heißt er uns die Gelegenheiten zum Gutesthun, wenn sie vorhanden sind, wenn die innere und äußere Aufforderung dazu da ist, ergreifen, und sie nicht vorbeilassen mit der Einwendung, man könne nicht. - Ein jeder, nachdem er hat; .- auch das Wenige, mit liebendem Herzen geopfert, ist dem Herrn werth, wie jene Scherflein der Wittwe eine große Gabe waren in seinen Augen. Und auf der andern Seite, was wäre zu groß oder zu viel, um dem damit zu dienen, der uns damit gedient, daß er sein Leben zum Lösegeld für uns dargegeben? Was sind dreihundert Groschen, was Schätze, die wir besitzen möchten, als Vergeltung betrachtet gegen den, der uns mit seinem Blute erkauft, und an dem Holze des Kreuzes unseren Fluch getragen hat, auf daß er uns von demselben erlösete? Konnte jenem alabasternen Gefäße eine größere Ehre widerfahren, als daß es bei jener Gelegenheit zerbrochen wurde, und dem Nardenöl, daß es bei dieser Gelegenheit verduftete? - So freilich können wir jetzt persönlich ihm nicht dienen. Aber wie ausdrücklich hat er erklärt, daß er, was wir um seinetwillen an dem Geringsten seiner Brüder thun, ansehen will, als ihm geschehen. So haben wir nun ihn nicht sichtbar vor uns, aber in den Armen, die wir allzeit um uns haben, an denen es auch uns nicht fehlt, haben wir seine Stellvertreter, von denen will er bei uns repräsentirt sein. Und wir haben demnach keine Ursache, die Maria zu beneiden um die Gelegenheit, die sie hatte, an dem Herrn unmittelbar ein gutes Werk zu thun, da uns Jesus ein großes, weites, offenes Feld angewiesen hat mit den Worten: Arme habt ihr allezeit bei Euch; und alles, was wir um seinetwillen Gutes thun, und sei es an dem Geringsten, schon jetzt so ansehen, und am großen Tage der Zukunft auch öffentlich vergelten will, als ihm geschehen. - Und auch da können wir, wenn wir wollen. Die gewöhnliche Klage ist, man könne nicht. Aber der Herr setzt dieses Nichtkönnen wo anders hin, als in den Mangel der vorhandenen Mittel, und sagt, im Willen und in der Liebe, da liege die Kraft zu können. Eine Wahrheit, gel. Zuh., die wir in unseren Tagen recht zu Herzen nehmen und einüben mögen, da der Armen immer mehr werden, und wie es scheinen will, der Wohlhabenden weniger, da der Ansprüche an diejenigen, die noch haben, immer mehr werden. Der Geist des Herrn lehre uns hier rechnen nach der Rechenkunst des Glaubens, und mache uns je mehr und mehr reich und fruchtbar an allem guten Werk, und tüchtig, Gutes zu thun, und nicht müde zu werden, auf daß wir zu seiner Zeit auch erndten ohne Aufhören. Amen.

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