Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Sieben Predigten über das 53. Kapitel des Propheten Jesaias - Sechste Predigt.

Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Sieben Predigten über das 53. Kapitel des Propheten Jesaias - Sechste Predigt.

Herr, unser Heiland, der Du gestritten und überwunden hast, der Du durch Leiden des Todes gekrönt bist mit Preis und Ehre, und nun herrschest in Herrlichkeit zur Rechten der Kraft, und wohnest unter dem Lobe Deines Volkes, schaue hernieder auf Deine Christenheit auf Erden, die noch im Kampfe begriffen ist, und segne und stärke sie, da sie anbetend vor Dir erscheint am festlichen Tage Deiner Auferstehung! Schaue hernieder vom Throne Deiner Herrlichkeit auch auf uns in unserer Niedrigkeit, und nimm in Gnaden das Lob, das wir Dir darbringen, an. Wir sind noch Gäste und Pilgrime hienieden, und wandeln im Glauben, nicht im Schauen. Wir haben zu streiten mit der Sünde in uns und außer uns, und sind noch umringt mit Versuchung und Gefahr. Aber wir sind nicht allein! Wir haben erkannt und geglaubt, daß Du bist Christus, der Sohn Gottes, der Sünder Heiland. Wir haben erkannt die Liebe, mit der Du Dein Leben für uns zum Schuldopfer hingegeben. Wir wissen, daß Du für uns des Todes gestorben bist, daß an Deinem Kreuze die Handschrift unsrer Schulden, die wider uns war, zerrissen ist. Wir wissen, daß Du todt warst und lebst, daß Du, nachdem Du die Versöhnung der Sünde vollbracht hast, auch den Tod überwunden hast, und auferstanden bist im Leibe der Unsterblichkeit und Verklärung, und Dich gesetzt hast zur Rechten der Majestät in der Höhe, und Deine Macht gebrauchst den Deinen zu Gute. Siehe in Gnaden hernieder auch auf unser Land und Volk! Wecke auf treue Hirten und Lehrer, und erleuchte sie und salbe sie mit dem Geist Deines Mundes. Laß das Evangelium lauter verkündigt werden, und die Herzen gerührt werden und zu Deiner Erkenntniß und Liebe erwachen, und die Kinder Dir geboren werden wie der Thau aus der Morgenröthe. Siehe in Gnaden hernieder auf diese Gemeinde! Heile sie, baue sie, bessre sie. Gründe uns je mehr und mehr in Demuth, habe ferner Geduld mit unsrer Schwachheit. Segne uns mit Freude an Dir, denn die Freude an Dir ist unsre Stärke. Erquicke uns an der Tafel Deiner Gnade, und tröste unsre Herzen, daß wir fröhlich wandeln den Weg Deiner heiligen Gebote. Amen.

Text: Jesaias 53,10-12.
Aber der Herr wollte Ihn also zerschlagen mit Krankheit. Wenn Er sein Leben zum Schuldopfer gegeben bat, so wird Er Samen haben und in die Länge leben, und des Herrn vornehmen wird durch seine Hand fortgehen. Darum, daß seine Seele gearbeitet hat, wird Er seine Lust sehen und die Fülle haben; und durch sein Erkenntniß wird Er, mein Knecht, der Gerechte, Viele gerecht machen, denn Er trägt ihre Sünden. Darum will ich Ihm große Menge zur Beute geben, und Er soll die Starken zum Raube haben, darum, daß Er sein Leben in den Tod gegeben hat, und den Uebelthätern gleich gerechnet ist, und Er Vieler Sünde getragen hat, und für die Uebelthäter gebeten.

So lauten die Schlußworte der Weissagung dieses Kapitels, in welchem Jesaias, voll des prophetischen Geistes, die großen Thaten Gottes zuvor verkündigt, und mit wunderbarer Klarheit den Rath Gottes von unsrer Erlösung, das Heil des Todes und der Auferstehung Christi beschreibt. Wir haben seine Weissagung von der Knechtsgestalt Christi und seine prophetische Klage über das Aergerniß, das die Welt an Ihm nehmen werde, wir haben sein helles Zeugniß von dem stellvertretenden Leiden Christi, wir haben seine Schilderung von der Geduld und Sanftmuth Christi in seinen Leiden, wir haben zuletzt am Charfreitag seine Weissagung von Christi Tod nach dessen Umständen und alsbaldigen Erfolgen vernommen. Lasset uns heute, am Feste der Auferstehung unsers Herrn, nun auch hören, was er von Christi wunderbarem Siege weissagt, wie er die Früchte des Todes und der Auferstehung unsers Herrn beschreibt. Der Geist des Herrn helfe uns, daß es im Segen geschehe, und bekräftige und versiegle dieses Zeugniß des Propheten auch in unsern Herzen.

I.

Vorab aber heißt es noch einmal im Anfang unsrer Textesworte: „Aber der Herr wollte Ihn also zerschlagen mit Krankheit.“ Er wollte Ihn also in Mißhandlung und Verwundung und Leiden des Todes dahingeben. Also noch einmal und ganz deutlich muß es der Prophet, vom heiligen Geiste getrieben, hier aussprechen, daß es ein göttlicher Rathschluß ist, der in dem Tode Christi ausgeführt worden, daß es Jehova, der Herr, der Dreieinige, also gewollt hat, und der Sohn Gottes, der Geliebte des Vaters, in diese Todesleiden hingegeben worden ist. Wie gewiß also auch, daß diese Hingebung Christi nöthig war, daß unsre Erlösung dieses Opfer erforderte! Gott selbst erklärt es in seinem Worte für etwas Großes und ganz Außerordentliches, daß Er solches für uns gethan hat, daß Er seines eingebornen Sohnes, des Geliebten, um unsertwillen nicht verschont hat. Als Gott den Abraham versuchte und ihm befahl, Isaak, seinen einigen Sohn, den er lieb hatte, ihm zum Brandopfer darzubringen, wie hoch rechnete Er es dem Abraham an, daß derselbe diese Probe bestand, und sich gläubig und gehorsam erwies! „Ich habe bei mir selbst geschworen, sprach der Herr, dieweil Du solches gethan hast, und hast Deines einigen Sohnes nicht verschonet, daß ich Deinen Samen segnen und mehren will, wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und durch Deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden.“ Wenn Er der Vaterliebe des Abraham solches Opfer so hoch anrechnet, so gibt Er uns damit zu erwägen, was es seiner Vaterliebe gekostet, daß wir erlöset sind. Dasselbe gibt uns auch Jesus zu erwägen mit jenem inhaltschweren und nicht auszuwägenden Also: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er seinen eingebornen Sohn gab.“ Und es ist die Welt, die im Argen liegende Welt, die Er also geliebt hat! Dieses Opfer, das kein Vorbild hat, das ihm gliche, ist für uns Ungehorsame, für Abtrünnige, für Missethäter, für diejenigen, die Ihn haßten, dargebracht worden. Ja, darin preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.

„Wenn Er,“ fährt der Prophet fort, „wenn Er sein Leben zum Schuldopfer gegeben haben wird,“ und sagt damit noch einmal, und wiederum so deutlich und bestimmt als möglich, wie wir den Tod Christi, von dessen Früchten Er nun reden will, ansehen sollen. Wir sollen es wissen und immerdar vor Augen behalten, daß Er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, daß Er rein von Schuld ohne Sünde war, daß es unsre Schuld ist, deren Strafe Er getragen, unter deren Last Er also gelitten. Der Prophet wird nicht müde, dieses Wunder der Erbarmung Gottes über uns zu preisen. Von dem ersten „Fürwahr,“ im vierten Verse unsers Kapitels, wo ihm dies aufgeht, wo ihm in Klarheit solches zu schauen gegeben wird, kommt er nicht wieder davon los, kommt er immer wieder aufs Neue bis ans Ende des Kapitels darauf zurück, das Opfer Christi preiset er bis zum Ende des Kapitels hin als den Grund, als die Quelle aller Segnungen, die durch den Messias über sein Volk, über die Welt sich ergießen werden. Zu deren Beschreibung, zur Beschreibung der Früchte des Todes und der Auferstehung Christi, als dem unterscheidenden Hauptinhalte unsrer heutigen Textesworte, geht er nun über. Ist die Veranstaltung, die hier getroffen worden, groß und wundersam, wahrlich der Endzweck, der erreicht wird, ist es auch. Ist das Opfer, das hier gebracht worden, von unermeßlichem Werth, auch der Werth dessen, was damit erkauft worden, ist in des Herrn Augen und Herzen köstlich, und nicht zu gering dazu. Hat es einen heißen Kampf und heiße Seelenarbeit gekostet, der Gewinn, der damit errungen worden, und die Erndte von solcher Arbeit waren es werth in den Augen und dem Herzen des Herrn. laßt uns nun hören im Einzelnen, was davon der Prophet hier verkündigt.

Es heißt davon zuerst im 10ten Verse also: „Wenn Er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so wird Er Samen haben und in die Länge leben, und des Herrn Vornehmen wird durch seine Hand fortgehn.“ Das Erste also, was der Prophet davon weissagt, ist dieses, es werde nach dem Tode Christi gerade das Gegentheil geschehen von dem, was man nach menschlichem Ansehen davon erwarten werde. Statt daß es nun aus seyn werde mit Christi begonnenem Werke, werde dasselbe nun erst recht aufkommen und wachsen, ohne daß es werde gehindert werden können, es werde nun erst recht Fortgang gewinnen in Kraft. „Er wird Samen haben,“ heißt es davon zuerst. Ist dies nicht dasselbe Bild, unter welchem Jesus selbst die Nothwendigkeit und den Segen seiner Hingebung in den Tod beschrieb? Wem fallen hier nicht die Worte unsers Herrn ein (Joh. 12,24): „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, es sey denn, daß das Waizenkorn in die Erde falle und ersterbe, sonst bleibet es alleine; wo es aber erstirbt, so bringt's viele Frucht.“ (V. 32) „Und ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde,“ und mit dieser Erhöhung verstand Er seine Erhöhung ans Kreuz, wie der Evangelist bemerkt, „so will ich sie Alle zu mir ziehen.“ Jesus hätte auch ohne Tod in die Herrlichkeit eingehen, und nach seiner menschlichen Natur verklärt werden können durch Kraft der Allmacht, aber dann wäre auch kein gültiges Schuldopfer für unsre Sünde vorhanden, Er allein wäre verherrlicht worden, der Zweck seiner Menschwerdung, daß Er Viele mit sich in die Herrlichkeit führen wollte, wäre unerreicht geblieben; dieser Zweck aber sollte erreicht werden, Samen wollte Er haben, ein erlösetes, zu Gnaden angenommenes Volk des Eigenthums, das Er sich heiligte und zur Herrlichkeit brächte. Darum brachte Er das Schuldopfer, und ließ ans Kreuz sich erhöhen, und der Endzweck der Liebe wurde und wird, aller Macht der Finsterniß zum Trotze, an unzählig Vielen wirklich erreicht. Was nach der Absicht der Feinde das Mittel zur Zerstörung des Werkes Christi seyn sollte, wurde das Fundament des ganzen Erlösungswerkes, der Tod Christi war das von Ewigkeit ersehene, einzig kräftige, aber auch allgenugsame Opfer zur Versöhnung der Sünde der Welt. Es geschah, nicht, was die Feinde wollten, sondern was Christus wollte, was im Rathe von unsrer Erlösung beschlossen war. Er hatte Samen, Er zog, nachdem Er sein Leben zum Schuldopfer gegeben, mit stärkern Kräften, als vorher, die Seinen alsbald zu sich. Er siegte der Wahrheit nach, indem Er dem Scheine nach erlag, und es geschah, was geschrieben steht (Ps. 110,3): „Nach deinem Sieg wird dir dein Volk williglich opfern im heiligen Schmuck; deine Kinder werden dir geboren, wie der Thau aus der Morgenröthe.“

„Er wird in die Länge leben,“ setzt der Prophet hinzu, und weissagt hiermit, der Todesweg Christi werde sich ausweisen als Weg ins Leben, und zwar ins unsterbliche, ewige Leben, wie er es vorher schon genannt hat, ein Leben, dessen Länge Niemand ausrechnen könne; er weissagt also mit diesen Worten nicht undeutlich Christi glorreiche Auferstehung. Und zwar verkündet er dieses neue Leben Christi als ein Leben der Kraft, „Er werde Samen haben und in die Länge leben, und des Herrn vornehmen, der ewige Rath, zu dessen Ausführung Er in die Welt gekommen und den Tod gelitten, werde nunmehr durch seine Hand fortgehen, kräftigen Fortgang gewinnen.“ Die Erfüllung dieser Worte begann mit dem Tage der Pfingsten. Vierzig Tage lang ließ der Auferstandene durch mancherlei Erweisungen unter seinen Jüngern sich sehen, machte sie seiner Auferstehung gewiß, und redete mit ihnen vom Reiche Gottes. Dann fuhr Er auf gen Himmel, und machte das Blut der Versöhnung, das Er auf Erden vergossen, im himmlischen Heiligthum für uns geltend. Wie der vorbildlichen alttestamentlichen Priester Werk ein zwiefaches war, das eine, daß sie opferten auf dem Brandopferaltar im Vorhof, das andre, daß sie das Blut der Versöhnung in die Hütte in den Tempel brachten, und auf dem Rauchaltar im Heiligen Rauchwerk opferten, und beteten, und des Hohenpriesters Werk bei dem jährlichen Hauptopfer für das Volk, daß er mit dem Blute dieses Opfers ins Allerheiligste ging, und es vor Gott brachte, und mit Fürbitte und Segen das sündige Volk vertrat, wie dort in schwachem Schatten und Vorbilde, so hier im Wesen und in der Kraft. Der eine Theil des priesterlichen Werkes Christi, sein Opfer war auf Erden vollbracht am Kreuz, Er war der Priester und auch das Lamm, Er war Priester und Opfer in Einer Person; zur Ausrichtung des andern priesterlichen Werkes ging Er ins obere Heiligthum durch seine Himmelfahrt ein. Da machte Er, nachdem seine menschliche Natur verklärt und mit der Fülle der Gottheit leibhaftig erfüllt worden, sein auf Erden für uns dargebrachtes Opfer geltend, und empfing nun auch die Fülle der Gaben des heiligen Geistes für uns. „Er ist in die Höhe gefahren, heißt es, und hat Gaben empfangen für die Menschen.“;

Und Er säumte nicht, die Gabe aller Gaben, die Er für uns empfangen, zu senden, den heiligen Geist, den Er am Pfingsttage über seine Jünger und fortan über viele Tausende ausgoß; da empfingen sie Licht der Ueberzeugung, Klarheit der Erkenntniß, Freudigkeit des Glaubens und des Muthes, daß sie tausendmal, wenn es möglich gewesen, darüber würden gestorben seyn; da erglühte in ihnen ein Feuer der Liebe Christi und der Brüder, und drang sie, und eine Seligkeit und Zuversicht und Hoffnung erfüllte sie, daß die Feinde wohl gewahr wurden, wie sehr sie sich verrechnet, wenn sie gemeint, mit dem Tode des Gekreuzigten würde Alles aus seyn. Sie mußten es geschehen lassen und konnten es nicht hindern, daß das Werk Jesu nun erst durch seine Hand fortging in Kraft; denn daß Er es war, der seine Jünger also mit seinem Geiste erfüllte, und solche Thaten und Wunder durch sie wirkte, davon legten sie selbst vor Jedermann, und feierlich auch vor dem hohen Rathe selbst Zeugniß ab. Die Feinde ärgern sich darüber, und die Macht, die äußere, haben sie in Händen, und könnens doch nicht hindern. Vorhin sind seiner Anhänger in Judäa nicht viele, und in Galiläa nicht viel über 500 gewesen; jetzt bildet sich unter ihren Augen in Jerusalem eine Christengemeinde, die nach nicht vielen Tagen 5000 Mitglieder schon zählt. Sie haben gemeint, mit dem Tode Jesu sey der ganzen Sache der Kopf abgeschnitten, jetzt treten statt Eines Wunderthäters in seinem Namen und ganz furchtlos Zwölfe auf, und stehen unter einen ganz unverkennbaren höhern Schutze, und viel schneller und umfassender, als es vorher durch seine persönliche Gegenwart geschehen, wird durch sie sein Werk jetzt fortgesetzt, und seine Gemeinde ausgebreitet über Samaria und Galiläa und von da unter den Völkern der Heiden. Dieser überraschend kräftige Fortgang seines Werkes alsbald nach seinem Tode ist das Erste, was der Prophet von den Früchten des Todes und der Auferstehung Christi hier weissagt.

Dieser große Fortgang aber weissagt der Prophet nun weiter, werde für den Erlöser selbst ein süßer Lohn, eine reiche Vergeltung seyn für das, was Er aufgewendet und was Er gelitten. Es heißt weiter: „Darum, daß seine Seele gearbeitet hat, wird Er seine Lust sehen, und die Fülle haben.“ - Ja, wahrlich, Er hat gearbeitet, gearbeitet, daß sein Schweiß wie Blutstropfen auf die Erde fiel. Und nicht ohne Ursache ist es im Worte Gottes uns gesagt und beschrieben, es war nöthig, daß wir's wissen, wie unsäglich sauer und schwer diese Arbeit seiner Seele gewesen ist, - in Gethsemane besonders, wo wir Ihn flehen hören: „Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Wir sollen es wissen, was es auf sich hatte mit diesem Kelch des Zorns, der uns eingeschenkt war, den Er trank, mit der Last, die das Lamm Gottes trug, als es die Sünde der Welt und auch unsre Sünde trug, die Er trug, als der Herr unser aller Sünde auf Ihn geworfen, als Er für uns im Gericht stand, - eine Last, die keine bloße Kreatur zu tragen vermögend gewesen wäre, und darum auch kein Erschaffener ganz ermessen kann. Er rang im Gebete, sich stärkend in dem ewigen Rathschluß, und legte es in des Vaters Hand, wünschte aber, es möchte vorübergehen. Er wurde aber nicht sogleich erhört, Er mußte den Kelch erst leeren bis auf die letzten Hefen. Sehet da die Liebe des Vaters zu uns Sündern, daß Er seinen Sohn nicht eher erhörte, und die Liebe des Sohnes, daß Er unter solcher Last um unsre Errettung vom Verderben gerungen hat! Das sollen wir wissen, und nimmer vergessen, wie viel es Ihn gekostet, daß wir erlöset sind.

Für diese Arbeit seiner Seele, heißt es in unsrer Weissagung, werde Er seine Lust sehen. Seine Lust sieht Er an seinen Erlöseten. Unsre Errettung vom Verderben, unsre Seligkeit ist es, die Er sehen will, an der Er seine Augen weiden will, und sein Herz vergnügen will, als am köstlichen Lohn, an der süßen Frucht seiner Arbeit. Diese Lust ist Ihm auch alsbald geworden an der Gemeinde in Jerusalem, der Erstlingsfrucht seiner Arbeit. Es war eine sehr selige, sehr heilige Gemeinde, diese Erstlingsgemeinde in Jerusalem, wie eine geschmückte Braut mit dem Schmuck der Demuth, mit den weißen Kleidern seiner Gerechtigkeit, reich am Golde des Glaubens, reich an guten Werken, selig in der Liebe. Auch hat es in keinem der nachfolgenden Zeitalter bis hierhin dem Herrn an Lohn seiner Arbeit, an solchen gefehlt, an denen Er seine Lust gesehen. Er wird sie noch weiter sehen, dies darf ich mit Zuversicht sagen, auch unter uns. „Er wird seine Lust sehen, heißt es, und die Fülle haben.“ Was wir hienieden davon sehen und wahrnehmen, ist freilich wenig. Aber unser Blick reicht auch nicht weit. Wie viele Tausend hat der Herr als eine reife Frucht in seine Scheunen gesammelt, von denen die Weltgeschichte keine Kunde gibt, deren Namen aber im Buche des Lebens stehen. Der Herr sieht auch gegenwärtig seine Lust an viel Mehrern, als wir wissen und kennen, so wie zu Elias Zeiten noch 7000 am Leben waren, die ihre Kniee nicht vor Baal gebeugt hatten, während es schien und der Prophet meinte, er sey allein übrig geblieben. Es ist dem Abraham und in ihm Christo, seinem Abkömmling dem Fleische nach, ein Same, und zwar ein geistlicher Same, eine Nachkommenschaft der Gläubigen verheißen, wie die Sterne am Himmel, wie der Sand am Ufer des Meeres. Die Zukunft wird's enthüllen, welche Fülle Er hat, wie groß und wie herrlich die Gemeinde der Erlöseten ist; die durch Ihn selig geworden, in der Er Gestalt gewonnen, und an der Er ewiglich seine Lust sieht.

II.

Laßt uns für die heutige Morgenstunde nur noch den nächstfolgenden Hauptpunkt unsers Textes hören, und das Uebrige unsers Textes in einer andern Stunde, so der Herr will. Der Prophet nämlich verknüpft mit jener Weissagung von dem Lohne des Erlösers, ein merkwürdiges Zeugniß von dem im Evangelium geoffenbarten Wege des Heils, indem er vorhersagt, wie der Erlöser das durch Ihn erworbene Heil den Sündern mittheilen, wodurch Er es ihnen zueignen werde, daß sie es wirklich empfangen und genießen. Davon heißt es: „Und durch sein Erkenntniß wird Er, mein Knecht, der Gerechte, Viele gerecht machen; denn Er trägt ihre Sünden.“ Durch sein Erkenntniß soll es geschehen, d. h. dadurch, daß sie Ihn erkennen, daß Er, wer Er ist und was Er ihnen erworben hat, von ihnen erkannt und in ihren Herzen verklärt wird, also mit Einem Worte, durch den Glauben an ihn soll es ihnen zu Theil werden, was Er ihnen erworben hat. So wird von Christo selbst der Glaube an Ihn Seine Erkenntniß genannt, in seinem hohenpriesterlichen Gebete, wo Er sagt: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie Dich, daß Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Und wie beschreibt nun der Prophet diese Erkenntniß Christi? Er sagt, sie werde die Gerechtigkeit der Erlöseten seyn, denn Er trage ihre Sünden. Ihre Erkenntniß Christi werde also wesentlich darin bestehen, daß sie Ihn erkennen als das von Gott verordnete Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Dies hebt der Prophet hier als den Mittelpunkt der seligmachenden Erkenntniß Christi hervor. Nicht also, wie die Irrlehre unsrer Tage, die Jesum zunächst nur als einen großen Lehrer gelten läßt, während sie den Hauptpunkt seiner Lehre, daß er die Sünde der Welt getragen hat, verläugnet und in Schatten stellt; diese Irrlehre wird hier durch den Propheten schon Lügen gestraft, der den Glauben an Christum hier ausdrücklich als diejenige Erkenntniß beschreibt, wie Er uns bis in den Tod geliebt und sein Leben für uns gelassen hat. Jedes Wort, das der Prophet hier gebraucht, ist in dieser Hinsicht bezeichnend. Er nennt den Messias, wie in den vorhergehenden Kapiteln, hier noch einmal den Knecht, den Knecht Jehovas, als der, um uns das Heil zu erwerben, gehorsam werden müssen bis in den Tod. Er nennt Ihn den Gerechten, als den Einzigen unter den Menschenkindern, der es war, und der Er auch nothwendig seyn mußte; wie hätte ein Sünder können die Sünder erlösen? Der Hohenpriester mußte unschuldig, unbefleckt und von den Sündern abgesondert, und das Opfer ohne Fehl und Tadel seyn. Durch sein Erkenntniß wird Er, mein Knecht, der Gerechte, Viele gerecht machen,„ die Rechtfertigung ihnen auswirken; daß sie, die Schuldigen, im göttlichen Gerichte losgesprochen und begnadigt werden, das nennt der Prophet schon hier die Rechtfertigung der Sünder, ganz wie das Neue Testament sie lehrt, daß wir die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, erlangen, nicht durch des Gesetzes Wert, weil das Gesetz uns Sünder verurtheilt, sondern durch den Glauben an Christum. „Denn hier ist, sagt das Neue Testament, kein Unterschied; wir sind allzumal Sünder, und werden ohne Verdienst gerecht, aus Gottes Gnade, durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist.“ Diese Lehre macht allerdings allen und jeden Eigenruhm zunichte, aber sie hebt keineswegs das Gesetz auf; im Gegentheil, so allein wird das Gesetz Gottes durch den Geist Gottes in unser Herz geschrieben also, daß es zur Kraft kommt; durch den seligmachenden Glauben, den der heilige Geist wirkt, gießt Er auch die Liebe Gottes, die Liebe Christi und die Liebe der Brüder ins Herz aus, die aller Tugenden lebendige Quelle ist. Denn die Liebe ist die Mutter aller Tugenden und des ganzen Gesetzes Erfüllung. Das ist der im Evangelium geoffenbarte Weg des Heils, dessen wir uns freuen, das Kleinod der Lehre vom Glauben, das die Reformatoren vor drei Jahrhunderten aus dem Dunkel wieder ans Licht gezogen haben, die theure Wahrheit, welche in allen Bekenntnißschriften der protestantischen Kirche, in allen alten Liturgien und Gesangbüchern und Katechismen und Andachtsbüchern der protestantischen Kirche so klar und herzerquicklich bezeugt wird, das theure Evangelium, daß wir vor Gott gerecht werden durch den Glauben an Christum, durch die gläubige Annahme Christi für uns, kraft welches Evangeliums wir mit Freudigkeit hinzutreten können und sollen zum heiligen Abendmahl, zu empfangen, was uns noth ist, Gerechtigkeit und Stärke, und Alles umsonst, im Glauben an den, der uns geliebt hat, und unsre Sünden getragen hat. Wie das Evangelium uns lehrt Christum erkennen und ansehen, so hier der Prophet. Auch der Prophet weiß nichts von Aufrichtung eigener Gerechtigkeit vor Gott. Er heißt uns unsre Rechtfertigung suchen und empfangen durch Christi Erkenntniß. Er heißt uns das Opfer Christi ansehen, auf daß unsre Seele genese, und die Liebe Christi, auf daß unser Herz sich Seiner freue. Auch an uns will Christus seine Lust sehen; an dem, was wir ohne Ihn sind, da kann Er ewiglich keine Lust haben, sondern an dem, was Er aus uns machen will. Er freut sich, wenn Er uns sieht, wie wir in uns gebeugt und arm, in Ihm aber freudig und muthig und reich und stark sind. Er freut sich eines jeden unter uns, der von Herzen sagen kann: „Ich weiß, an wen ich glaube. In dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke.“ - Es gibt nur zwei Hauptsünden, die unsrer Seligkeit im Wege stehen, die eine, der Mangel an Demuth, daß wir uns nicht als arme Sünder erkennen, die andre, der Mangel an Glauben, daß wir unserm Erlöser nicht Macht, oder nicht Liebe und Barmherzigkeit genug zutrauen, auch uns zu helfen. Womit aber hat Er diesen Unglauben an uns verdient? Was hat Er unterlassen, uns zu überzeugen, daß Er uns lieb hat? Hat Er nicht für uns gethan und gelitten, was in keines Menschen Herz gekommen ist? Und doch sind wir so mißtrauisch, wagen es nicht, uns ernstlich an Ihn zu wenden unserer Errettung und Seligkeit halber, womit wir Ihm den verdienten Lohn seiner Arbeit vorenthalten, und Ihn hindern, daß Er nicht auch an uns seine Lust sehen und uns seine Herrlichkeit offenbaren kann. Ihm zu Danke geschieht es nicht, wenn wir so ungläubig sind. Ihm thun wir damit keine Ehre an, und stehen und damit so jämmerlich im Wege, daß das Evangelium in uns zur Kraft nicht kommt, und halten solchen unsern Unglauben noch wohl für Demuth und Bescheidenheit. Der Geist des Herrn decke diese tiefen Falten unsers Herzens uns gründlich auf, Er schenke und gründliche Blicke in die Tiefen unsers Herzens, in dessen Trotz und Verzagtheit, und helfe uns aus uns heraus zum Frieden, den man bei Jesu findet, in der Gemeinschaft seines Leibes und Blutes, für uns geopfert. Er helfe uns zu einer gesegneten Erneuerung unsers Taufbundes, daß wir in Demuth vor unserm Erlöser erschienen, und uns im Glauben mit Ihm verloben, und mit unserm Leben uns Ihm dankbar erweisen. Amen.

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